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promißentwurf die erste Lesung im Reichstag 1). Hier traten alle Parteien, bis auf die Antisemiten, die unbedingte obligatorische Innungen forderten, und die Freisinnigen und Sozialdemokraten, die überhaupt nichts von Zwangsinnungen hielten, für die Kompromißvorlage ein. Namentlich geschah dies seitens der Konservativen und des Centrums. Diese Parteien, die bisher die unbedingtesten Verfechter der obligatorischen Innung gewesen waren, stellten sich ebenfalls auf den Boden des Kompromisses. Man that dies, da nach den Erklärungen des Herrn Staatsministers Dr. von Bötticher absolut im Bundesrat eine Majorität für die erste preußische Vorlage zur Zeit nicht zu erreichen gewesen sei. Man würde, wenn der Reichstag die preußische Vorlage wieder herstellte, nur die ganze Organisation zum Scheitern gebracht haben. Um wenigstens das zu bekommen, was zu erreichen sei, so nahm man das gegenwärtige Gesetz als Abschlagszahlung an, sich weitere Rechte und Forderungen für die Zukunft vorbehaltend.

Auf diesen Standpunkt stellten sich besonders die Herren Hitze und Jacobscötter, die bisher eine führende Rolle in diesen Fragen im Reichstag gehabt hatten. Nur im einzelnen wünschten die Herren Hitze und Jacobscötter auf die Wünsche der organisierten Handwerker, zur preußischen Vorlage, wie sie auf der Berliner Konferenz vom 8.-10. September 1896 und auf dem Gewerbekammertag zu Weimar am 19.-21. Oktober niedergelegt seien, mehr einzugehen. Dies könne am besten geschehen, wenn der Entwurf in einer Kommission einer eingehenden Beratung unterzogen werde.

Die Kommissionsberatung wurde angenommen und der Entwurf der am 16. Dezember 1895 eingesetzten Kommission, welche den Entwurf über die Errichtung von provisorischen Handwerkerkammern durch beraten sollte, überwiesen. Hatte man sich also im Reichstag dem Kompromißgesetzentwurf sympathisch gegenübergestellt, so schienen sich die organisierten Handwerker auf einen schroff abweisenden Standpunkt stellen zu wollen.

Der Berliner Zentralausschuß nahm in einer Petition vom 20. März 1897 energisch gegen die fakultative Zwangsinnung Stellung. Man erklärte, dieser Vorlage keine Sympathie entgegenbringen zu können 2).

Der Handwerkerbund dagegen, der in München seinen Sitz hat, dessen Leitung sich also in den Händen von süddeutschen Gewerbetreibenden befindet, stellte sich auf den Boden des Kompromisses und forderte auf für diesen Kompromißentwurf als das gegenwärtig Erreichbare einzutreten. Es zeigte sich hier also eine Differenz zwischen dem Zentralausschuß und dem Handwerkerbund, die bisher in ihren Tendenzen vollständig einig gewesen waren.

Um in dieser Frage eine Klärung herbeizuführen, berief der Zentralausschuß zum 27. April 1897 einen allgemeinen Innungs- und Handwerkertag nach Berlin. Eine Einigung mit dem Handwerkerbund

1) Verhandlungen des deutschen Reichstages, IX. Legislaturperiode, IV. Session, 1895-97, S. 5385-5451.

2) Allgemeine Handwerker-Zeitung, No. 15, XIX. Jahrg., München, 9. April 1897.

wurde jedoch nicht herbeigeführt, weil dieser in Berlin offiziell nicht erschienen war.

Auf dem Handwerkertag zu Berlin trat man im allgemeinen für die frühere preußische Vorlage ein und einigte sich schließlich auf eine Resolution, die doch den Stempel des Kompromisses an sich trug. Die Resolution lautete:

,,Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung vom 15. März 1897 ist nur annehmbar, wenn

