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X.

Reise durch die nordöstlichen Provinzen der Insel

Luzon.

Mitgetheilt von Herrn Semper in Manila, d. d. Aparri in Cagayan, den 27. August 1860.')

...

Im Mai dieses Jahres begann ich eine Reise, die ursprünglich nur in kleinem Mafsstabe angelegt, sich allmälig in einer Weise ausgedehnt hat, dass ich jetzt kaum sagen kann, das Ende des Anfangs erreicht zu haben. Die bisher gemachte Route führte mich meist rasch durch die Provinzen Bulacan und Nueva Ecija nach Pantabagan, von dort über einem niedrigen Gebirgspals der östlichen Bergkette nach Baler, dann an der Küste entlang nach dem zur Provinz Nueva Isabela gehörigen Dorfe Palanan dessen Lage übrigens auf der Karte von MorataCoëllo absolut falsch angegeben ist - und von hier abermals über die östliche Kette der in die Ebene reichenden beiden Hauptgebirgszüge des nördlichen Theiles von Luzon, in die wegen ihres Tabacksbaues so gepriesenen Provinzen Nueva Isabela und Cagayan. Auf dieser Reise nun kam ich mit einigen der interessantesten Stämme des Landes in sehr nahe Berührung und da ich wohl annehmen darf, dass die allgemeine Kenntnifs gerade der Stämme des Nordens noch eine sehr mangelhafte, zum Theil selbst auf Lügen beruhende ist, so glaube ich diesmal wohl die Feder in die Hand und Ihre Aufmerksamkeit auf einige Minuten in Anspruch nehmen zu dürfen.

Wunderbar ist, wie sich hier die genaueste Kenntnifs des Landes und seiner Bewohner auf einzelne wenige Stämme beschränkt. Sich in Manila namentlich über den Norden von Luzon genau zu instruiren, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Dies liegt in der Natur der Verwaltung des Landes. In den meisten Provinzen, namentlich den tabacks

') Der Ort Aparri, von welchem aus Herr Semper sein Schreiben datirt hat, liegt auf der Mitte der Nordküste der Insel am Ausflusse des Flusses Cagayan.

bauenden, finden sich nur Beamte, deren gröfster Theil ohne alle Erziehung ist; so dafs man von ihnen meist nur unwichtige oder phantastische Notizen erhält. Zu dieser Classe der Phantastiker sind im Allgemeinen auch die Padres zu rechnen, deren Bildung eine äusserst primitive ist. So ist man fast lediglich auf die Chefs der Provinzen beschränkt, unter denen man sehr intelligente und unterrichtete Männer findet. Diese besitzen auch die genaueste Kenntnifs des Landes. Aber es kommt wenig davon in's Publikum; da sie einestheils anderen Interessen dienen, oder durch die Erfüllung ihrer Berufspflichten an der Veröffentlichung ihrer Beobachtungen verhindert werden. Von jeher war es das System der hiesigen Regierung, vereinzelte Expeditionen gegen den einen oder anderen nicht unterworfenen Stamm zu unternehmen; Expeditionen, die freilich gröfstentheils ohne Resultat blieben, deren Führer aber Pläne anfertigten und Notizen sammelten, die dann nachher in Form eines Mémoire der Regierung übersandt wurden, von der sie aber meist ad acta gelegt wurden. So blieben solche Unternehmungen ohne jeglichen Nutzen.

Im Jahre 1850 jedoch wurde eine gröfsere Expedition unternommen unter dem Commando des Coronel Oscariz, damaligem Gouverneur der Provinz Nueva Vizcaya, welche ein nicht unbedeutendes Resultat zur Folge hatte, nemlich das der völligen Unterwerfung einiger unabhängigen Stämme an der Westseite der westlichen Cordillera, deren bedeutendsten die Tinguianes, Busaos und Ytetepanes sind. Leider verlautete auch von dieser Expedition wenig im Publicum, und nur dem Zufall verdanke ich genauere Nachrichten darüber, die mir durch den jetzigen Gouverneur der Provinz N. Isabela, den D. Rafael Carrillo de Albornos, einem Theilnehmer jener Expedition, ertheilt wurden. Seiner Güte danke ich die Mittheilung eines handschriftlichen, von ihm verfassten Aufsatzes und einer ebenfalls ungedruckten, freilich nur nach Secundenuhr und Magnetnadel angefertigten Karte des von der Expedition berührten Landstriches. Seitdem ist das von den genannten Stämmen bewohnte Land, dessen nördlicher Theil auf der Karte von Morata - Coëllo durch „Territorios del Centro del Abra“ bezeichnet wird, in mehrere Provinzen und Commandantschaften getheilt, die eben jetzt theils durch Tabacksbau, theils durch ihren Minenreichthum für die Regierungskasse eine nicht unbedeutende Erwerbsquelle geworden sind. So mangelhaft nun auch solche, nach einer rein militairischen Expedition angelegten Pläne nothwendig sein müssen, so besitzen sie doch einen grofsen Vorzug vor allen andern und zum Theil auch vor solchen, welche der einzigen einigermaßsen genügenden Karte von Coëllo als Basis dienten, den nämlich, dafs sie von wissenschaftlich gebildeten Männern und mit bei weiten besseren Hülfsmit

teln angefertigt sind, als solche der Mehrzahl der Padres oder gar den Indiern zu Gebote stehen.

