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auf dem Papier übertragen worden sind, sondern die es in der Praxis ausübt, höchst umfassend. Die Stände sind in Cleve-Mark eine wirkliche politische Macht gewesen, und zwar zu Zeiten überhaupt die einzige, die es in den niederrheinischen Landschaften gegeben hat.

Wie überall, so bildet auch am Niederrhein das Steuerbewilligungsrecht das Rückgrat der ständischen Rechte 26). Es erhält dadurch noch eine besondere Stütze, dass die Stände auch in der Steuerverteilung und -erhebung wenigstens an den lokalen Stellen beteiligt sind. Ihr dienen die ganz von ihnen beherrschten, allerdings nun auch von den in Cleve-Mark verhältnismässig gut gestellten Bauern mit beschickten Amts- oder Erbentage 27), deren Befugnisse sich über die Steuererhebung wenigstens in späterer Zeit noch weit hinaus auf die verschiedensten Gebiete der lokalen Verwaltung erstrecken, so weit, dass man berechtigt ist, von einer Art Selbstverwaltung zu reden, und dass man an die enge Verbindung zwischen der Selbstverwaltung und dem Stände wesen Englands als an eine bedeutsame Parallele erinnern darf.

Es liegt im Wesen des Steuerbewilligungsrechtes, dass es regelmässig ausgeübt wird. Daher die Regelmässigkeit, die Periodizität der Landtage 28). Ferner bietet das Recht eine Handhabe, nun auch andre Teile der Verwaltung zu beeinflussen 29), namentlich die Domänen, die Zölle und das Heerwesen. Der mannigfache hier nur anzudeutende Einfluss der Stände auf die Verwaltung ausserhalb des Steuer wesens ist um so grösser, als grundsätzlich der Indigenat herrscht, d. h. nur Einheimische dürfen in den Landschaften als Beamte angestellt werden. Sie brauchen nicht zum Gremium der Stände zu gehören, sind aber persönlich aufs stärkste von ihnen abhängig.

Aus solchen Zuständen kann sich sehr leicht eine vollkommene ständische Nebenregierung, ein Condominat, entwickeln, gerade in CleveMark um so leichter 30), als die letzten beiden einheimischen Herrscher ihrer persönlichen Eigenschaft nach ausser stande sind, eine starke Monarchie zur Geltung zu bringen. Man bemerkt, wie die Stände

26) Vgl. Rachfahl S. 95 ff.

27) Diese lokale Organisation bedarf noch einer neuen Spezialuntersuchung. Vgl. II 66 f. 125. 151. 153. 227 ff. 329. III 100 ff. Scotti, Sammlung der Gesetze . . ., welche in ... Cleve und... Mark... ergangen sind (unten als S zitiert) II 755; 1091; 1110; 1329; III 1398 f.; 1430: IV 1833 ff. u. ö. 28) III 98; vgl. Rachfahl S. 111.

29) Tezner S. 22 A. 4; 65; Rachfahl S. 119 ff.

30) Vgl. Tezner S. 3 f.

einzelne Teile der Verwaltung selbständig organisieren 31). Sie entwickeln eine eigene ständische Finanzverwaltung. Sie halten durch Begründung adliger sog. Jurisdiktionen, die sich nicht nur auf adlige Güter, sondern auch auf Domänen erstrecken, die staatliche Gerichtsbarkeit in engeren Schranken. 1486 bewirken sie eine Neuordnung der kurfürstlichen Verwaltung 32). 1501 schaffen sie einen förmlichen ständischen Regimentsrat 33), 1587 eine ständische Landes verteidigung 34). Die Stände erheben ferner Anspruch auf die Versammlungsinitiative 35). Zu eigenem Rechte und aus eigenem Antrieb treten sie zusammen.

Ein Staat, in dem die Stände zu solcher Macht gelangt sind, ist kein Einheitsstaat mehr, sondern ein dualistischer 36) Man hat in ständischen Staaten stets die Vorstellung, dass ein Vertrag zwischen zwei selbständigen Mächten, dem Fürsten und den Ständen, abgeschlossen ist wenn der Fürst den Vertrag bricht, die Privilegien der Stände verletzt, sind diese nicht mehr verpflichtet, ihm zu gehorchen. Wie überall, ist ursprünglich auch in Cleve-Mark das Widerstandsrecht der Stände die Krone des ganzen Gebäudes 37).

Und doch ist dies alles nur die eine Seite ständischer Vollgewalt. Durch die bisher aufgezählten Rechte wird allerdings die innere Souveränität des Fürsten ausserordentlich schwer beeinträchtigt. Aber er bleibt wenigstens nach aussen hin sein eigener Herr: die Landesgrenze ist gewissermassen auch die Grenze der ständischen Befugnisse. gibt Staaten, in denen sie diese Aufgabe übernimmt.

