Imágenes de páginas
PDF
EPUB

Die mannichfaltigen Fragen, die sich ohne weiteres an ein derartiges Schriftstück anschließen, wurden mir schließlich so peinigend, daß ich mich, einer alsbald aufgestiegenen Vermutung Raum gebend, nach Halberstadt ins Gleimhaus begab. Hier stellte sich folgendes heraus.

[ocr errors]

Wilhelm Körte, der Und Heinse konnte es das Gedicht stammt aus

Die Hand, die den Wortlaut des Gedichts geschrieben hat, ist, woran von vornherein nicht zu zweifeln war, die zierliche Heinses, leicht kenntlich an gewissen Eigentümlichkeiten, besonders an dem ausnahmslos wie ein lateinisches r gebildeten deutschen e1). Die zweite Hand, die den Datumsvermerk an den Kopf des Gedichtes gesetzt, ist die Gleims. Die dritte Hand, die mit blasserer Tinte N. 2 (No. 2? N. z.?) rechts davon geschrieben hat, bleibt unsicher. Vor allem aber: der den jetzt radierten Namen W. Heinse unter das Gedicht setzte, war nicht Heinse selbst, sondern nach genauester Vergleichung bekannte Großneffe und Biograph Gleims. auch nicht wohl gewesen sein; denn der Halberstädter Büchse, in die bekanntlich nur anonyme Gedichte geliefert werden durften; und übrigens hieß er ja in Halberstadt garnicht Heinse, sondern Rost. Das Papier ist nach Format und Wasserzeichen genau dasselbe wie bei vier anderen Büchsengedichten Heinses, von denen drei bei Pröhle (Lessing, Wieland, Heinse S. 282, 285, 286) abgedruckt sind. Das erste, zweite und vierte hat Gleim in derselben Weise datiert wie das hier in Rede stehende. Eine, etwas ungetreue, Uebersetzung der 19. Elegie des zehnten Buches der Phantasieen des Fernando Herrera. Unmittelbar aus dem Spanischen [von Wilhelm Heinse Körtes Hand] trägt am Kopf (nicht am Schluß wie bei Pröhle S. 284) den Vermerk 'vom 4ten Martii 1774', das an siebenter Stelle darauf folgende 'Wenn Plato's Geist, vom Leibe losgewunden' das Datum 'vom 11ton Martii 1774' (Pröhle S. 285), das zur Zeit hierauf folgende 'Elysium' (Pröhle S. 286) ist allein undatiert, während das nach. einer längeren Reihe von Gedichten verschiedener Verfasser in der Büchse folgende Heinsesche 'Die Schöpfung Elysiums' wieder am Kopf von Gleim als 'Preisgedicht den 25ten Martii 1774' bezeichnet ist.

Der 4., 11., 18. ('Herkules und Hebe'), 25. März: es sind die Freitage des Monats, an denen, laut J. G. Jacobis Zeugnis, der Büchsenträger bei den Dichtern die poetischen Erzeugnisse der

1) Daher z. B. bei Pröhle: Lessing, Wieland, Heinse (1877) im Abdruck von Heinses 'Elysium' S. 286 Chlör statt Chloe.

Woche abzuholen pflegte, die dann am folgenden Sonnabend Abend bei Gleim aus der Büchse genommen und verlesen wurden; eins wurde jedesmal preisgekrönt1). An welchem dieser Freitage ist nun das auffallenderweise einzig undatierte 'Elysium' in die Büchse geliefert worden? Am 11. März, wie das unmittelbar vorhergehende 'Wenn Plato's Geist'? Nein, am 18.; denn es ist erst am 13. gedichtet worden. Der 13. März 1774 ist nämlich, wie mir K. Schwarzschild auf Befragen mitteilt, der einzige Tag, auf den der Untertitel des Gedichtes paßt: 'Eine Elegie an meine Minna, an jenem Abend geschrieben, da Venus, Jupiter und Luna den Erden kindern das lieblichste Trio am Himmel machten (Pröhle S. 286)'. Am 18. ist aber auch 'Herkules und Hebe' eingeliefert worden: es ist also nichts wahrscheinlicher, als daß sich in der zusammengehefteten Büchse das ausdrücklich datierte 'Herkules und Hebe' unmittelbar vor dem undatierten 'Elysium' befunden hat.

Hierauf führt auch ein schon vorher von mir beobachteter Umstand. Die beiden jetzt in der Büchse aufeinanderfolgenden Gedichte 'Wenn Plato's Geist' und 'Elysium' sind in auffälligster Weise durch zwei ursprünglich dazwischen aufragende, nur hier nach rechts und links verklebte Falze verbunden. Es sieht gerade so aus, als ob hier eine durch Herausreißen entstandene Lücke hätte verdeckt werden sollen; sie ist aber noch heute am schlechten Schließen merkbar. Zwischen den verklebten Falzen lag in der Mitte noch ein Stückchen des alten Heftfadens, der durchaus zu der Größe der Löcher in meinem Manuskript paßt. Daß dies offensichtlich ausgerissen ist, Leimspuren trägt und im Papier mit den vier andern Gedichten Heinses identisch ist, habe ich schon erwähnt2).