1) eine einheitliche Organisation des gesamten Handwerks in Form von Zwangsinnungen und unter Festhaltung der Dreiteilung Lehrling, Geselle und Meister eingeführt wird. Auch diejenigen Mitglieder des Handwerks, welche dasselbe fabrikmäßig betreiben, die Pflicht haben, der Innung beizutreten. Wo die Zwangsinnungen zur Zeit nicht durchführbar sind, da sollen den freien Innungen mit Genehmigung der Handwerkerkammern und nach Anhörung des zuständigen Innungsverbandes gemäß § 104 g der R.G.O. die Rechte aus den §§ 100 e bis 100 m der bisherigen Gewerbeordnung in verbesserter Form verliehen und vor allen Dingen den bestehenden Innungen, soweit sie diese Rechte besitzen, belassen werden;

2) Meister nur derjenige sich nennen darf, welcher in dem von ihm betriebenen Handwerk den Befähigungsnachweis erlangt hat. Nur ein solcher Meister darf lehren;

3) die Erhaltung und Förderung der Innungskrankenkassen gegenüber den Ortskrankenkassen gewährleistet wird".

Diese Resolution stellte sich zwar auf den Boden der Zwangsinnung, sah jedoch die Möglichkeit vor, daß Zwangsinnungen nicht gebildet werden könnten. Es war also auch eine Kompromißresolution, die nicht mehr ganz auf dem Boden der früheren Forderungen stand.

In einer an den Reichstag unter dem 29. April 1897 gerichteten Petition wurden dann im einzelnen Abänderungsanträge gestellt, die eigentlich nur eine Hineinarbeitung der früheren Abänderungsanträge zur preußischen Vorlage von der Septemberkonferenz im Jahr 1896 in die neue Vorlage darstellte. Aber auch diese zweite Petition vom 29. April 1897 stand nicht mehr auf dem Boden der früheren preußischen Vorlage, indem gesagt war, daß nach der Stimmung im Handwerk nicht geleugnet werden könne, daß die neue Handwerkervorlage in einzelnen Teilen Verbesserungen der bisherigen Verhältnisse darbietet und um dieses unbestreitbaren guten Inhalts wegen ehestens in die Gesetzgebung übergeführt zu werden verdient. Dieserhalb verfehlen wir nicht, einem hohen Reichstage, nach dem Beschlusse der Handwerkerkonferenz vom 28. April 1897 anheimzugeben, den Gesetzentwurf im ganzen für den Fall nicht scheitern zu lassen, daß die Zwangsinnung trotz ehrlichen Mühens unserer Freunde für dieses Mal nicht Aussicht hat, von dem hohen Bundesrat zugestanden zu werden.

Auch die Gewerbekammern schienen sich anfänglich wie der Berliner Zentralausschuß der vereinigten Innungsverbände auf einen ablehnenden Standpunkt gegenüber der fakultativen Zwangsinnung stellen zu wollen.

Auf einer hanseatischen Delegiertenkonferenz zu Hamburg vom 23. und 24. April 1897 wurde eine Resolution angenommen, die diesen Standpunkt zum Ausdruck brachte. Dieselbe sagte:

,,Die hanseatische Delegiertenkonferenz zu Hamburg vom 23. und 24. April 1897 hat einstimmig beschlossen, zunächst an der preußischen Gesetzesvorlage, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, mit den zu Weimar auf dem XII. deutschen Gewerbekammertag gemachten Abänderungsvorschlägen festzuhalten und diese nochmals nachdrücklich der Annahme in den gesetzgebenden Körperschaften zu empfehlen, da die fakultative Zwangsinnung eine feste, einheitliche Organisation des Handwerks nicht schafft.

Diese fakultativen Zwangsinnungen werden sogar schädlich wirken, weil eine Organisation, welche die berufenen Vertreter des Handwerks selbst für unrichtig halten, keine Resultate haben kann.

Die hanseatische Delegiertenkonferenz hält daher ausdrücklich an der obligatorischen Innung fest und betrachtet diese noch wie vor als das empfehlenswerteste Ziel zur Organisation des Handwerks für die Zukunft; namentlich auch weil alle Versuche, einen befriedigenden Wahlmodus für die Handwerkerkammer (s. § 103 a) zu finden, ohne Zwangsinnungen scheitern. Für den Fall, dal trotzdem dieser Standpunkt nicht anerkannt werden sollte, hat die Konferenz zu dem neuen Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung der G.O. vom 15. März 1897 beschlossen, folgende Abänderungsvorschläge zu stellen".

