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Die anthropogeographische Betrachtung der geistigen Anpassungen
bringt es noch entschiedener als die der vor unsern Augen befind-
lichen materiellen mit sich, daß der Geograph in das Gebiet anderer
Wissenschaften hinübergreift. Wer Sprachengeographie treiben will,
muß sich mit der Sprachwissenschaft bekannt machen, wer in der
Religionsgeographie etwas leisten will, dem dürfen die religions-
philosophischen Systeme nicht unbekannt sein. Darin liegt ent-
schieden eine große Schwierigkeit unserer Untersuchungen. Ich
glaube auch nicht, daß bei dem heutigen Betriebe der Geographie
viel Aussicht auf eine baldige Anfassung dieser anthropogeographi-
schen Probleme vorhanden ist. Das darf mich aber nicht hindern,
mit dem treuen Glauben an das erkannte Problem vorzugehen.
Darum schicke ich jedem Abschnitt meines Berichts auch hier einen
allgemeinen Literaturteil voraus, der die philosophische und historische
Behandlung des fraglichen Problems betrifft.

Es war für mich schwer, bei dem außerordentlichen Umfang
des Stoffes die wesentlichen von den unwesentlicheren Arbeiten
zu unterscheiden. Nur zum Teil gelang es mir, Mitarbeiter zu
gewinnen, die meine Arbeit ergänzten bzw. umarbeiteten. Herr
Prof. Dr. F. N. Finck in Südende bei Berlin übernahm die selb-
ständige Ausarbeitung des speziellen Teiles von »Sprache«. Herr
Privatdozent der Soziologie Dr. André de Máday in Genf nahm
die Durchsicht der Abschnitte » Recht« und »Gesellschaft« auf sich.

Während er sich in der Behandlung des >>Rechts « meinen Ausführungen im ganzen angeschlossen hat, bringt er in den Ausführungen über » Gesellschaft« Eigenes; diesem letzteren Abschnitt habe ich, um den durch den ganzen Bericht gehenden Gedankengang nicht zu unterbrechen, meine Auffassung in Anmerkung beigefügt. Beiden Herren sei auch an dieser Stelle mein herzlicher Dank ausgesprochen. Meine Versuche, auch für andere Abschnitte, insbesondere >> Religion«, Hilfe bei Fachleuten zu finden, scheiterten.

1. Die Sprache.

Kurze aber treffliche Ausführungen widmet H. Wagner der Sprachengeographie in seinem »Lehrbuch« § 305, unter Beifügung einiger Literaturangaben. Vgl. ferner H. Schurtz »> Urgeschichte der Kultur«, 470-92.

Sehr richtig hebt Schurtz hervor, daß ein Trieb des Menschen die Sprache hervorgerufen hat. Man kann dasselbe wohl auch so ausdrücken, daß die Sprache einen biologischen Zweck hat, den Zweck, ein Bedürfnis zu befriedigen, nämlich das auf Verständigung der Menschen untereinander, namentlich auch auf Übermittlung von irgendwelchen Erfahrungen. Diesen Zweck immer vollkommener zu erfüllen, muß die Sprache weiter entwickelt werden und wird es, zuerst instinktiv, dann traditionell (auf Grund der mit ihr gemachten Erfahrungen, die von Generation zu Generation überliefert werden), dann bewußt auf Grund der Erkenntnis ihres Zweckes und Wesens. Die heutigen Sprachen sind das Resultat einer von der Psyche gespornten und geleiteten Entwicklung. Ihre Sonderung in Sprachstämme oder -familien kann nur auf Grund ihres Wesens geschehen, das entwicklungsgeschichtlich einer bestimmten Stufe angehört. Die Sprachwissenschaft liefert so das Material, Karten der geographischen Verbreitung der Sprachen zu entwerfen.

