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I.

Wie soll der Schweizer Geschichte studiren? *)

Ungeachtet über den Werth und die Wichtigkeit des Studiums der Geschichte kaum mehr etwas Neues gesagt werden kann, so darf doch vielleicht bey dieser ersten Zusammenkunft der vaterländisch - historischen Gesellschaft die Berührung dieses Gegenstandes ihre Entschuldigung finden.

Das Feld der Geschichte umfaßt nicht nur die Einleitung zu jeder höhern Wissenschaft und Kunst, sondern fie liefert auch einen fortlaufenden Commentar über die Fortschritte, Entwickelungen und Folgen derselben. Ohne Kenntniß der Geschichte ist das Leben des einzelnen Menschen ein bloß dåmmernder, oder halb erleuchteter Punkt in dem Dunkel einer weit verbreiteten Nacht; je mehr sich hingegen seine Kenntnisse über die weiten Räume der Geschichte verbreiten, um so viel mehr klärt sich vor seinen Augen jene Finsterniß auf. Die Erfahrungen der Vorzeit werden die feinigen. Er lernt nicht nur die Entdeckungen, die Lehrgebäude und Behauptungen der

*) (Bruchstück einer Rede von Rathsherr Meyer von Knonau in der ersten Versammlung der vaterländisch historischen Gesellschaft den 8. April 1818).

Menschen, sondern auch die wesentlichsten Ursachen und Wirkungen derselben, so wie auch die Gründe ihrer Halt barkeit oder Vergänglichkeit kennen. Das irdische Da seyn des philosophischen Geschichtforschers ist nicht auf die kurze Dauer eines gewöhnlichen Menschenalters be= schränkt, sondern sein Geist durchschweift die Perioden der in die Bücher und Denkmähler hinübergegangenen Vorzeit, und das Leben längst entschwundener Völker und Generationen schließt sich für ihn oft beynahe ohne eine merkliche Scheidelinie an die Zeit seines eigenen Lebens an. In dem Studium der Geschichte liegt demnach eine große und edle Makrobiotik, und so wenig wir es uns verbergen dürfen, daß auch sie, gleich wie alles übrige menschliche Wissen, nur Stückwerk, und daß auch in ihrem Reiche die vollständige Gewißheit dem Forscher nur selten verliehen ist, so erhebt sie uns dennoch über die scheinbaren Schranken von Raum und Zeit, und gewährt dem Geiste unermeßliche Fernsichten Mag immerhin die historische Kritik auf keinen ganz fichern Regeln beruhen und ihre Anwendung auf einzelne Gegenstände bisweilen noch schwieriger seyn, so geht dennoch aus dem ganzen Umfange der Geschichte so viel Licht und Wahrheit hervor, daß sie mit Recht schon von den weißesten Männern des Alterthumes eine Lehrerinn des Lebens genannt wird. Der Mann, der die Erfahrungen der Menschheit zu den seinigen gemacht hat, durchschaut leichter und sicherer die Luftgebäude und vorübergehenden Theorien, welche nur zu oft als historische Erfahrungen, Lebensregeln und praktische Weltansichten angekündigt werden. Dieß ist. vorzüglich in Zeiten wichtig, wo die Phantasie selbst in den ernstesten Untersuchungen eine entscheidende Stimme erhalten soll, und wo jede Ansicht das Vorurtheil für sich hat, sobald

sie nur neu ist; eine Geistesrichtung, durch welche sich gegenwärtig der Deutsche von den an bewährten Systemen fester haltenden Engländern, Franzosen und Ita= lienern merklich unterscheidet.

Ohne Kenntniß der Geschichte wird der Gelehrte einfeitig, und der gewöhnliche Mensch ein Spiel und oft ein Opfer jedes vorübergehenden Mode-Systemes. Die aufmerksamste Beachtung gebührt zwar dem aus der Erfahrung und Beobachtung hervorgegangenen Zeitgeiste; aber oft gibt man diesen bestechenden Nahmen den augenblicklich vortönenden Stimmen der lautesten Sprecher einer kurzen Zeitfrist; Weisheit und Wahrheit verstums men bisweilen für den Augenblick vor ihnen, während fie selbst bald wieder einer andern Modeansicht weichen, indeß aus allen diesen Verwandelungen nur lang= fam die Wahrheit hervorgeht, und sich an die Erfah= rungen der Jahrhunderte anschließt, welche wir das Buch der Geschichte nennen.

