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jicere absque forefacto«1. Diese Worte scheinen zunächst mit der Bigamie gar nichts zu tun zu haben; sie besagen nur, daß man einen Gaukler, den man nicht aus dem Hause loswerden kann, ungestraft schupfen darf. Nun zeigt aber gleich der nächste Paragraph, daß vor Gericht zu der Klasse der Gaukler auch gehören die Possenreißer, die Dirnen und anderes Gesindel: Quicumque scurrae vel joculatori vel meretrici aut alicui vago vestes suas ad nuptias dederit . . . convictus emendabit tres libras . . .«. Das geht auch daraus hervor, daß die beiden Paragraphen unter die gemeinsame Überschrift: De scurris gebracht sind. In Brügge also kommt die Strafe der Schupfe vor für eine Klasse von Leuten mit liederlichem, unmoralischem Lebenswandel, wozu auch die meretrices gehören. Da sich nun, wie wir später sehen werden, auch sonst ein Einfluß flandrischer Rechtssatzungen auf lübisches Recht nicht von der Hand weisen läßt, so ist es durchaus nicht unmöglich, daß man nach Brügger Muster die Strafe der Schupfe für den Bigamus, der ja auch unter jene Kategorie der moralisch Minderwertigen gehört, übernommen hat, um so mehr, als man auch sonst einen Hang zur drastischen Bestrafung geschlechtlicher Vergehen an dem lübischen Recht wahrnimmt.

Das Vergehen der Bigamie war keineswegs immer mit den gleichen Strafen bedroht. Wir wollen in chronologischer Reihenfolge, soweit eine chronologische Fixierung überhaupt möglich ist, die erhaltenen Rezensionen des lübischen Rechts daraufhin durchgehen. Der Freibrief und das lübische Fragment enthalten hierüber keine Bestimmung. Hierauf folgen drei weitere lateinische Kodizes, die Mitteilungsbriefe an Kiel (1232), an Oldenburg (1235) und Tondern (1243). Alle drei sind von Westphalen in einem Abdruck vereinigt. Sie enthalten übereinstimmend folgenden Artikel: »Si quispiam legittimam uxorem hic duxerit et alias legittimam habuerit et ipsam reliquerit, si de hoc convictus fuerit, posteriori renunciabit, et ipsa sui; ipsius autem cum qua ad consortium viri declinavit, excipiet substanciam, et insuper mediam substanciam viri percipiet; vir autem ob nequiciam facti sui X marchas argenti

1 Warnkönig II 1, U.B. Nr. 45, § 9, S. 85.

2 Warnkönig II 1, U.B. Nr. 45, § 10, S. 85.

judici et civitati componet; quod si facere nequiverit, praecipitabitur«1. Todesstrafe tritt also nicht ein.

Nun weist aber Frensdorff nach, daß nur die Jahresangabe 1243 des Tondernschen Kodex unanfechtbar ist, und daß man überhaupt »als sichere Entstehungszeit lateinischer Kodizes des lübischen Rechts . . . nur die Jahre 1243-1263 gelten lassen kann2. Die Angaben der Einleitungsurkunden in den beiden anderen Redaktionen sind unhaltbar. Mithin fällt das früheste Auftreten einer Bigamiebestimmung in den lateinischen Statuten in das Jahr 1243.

Es folgt der angeblich dem Jahre 1240 angehörige deutsche Kodex. Er bestimmt: ». . . he schal dat wedden unde beteren mit sineme hoghesten, unde se scal nemen to vordele al dat gut dat se to eme ghebracht; vortmehr scal se nemen de helfte des mannes gudes 3. Wir haben bereits am Eingange dieser Untersuchung gesehen, daß »beteren mit sineme höghesten« unzweifelhaft die Todesstrafe bedeutet. Wie verträgt sich das aber mit der Angabe des Tondernschen Kodex von 1243? Die Widersprüche werden sich nachher noch häufen. Daß aber auch die Zeitgenossen in jenen Jahren im Zweifel gewesen sind, beweist eine Anfrage Elbings in Lübeck aus den Jahren 1246-1250, wie die Bigamie zu bestrafen sei: »Praeterea quidam articuli continentur in ipso libro, de quibus judex nobiscum sepius contendit. Primus est: Si virorum quispiam legittimam uxorem hic duxerit et legittimam uxorem alias habuerit etc., si decem marcas habere non poterit, que sit pena compositionis ? 4 <<

«

Das nächste Zeugnis stammt aus dem Jahre 1254. Brokes führt in seinen Observationes forenses einen Artikel über Bigamie aus dem Codex iuris Lubecensis, Ordini Teutonico in Livonia a. 1254 datus<< an, wo es im Artikel 42, nachdem die übliche Teilung des Vermögens angegeben ist, heißt: »... de mann schall der stat beteren mit 10 marck suelvers, hefft he dat nicht, man schal ene werpen up den stupestoll«< 5.

