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Die preussische Herrschaft und die Stände am

Niederrhein 1).

Von Justus Hashagen.

Alte und enge Beziehungen verbinden den Niederrhein mit dem preussischen Staate. Nicht erst seit 1815, sondern schon seit 1609 sind Teile der westlichen Provinzen unauflöslich mit dem Schicksale der Hohenzollern'schen Monarchie verbunden. In diesem Jahre stirbt Johann Wilhelm, der letzte einheimische Herzog der vereinigten niederrheinischen Territorien. Neben andern erhebt der Kurfürst von Brandenburg als naher Verwandter Anspruch auf sein Erbe. Es gelingt ihm, diesen Anspruch nach unsäglichen Mühen, Kämpfen und Opfern u. a. für das Herzogtum Cleve und die Grafschaft Mark durchzusetzen.

Diese beiden Landschaften stehen jetzt seit drei Jahrhunderten unter preussischer Herrschaft. Das Jubiläumsjahr, das wir begehen, wird reiche Veranlassung geben, Wesen und Wert der alten Verbindung eingehend zu schildern. Die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde will bei solchen Erörterungen nicht zurückbleiben. Ihrer wissenschaftlichen und vaterländischen Aufgabe entsprechend, darf sie aus den vielen Fragen, die das Jubiläumsthema 'Preussen und der Niederrhein in Fluss bringt, vielleicht eine solche herausgreifen, welche von der historischen Wissenschaft schon seit langem mit Eifer und Erfolg behandelt worden ist, deren Beantwortung aber auch über die engen Grenzen der historischen Wissenschaft hinaus Beachtung verdient und Staats- und Verwaltungsrecht, Staats- und Verwaltungspolitik zu befruchten geeignet ist: die Frage nach dem Verhältnis der preussischen Herrschaft zu den Ständen am Niederrhein.

1) Vortrag, gehalten bei der Jahresversammlung der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde in Köln am 3. März 1909.

Westd. Zeitschr. f. Gesch, u. Kunst. XXVIII, I

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Da die über unsern Gegenstand vorhandenen Quellensammlungen und darstellenden Arbeiten 2) mehr gesamtpreussischen, als rheinischen Interessen dienen, wird es der Aufhellung unsers Problems nur förderlich sein, wenn man den Standort nicht sowohl in Berlin nimmt, an der preussischen Zentrale, als vielmehr in den rheinischen Landschaften selbst und somit die Frage nicht sowohl vom preussischen, als vom rheinischen Standpunkte erörtert. Daher zunächst eine Schilderung der ständischen Verfassung, wie sie in Cleve-Mark schon lange vor der preussischen Herrschaft bestanden hat. Die Stände selbst müssen erst greifbare Gestalt gewinnen, ehe man sagen kann, wie sie von den Preussen behandelt worden sind. Diese Behandlung ist fünfzig Jahre lang eine Bekämpfung gewesen. Bis zum Jahre 1660 leben die Stände und die brandenburgischen Kurfürsten in heftigster Feindschaft. Dann aber schliessen sie Frieden: sie finden einen modus vivendi, der Bestand hat bis zum Ausgange des alten Reiches.

Schon seit dem Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts hat sich in unsern Landschaften, wie in den meisten deutschen und wie namentlich in allen grösseren rheinischen Territorien, eine landständische Verfassung herausgebildet. Nicht der Fürst mit seinen Beamten hat das Regiment allein in Händen. Sondern bestimmte Gruppen des Volkes in Ausschüssen sind in bestimmten Grenzen am Regimente mitbeteiligt. Es kann hier weder die Aufgabe sein, Entstehung 3) und Details dieser Verfassung zu besprechen, noch auf die schwierigen Probleme ständischen Staatsrechts) im allgemeinen einzugehen. Es muss genügen, über Zusammensetzung, Geschäftsordnung und Befugnisse der Landtage einiges beizubringen, das alles nur zu dem Zwecke, um das spätere Verhalten der preussischen Regierung seit 1609 und seit 1660 in etwa verständlich zu machen.

Nach modernen Begriffen scheint auch eine ständische Vertretung um so wertvoller zu sein, ein je genaueres Bild sie von der wirklichen sozialen und beruflichen Schlichtung eines Volkes vermittelt, am vollkommensten dann, wenn sie möglichst alle Gruppen heranzieht und

2) A. v. Haeften, Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm V (1869); O. Hötzsch ebd. Stände und Verwaltung von Cleve und Mark (1908); M. Lehmann, Freiherr vom Stein I (1902). Unten als I, II, III zitiert.

3) I3 ff., vgl. G. v. Below, Territorium und Stadt (1900) S. 172 ff. 4) F. Tezner, Technik und Geist des ständisch-monarchischen Staatsrechts: Schmollers Forschungen 19 (1901). F. Rachfahl in Schmollers Jahrbuch 33 (1909). Dort weitere Literatur.

innerhalb der einzelnen Gruppe die Auswahl nicht allzu harten Qualifikationsbestimmungen unterordnet.

Aber in der Praxis ständischen Verfassungslebens werden solche Vorstellungen meistens zu schanden. Ganz abgesehen davon, dass die Stände vielfach überhaupt nicht als Volksvertretung aufgefasst werden, sondern vielmehr als zweite obrigkeitliche Gewalt neben dem Monarchen 5), so führen auch viele andere Gründe privater und öffentlicher Art, oft blosse Zufälligkeiten 6) dazu, dass sich die wirkliche von der idealen Vertretung oft weit unterscheidet. So fehlen auch in Cleve - Mark Bauern und Geistliche auf den Landtagen), und die beiden landtagsfähigen Stände selbst, die Ritter und die Städte ), erscheinen nur mit einem bescheidenen Bruchteile.