Der Sprachformen gibt es aber zu vielerlei, um aus ihrer Verbreitung Beziehungen mit natürlichen oder kulturellen Verhältnissen herauszufinden. Das entstehende Bild wird übersichtlicher, wenn man die zahlreichen Sprachen in Sprachstufen (die der instinktiven Sprachgestaltung, die der traditionellen Sprachgestaltung, die der bewußten Sprachgestaltung) einordnet. Die einzelnen Sprachformen erscheinen dann als verhältnismäßig nebensächliche, oft zufällige Schattierungen. Jedenfalls wird man so erst der Aufgabe, die geographische Verbreitung der Sprachen zu erklären, näher kommen können.

In welchem Sinne kann überhaupt von einer Erklärung der Sprachenverbreitung als einer geographischen Aufgabe gesprochen

werden?

1. In manchen Fällen könnte wohl der Bau der Sprachen in direktem Zusammenhang mit der Natur stehen, d. h. eine direkte

Anpassung an Naturverhältnisse sein, indem z. B. Töne der Naturumgebung (Rauschen von fließendem Wasser, von Wäldern, von Gräsern, Orkane usw.), die in einer Landschaft auftreten, in der andern fehlen, dem die erstere bewohnenden Volk Veranlassung sein können, in Nachahmung der Naturlaute Worte für Begriffe zu schaffen, die in einer andern Umgebung ganz fehlen oder entsprechend andern Ausdruck fanden. Aber diese weit zurückliegenden Einflüsse der Natur auf die Sprache sind wohl selten noch zu ermitteln, und ihre Untersuchung bleibt für die Erörterung der geographischen Verbreitung der Sprachen wohl nahezu belanglos.

2. Eine dynamische Untersuchung des Einflusses gewisser Naturverhältnisse auf die Sprachenverbreitung ist insofern möglich und erforderlich, als z. B. die Gebirge, Meere, Wälder, Wüsten usw. für den Grenzverlauf der Sprachen als Schranken (durch räumliche Absonderung) nicht unwesentlich sind.

3. Die Ausdehnung einer Sprache ist aber vor allem abhängig von dem positiven Moment ihrer Lebenskraft, ihrer Konkurrenzfähigkeit, ihrer zweckmäßigen Gestaltung, d. h. von der Sprachstufe. Da letztere aber im allgemeinen Parallelismus zu andern Kulturäußerungen und Wechselbeziehungen mit ihnen haben wird wie man a priori annehmen kann und wie auch die Untersuchungen der Sprachforscher schon außer Zweifel setzen und die Abhängigkeit der Verbreitung der Kulturstufen von geographischen Verhältnissen erwiesen ist, so kann man auch Beziehungen der Sprachstufen zu natürlichen Verhältnissen voraussetzen. Die Einreihung der Sprachen in Sprachstufen (seien es nun meine oben aufgestellten oder andere) halte ich darum für den Kern der anthropogeographischen Aufgabe.

Ja, auch die geschichtlichen Veränderungen der Sprachenverbreitung sind wohl hauptsächlich durch Feststellung früherer Qualitätsunterschiede der Sprachen zu erklären; die durch ihre Gestaltung starken drangen vor, die schwachen wichen zurück.

4. Stärke oder Schwäche einer Sprache hängt allerdings auch mit der Zahl ihrer Träger zusammen, und so kommen alle Verhältnisse, die letztere beeinflussen, zur Auswirkung. Kulturstufe und Kopfzahl bedingen das geschichtliche Geschehen, und die durch beide Faktoren zur Expansion befähigten Völker tragen ihre Sprachen mit sich und nötigen sie oft genug schwachen Völkern auf.

5. Es liegt noch die Möglichkeit vor, in der heutigen Verbreitung der Sprachen wie in einer Urkunde über ihre gegenseitige Beeinflussung und die Verwandtschaften nachzulesen. Hier kommt die Sprachwissenschaft dem Geographen zu Hilfe. Ich vermag aber in der Ermittlung der Verwandtschaften von Sprachen wenig zu finden, was der Erklärung ihrer Verbreitung zugute kommt.

Jeglicher Kulturbesitz, und so auch einzelne Sprachelemente, wird überall nachbarlich übernommen, so daß allmählich Verwandtschaften zustande kommen.

