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Provinzen von dem allgemeinen preussischen Rekrutierungssystem ausdrücklich ausgenommen 151). 1789 wird zwar angesichts der drohenden äusseren Verwickelungen eine Landes-Rekrutierungs-Convention' mit den Ständen von Cleve-Mark abgeschlossen; aber ihre Bedingungen sind für die Regierung ungünstig 152).

Je mehr ferner die staatsrechtlichen Fragen durch die Rezesse von 1660 und 1661 und ihre Auslegung ihre Erledigung gefunden haben, um so freier wird die Bahn für wirtschaftspolitische Betätigung der Stände 153). Auch in ihr haben sie das Interesse des Landes gegenüber der absolutistischen Schablone verfochten, wie insbesondere im Jahre 1783, wo sie der Einführung des Gewerbezwangs am Rhein, der den östlichen Unterschied zwischen Stadt und Land künstlich nach dem Westen verpflanzen will, einen beachtenswerten Widerstand entgegensetzen 154), womit sie auch nur wieder in alte Bahnen zurücklenken; denn auch schon früher sind sie zu Zeiten das wirtschaftliche Gewissen

des Landes gewesen. Man findet die Forderung der Schiffbarmachung von Ruhr und Lippe schon in ständischen Beschwerden vom 30. Januar 1647 155). Für Handel und Industrie bekunden sie oft lebhaftes Interesse. In der Zollpolitik haben sie ihre selbständigen Ansichten. Aus dem Jahre 1683 stammt ein umfassendes innerpolitisches Memorial, dessen wirtschaftspolitische Teile offenbar bei den Akten als schätzbares. Material liegen geblieben sind 156).

In der Frage der Jurisdiktionen endlich, deren Verleihung von der Regierung zu einseitiger Begünstigung gewisser Adelsfamilien ausgenutzt wird 157), haben die Stände bemerkenswerterweise das Interesse der staatlichen gegen die patrimoniale Justiz schon seit dem siebzehnten Jahrhundert wahrgenommen 158).

Nach dem allen muss es trotz neuerlichen Widerspruchs 159) im Anschluss an Lehmann noch immer als höchst bedeutsames Zusammentreffen erklärt werden, dass der Freiherr vom Stein seine politischen und verwaltungspolitischen Lehrjahre grade in Cleve-Mark

151) SII Nr. 1518 S. 1352 f, bestätigt 1787 ebd. IV Nr. 2349 S. 2296 ff. 152) S III Nr. 2403 und 2406 S. 2330 ff.

153) Vgl. II 284. 327, 337 ff. 414 f. 553 A. 2. 825 ff.

154) III 122 ff. Vgl. S III Nr. 2440 S. 2355 ff.

155) I 321; vgl. 367. 639 f. II 825. III 104.

156) II 691 ff.

157) I 117 f. 952. II 12. III 93.

158) I 349 ff. 354 ff. 623. 634. 638. II 12. 177 ff. III 104.

159) v. Meier II 126.

verlebt hat, in fortgesetzter Berührung mit einem lebenskräftigen Ständewesen und einer durchgebildeten Selbstverwaltung. Eben dies Zusammentreffen bringt es uns nahe, zum Schlusse den allgemeinen Wert der niederrheinischen Provinzen kurz zu erörtern.

Man hat die äusserpolitische Bedeutung der frühen niederrheinischen Erwerbungen für die Krone Preussen oft hervorgehoben 160). Für unsere an grössere politische Räume gewöhnten Augen ist es zwar nur ein recht bescheidener Landbesitz, den Preussen vor dreihundert Jahren erworben hat. Aber es kommt hier nicht auf die Grösse an, sondern auf die Lage. Zuerst durch die Erwerbung von Cleve-Mark hat sich Preussen umfassende Gebiete im alten deutschen Mutterlande angegliedert, hat es aufgehört, ein reiner Kolonialstaat zu sein, und ein kräftiges Gegengewicht bekommen gegen den gefährlichen, d. h. den deutschen Charakter Preussens gefährdenden Ausdehnungsdrang nach dem Osten. Durch seine Stellung am Niederrhein wird es hineingezogen in die westdeutsche und damit in den meisten Fällen auch in die westeuropäische Politik.

Das alles ist gewiss richtig und will wohl überlegt sein. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Zum äusserpolitischen kommt der innerpolitische Einfluss, den diese Landschaften ausgeübt haben. In den westlichen Provinzen ist dem preussischen Absolutismus eine freiheitlichere Organisation entgegengetreten, mit dem Erfolge zwar, dass sie ausschweifende, mit dem Hochverrate spielende Pläne nach langem, hartem Kampfe hat drangeben müssen, dass sie sich aber dann, nach dem Friedensschlusse, in einem begrenzteren Machtbereiche gegenüber dem Absolutismus durchaus behauptet hat. Es gibt eine wenig beachtete Ecke des preussischen Staates, wo dieser Absolutismus nicht schrankenlos gebietet, wo sich vielmehr aus mittelalterlicher Vorzeit autonome, nicht von ihm geschaffene Mächte erhalten haben, die in bestimmter Umbildung vielleicht noch eine grössere Zukunft haben als dieser Absolutismus selber, dessen historische Mission erfüllt ist, als die Revolution heraufzieht 161).

