Imágenes de páginas
PDF
EPUB

Jakob Wimpfeling

und die

Erhaltung der katholischen Kirche in
Schlettstadt.

Von

Paul Kalkoff.1)

Wenn die treue Pfälzerin Elisabeth Charlotte ihre allen politischen und höfischen Händeln abgeneigte Haltung am Hofe Ludwigs XIV. einmal mit den Worten kennzeichnet: „lebe für mich selber wie ein Reichsstädtel" 2), so traf ja das Gleichnis für ihre Zeit zu; das gerade Gegenteil dürfte von den Tagen des Wormser Edikts und des Bauernkriegs gelten: auf den stürmischen Wogen der kirchlichen und sozialen Revolution vermag damals wohl ein großes Schiff wie Straßburg oder Nürnberg seinen Kurs sicher und zielbewußt zu verfolgen, die kleineren Fahrzeuge aber werden oft in tollem Wirbel umhergetrieben und, so mancher tüchtige Steuermann auch vorhanden ist, es gelingt nicht immer, in den Port der reinen Lehre" einzulaufen.

[ocr errors]

Durch ihre wohlhabende Bürgerschaft, durch die vorbereitende Thätigkeit guter Lateinschulen, rühriger Huma

1) Es ist mir eine angenehme Pflicht, vor allem Herrn Abbé J. Gény, Stadtarchivar von Schlettstadt, für die außerordentliche Gefälligkeit, mit der er eine Reihe umfangreicher Urkunden für meinen Zweck herausgesucht und kopiert, sowie die am gehörigen Orte hervorgehobenen Notizen geliefert hat, meinen wärmsten Dank auszusprechen, sowie nicht minder Herrn Professor Dr. Friedensburg, Sekretär des Kgl. Preuß. Histor. Instituts in Rom, und Herrn Professor Dr. Wiegand in Straßburg, die mir die einschlägigen Stücke aus der Vatikanischen Bibliothek, beziehungsweise dem Bezirksarchiv des Unterelsasses zugänglich machten. 2) E. Bode. mann, Histor. Taschenbuch VI, F. XI, 62.

Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh. N. F. XII. 4.

37

nistenkreise, tüchtiger Pfarrer in reger Fühlung mit der geistigen Bewegung der Nation, sind die kleineren Reichsstädte ebensosehr wie durch breitere Entfaltung der hierarchischen Einrichtungen, stattliche Klöster, wohldotierte, zum Eingriff gar von Rom aus lockende Pfründen den kirchlichen Händeln näher gerückt als das platte Land. Zugleich ist ihre vorwiegend Ackerbau treibende Bevölkerung von der Gärung des Bauernstandes stärker ergriffen als die großer Städte, und auch der niedere Adel vermag hier durch Einwirkung von außen oder durch versprengte Genossen unter der Bürgerschaft leichter Einfluß zu üben als gegenüber dem selbstbewußten Patriziat einer Großstadt; endlich unterliegt die kleine Stadt haltlos und rettungslos jedem kräftigen Anstoß, jeder derben Einmischung benachbarter Gewalten, fürstlicher oder bischöflicher Behörden, und auch im fernen Rom findet man Wege, die altkirchliche Partei zu stärken, das Stadtregiment zu gewinnen oder zu schrecken, da den dürftigen Finanzen des Städtchens leicht mit irgend einem Mittel der camera apostolica beizukommen ist. Zunächst findet das Ringen beider Parteien in Rat und Bürgerschaft seinen Ausdruck in einem kläglichen Schwanken, in dem Versuch, es mit keiner der gegensätzlichen Gewalten zu verderben, bis endlich den halben Maßregeln, dem Zaudern oder Ableugnen durch eine mehr oder weniger gewaltsame Katastrophe ein Ende bereitet wird.

