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I. Die Schwabenspiegelhandschrift des
Freiburger Stadtarchivs.

A. Das Problem.

1.

Die deutsche Rechtsbücherforschung hat in neuester Zeit einen erfreulichen und verheißungsvollen Aufschwung zu verzeichnen" 1). Von den verschiedensten Seiten hat man die zahllosen und teilweise äußerst verwickelten Probleme, die uns die Rechtsbücher noch immer bieten, erneut in Angriff genommen. „Das gemeinsame Ziel aller dieser rechtsgeschichtlichen Bestrebungen ist, den großen auf der Höhe moderner wissenschaftlicher Forschung stehenden Ausgaben der berühmtesten deutschen Rechtsbücher die Wege zu ebnen und den Boden zu bereiten" 2). Denn solche Ausgaben sind ein dringendes Bedürfnis. Kommen wir mit Homeyers Sachsenspiegelausgabe, die eine für ihre Zeit hervorragende Leistung war, schon kaum noch aus, so gilt das erst recht hinsichtlich der außersächsischen Rechtsbücher, die uns nur in wesentlich schlechteren Editionen vorliegen. Fickers Ausgabe des Deutschenspiegels begnügt sich damit, die einzig erhaltene Deutschenspiegelhandschrift mit allen ihren Fehlern und ohne jede Verbesserung der Interpunktion wiederzugeben. v. Laßbergs Schwabenspiegelausgabe leidet unter dem grundlegenden Fehler, daß der Herausgeber seinen Text aus zwei zu ganz verschiedenen Textgruppen gehörigen Handschriften zusammengestellt hat, der Züricher Handschrift, die einen recht guten, und der v. Laßbergschen, die einen sehr schlechten Text überliefert; Varianten anderer Handschriften sind nur in ganz wenigen Ausnahmefällen angegeben, ja bei den aus der v. Laßbergschen Handschrift entnommenen Teilen und das ist die Hauptmasse des Textes — sind noch nicht einmal die Abweichungen der sonst herangezogenen Züricher Handschrift angeführt. Die Wackernagelsche Ausgabe, die im gleichen Jahre wie die v. Laßbergsche

1) Kisch, Besprechung von Borchlings Ausgabe der Bremer Sachsenspiegelhandschrift, in der Literarischen Wochenschrift, 1. Jahrgang (1925) S. 532. 2) Kisch, ebenda.

Abhandlungen d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Phil.-Hist. Kl. N, F. Bd. XX, 2, 1

(1840) erschien, verdient mehr Anerkennung. Wackernagel hat jedoch unglücklicherweise eine schon stark verderbte Handschrift zugrundegelegt, und auch unter den in den Fußnoten verwerteten Handschriften findet sich keine, die der ältesten Textklasse des Schwabenspiegels angehört. So ist auch mit dieser Edition kein zuverlässiges Arbeiten möglich. Das gleiche gilt von Genglers Schulausgabe (1. Aufl. 1851; 2. Aufl. 1875), die sich damit begnügt, den Text Wackernagels mit einigen Verbesserungen wieder abzudrucken; immerhin bietet sie eine ganze Reihe wertvoller Anmerkungen und ein brauchbares Wörterbuch. Lindners Ausgabe der Hermannstädter Handschrift (1885) ist dagegen vollständig wertlos. Etwas besser steht es mit dem Frankenspiegel. Zwar sind wir bis zum heutigen Tage allein auf Endemanns Edition von 1846 angewiesen; aber Endemann hat sich wenigstens befleißigt, einen umfangreichen Variantenapparat zu bieten und verwandte Quellenstellen als Parallelen anzugeben oder abzudrucken. Leider hat jedoch auch er eine vielfach verderbte Handschrift zur Textgrundlage gewählt und nur unzureichend verbessert. Nimmt man hinzu, daß die Ausgabe, die erst nach des Herausgebers Tode gedruckt worden ist, von Lese- und Druckfehlern geradezu wimmelt, so wird es verständlich, daß wir auch für den Frankenspiegel eine baldige Neuherausgabe erstreben müssen.

Aus solchen Erwägungen heraus hat sich die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen veranlaßt gesehen, Mittel zur Vorbereitung der Rechtsbüchereditionen bereit zu stellen. Sie arbeitet damit der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae vor, die auf Antrag Ernst Heymanns beschlossen hat, den Sachsenspiegel und die übrigen großen Rechtsbücher in ihren Plan aufzunehmen. Heymann hat sehr mit Recht darauf hingewiesen, daß wir Veranlassung haben, gerade solche Werke besonders energisch zu fördern, welche rein deutsche Angelegenheiten sind. Auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte sind das besonders die schon lange von dem hochbetagt verstorbenen v. Rockinger vorbereitete Ausgabe des Schwabenspiegels und die jüngst von den Monumenta Germaniae Historica in Angriff genommene Ausgabe des Sachsenspiegels" 1). Neuerdings sind auch Sachsenspiegelglosse, Deutschenspiegel und Frankenspiegel in die Rechtsbücherreihe der Monumenta Germaniae einbezogen worden. Vielleicht dürfen wir hoffen, daß auch die Libri feudorum dereinst in ihr einen Platz finden werden.

1) Bericht über das Wörterbuch der deutschen Rechtssprache, Sitzungsberichte der Preuß. Akademie der Wissenschaften (1926) S. XXXII.

Nach dem bisherigen Stand der Vorarbeiten ist anzunehmen, daß es noch Jahrzehnte dauern wird, bis diese großen Ausgaben vorliegen werden. Das bestimmt mich, dem von zahlreichen Fachkollegen brieflich geäußerten Wunsch nachzukommen, und für die Benutzung zum Handgebrauch und in Seminarübungen eine Parallelausgabe des Deutschenspiegels und des Urschwabenspiegels zu veranstalten.