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Ohne die grossen innerpolitischen Verdienste des Absolutismus, die ja neuerdings mit besonderem Eifer erforscht werden, verkleinern zu wollen es muss doch gesagt werden, dass man kein Recht hat, überall einfach für den absoluten Staat gegen die Stände Partei zu ergreifen 162).

160) I 102. II 354. 161) Vgl. J. Hansen, G. v. Mevissen I (1906) S. 202 f. 162) Das ist noch bei v. Haeften, der unter dem bekannten Droysenschen Einflusse steht, deutlich. S. I 99 ff. 781. Vgl. v. Meier II 120, Tezner

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Gewiss zeigt auch das niederrheinische Ständetum tiefe Schatten. Man darf dahin auch jene auffallende Interesselosigkeit gegenüber grösseren Zielen der gesamtpreussischen Politik rechnen 163). Nach der Schlacht bei Fehrbellin z. B. schicken die Stände am 17. Juli 1675 ein merkwürdiges Schreiben an den Kurfürsten 164). Natürlich congratulieren sie ihm von Herzen und sagen dem Allerhöchsten Lob und Dank. Aber vor allem meinen sie, dass der Kurfürst nun genug gesiegt habe und dass er sich schonen müsse, dass E. Ch. D. bevorab, da Sie in diesen . . . actionen überflüssige ehre eingeleget und so grosse reputation erlanget haben, dero hohe Person . . . hinführo zu mesnagiren unnd . . . hierinnen dem rath und vorsorge der Männer Davids 2. Samuel 21, vers 17, gnädigst zu folgen", wo es nämlich heisst: Du sollst nicht mehr mit uns ausziehen in den Streit, dass nicht die Leuchte in Israel verlösche. Ein genaues Studium der Ständeakten wird am besten vor einseitiger Überschätzung bewahren. Und doch ist in ihnen auch viel fruchtbares und selbständiges politisches und verwaltungspolitisches Gedankenmaterial zutage gefördert worden. Ein erster Kenner, wie der Freiherr vom Stein, hat das oft genug gerühmt. In der inneren preussischen Geschichte im 19. Jahrhundert findet man die Spuren davon. Auch am Rheine ist im Kampfe um die Verfassung mancher altständische Gedanke der Vergessenheit entrissen und fruchtbar ausgestaltet worden.

Es ehrt die preussische Herrschaft, dass sie die ihr oft so unbequeme ständische Verfassung nicht zerstört hat. Erst der Revolution. ist sie zum Opfer gefallen. Aber die niederrheinischen Stände haben sich einen würdigen Abgang gesichert. Sie haben sich redlich bemüht, zu retten, was zu retten war, und jedenfalls Opposition gemacht bis zum letzten Augenblicke, so scharf und so organisiert, wie man sonst am Rheine noch nirgends beobachtet hat 165).

Man hält der deutschen Verfassungsentwicklung so oft die englische als Muster vor und beklagt das Fehlen historischer Kontinuität

S. 35 ff.; 53 A. 3; 65 A. 3; 80 ff., 97 f., die sich von andern Gesichtspunkten aus gegen die Stände wenden. - Die 'borussische' Geschichtsschreibung Droysens ist geistesgeschichtlich jetzt erst von Friedrich Meinecke richtig eingeordnet worden (Weltbürgertum und Nationalstaat, 1908, S. 431 ff.).

163) II 345.

164) II 559.

165) Näheres in meiner Arbeit über das Rheinland und die französische Herrschaft (1908) S. 97 ff. 307 ff. (Statt Burick und Ossenburg im Text und Register 1. Büderich und Ossenberg.) Vgl. F. Nettesheim, Geschichte der Stadt und des Amtes Geldern I (1863) S. 573 ff.

auf dem Kontinent. In den meisten Fällen sicher mit Recht. Aber übersieht man nicht dabei bisweilen, dass es in Deutschland vor der Revolution eine ganze Reihe lebensfähiger ständischer Verfassungen gab, die, wenn ruhigere äussere Verhältnisse geherrscht hätten (eine Voraussetzung, die eben nicht erfüllt war), vielleicht noch im neunzehnten Jahrhundert fähig gewesen wären, die Ansprüche der Gegenwart mit dem Rechte der Vergangenheit zu versöhnen?