1) 'Gleim, damit er uns eine Winterkurzweil verschafte, gerieth auf den Einfall, jeden Sonnabend eine kleine Gesellschaft, welche, nebst mir, aus Heinse, Klamer Schmidt, Gleims Neffen und einigen Freundinnen der Musen bestand, zum Nachtessen einzuladen. Am Tage zuvor ging eine verschloßne Büchse unter uns herum, in welche jeder ein oder mehrere Gedichte gegen die Kritiker werfen mußte. Am folgenden Abend öffnete Gleim die Büchse, las seinen Gästen, was sie enthielt, ließ den Verfasser jedes Gedichts errathen, und Einem wurde, durch die Mehrheit der Stimmen, der Preis zuerkannt' (J. G. Jacobi's Sämtliche Werke 2 II, p. V). Man war also nicht bei Gleims ursprünglichem Vorschlage geblieben, nach dem jeder jeglichen Morgen' seinen Beitrag in die Büchse hatte liefern sollen (Pröhle S. 267); aus naheliegenden Gründen.

2) Die Kniffe sind dieselben wie bei der 'Schöpfung Elysiums', vielleicht auch wie bei 'Elysium' (nicht mehr deutlich erkennbar), über Kreuz verlaufend. Die Uebersetzung aus Herrera und 'Wenn Plato's Geist' sind dagegen beide dreimal quer, einmal längs geknifft.

Höchstwahrscheinlich also an dieser Stelle, zwischen 'Wenn Plato's Geist' und 'Elysium', jedenfalls in der Büchse hat Körte, der sonderbare erste Ordner der Gleimschen Schätze, unser Gedicht noch gesehen, als er darunter, wie unter so viele andere Gedichte der Büchse, u. a. das vom 11. März 1774 'Wenn Plato's Geist' und das vom 25. März 'Die Schöpfung Elysiums', sein W. Heinse setzte 1). Ob es auch noch Pröhle dort gesehen hat, ist mir (trotz seiner Anmerkung auf S. 282) sehr zweifelhaft; er würde es bei der einleuchtenden Bedeutung des Gedichts dann doch wohl kaum von seiner abgedruckten Auswahl ausgeschlossen haben, namentlich wenn es wirklich zwischen den beiden, in der jetzigen Büchse und bei Pröhle aufeinanderfolgenden Gedichten 'Wenn Plato's Geist' und 'Elysium' gestanden hat.

Nach Körte, und vermutlich vor Pröhle, hat also eine gewaltsame Entfernung des Gedichtes 'Herkules und Hebe' aus der Büchse stattgefunden; und jedenfalls eine böswillige. Wer sie vorgenommen hat; wer Körtes 'W. Heinse' ausradiert hat, und warum; ob das N. 2 am Kopfe des Ms. in diesem Zusammenhange irgendwie zu verwerten ist steht dahin.

--

Gleim hatte jedenfalls gerade dies Gedicht den größten und dauerndsten Eindruck von allen Gedichten Heinses gemacht. Auf der Rückseite des schönen Porträts, das er für seinen Freundschaftstempel malen ließ, steht, von seiner Hand geschrieben: „Wilhelm Heinse, wegen seiner Ode auf den Hercules, gemalt von Eich zu Düsseldorf für Gleim 17802). Diese 'Ode auf den Hercules' kann nichts anderes sein als unser 'Herkules und Hebe'.

Die vier in Rede stehenden Gedichte Heinses gehören zu

Alle Gedichte in der Büchse sind sozusagen authentisch gefaltet; manche, namentlich die kleinsten Formates, haben augenscheinlich als Einschlagepapier für den 'rothen Pfennig oder gelben Fuchs' gedient.

Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Carl Becker im Gleimhaus auch an dieser Stelle zu danken.

1) Wo ein vorgesetztes Titelblatt vorhanden war, setzte er den Namen darauf: so bei der Uebersetzung aus Herrera und 'Elysium'.

2) Vgl. Körte, Gleim's Leben (1811), S. 448, No. 71. Mit seiner Schätzung der Heinseschen Gedichte vor allen übrigen Büchsengedichten hat Gleim natürlich durchaus das richtige getroffen. So ist das 'Preisgedicht' Heinses, vom 25. März 1774, die 'Schöpfung Elysiums', entschieden das beste von all den Elysiumgedichten der Büchse: nach Heinses erstem 'Elysium' noch vier von Klamer Schmidt und den anderen. Das beliebte Anakreontikerthema, hier wohl besonders naheliegend durch Heinses damals im Druck befindliche 'Laidion', die ursprünglich, schon 1771, Elysium hieß.

sammen. Sie haben in Wahrheit éin Thema: 'Dies sind Personen aus Elysium' bekundet auch das überschriftlose vom 11. März 1774 ('Wenn Plato's Geist'); und sie zeigen die gleiche Art der Behandlung. Sie müßten also auch als Ganzes betrachtet werden. Da aber zu dem Ende die ebenfalls ungedruckte 'Schöpfung Elysiums' im vollen Umfang mitgeteilt werden müßte, beschränke ich mich auf das reifste dieser Gedichte: 'Herkules und Hebe'1).