Die dann folgenden Abänderungsanträge waren eigentlich nur eine Hineinarbeitung der früheren Abänderungsanträge zur preußischen Vorlage, wie sie zu Weimar auf dem Gewerbekammertag beschlossen waren, in den neuen Entwurf.

Die Hanseaten wollten also den Gesetzentwurf mit Streichung der fakultativen Zwangsinnung annehmen.

Am 14. Mai 1897 erschien dann der Bericht der Reichstagskommission, in welcher Herr Jakobscötter Berichterstatter gewesen war.

Diese Kommission hatte durch ihre Beschlüsse, ohne den Boden der fakultativen Zwangsinnung zu verlassen, sehr zahlreiche Verbesserungen der Vorlage gebracht. Sie hatte versucht, so weit als möglich den einzelnen Wünschen der organisierten Handwerker zu entsprechen, so daß die Stimmung in den Handwerkskreisen nach dem Erscheinen dieser Beschlüsse eine wesentlich günstigere wurde.

Dies zeigte sich zunächst auf dem vom 16.-18. Mai zu Berlin tagenden XIII. Gewerbekammertag, der sich voll und ganz auf den Boden der Kommissionsbeschlüsse stellte und der sogar für die fakultative Zwangsinnung im Gegensatz zu seinen Weimarer Beschlüssen eintrat, allerdings auch unter dem Gesichtspunkt, daß gegenwärtig ein Mehr nicht zu erreichen sein werde 1).

Gleich am Tage nach dem Schluß des Gewerbekammertages zu Berlin begann im Reichstag die zweite Lesung über das Gesetz, welche

1) Abänderungsvorschläge des XIII. deutschen Gewerbekammertages zu der Handwerkervorlage zu Berlin vom 16.-18. Mai 1897.

am 20., 21., 22. fortgesetzt wurde und erst am 25. Mai zum Abschluß kam 1). Es wurde in der zweiten Lesung das Gesetz in der Hauptsache nach den Beschlüssen der Kommission angenommen.

Am 25. Mai war im Reichstag die endgiltige Beschlußfassung über das Gesetz bis zum 22. Juni vertagt worden. Inzwischen hatte auch der Zentralausschuß der vereinigten Innungsverbände zu Berlin in einem Rundschreiben an die Abgeordneten nochmals für das Gesetz nach den Beschlüssen der zweiten Lesung Stellung genommen, indem er die Abgeordneten aufforderte, bei der dritten entscheidenden Lesung zur Beratung möglichst vollzählig zu erscheinen, damit die Gefahr einer erneuten Beschlußunfähigkeit vermieden und endlich, nach so heftigen jahrelangen Kämpfen und Agitationen jetzt noch in der Tagung des Reichstages dem Handwerkerstande eine Organisation zu teil werde, welche ihm ermögliche, auf verbesserten gesetzlichen Grundlagen, wie seither, ein erneutes Innungsleben zum Segen für seine Angehörigen aufzubauen und damit allmählich seinen organisatorischen Strebezielen in etwas näher zu kommen. Wir haben uns gewissenhaft bemüht, nach Möglichkeit Verbesserungen in den Gesetzentwurf hineinzubringen. In einzelnen Punkten ist uns dieses durch das Entgegenkommen einer handwerkerfreundlichen Mehrheit im hohen Hause gelungen; gewisse weitere Wünsche haben wir auf eine günstigere Zukunft in der Ueberzeugung vertagt, daß für jetzt ein Mehreres von den hohen Bundesregierungen nicht zu erlangen sei. Für uns muß es nunmehr Hauptsache sein, daß ehestens die Handwerkervorlage, wenn auch mit mannigfachen Mängeln behaftet, Gesetz werde, um bald in eine fruchtbare Thätigkeit zum Gedeihen unseres Handwerks eintreten zu können. Das wohlüberlegte Interesse des Handwerks ist aufs engste mit dem Umstande verknüpft, daß in der bevorstehenden dritten Lesung der beregte Gesetzentwurf mit den noch möglichen Verbesserungen angenommen und damit glücklich unter gesetzliches Dach und Fach gebracht werde.