Freilich haben diese deutschen ständischen Verfassungen gegenüber der englischen ausnahmslos ein rückständiges und überlebtes Ausseben. Das gilt nun doch auch von der niederrheinischen. Es ist eine beschämende Tatsache, dass in dar ganzen langen Friedenszeit von 1660-1794 weder von Seiten der Stände, noch von Seiten des Hofes irgend nennenswerte Versuche gemacht worden sind, jene Missstände, von denen andeutungsweise die Rede war, einzuschränken oder zu beseitigen, den Vertretungsmodus zu verbessern, ihn mit der fortschreitenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Einklang zu bringen, überhaupt dem konstitutionellen Vertretungs- gegenüber dem altständischen Obrigkeitsgedanken 166) zum Siege zu verhelfen. Es ist gewiss echt deutsch, dass diese Stände am Vorabend der Revolution noch genau so tagen, wie sie es am Schlusse des Mittelalters auch schon getan haben. Und doch ist auch das kontinentale Ständewesen entwicklungsfähig gewesen und hat neue zukunftsreiche Gedanken aus sich geboren. Wer in Deutschland schon vor der Revolution auf freiheitliche politische Gesinnung etwas hält, steht mehr oder minder zu den Ständen in Beziehung. Montesquieu ist recht eigentlich in ständischer Luft gross geworden; und eben er eröffnet die konstitutionelle Theorie 167). Wir können eine ähnliche Erscheinung in den kleinen deutschen Verhältnissen nicht erwarten. Ein solcher politischer Denker ist auch am Niederrhein nicht erstanden. Aber ebenso viel, als die grosse Theorie und der Mann mit dem europäischen Namen, gilt vielleicht die stille, bescheidene, selbständige Arbeit dieser niederrheinischen Landtage. Von 1666-1694 haben jedes Jahr im Durchschnitt sieben Partikular- und Plenarversammlungen stattgefunden 168). Nicht nur der Arbeitseifer der Stände 169), sondern ebenso der schleppende Geschäftsgang haben diese

166) Vgl. II 269. Die Abweichungen des ständischen vom konstitutionellen Staatsrecht sind doch wohl noch grösser, als Rachfahl, v. Below, Lehmann, Hötzsch u. a. annehmen. Vgl. Tezner.

167) Vgl. Tezner S. 70 f.

168) II 273 ff. 169) Von Tezner S. 20 f. nicht genug beachtet.

Zahl herbeigeführt. Aber auch sie ist vielleicht geeignet, vor einer Unterschätzung dieser selbstgewachsenen Gebilde zu warnen.

Auch in Cleve-Mark ist das Ständetum trotz seines hohen Alters, unter dem es oft zu leiden hat, eine Vorschule freierer politischer Organisation gewesen. Hier bedurfte es', wie man mit Recht gesagt hat 170), 'keiner besonderen Berührung für diese Stände mit den Ideen von aussen, von Frankreich und England her, um in ein konstitutionelles Denken hereinzuwachsen. Auch in innerpolitischer Beziehung, schliessen wir, ist der preussische Staat vom Westen aus befruchtet worden, und zwar nicht nur durch die freieren Anschauungen des ganzen 1815 erworbenen Rheinlands, sondern auch schon durch Keime und Ansätze dazu, die wir in den niederrheinischen Erwerbungen des Jahres 1609 vorfinden. Insofern dürften die Stände von Cleve-Mark einen Ehrenplatz bei der Jubiläumsfeier beanspruchen.

170) II 270; vgl. Rachfahl S. 129 f.

Die sog.,,Reformation des Kaisers Friedrich III.", ein Reichsreformplan

der westdeutschen Reichsritterschaft.

Von Dr. H. Werner in Düren.

I. Verfasser und Entstehung der Schrift 1).

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In der literarischen Hochflut, von der die kirchliche und soziale Bewegung in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts getragen wurde, nimmt die sog. Reformation des Kaisers Friedrich III. einen besonderen Platz ein. Sie trat unter dem pomphaften Titel: Teutscher Nation Notturft, die Ordnung und Reformation aller Stände im römischen Reich durch Kaiser Friedrich III." mit dem Unterfangen, das ganze römische Reich deutscher Nation zu reformieren", gedruckt 1523 an die Öffentlichkeit. So ist es einigermassen zu verstehen, wenn Boehmer 2), ihr

1) Ein zweiter Abschnitt, der die Quellen der Schrift untersucht, wird in einem der nächsten Hefte erscheinen.

2) Boehmer G. W., Kaiser Friedrichs III. Entwurf einer magna charta für Deutschland oder die Reformation dieses Kaisers vom Jahre 1441, Göttingen (1818). Ein Exemplar dieses anscheinend seltenen Buches wurde mir von Herrn Prof. Dr. Werminghoff in Königsberg zur Verfügung gestellt.

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