1) Zum Vergleiche gebe ich wenigstens einiges aus der 'Schöpfung Elysiums'. Das Gedicht, dem gleichzeitigen 'Herkules und Hebe' engverwandt, stellt die Erschaffung Elysiums im Anschluß an den Raub der Proserpina dar. Proserpinas Eintritt in Plutos Elysium, Herkules Eintritt in den Olymp es sind Pendants, und als solche behandelt. Nur ist 'Herkules und Hebe' sehr viel geschlossener, mit der überlegten Klarheit seiner Komposition und dem weit besser beherrschten Satzbau. — Unter beiden der gleiche Schlußschnörkel von Heinses Hand. (Anfang, S. 3 des Manuskripts)

Der Gott der Liebe flog vom Himmel einst herab
Und ließ in Blumen sich dort auf dem Aetna nieder,

Wo seinem abgematteten Gefieder

Ein Pommeranzenhayn den kühlsten Schatten gab.

(S. 5) So muß man auch die Geister bilden | und die Geisterchen zu bilden Mit Liebe, nicht durch Qual.

[ocr errors]

[sagt Amor; gleich darauf trifft er Pluto:]

(S. 6) Ein Schauer überlief den Styx und Acheron,

Und Pluto sprang herab von seinem Thron,
Und rüstet sich zum Streit und Amor

fliegt davon.

In einem Thal an Aetnas Fuß,

Wo Ceres in den süssesten Gefühlen

Des Himmels, unter Lieb und Kuß,

Das erste Tempe schuf, zu ihrer Tochter Spielen,
Lustwandelten zugleich in dieser goldnen Zeit,

Da noch die Freundschaft der Göttinnen

Der Eris Apfel nicht entweiht,

Dian' und Pallas in Vertraulichkeit

Mit Aphroditen und den Charitinnen.

Die ersten trugen weder Helm noch Spieß,

('Herk. u. Hebe' v. 89).

Willkommen im Olymp!

Ein weibliches Gewand umfloß die schönen Hüften,

Das manchen Reiz den Zephyrn überließ;

Und wo sie giengen war Entzücken in den Lüften.

(S. 7) Mit ihnen gieng Proserpina;

sprang Zevs von seinem Thron usw. (v. 19 ff.)

Ein Mädchen, das die Welt nur unter Rosen sah, usw.

Vgl. die Schilderung Hebens

v. 84 ff.

Diana greift nach Spieß und Pfeil,

(S. 8) Minerva springt nach Jovis Keil,

Und jede zürnt, daß sie dafür nur Blumen findet. Und jede Göttin zürnt
Die Grazien entfliehn doch Cypria

Spricht lächelnd: „Fliehet nicht

-

v. 81.

Nichts weniger überraschend als dies Thema: für einen Wielandianer geradezu das gegebene. Herkules, dessen Wahl zwischen arbeitsvoller Tugend und ergötzlichem Laster eigentlich das Grundmotiv der gesamten Wielandischen Poesie bildet, aufgefaßt im Moment seiner Apotheose: aber diese Apotheose zunächst ganz anakreontisch behandelt. Der Olymp ein Wielandischer Nektarhain, der über Rosen blüht, mit klaren Bächen zwischen Blumen, Amoretten, galanten Rokokophilosophen und ausschließlich aufs Erotische gerichteten Göttinnen; alles in vorwiegend Wielandischer Diktion, Wielandischem Versmaß.

Im Ausgangspunkte Wielandisch ist auch der Grundgedanke des Ganzen: der Held, der 'statt der Wollust Löwenkämpfe erwählt hat, erbittet sich und erhält zum Lohn als wahren Inhalt der Unsterblichkeit, die sonst für ihn leer wäre, den Besitz der einzigen Olympbewohnerin, die immer die sinnliche Liebe verschmäht hat. Daß Herkules sie die jetzt lehren wird, läßt allerdings der neckende Schluß (und Vers 84 f.) vermuten; aber das ist nur die normale Folge, nicht der Ausgangspunkt, wie bisher immer all den 'Dejaniren' gegenüber; auch Venus' rein sinnlicher Reiz vermag ihn ja nicht zu rühren. Wieland, der nach verflossener seraphischer Jugend eigentlich niemals mehr mit seiner platonischen Liebe Ernst gemacht hat, der nicht müde wurde den Sieg der Natur über die 'Schwärmerey' zu feiern, hätte es doch wohl gereizt, den neuen Gott gerade jetzt recht menschlich zu zeigen (vgl. etwa Musarion). Heinse, der sonst so dionysische, das unbequem konsequente enfant terrible Wielands, besitzt Kunstinstinkt genug, um diesem Thema gegenüber mit allem Bacchantischen zurückzuhalten; Wieland - Horazische Ironie aber: Naturam expellas furca lag ihm niemals. Sehr gefährlich war ihm stets Cynismus, ihm persönlich angeboren, und die Kehrseite des Sturmes und Dranges; er hat ihm manche seiner schönsten Erfindungen verdorben hier ist er unterdrückt. Es ist doch wohl auch die

[merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small]
« AnteriorContinuar »