Geradezu typisch erscheint hier das Verhalten Schlettstadts am Vorabend der Reformation bis zur jähen Unterdrückung seiner lutherischen Partei und der Vertreibung ihrer humanistischen und theologischen Führer im Bauernkriege. Die glänzende Vorbereitung, die gerade hier der geistigen Bewegung durch die blühende Lateinschule Dringenbergs und seiner Nachfolger, durch die Schüler und Freunde Wimpfelings, die Anhänger des Erasmus, die Mitglieder der litterarisch so fruchtbaren Sodalität zu Teil geworden war, ist ja hinlänglich aus den Arbeiten von Horawitz und Hartfelder, Knod, Roehrich und Wiskowatoff bekannt; auch die Katastrophe selbst hat im Zusammenhang mit dem Bauernkriege eingehende Behandlung gefunden; doch ist für die Zeit der Vorbereitung, des Schwankens so manche Phase noch in Dunkel gehüllt. Da warfen die Aleanderdepeschen ein helles Licht auf eine von

diesem scharfsichtigen Späher eingeleitete Einwirkung der Kurie, die dem lahmen Arme des Reichs Richtung und Nachdruck zu geben bestimmt war. Den Voraussetzungen und Folgen dieser Aktion nachzugehen, erschien um so lohnender, als dadurch erst allerlei disjecta membra der Überlieferung Zusammenhang und Bedeutung gewannen.

Von

Man weiß, mit welcher Vehemenz viele den dogmatischen Neuerungen Luthers durchaus abgeneigte Kreise, Prälaten, Humanisten, Juristen gegen die mit der Pfründenverleihung verbundenen Mißbräuche der Kurie gewettert haben. der weiter zurückliegenden Zeit der Konzilien ganz abgesehen, sei hier nur an die fulminante Erklärung des Lütticher Klerus auf dem Reichstage von 15181) erinnert, die auf Luther wie ein Trompetenstoss wirkte. So pflegt sich der sonst recht vorsichtige und der Kirche unbedingt ergebene Wimpfeling in eine fast komische Wut hineinzureden, wenn er auf die durch Pfründenschacher und Pfründenjagd verursachten Mißstände zu reden kommt. Man hat ja daraus viel zu oft auf eine dem Gesamtorganismus der Kirche abgeneigte Stimmung, eine Bereitschaft zum Abfall im lutherischen Sinne geschlossen, während die Leidenschaftlichkeit jener Beschwerden sich mitunter gerade aus der Anhänglichkeit an die hierarchischen Formen und aus der materiellen Abhängigkeit von diesen Einrichtungen erklärt. Oft wird sich nachweisen lassen, daß der Rufer im Streit gerade selbst in einen ärgerlichen, kostspieligen Pfründenprozeß verwickelt ist, daß sein Haß gegen die Kurtisanen aus persönlichen Erfahrungen entspringt: so wird sich zeigen, daß der nicht eben weitblickende Wimpfeling die lebhaften Farben zu dem Bilde der verrotteten Klerisei außer seinen schlimmen Erlebnissen in Straßburg vornehmlich dem ihn selbst und seine Vaterstadt berührenden Einzelfalle entlehnt. Es wird sich vielleicht an anderer Stelle sogar darthun lassen, daß der gefürchteten Kurtisanen, dieser „starken Söhne Nimrods", gar nicht so viele in Rom waren, wenigstens solcher, die in Deutschland zu jagen wagten, denn die deut

1) J. E. Kapp, Kleine Nachlese II, 409 ff. Waltz in Sybels Ztschr. N. F. V, 229 ff. Enders, Luthers Briefwechsel I, 303. Nr. 114. P. Kalkoff, Die Depeschen des Nuntius Aleander. 2. Aufl. Halle 1897. Dep. Nr. 24. S. 218, A. 2.

"