Es

Aber unsere Landschaften gehören nicht zu dieser bescheideneren Gruppe. In Staaten, deren äussere Politik den stärksten Schwankungen ausgesetzt, denen nur selten eine längere Friedenszeit beschert ist, führt das ständische Steuerbewilligungsrecht von selbst zur Beeinflussung auch der auswärtigen Politik 38). In den niederrheinischen Landschaften ist

31) Über das 'Selbstgesetzgebungsrecht der Stände s. Tezner S. 31 ff. und unten S. 22 über ihre Legislative.

32) K. Schottmüller in Schmollers Forschungen XIV 4, 1897, S. 7 ff. 84 ff. Vgl. Scotti, Sammlung der Gesetze . . ., welche in . . . Jülich, Cleve und Berg ergangen sind I (1821) Nr. 6 S. 7.

33) 19. 331: SI Nr. 11 S. 30 ff.; vgl. ders. für Jülich etc. ebd. Nr. 18 S. 17. 34) I 27 f.; SI Nr. 98 S. 194 ff.

35) Vgl. v. Below S. 235.

36) An diesem Ausdruck ist trotz Tezner S. 77. 85 f. festzuhalten. Vgl. Rachfahl S. 114 ff. 122 ft.

37) Duisburger Rezess von 1509: I 11; vgl. 151 f. und Rachfahl S. 115 f. 38) Vgl. v. Below S. 253 und I 859 A. 2; 879.

diese allgemeine Vorbedingung auf das beste erfüllt; denn seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts 39) beginnt eine lange Kette der verheerendsten Kriege; je weniger aber der Landesherr für sich allein imstande ist, sich gegenüber dem allgemeinen Chaos zu behaupten, um so mehr ist er auf die Stände und ihre Bewilligungen angewiesen, um so eher wird auch der Krieg unter die Dinge aufgenommen, die ständischer Willigung unterliegen. Endlich wird auch die Diplomatie mit einbezogen, und zwar im dualistischen Sinne. Nicht sowohl an der Seite der herzoglichen Räte verhandeln die Stände mit auswärtigen Mächten, als vielmehr ganz selbständig. Sie haben im Auslande ihre Residenten. Das Ausland tritt mit ihnen direkt in Verbindung. Die verfassungsgeschichtliche Bedeutung des langwierigen Erbfolgestreites 40) ist vor allem auf diesem Gebiete zu suchen. Indem während der ersten Phasen dieses Streites die Zügel der Regierung dem einheimischen Fürstentum entgleiten, treten die Stände vielfach an die Stelle der Herzoge: mit ihren verhandeln die fremden Prätendenten. Die Stände verkörpern in sich die Kontinuität der Entwicklung. Sie sind die einzige Macht, durch die das Land beim ersten Teilungsvertrage des Jahres 1609 vertreten ist.

Die hier kurz skizzierte Entwicklung der ständischen Macht in Cleve-Mark vor der preussischen Herrschaft würde, wenn man sich auf Einzelheiten einlassen dürfte, keine so geraden Linien zeigen 11). Schon die einheimischen Fürsten haben sich gegen die Stände zur Wehr gesetzt, wie namentlich Johann III.42). Aber das sind nur Episoden. Das allgemeine Urteil über die Stellung der Stände in der vorpreussischen Zeit wird dadurch nicht geändert: auf inner- und auf äusserpolitischem Gebiete erscheint ihre Macht bis zum vollständigen Condominat gesteigert.

Man versteht sofort, dass eine solche Fülle der umfassendsten und in fast alle Zweige der Verwaltung und Politik aufs tiefste eingreifende Rechte oder Usurpationen nicht mit einem Schlage beseitigt werden kann. Es wäre nur möglich gewesen, wenn das Jahr 1609 in Cleve-Mark eine Dynastie von überragender materieller und moralischer

39) I 17 ff. Vgl. Scotti für Jülich etc. I Nr. 117 S. 52.

4) I 31 ff. J. Krudewig im Düsseldorfer Jahrbuch 16 (1902) S. 9 ff. 17 ff. 38 ff. M. Ritter, deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation II (1895) S. 283 ff.

41) Den fluktuierenden Charakter nicht nur ständischer Macht, sondern auch ständischen Rechtes hat Tezner S. 5 ff. mit Recht hervorgehoben. 42) I 13 ff. Schottmüller S. 12 ff.

Macht ans Ruder gebracht hätte. Das sind aber die Hohenzollern in dieser Zeit noch keineswegs. So ist der Beginn der preussischen Herrschaft am Niederrhein keineswegs das Ende des ständischen Regimentes. Nicht einmal eine Schwächung wird sofort herbeigeführt.