Einige Worte müssen noch der Schrift gewidmet werden, die nur bei einem Teil der Völker die Sprache begleitet. Sie ist als ein vollkommeneres Mittel der Verständigung insofern zu betrachten, als sie es ermöglicht, das Mitzuteilende von den Schranken des Ortes und der Zeit, der Quantität und Qualität in höherem Grade zu befreien, als es die Sprache vermag. Durch einen Brief oder gar ein Buch vermag ich mich in allen Erdteilen jederzeit, mit Hunderten von Menschen, wenn es mein Wunsch ist, in ausführlicher und überlegter, sorgsam ausgearbeiteter Weise zu unterhalten, während die mündliche Sprache demgegenüber namentlich vor Erfindung des Telephons nach Ort und Zeit, nach Menge und Qualität des Mitzuteilenden, als Verständigungsmittel Nachteile hat. Darum ist die Schrift ein charakteristisches Begleitinstrument der hohen Sprachstufe, und ihre geographische Verbreitung besonders beachtenswert.

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Sind wir überhaupt schon bis zu der bewußten Sprachentwicklung, der höchsten Sprachstufe, fortgeschritten oder stehen wir erst an ihrer Schwelle? Die Bestrebungen auf Sprachreinigung, vor allem aber die bewußten Anstrengungen, eine Weltsprache zu schaffen, sind offenkundige Zeugnisse für die höchste Sprachstufe. Denn gerade die Bemühungen um eine Weltsprache stammen aus dem Bewußtsein, daß die heutige Vielsprachigkeit für die Übertragung von Erfahrungen, Gütern und Personen über die Erde hin höchst unzweckmäßig ist; man sucht darum Zweckmäßigeres an die Stelle zu setzen.

In der Sprachengeographie lassen sich etwa folgende Fragen stellen:

Anthropogeographie im engeren Sinne. Dynamische Frage: >> Wie beeinflussen die natürlichen Verhältnisse die geographische Verbreitung der Sprachen?« Statische Frage: »Die geographische Verbreitung der englischen Sprache und ihre Abhängigkeit von natürlichen Verhältnissen.<<

Die Kulturgeographie fragt dynamisch: »Welchen Einfluß übt die Kultur auf die geographische Verbreitung der Sprachen aus?« und statisch: »Die geographische Verbreitung der englischen Sprache und ihre Bedingtheit durch die Kulturverhältnisse«.

Die Anthropogeographie im weiteren Sinne fragt: » Welche Faktoren beeinflussen die geographische Verbreitung der Sprachen?« und behandelt >> Die geographische Verbreitung der englischen Sprache und ihre Ursachen«.

1. Allgemeines.

Außer auf H. Wagners und H. Schurtz' Arbeiten sei noch auf W. Wundts1) >> Völkerpsychologie«, die im ersten Bande die Sprache behandelt, verwiesen. Geographischen Charakter haben ferner C. M. Bühring2) »Über den Einfluß der Rassenmischung auf die Sprache«<, Winterstein 3) » Die Verkehrssprachen

1) 2. Aufl., Leipzig 1904, I. Teil, 667 S.; II. Teil 673 S. reich in Glob. LXXIX, 1901, 21-23. PM 1905, LB 494. XXXIII, 6. 2) PolAnthrRev. II, 1903/04, 845-47. (1903?), 34 S.; 2. Aufl., 1908(?).

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Vgl. P. EhrenMAnthrGes Wien 3) Hamburg o. J.

der Erde<< und K. Haag1) »Über Mundartengeographie<<. Eine Darstellung aller seit Jahrhunderten angestellten Versuche, um eine Hilfssprache für den internationalen Handels- und wissenschaftlichen Verkehr zu schaffen, geben L. Couturat und L. Leau 5) in ihrem Buche » Histoire de la langue universelle<<. Vgl. auch unter 2. Spezielle Sprachengeographie.

2. Spezielle Sprachengeographie.

Von Prof. Dr. F. N. Finck.