schen Prälaten, besonders die adligen Domkapitel und die fürstlichen Patrone waren niemals die geduldigen Schafe, die sich von Rom so ohne weiteres scheren ließen, und unsere einheimischen Juristen und Hofleute machten denen in Rom die erfolgreichste Konkurrenz. Wenn daher weite Kreise, die eben noch bis an die Zähne bewaffnet Rom gegenüberstehen, nach Luthers kirchlichem Abfall plötzlich abrüsten und so gar keine Miene machen, dem Wittenberger zu folgen, so ist das sehr wesentlich mit darauf zurückzuführen, daß man in Rom jetzt einlenkte und, wenn auch nicht durch grundsätzliche Abstellung des Übels, so doch durch Rücksichtnahme auf die litterarisch oder politisch einflußreichen Kreise viele der bisherigen Gegner beschwichtigte. Aus den Rechnungsbüchern der Kurie geht deutlich hervor, einerseits welch geringen Erfolg viele Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts auf dem Gebiete des Annaten wesens hatten, andererseits aber auch der gewaltige und momentane Umschwung der Dinge infolge der Glaubensneuerung in Deutschland". 1) Von größter Bedeutung ist ja hierin die Erhebung Hadrians VI.; aber bei der Kürze seiner Regierung darf auch eine auf seinen Nachfolger, den früheren Vicekanzler Leo's X. gerichtete Einwirkung nicht außer Anschlag bleiben, die von Aleander unter dem frischen Eindruck der von allen Seiten auf ihn einstürmenden Klagen, mit vielem Eifer durchgeführt wurde: der Nuntius wird nicht müde in seinen Berichten zu bitten, zu beschwören, daß man die vielen Neuerungen abstelle, die Compositionen, Reservationen, Dispensationen, Derogationen der deutschen Konkordate"; "man zügle die unersättlichen Inhaber zahlloser Pfründen, die auch die deutschen Benificien alle an sich reißen möchten, denn das deutsche Volk wirft diese Dinge in einen Topf mit der Sache Luthers" (Dezember 1520.2) Am 6. Februar 1521 kommt er darauf zurück und fordert weiter, wenn ein Prozeß infolge solcher Übergriffe der Rota Romana und ihrer Notarien oder anderer Mittel, über welche die Deutschen lärmen, noch in der Schwebe sei,

1) Mich. Glaser, Die Diözese Speier in den päpstl. Rechnungsbüchern 1317 bis 1560. Mitt. des Hist. Vereins der Pfalz XVII, p. V. sq. 2) Th. Brieger, Aleander und Luther 1521. Gotha 1884. Nr. 2. S. 30 f. Meine Übersetzung der „Depeschen des Nuntius Aleander“. 2. Aufl.

solle der Papst ihn niederschlagen, die Bewerber aber müßten sich in Geduld fassen. Und in diesem Zusammenhange kommt nun Aleander auf einen für die kirchliche Verfassung Schlettstadts wichtigen Prozeß zu sprechen, den der Papst zur Verhütung größeren Unheils durch Zurücksetzung selbst wohlerworbener Rechte aus der Welt schaffen möge1). Diese Gnadenerweisung soll das Mittel werden, die Schlettstädter auf den rechten Weg zurückzuführen, indem das Stadtregiment durch den finanziellen Effekt gewonnen, der Einfluß der dortigen Humanisten durch Sprengung ihrer Sodalität lahmgelegt, die rührige, reformfreundliche Druckerei zum Schweigen gebracht, der streitbare und einflußreiche Pfarrer vertrieben werden soll. Wenn nun auch dieses Programm nicht sofort in seinem ganzen Umfange durchgeführt wurde und besonders der kühne Neuerer Phrygio vorerst noch auf seinem Posten blieb und noch manchen Vorstoß gegen die altkirchlichen Einrichtungen wagen durfte, so ist doch die Erhaltung der katholischen Kirche in Schlettstadt nicht sowohl die bloße Folge des Rückschlags gegen die tumultuarischen Vorgänge im Bauernkriege gewesen, als zugleich wenigstens das Ergebnis planmäßiger und langjähriger Einwirkungen, die Frucht verschiedener reformatorischer wie konservativer Bestrebungen. So gewinnt die Angelegenheit, die diesen Faktoren Gelegenheit zur Bethätigung bot, eine Bedeutung, die den häufig vorkommenden, sonst rein geschäftsmäßig verlaufenden Pfründenprozessen oder einem Verfahren wie der Zusammenlegung unbedeutender Kuratpfründen nicht innezu wohnen pflegte.

I.

Die geistlichen Körperschaften von Schlettstadt.

Einen wichtigen Abschluß in der Entwicklung seiner bürgerlichen Verfassung hatte das Reichsstädtchen an der Ill gewonnen, als 1477 der Rat das Amt des kaiserlichen Schultheißen an sich gebracht hatte, das nun von den beiden jeweils

1) Brieger, Nr. 5. S. 42 ff. und Nr. 34, S. 231. Übers. S. 66 f. Die Darstellung der Angelegenheit bei Ch. Schmidt, Histoire littéraire de l'Alsace, I, p. 89, dürfte auch die folgende Untersuchung rechtfertigen.

« AnteriorContinuar »