Meine diesjährige Reise führte mich in die östliche Bergkette, somit von Pantabagan aus über den Pass von Baler durch das Land der berüchtigten Ilongotes. Zu derselben Zeit wurde in Baler, dem Sitze des Chefs des Districts del Principe, eine kleine Expedition zur Züchtigung einer der Rancheria's vorbereitet, welche vor Kurzem einen Zug behufs Abschlagens einiger Christenköpfe unternommen hatten. Dieser wollte ich mich anschliessen; aber leider kam ich, in den Bergen durch Sturm und Regen länger aufgehalten, als ich gerechnet hatte, grade einen Tag nach dem Aufbruch der Expedition in Baler an. So bekam ich von diesem Stamme nichts zu sehen; und da ich mir vorgenommen, Ihnen nur das zu berichten, was ich selbst gesehen, so schweige ich darüber. Nur dies will ich bemerken, dass alle jene Erzählungen von Menschenfressen, Gehirntrinken, Herzessen etc. Phantasien sind, welche wohl in einer berühmten französischen Romanfabrik entstanden sind. Alles dies reducirt sich auf die, hier unter allen "Infieles" mit wenigen Ausnahmen verbreitete Sitte, auf Menschenköpfe förmliche Jagd zu machen; dabei sind sie wenig scrupulös in der Wahl der Opfer, und selbst die verschiedenen Dörfer ein und desselben Stammes suchen sich gegenseitig Köpfe abzujagen, die dann im Triumph auf einem eigens dazu verfertigten Instrument nach Hause getragen und dort in der Thür aufgehängt werden. Dies geschieht mit Tänzen und Feierlichkeiten; vom Essen des Gehirns oder anderer Organe wufste aber Niemand etwas.

Von Baler führte mich meine Reise zur Sec, an der Ostküste entlang, hinauf nach Palanan, der wahren Heimath der letzten Reste der ursprünglichen Rasse Luzon's, der hier sogenannten Negrito's oder Acta's. Klein, in mittlerer Mannesgröfse von 5 Fufs 2 Zoll Höhe, mit rundem Schädel und rundem Gesicht, äusserst dicker, braunschwarzer, glanzloser, wolliger Haarkrone, grader, wenig zurücktretender, aber sehr niedriger Stirn, wenig vorspringendem Kiefer und schwach gewulsteten Lippen, fast ebenso breiter wie hoher, sehr flacher Nase und dunkelkupferbrauner Körperfarbe bilden diese Neger in Gestalt, in Sitten und Lebensweise einen schroffen, wie es scheint selbst bei der innigsten Vermischung mit andern Stämmen unverwischbaren Gegensatz von der malayischen Rasse der Tagalen. Sie bewohnen aufser der Cordillera von Marineles und Zambales und einiger andrer Punkte im Innern von Luzon, hauptsächlich die Westküste, in geringerer Zahl im Süden, wo sie schon der um sich greifenden tagalischen Bevölkerung gewichen sind, mehr und mehr sich häufend gegen Norden, bis sie von Palanan an, etwa auf 17° N. Br. bis zur nördlichsten Spitze

Luzon's, dem Cabo del Engaño, die einzigen Bewohner der Küste, sowie des Innern bilden.

Völlig unabhängig, frei wie der Vogel in der Luft, vom Fischfang und der Jagd und wildem Honig sich nährend, bilden sie eine Menge vereinzelter kleiner Trupps von 6 bis 8 Familien, die ohne Oberhaupt leben, nur dem Aeltesten mehr Ehrfurcht zollend, und je nach Laune oder der Jahreszeit bald hierhin, bald dorthin ziehend, selten zu festen Wohnsitzen gelangen. Die malayischen Bewohner des Landes unterscheiden zwei Sorten Negrito's, solche, welche die Küsten bewohnen, Damagat, und die in den Bergen leben, Acta, Ita oder Agta. Der Unterschied aber ist ein ganz unwesentlicher, da beide sich vermischen; bald ziehen die Agta an die Küsten, oder die Damagat begeben sich in die Berge und selbst an die Westseite der Cordillera, um dort bei den tagalischen Stämmen Arbeit und Nahrung zu suchen. Im Allgemeinen hat sich diese Rasse sehr frei von fremden Beimischungen erhalten, namentlich gilt dies von den Negrito's von Marineles, die ich im vorigen Jahre zu beobachten Gelegenheit hatte. Diese tätowiren sich nicht, vermischen sich nicht mit den sie umwohnenden Tagalen, und scheinen, soweit ich darüber zu urtheilen vermag, ihre ursprüngliche Sprache am reinsten bewahrt zu haben; während die Negrito's der Ostküste bereits sehr viel von den Tagalen und anderen Stämmen angenommen haben. Ihre Sprache ist fast dieselbe, wie die der christlich-tagalischen Dörfer, ihre Schmucksachen, die Muster zu ihren Tättowirungen haben sie offenbar von den Stämmen erhalten, mit denen sie von jeher in inniger Berührung lebten. Manche von ihnen haben sogar ihre Vorliebe zum Wandern aufgegeben und sind Landbauer geworden, wie die Stämme, mit denen sie sich vermischten. Doch scheint dies nur in einem sehr kleinen Bereich des östlichen Theiles von Nord-Luzon stattzufinden, in demjenigen nämlich, wo die schon oben erwähnten Catalanganes wohnen; weiter hinauf von Palanan und südlich von Casiguran bis hinunter nach Mauban leben sie gänzlich unabhängig, fern von den christlichen Dörfern, theilweise sogar, wie namentlich die Negrito's zwischen Baler und Casiguran, sowohl mit den christlichen als heidnischen Nachbaren in beständigem Kriege.