Bei genauerem Zusehen hat sich die Situation allerdings doch verändert. Obwohl es den Kurfürsten von Brandenburg noch auf lange hinaus an wirklicher Macht gebricht, so treten sie den Ständen gegenüber doch mit ganz anderen landesfürstlichen, absolutistischen Prätensionen auf, als die alten Herzoge. Obwohl die Überwindung des ständischen Gegners zunächst völlig aussichtslos ist, wird der Kampf doch sofort aufgenommen. Dieser Kampf dauert ein halbes Jahrhundert. Er endet im Jahre 1660 mit einem Siege des Absolutismus. Aber dieser Sieg ist ein Pyrrhussieg. Die Kurfürsten haben die Stände während dieses langen Kampfes nicht allmählich und planmässig aus einer Position nach der andern verdrängt; sondern der Kampf hat ein regelloses und sprunghaftes Aussehn: das eine Mal finden wir das absolute Fürstentum schon mitten in der feindlichen Stellung, im Begriffe, den Gegner zu werfen. Aber der Gegner erhebt sich schon bald wieder mit neuer Kraft, macht die Verluste wieder wett und erreicht im Jahre 1649, als der Kampf schon vierzig Jahre gewährt hat, noch einmal die Garantie aller wesentlichen Teile seines Machtgebietes. Aber es ist nur ein Waffenstillstand. Der Streit setzt sich sehr bald wieder fort. Schärfer als je entwickelt er sich in den fünfziger Jahren. Nur einiges aus den beiden Perioden dieses Kampfes vor und nach 1649 darf angeführt werden, um die angedeuteten Linien etwas klarer hervortreten zu lassen.

Im Jahre 1609 werden den Ständen von Brandenburg die Hauptrechte gewährleistet 43). Insbesondere sollen die Stände dann nicht mehr zum Gehorsam verpflichtet sein, wenn das Haus Brandenburg mit seinem Erbschaftskonkurrenten, dem Hause Pfalz-Neuburg, in Konflikt gerät. Als in den folgenden Jahren unter den beiden Fürsten, den sog. Possidierenden, nun doch Zwistigkeiten ausbrechen, erklären sich die Stände sofort für neutral und erreichen es dann später, dass der Xantener Vertrag von 1614 von neuem den Schutz ihrer Rechte ausspricht 44).

43) Die brandenburgischen Gesandten haben sogar Erweiterung der Privilegien versprochen. Ähnliches noch auf dem Landtage von 1609: I 40. 43. Vgl. Scotti für Jülich etc. I Nr. 180 f. S. 67 und Tezner S. 49 ff.

44) In strittigen Fällen haben die Stände das Auslegungsrecht: I 48. Über seine prinzipielle Bedeutung s. Tezner S. 40 A. 5.

Das Geringste

Die äusserpolitische Rolle spielen sie ruhig weiter 45). ist noch dabei, dass sie mit den Ständen der beiden von Pfalz-Neuburg besetzten Teilungslande, von Jülich und Berg, in ständiger, häufig 46) durch feierliche Unionen noch besonders bestätigter Verbindung bleiben.

Die Brandenburger versuchen seit 1616 unter der Führung Adams von Schwarzenberg 47) mit den Mitteln modern-absolutistischer Verwaltung in das ständische System Bresche zu legen. Aber ihr erster schlecht vorbereiteter, in Ziel und Mitteln verfehlter, in der Art der Ausführung überhasteter Versuch scheitert vollkommen. Der Grund dieses Misslingens liegt aber nicht nur auf der brandenburgischen Seite, sondern ebenso auf der Seite der Stände und in den allgemeinen Verhältnissen.

Alleine freilich fühlen sich die Stände nun doch zu schwach, den Stoss des absoluten Staates zu parieren. Ganz im Einklange mit ihren alten Traditionen in der vorpreussischen Zeit suchen die Stände ihre Stütze im Kampfe gegen den neuen Herrn, dem sie natürlich nicht minder misstrauisch gegenüberstehen, als jedem der anderen fremden Prätendenten, einfach im Ausland. Keine aber von allen auswärtigen Mächten ist den Ständen von Cleve-Mark wesensverwandter als die aristokratische niederländische Republik der sog. Staaten 48). Schon nahe innere Beziehungen verbinden wenigstens das Herzogtum Cleve mit den Niederlanden: die Ähnlichkeit der Sprache und der Sitten, vor allem auf dem linken Rheinufer, und die Ähulichkeit der politischen, nämlich der ständischen Anschauungen. Nicht umsonst erscheinen die Staaten im Xantener Vertrage als Garanten der ständischen Rechte. Dazu kommen äusserliche, aber nicht minder zwingende Tatsachen: verwandtschaftliche Beziehungen zwischen dem niederländischen und dem clevischen Adel und auch der Umstand, dass der letztere auf staatischem Boden begütert ist. Die staatischen Garnisonen in den clevischen Städten schlingen ein sichtbares Band 49). Dazu tritt als stärkstes Mittel die private und öffentliche Abhängigkeit des gesamten Landes von dem übermächtigen holländischen Kapital.

45) Auch befassen sie sich selbständig mit dem Kriegswesen und be

setzen Festungen mit eigenen Truppen: 1 44 f. 48.

46) 1629, 1631, 1637, 1647 zuerst 1496. Vgl. II 257 ff. 421 A. 1.

E. Baumgarten im Düsseldorfer Jahrbuch 18 (1903) S. 35 ff.

47) I 49 ff.

48) I 90; vgl. 408 f.; III 90.

49) I 94 ff.

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