Keine Art von Kenntnissen schließt sich so sehr an jede Berufsart an als die Geschichte; aber auch in diese wagen sich Tausende, denen der Sinn für das Lesen guter Bücher nicht fehlt, nur darum nicht hinein, weil kein Jugendunterricht ihnen eine Einleitung in dieselbe gewährte. Ferne sey indeß der Gedanke, daß man durch bloßen Jugendunterricht Geschichte befriedigend lehren oder Ternen könne; aber dieß ist der Fall mit beynahe jeder andern Wissenschaft und Kunst. Das, was man von Andern lernt, ist nur Vorbereitung; eine dem Felde ertheilte Ausfaat, die nur dann zur Frucht reifen kann, wenn sie, auch wenn der Såemann sich entfernt hat, forgsam gepflegt und angebaut wird. Unstreitig muß jede gründliche, tiefgehende und umfassende Kenntniß der Geschichte durch fortgesettes Studium, durch das Lesen

und die Vergleichung der bessern Geschichtsbücher erworben werden; aber diese staunt Mancher gleich einem undurchdringlichen Labyrinthe an, in welches er sich ohne einen sichern Leitfaden nicht hinein wagt. Diesen finden freylich Viele von selbst; aber tausend Andern muß er durch einen kundigen Wegweiser in die Hand gelegt werden, oder er ist für sie verloren. Nirgends darf daher bey einer Jugendbildung, welche Ansprüche auf Zweckmäßigkeit macht, der historische Unterricht vernachläßigt werden, am wenigsten in einer Republik, wo jeder Bürger sich als einen Theil des Staates ansehen und mit dem Leben desselben bekannt machen soll.

Es sind vornehmlich zwey Gründe, welche Viele abhalten, aus sich selbst tiefer in die Geschichte einzudringen, oder dieselbe zum Gegenstande ihres Bücherlesens zu wählen. Der eine ist der Mangel an einer kurz zen, gedrängten Uebersicht der allgemeinen Völkerġes schichte, und der andere, derjenige der Chronologie. Beydes muß nothwendig in den Jahren des Knabenalters gelernt werden; denn nur Wenige können es über sich gewinnen, im reifern Alter Nahmen und Zahlen durch fortgesette Anstrengung dem Gedächtnisse einzuprågen. Die Chronologie ist für die Geschichte, was die Knochen dem Körper sind. Gleichwie dieser ohne jene in einen unförmlichen Klumpen zusammenfallen würde, ebenso wird eine noch so anziehend geschriebene Geschichte ohne Zeitbestimmungen viel von ihrer Brauchbarkeit verlieren. Die Chronologie, zeigt den Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen, und tausend Ereignisse sind nur darum wichtig oder gleichgültig, weil sie unter diesen oder jenen Umständen geschehen. Ohne Kenntniß der allgemeinen Geschichte, insbesondere der gleichzeitigen Verhältnisse, verwirrt sich derjenige, welcher Biographien, besondere

Völkergeschichten odër Abschnitte der Weltgeschichte studiren will. Die Geschichte Heinrichs IV bleibt mir dunkel, wenn ich nicht zu gleicher Zeit weiß, wer Elisabeth, Philipp II, Sixt V, die Guisen gewesen sind, welches der Ursprung der Ligue war, in welchen Ver: hältnissen damahls die Niederlande und Deutschland sich befanden, u. s. w. Nur denjenigen, der mit der Ge= schichte unbekannt ist, kann man überreden, die Refor mation sen nichts anders als eine Störung des Weltfriedens gewesen; wer hingegen die vergeblichen Versuche der Concilien und der einsichtsvollsten Männer, welche dem Reformations-Zeitalter vorhergingen, die Kirche an Haupt und Gliedern zu verbessern, die Ausartung der Hierarchie und des ganzen Kirchenwesens kennt, und sich dagegen von den wohlthätigen Folgen überzeugt hat, welche die Kirchenverbesserung nicht nur für die Prote: stanten fondern auch für die Katholiken hervorgebracht, dem werden die Opfer nicht zu groß scheinen. Wer den dreyßigjährigen Krieg nur abgerissen und nur nach dem Einflusse betrachtet, den Frankreich und Schweden vorübergehend erhielten, kann in demselben eine bloße Schwächung der Kräfte Deutschlands zu finden glauben; allein, wenn er in die von dem Concilium zu Trient aufgestellten Grundsätze, in die Vorschritte der Jesuiten und in die Politik des Kaisers Ferdinand II eingedrungen ist, wird er eine abgedrungene Nothwehr nicht verkennen, welche zwar dem deutschen Vaterlande theuer zu stehen kam, ihm aber neben manchem Andern geistige Freyheit rettete. Eine fortgesette Nachforschung wird ihm zeigen, daß Welschlands und Spaniens Joch schon vorher schwe rer drückten als das Schwedische, daß Frankreichs Einmischung weit älter, und Oestreichs damahlige Politiť dem wahren Interesse Deutschlands fremd war. Durch

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