In vieler Hinsicht weit unter der tagalischen Rasse stehend, sind sie ihr doch in anderen Punkten sehr überlegen. Frei und offen in ihrem Benehmen, selbst zutraulich; bereitwillig zu Diensten, sobald diese im Bereich des Gewohnten liegen; muthig und verwegen, mit nacktem Körper und ohne Schutz, nur mit Bogen und Pfeil und einem kleinen Messer bewaffnet, in die Rancherias der feindlichen Hongotes dringend, die trotz ihrer weit besseren und vollständigeren Bewaffnung gränzenlose Furcht vor ihnen haben; arbeitsam, von kurzem aber

kräftigem Gliederbau; so sind vielleicht nur ihre starke Liebe zu persönlicher Freiheit und dem Wanderleben, und Furcht vor dem für sie äusserst drückenden Joche der Christen die einzigen Hindernisse, um sie auf eine höhere Culturstufe zu führen. Wenigstens habe ich ein Beispiel gesehen, das zu auffallend ist, um nicht den Schluss zu erlauben, dafs viel weniger ihre geringern Anlagen der Grund ihres so ganz primitiven Lebens sind, als vielmehr die Grausamkeit und Härte, womit ihnen frühere wie spätere Eroberer Malayen und Spanier entgegen traten. Von Natur friedfertig, zum Weichen geneigt, da sie ohne feste Wohnstätte, wenig am Boden hingen, an das freie Leben im Walde und den Bergen gewöhnt, so überliessen sie leicht und ohne Kampf ihren heimathlichen Boden einer Rasse, der sie an Ausdauer, Beweglichkeit und persönlichem Muthe bei weitem überlegen waren.

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Die Häuser der küstenbewohnenden Negrito's sind von der einfachsten Form: grade Flächen aus Palmenblättern geflochten, von etwa 25 bis 30 Quadratfufs Oberfläche, die schräg gegen die Windrichtung oder gegen die Sonne gestellt werden. So bilden sie Dach und Wand zugleich. Darunter liegen sie meist auf blofser Erde, oder auf Stücken Baumrinde, die Reicheren jedoch auf Strohmatten. Ihre wenigen Kleidungsstücke bei den Weibern aus einer vom Nabel bis zu den Knieen reichenden Schürze, aus einer Schenkelbinde bei den Männern bestehend sind fast immer aus Pflanzenstoffen verfertigt. Um Oberund Unterarm tragen sie zahlreiche, aus verschiedenen Pflanzen geflochtene oder blofs gedrillte Ringe, oder auch in buntester Weise aufgezogene Glasperlen, und dazwischen Ringe aus wohlriechenden Blättern und Früchten. Um Hals und Brust hängen namentlich die unverheiratheten Weiber lange Schnüre von Glasperlen und in die Ohren stecken sie Stücke Holz oder caña, die an den Enden fein gespaltet und gekräuselt werden; die so gebildeten Büschel erreichen bei den Weibern oft die Gröfse einer Faust und verdecken einen Theil des Gesichts. Statt solcher Zierrathe aus Holz tragen die Weiber aber oft auch dicke Rollen der Pflanzenrinde, die zur Verfertigung ihrer Kleider dient. Beide Geschlechter tätowiren sich Brust, Oberleib, Schultern, Rücken und Arme; die Muster dazu bestehen immer aus graden, in verschiedenen Richtungen sich kreuzenden Linien, sowie auch alle Verzierungen, die sie an den Ohrbommeln oder andern Gegenständen anbringen, immer gradlinig sind.

Der ausschliessliche Gebrauch solcher gradliniger Verzierungen scheint alle rohen Naturvölker zu kennzeichnen, namentlich charakteristisch aber ist er für diejenigen des malayischen Archipels, die frei von fremdem, indischem, muhamedanischem oder chinesischem Einfluss

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