Also auch der Zentralausschuß der vereinigten Innungsverbände war schließlich für Annahme des Gesetzentwurfes eingetreten, die dann auch nach der dritten Lesung, welche am 21., 23. und 24. Juni stattfand, endlich am 24. Juni mit 183 gegen 113 Stimmen erfolgte 2). Da auch der Verband deutscher Gewerbevereine in einer Petition vom 19. Juni 1897 für die Vorlage eingetreten war, so hatten sich schließlich alle gewerblichen Interessenvertretungen für Annahme des Gesetzes ausgesprochen.

Am 24. Juni wurde also endlich mit 70 Stimmen Majorität ein Organisationsgesetz angenommen, welches seit dem 5. Juni 1890 sich in Vorbereitung befand.

Fünf verschiedene Entwürfe waren im Laufe der Jahre in Frage gekommen.

Wohl nie ist bei einem Gesetzentwurf den Interessenten so viel

1) Verhandlungen des Reichstages IX, Legislaturperiode, IV. Session, 1895-97, S. 5942 f. 2) Verhandlungen des Reichstages, IX. Legislaturperiode, IV. Session, 1895/97, S. 6154 ff.

Gelegenheit gegeben worden, sich zu den Vorschlägen zu äußern und auf ihre Gestaltung einzuwirken. In allen Stadien des Entwurfes hat die Regierung Sachverständige aus dem Handwerkerstand mehrfach gehört und auf fast allen Tagungen der organisierten Handwerker haben Vertreter der Regierung sich bemüht, die Anschauungen und Wünsche der Interessenten kennen zu lernen. Die Regierung, namentlich die preußische, verdient nach dieser Richtung hin die allergrößte Anerkennung, die ihr leider so gut wie gar nicht zu teil geworden ist. Im Gegenteil, man hat die lange Verzögerung, die doch einzig und allein in der Schwierigkeit der Materie und der Ungunst der politischen Lage lag, der Regierung als Uebelwollen gegenüber dem Handwerkerstand ausgelegt.

Wir glauben so allerdings in sehr gedrängter Kürze eine Schilderung der siebenjährigen Vorbereitung des am 24. Juni angenommenen Organisationsgesetzes gegeben zu haben, und wollen nun, bevor wir zur Kritik des Gesetzentwurfes, wie er in der dritten Lesung des Reichstages angenommen ist, übergehen, zunächst den sogen. preußischen oder Berlepsch'schen Organisationsgesetzentwurf kurz charakterisieren, um die Unterschiede zum gegenwärtig angenommenen Gesetz darzulegen. Wir wollen zunächst nur den eigentlichen Organisationsentwurf behandeln und den Bestimmungen über das Lehrlingswesen in einem besonderen Abschnitt näher treten.

II. Vergleich des preußischen Entwurfes mit dem Gesetzentwurf vom 15. März 1897.

Die Berlepsch'sche Vorlage vom 5. August 1896 wollte zur Wahrnehmung der Interessen des Handwerks und zur Regelung des Lehrlingswesens im Handwerk Innungen, Handwerksausschüsse und Handwerkerkammern errichten.

Für über 80 namentlich aufgeführte Gewerbe sollten durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde Innungen im Zwangswege errichtet werden 1). Die unterste Stufe der Organisation sollte die Zwangsinnung bilden. Sie ist von der früheren Zunft vor allem dadurch verschieden, daß die Mitgliedschaft der Zwangsinnung eine Folge des Beginns eines Gewerbebetriebes ist, wogegen während der Zunftverfassung niemand ein Gewerbe betreiben durfte, der nicht Mitglied der Zunft war. Für die Frage, ob jemand ein Gewerbe ausüben darf, ist mithin die Errichtung der Zwangsinnung ohne jede Bedeutung. Die Innungen sollten für örtliche Bezirke errichtet werden, welche der Regel nach so abzugrenzen wären, daß kein Mitglied durch die Entfernung seines Wohnortes vom Sitz der Innung behindert wurde, am Genossenschaftsleben teilzunehmen und die Innungseinrichtuugen zu benutzen. Die Innungsbezirke sollten also nicht zu groß sein. Ferner sollten die Innungen in der Regel nur für ein Gewerbe errichtet werden.

1) F. Hoffmann, Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, Berlin 1896,

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