1 Westphalen III, Nr. 20, col. 628.

2 Frensdorff, Das lübische Recht nach seinen ältesten Formen, S. 10-12.

3 Westphaler, Nr. 22, § 63.

4 L. U.B. I 165, S. 153.

5 Observatio 617, p. 741.

In einer Versammlung deutscher Ratsboten in Wismar, die in den Jahren 1260-1264 stattgefunden hat, wird die Todesstrafe für Bigamie festgesetzt. Der § 8 des Rezesses lautet: »Item si aliquis duxerit uxorem in aliqua istarum civitatum, et prima uxor supervenerit et postulaverit eum et possit hoc probare per testes ydoneos, quod sit legitimus ejus, decollabitur« 1. Das mit diesem Beschlusse eine Änderung des lübischen Rechts verbunden war, beweist die Einleitung, in der es heißt: »Ad audienciam vestram pervenire cupimus de arbitrio, quod discrecio proborum virorum cum deliberacione provida statuit in subsidium omnium mercatorum qui iure Lubicensi gaudent et reguntur«.

Ein Rezeß von 1265 wiederholt mit anderen Worten dieselbe Bestimmung; auch er ordnet an: »illi viro debet amputari capud« 2. Zu diesen beiden Rezessen gesellt sich ein dritter, der der Form nach fast durchgängig mit dem zweiten übereinstimmt. Nur zwei Artikel weichen von dem Rezeß von 1265 ab. Einer von diesen bezieht sich auf die Bigamie und bestimmt: hoc probato ipsa [scil. prima mulier] debet viro suo amputare caput . . .« Frensdorff weist nach, daß hierin bei genauerer Betrachtung »eine stärkere Annäherung an die alte Art gegen das Verbrechen zu reagieren, als an die neue, liegt«3. Denn durch diese Wendung ist der Ernst und die Ausführbarkeit der Strafe abgeschwächt«. Theoretisch aber steht auch hier auf Bigamie durchaus der Tod.

Dazu steht wieder im schroffsten Gegensatze der gleich zu Anfang (S. 33) angeführte Artikel aus dem Danziger Mitteilungsbrief, der nur die Strafe des praecipitare kennt.

Die von den Hanserezessen verordnete Strafe findet sich auch im Hamburger Stadtrecht von 12704, während sie in einer der ältesten Handschriften noch fehlt. Nun gehört Hamburg zwar nicht zu den Städten, qui iure Lubicensi gaudent, »aber bei den mannigfachen und nahen Beziehungen, in denen Hamburg zu

1 H.R. I 1, Nr. 7, § 8.

2 H.R. I 1, Nr. 9, § 3.

3 Frensdorff, Zu den beiden ältesten hansischen Rezessen, Hans. Gschbl., Jahrg. 1883, S. 155 ff.

4 Lappenberg, Hamb. Rechtsaltert. I, Stadtrecht von 1270, X, § 6, S. 62.

5 Ebend. Einleit. S. LIX.

Lübeck und seinen Verbündeten stand, ist es nicht unwahrscheinlich, daß man bei der Statutenredaktion von 1270 auf den wenige Jahre zuvor gefaßten Beschluß der wendischen Städte, der dem Interesse aller diente, Rücksicht nahm« 1.

Der deutsche Revaler Kodex von 1282 bestimmt im § 61 über den Bigamus: »de man schal oc beteren der stat unde deme richte sine bosheit mit tein marken sulvers; ne hevet he der nicht, men schal ene werpen in den schuppestul « 2. Dieser Kodex, den Hach noch nicht kannte, gehört zu denjenigen, »die man nach allen Anzeichen als die ältesten ihrer Gattung zu betrachten hat«3.

Der Artikel 9 in dem Kodex des Kanzlers Albrecht von Bardewiek stimmt wörtlich mit dem Kodex von 1240 überein. Auffallend ist, daß hier ursprünglich, und noch heute lesbar, die Strafe des Stupestols stand, die dann ausradiert und durch die Worte »beteren mit sime hoghesten« ersetzt wurden*.