Besonders gilt das vom Adel 9). Ein landtagsfähiger Ritter muss vor allem einen guten Stammbaum haben 10), d. h. von Vaters und Mutters Seite vier adlige Mütter, acht sog. Quartiere; und zu der persönlichen kommt die dingliche Voraussetzung in Gestalt eines sog. Rittersitzes 11) im Werte von 6000 Rthlrn. Schon durch diese strengen Bestimmungen werden eine Reihe von adligen und grundbesitzenden Familien vom Landtage ausgeschlossen 12). Das wirkt um so beengender, als die landtagsfähigen Familien selbst eben wegen ihrer Exklusivität 13), wegen der harten Vorschriften über die Ahnenprobe, an Zahl im Laufe der Zeit, wie man das immer in der Sozialgeschichte beobachtet, ausserordentlich stark zurückgehen. Ausserdem ist der Absentismus, die Abwesenheit der Berechtigten auf den Landtagen, trotz der gezahlten Diäten 14) verhältnismässig gross, so dass die Ritterkurie ihren Sollbestand von c. 275 Mitgliedern 15) niemals auch nur annähernd erreicht.

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7) Die Begründung für das Fehlen des Klerus in III 103 erscheint mir willkürlich. Vgl. v. Below S. 188. 8) Vgl. v. Below S. 176.

9) II 246 ff. III 89. 103 f., vgl. Rachfahl S. 107 ff.

10) Vgl. v. Below S. 203 ff. 11) Vgl. v. Below S. 191. 207.

12) Dagegen werden auf dem Landtage Unterschiede zwischen Grafen, Freiherrn und niederem Adel nicht gemacht. Doch stehen praktisch die Freiherrn im Vordergrunde.

13) Doch wird der Rittersitz nicht fideikommissarisch gebunden. Daher kann durch Kauf eine Landtagsqualifikation an andere übergehen.

14) II 288. 295 ff.

15) Dies die Anzahl der Rittersitze: II 255 A. 1. III 104. Landtagsfähige Familien gibt es c. 140: II 252. In Kurcöln 227 Rittersitze: F. Walter, das alte Erzstift... Cöln (1866) S. 67.

Kaum 25 Ritter sind im Durchschnitt in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts anwesend, oft nur ein Dutzend 16). Ihre Zahl sinkt bis auf zwei, ja bis auf einen am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Auch die Vertretung der Städte ist höchst unvollständig 17). Von den etwa 50 Städten der beiden Landschaften sind nur 13 zum Erscheinen auf den Landtagen berechtigt. Sie stellen natürlich nicht frei gewählte Deputierte, sondern ihre Bürgermeister oder andere städtische Beamte. Die geringe Rolle, die besonders die Städte der Grafschaft Mark unter den Ständen spielen 18), entspricht wenigstens für das achtzehnte Jahrhundert in keiner Weise mehr ihrer wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung.

Ein weiterer in die Augen springender Mangel dieser Landtage ist die Geschäftsordnung 19). Es wird nicht nach Köpfen abgestimmt, sondern nach Ständen 20). Jeder Stand hat eine Stimme. Bei Uneinigkeit tritt das Verfahren gütlicher Verhandlung ein. Gerade diese Stände sind durch die mannigfaltigsten Gegensätze in sich aufs tiefste zerklüftet 21), zunächst durch den wirtschaftlichen und sozialen zwischen Rittern und Städten, der besonders in allen Steuerveranlagungssachen, wie die endlosen, mit Hartnäckigkeit geführten Matrikelstreitigkeiten bezeugen 22), fast unüberbrückbar ist. Dazu der landschaftliche Gegensatz zwischen Cleve und Mark 23), innerhalb des Herzogtums Cleve selbst der Gegensatz zwischen den linksrheinischen und den rechtsrheinischen Teilen und seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auch der konfessionelle Zwiespalt in beiden Kurien 24).

Obwohl also, wie man sieht, dieses Corpus als Ideal einer ständischen Vertretung selbst im ständischen Rahmen nicht bezeichnet werden kann 25), so ist der Kreis der Befugnisse, die diesem Corpus nicht nur

16) II 273 ff.

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17) II 252 ff. III 104; vgl. v. Below S. 214 ff. - 18) Vgl. II 273 ff. 19) Über den Mandatscharakter vgl. II 269. 286; v. Below S. 240 f. G. Jellinek, allgemeine Staatslehre I (1905) S. 680. Tezner S. 77.

20) Vgl. v. Below S. 237 ff. - 21) Vgl. II 254 f.; Tezner S. 20. 53 ff. 91. 22) I 20. 166 ff. 949 ff. 995 ff. 1024. III 8.

23) I 97; II 339 f. 526, 729 A. 3.

24) I 18. 22 f. 51. 61. 92. Die Stände sind keine juristische Person:

II 255 f.; vgl. Tezner S. 56 ff. gegen v. Below u. a.

25) Eine andere Frage ist es, ob die Stände rechtlich das Land oder nur sich vertreten haben. Darüber v. Below S. 243 ff., womit aber die Frage noch nicht entschieden ist. Vgl. Jellinek I 680 f. Tezner S. 69 ff. Rachfahl S. 103 ff. Unten Anm. 134.

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