Einleitung und Allgemeines. Jede Art menschlicher Rede aus einer bestimmten geistigen Eigenart zu erklären, ist der Sprachwissenschaft eigentliches Ziel. Die Vorarbeiten, die auf dem noch langen und langwierigen Wege dorthin zu leisten sind, lassen sich, soweit es sich um rein linguistische Tätigkeit handelt, zu zwei Gruppen zusammenfassen. Zunächst ist jede einzelne Sprache rein beschaulich zu erfassen und in einer Weise darzustellen, daß nichts anderes als nur die Vermittlung dieser Erkenntnis erstrebt wird, wobei jedoch schon zwecks Erleichterung der Übersicht eine auch der späteren Erklärung vorarbeitende Gruppierung um die sinnfälligsten Typen versucht werden darf und muß. Dann aber ist im Hinblick auf die Tatsache, daß jede unserer Beurteilung überhaupt zugängliche Art menschlicher Rede zum größten Teil auf einer Nachahmung früheren Sprechens beruht, zwecks Anbahnung einer gerechten Bewertung das Abweichungsverhältnis zu der immer nur zum Teil aufgegebenen älteren Sprache festzustellen. So wird also eine historische Sprachforschung nötig und, wo die Überlieferung durch literarische Denkmäler versagt, ein Erschließen älterer Idiome aus einem Vergleich sei's schriftlich verzeichneter, sei's unmittelbar zu beobachtender Dialekte, kurz eine Darstellung nach Sprachstämmen und deren Verzweigungen.

Die erste dieser Vorarbeiten ist in der geforderten strengen Beschränkung auf die unmittelbare Anschauung wohl überhaupt noch nicht versucht, auf jeden Fall aber noch nicht geleistet worden. Dies gilt namentlich für H. Steinthals 6) grundlegende, noch immer nicht verdrängte » Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues « samt deren nicht eigentlich als Ersatz, sondern mehr als Ergänzung wertvollen Neubearbeitung durch Franz Misteli?) und in erhöhtem Maße für James Byrnes ) vielfach berechtigte Beanstandung herausforderndes, aber alles in allem doch bewunderungswürdiges Werk » General Principles of the Structure of Language«. Aber auch an neuem dieser Art ist nicht sonderlich viel entstanden. Erwähnung verdienen wohl zwei Arbeiten von F. N. Finck 9) »Der deutsche Sprachbau als Ausdruck deutscher Weltanschauung<< und 10) »Die Klassifikation der Sprachen«, von denen erstere durch Heinrich Winklers Besprechung 11) besonders hinsichtlich des Ural-Altaischen wertvolle Ergänzungen erfahren hat, dann zwei Abhandlungen von Emil Franke 12) »O psychologické klassifikaci jazyků u Misteli-ho« (Über die psychologische Klassifikation der Sprachen nach Misteli) und 13) »O tvoření kořenů a kmenů v různých jazykových skupinách« (Über die Bildung der Wurzeln und Stämme in den verschiedenen Sprachgruppen), ferner das erste Kapitel von O. Jespersens 14) »Groth and Structure of the English Language<< und die mehr populären Schriften von O. Weise 15) »Unsere Muttersprache, ihr Wesen und ihr Wert«, »Charakteristik der lateinischen Sprache«, »Ästhetik der deutschen Sprache« und Karl Bergmanns 16) gleichfalls stark volkstümliche Arbeit >>Die sprachliche Anschauung und Ausdrucksweise der Franzosen << und endlich zwei zwar in erster Linie prinzipiellen Fragen gewidmete, aber wegen der ein

6) Berlin 1860.

9) Marburg 1899.

7 Berlin 1893.
10) Marburg 1901.

5) Paris 8) 2 Bde., 2. Aufl.,

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4) Alemannia N. F. 2, Freiburg i. Br. 1901, 228-47, Abb., K. 1903. 576 S. London 1892. XLV, 288-305. vědy, slovesnost a umění, XIV. 13) Ebenda XVI. 15) Leipzig in mehreren Aufl.

12) Věstnik české Akademie císaře Františka Josefa pro

11) Z. f. d. Altert.

14) Leipzig 1905.

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16) Freiburg i. Br. 1905.

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