Die kleinen Rechtsbücherstudien, die nach und nach an dieser Stelle veröffentlicht werden sollen, sind bestimmt, die Arbeit an den geplanten Editionen zu fördern und für diese selbst eine gesicherte Grundlage zu schaffen.

2.

Unter den Handschriften der deutschen Rechtsbücher haben es einige zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Ich nenne nur die Quedlinburger Handschrift des Sachsenspiegels, die Innsbrucker Deutschenspiegelhandschrift und, ihnen ebenbürtig, die Schwabenspiegelhandschrift des Freiburger Stadtarchivs. Sind die beiden ersten Handschriften längst durch den Druck zugänglich, so ist die Freiburger bis zum heutigen Tage ungedruckt, und darin liegt wohl der Hauptgrund für den Umstand, daß ihr wahrer Charakter so lange verborgen bleiben konnte. Irregeleitet durch das Fehlen einiger Blätter am Anfang, bewachte die Verwaltung des Freiburger Stadtarchivs die wertvolle Handschrift mit verdoppeltem Eifer und lehnte sie grundsätzlich die Versendung nach auswärts ab. Auch v. Rockinger hat sich dazu bequemen müssen, diese für ihn so wichtige Handschrift in Freiburg selbst zu exzerpieren; dadurch wurde begreiflicher Weise die Beurteilung sehr erschwert. Um so dankenswerter ist es, daß der Stadtrat von Freiburg im Breisgau sich nunmehr auf Verwendung des derzeitigen Stadtarchivars Dr. Hefele bereitgefunden hat, die Handschrift an die Göttinger Universitätsbibliothek zu senden, damit sie dort zwar nicht von mir benutzt, aber doch wenigstens photographiert werden konnte 1). Die Ergebnisse, die sich auf Grund dieser photographischen Nachbildung gewinnen ließen, sollen hier vorgetragen werden.

Die erste Nachricht über die Freiburger Handschrift verdanken wir Heinrich Amann. Dieser druckte 1836 in dem ersten Faszikel seiner Praestantiorum aliquot Codicum Mss., qui Friburgi servantur,

"

1) Ganz besonderen Dank schulde ich auch Herrn Bibliotheksdirektor Prof. Dr. Fick für sein verständnisvolles und stets hilfsbereites Entgegenkommen und Herrn Prof. Dr. Coehn für die Überlassung des photographischen Apparates.

ad jurisprudentiam spectantium notitia" die drei in der Handschrift überlieferten Gedichte (daselbst Art. 13, 79 und 168; vgl. v. Laßbergs Ausgabe zu Art. 27, 90 und 160) ab1) und veröffentlichte ferner ihre Artikel 197, 92 und 319 (v. Laßberg 184, 79 IV und 313), denen er die entsprechenden Artikel zweier anderer Handschriften, die ihm damals zugänglich waren 2), beifügte 3). Im zweiten Faszikel des genannten Werkes gab er 1837 eine vollständige, wenn auch in einigen Einzelheiten fehlerhafte Vergleichung der Artikelfolge der Handschrift mit der Senckenbergschen Ausgabe und den beiden genannten anderen Handschriften*). Auf Amanns Mitteilungen beruhen die Angaben, die v. Laßberg in seiner Ausgabe über die Freiburger Handschrift machte (S. XXXVIII, Nr. 32), beruht auch der Wiederabdruck der drei Gedichte (S. 18 f., 45 ff. und 76 ff.).

Wackernagel zog zu seiner Ausgabe ebenfalls die Freiburger Handschrift heran. Er notierte zwar nicht zu seinem eigentlichen Text, wohl aber zu den Nachtragsartikeln 308 bis 315 und 335 (S. 281 ff. und 297) die Varianten der Freiburger Handschrift und druckte aus ihr neunzehn seinem Grundtext fehlende Artikel im Wortlaut ab (Art. 346 bis 364; S. 309 ff.). Haiser hob in seinen gründlichen Beiträgen „Zur Genealogie der Schwabenspiegelhandschriften" auch die Belegstellen aus der Freiburger Handschrift, und zwar unter der Signatur Fu (später Aa1), aus. Nach nochmaliger Untersuchung der Handschrift druckte Rockinger eine Reihe von Artikeln teils wieder, teils neu ab"). In der von ihm geplanten Neuausgabe sollten die Varianten der Freiburger Handschrift einen bevorzugten Platz erhalten 6). Übersichten über die Artikelfolge der Freiburger Handschrift finden sich außer bei Amann noch in Fickers Deutschenspiegelausgabe 7) und in Rockingers letzter Abhandlung 8).

Über die Stellung der Freiburger Handschrift im genealogischen System der Schwabenspiegelhandschriften hat zuerst Julius Ficker

1) S. 4 ff.

2) Dies sind die Handschrift der Freiburger Universitätsbibliothek (Rockinger, Nr. 86) und die des Freiburger Professors und Domherrn Hug, heute in der Fürstenbergschen Bibliothek (Rockinger, Nr. 95).

3) S. 22 ff.

4) S. 19 ff. und 31 ff.

5) Zu Handschriften der jüngeren Gestalt des kaiserlichen Land- und Lehenrechts, Münchener Abhandlungen (1902) S. 619 ff.

6) Rockinger, Die handschriftliche Grundlage der Ausgabe des kaiserlichen Land- und Lehenrechts, 1. Drittel, Münchener Abhandlungen (1913) S. 69 f., Anm. 1. 7) S. 191 ff.

8) Die handschriftliche Grundlage, S. 70 ff.

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