Zum Schluß ist noch auf zwei ohne Jahreszahl überlieferte Kodizes hinzuweisen. Der erste ist der von Westphalen zum Vergleich mit dem Lübecker Kodex von 1240 herangezogene deutsche Kieler Kodex, den Westphalen willkürlich und mit Unrecht in das Jahr 1337 setzt. Hach weist vielmehr nach, daß er bedeutend älter sein muß 5. Nachdem die übliche Geldstrafe angegeben ist, heißt es weiter: »ne hevet he de nicht, men schal enen setten up den schupe stoel, und schal ene wysen ut der stat«o.

Der zweite Kodex dieser Art ist der bei Brokes im Anhang abgedruckte Kodex I, der nach Hach wahrscheinlich auf eine sehr alte aber verloren gegangene Handschrift zurückgeht'. Trifft diese Vermutung Hachs zu, so haben wir hier eine der frühesten deutschen Fassungen des Artikels vor uns. Auch hier verliert der Schuldige die Hälfte seines eigenen Vermögens. Der Stadt und

1 Frensdorff, Hans. Gschbl., Jahrg. 1871, S. 50.

2 Frensdorff, ebend. S. 24. - v. Bunge, Quellen des Revaler Stadtrechts I C, § 61, S. 52.

3 Frensdorff, a. a. O., S. 24.

4 Hach II 9, S. 249 f.

5 Hach, Einleit. S. 77-79.

6 Westphalen III 22, § 63, col. 646, Anm. f.

7 Hach, Einleit. S. 87-89.

dem Richter hat er eine Wette von 10 M. zu zahlen, »heft he de nicht, men schal eme werpen in den stupp stull« 1.

Hier bleiben noch einige Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Zunächst fällt der Kodex von 1240 mit der von ihm angeordneten Todesstrafe aus dem Rahmen heraus. Nun hat aber Usinger in Kiel auf Veranlassung Frensdorffs festgestellt, daß auch hier, wie in dem Kodex von 1294, zuerst radiert und dann die Todesstrafe übergeschrieben worden ist. Wie Frensdorff wahrscheinlich macht, ist die Korrektur ziemlich spät nach den Hanserezessen zugefügt, sicher nach 12762.

Aber selbst wenn uns diese Tatsache nicht zu Hilfe käme würde der Kodex keine Schwierigkeiten machen, Frensdorff zeigt nämlich, daß er die Jahreszahl 1240 durchaus nicht zu Recht trägt. Er beruht auf dem für Elbing hergestellten Kodex, der in den Jahren 1260-1276 entstanden sein muß3, wird also wohl ebenfalls in jene Jahre gehören.

Nun bildet diese Redaktion mit dem Revaler Kodex und dem Kodex I bei Brokes eine zusammengehörige Gruppe. Die beiden letztgenannten Vertreter dieser Gruppe bestrafen übereinstimmend die Bigamie mit der Schupfe. Ebenso ist es auffallend, daß der Kodex von 1294 ursprünglich die Strafe des schuppestuls angeordnet hat. Wenn im allgemeinen auch Analogieschlüsse zu verwerfen sind, so wird man doch, bei der Übereinstimmung der sämtlichen angeführten deutschen Redaktionen ohne Bedenken annehmen können, daß auch in dem Kodex von 1240 unter der Korrektur zunächst die Strafe des schupestuls gestanden haben wird. Die ursprüngliche Strafe, wie sie die lateinischen Statuten zeigen, ist dadurch hineingekommen, daß die Abschreiber ältere Redaktionen ausschrieben, ohne an die durch die städtischen Beschlüsse herbeigeführte Veränderung zu denken. Erst nachträglich wurde der Irrtum bemerkt und in den beiden in Lübeck verbliebenen Exemplaren, dem Kodex von angeblich 1240 und dem von 1294 abgeändert.

1 Brokes, Observat. I, § 64, p. 9.

2 Hans. Gschbl., Jahrg. 1871, S. 41 u. 43.

3 Frensdorff, Das lubische Recht nach seinen ältesten Formen, S. 67 u. 65. Schon dadurch verliert Brokes Angabe über einen Kodex von 1254 an Wert.

4 Frensdorff, a. a. O., S. 50.

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