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Zur Entstehungsgeschichte des

sächsischen Stammes.

Von Martin Lintzel.

Bekanntlich saßen die Sachsen nach der Angabe des Ptolemäus, bei dem ihr Name zum erstenmal erscheint, rechts der Elbe auf dem ,,Nacken des Kimbrischen Chersonnes", also im heutigen Holstein. Vielleicht schon gegen Ende des dritten, sicher um die Mitte des vierten Jahrhunderts, müssen sie in der Nähe des Niederrheins gestanden haben. Im sechsten Jahrhundert erreichten sie die Gegend an Saale und Unstrut, und etwa ums Jahr 700 füllten sie im wesentlichen die Grenzen aus, die sie zur Zeit Karls des Großen einnahmen, und die später das sächsische Herzogtum behauptet hat.

Für die Frage, wie sich der Name der Sachsen von Holstein aus auf das weite Gebiet, das er schließlich umspannte, ausgedehnt hat, läßt die gleichzeitige schriftliche Überlieferung auf weite Strecken völlig in Stich. Infolgedessen gehen die Meinungen darüber sehr auseinander. Im wesentlichen haben sich zwei entgegengesetzte Ansichten gebildet: Während die Archäologen auf dem Standpunkt stehen, daß die nordalbingischen Sachsen in das südelbische Land erobernd eingewandert seien, vertreten die Historiker im allgemeinen (freilich mit Ausnahmen) die Ansicht, die Sachsen des Ptolemäus seien immer jenseits der Elbe geblieben; mit ihnen hätten sich die südelbischen Stämme auf im großen und ganzen friedlichem Wege zu einem Bunde vereinigt und dabei ihren Namen angenommen; man könnte danach von einem Sachsenbunde reden, ähnlich wie man von einem Franken- oder Alemannenbund spricht.

Im folgenden soll zu dieser Frage, vor allem auf Grund des Materials, das die schriftliche Überlieferung bietet, Stellung genommen werden 1).

1) Es kommt hier im wesentlichen bloß auf die Beantwortung dieser einen Frage an. Alle Rätsel, die die sächsische Frühgeschichte aufgibt, zu lösen oder auch nur zu streifen, liegt diesem Aufsatz ganz fern. Ebensowenig kann er sich mit jeder einzelnen abweichenden Meinung der umfangreichen Literatur auseinandersetzen.

I.

In dem Gebiet, das nach Ptolemäus die Sachsen bewohnten 2), hausten nach dem, was man aus Tacitus' Worten in der Germania3) entnehmen möchte, Reudinger und, wenigstens teilweise, Avionen1). Da man glaubt, daß die Nachrichten des Ptolemäus über die Kimbrische Halbinsel auf die Erfahrungen zurückgehen, welche die römische Flotte bei ihrem Vorstoß nach Jütland während des Feldzuges des Tiberius im Jahre 5 n. Chr. gesammelt hat, während Tacitus jüngere Nachrichten zur Verfügung hatte"), so folgert man, daß schon in Nordalbingien die Sachsen ein Sammelname für verschiedene Völker waren,,,daß der Sachsenname bereits um Christi Geburt als eine mehrere (mindestens zwei), einander benachbarte und näher verwandte Völker umfassende Bezeichnung in Gebrauch ist"). Danach erscheinen die Sachsen also bereits bei ihrem ersten Auftreten als Sachsenbund.

Doch die Grundlage, auf der sich diese Meinung aufbaut, ist völlig haltlos. Es mag zwar richtig sein, daß die Kenntnisse der Römer über die geographische Lage der Jütischen Halbinsel und besonders die ziemlich richtige Vorstellung, die Ptolemäus davon hat, von der Flottenfahrt des Jahres 5 herrühren. Aber damit ist nicht das geringste darüber gesagt, daß auch das, was Ptolemäus über die ethnologischen Verhältnisse des Nordens erzählt, auf dies Ereignis zurückgeht. Die Annahme, daß,,die Angaben des Tacitus aus einer jüngeren Quelle stammen“), setzt ja bereits voraus, daß die Römer auch nach dem Jahre 5 noch Nachrichten über die Länder nördlich der Elbe erhielten. Zweifellos hat es, wenn auch keine kriegerischen Expeditionen mehr in diese

2) Cl. Ptolemai geographia, lib. II, c. XI, 7 (ed. C. Müller, Paris 1883, Bd. I, S. 257).

3) Taciti Germania c. 40.

') Vgl. Ludwig Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgange der Völkerwanderung II (1918), S. 37 f.

5) Vgl. G. Holz, Beiträge zur deutschen Altertumskunde I, Über die germanische Völkertafel des Ptolemäus (1894), S. 23 ff. Ebenso W. Seelmann, Ptolemäus und die Sitze der Semnonen (Jahrbuch d. Vereins für niederdeutsche Sprachforschung XII, 1886), S. 39 ff. Vgl. L. Schmidt a. a. O.

) L. Schmidt a. a. O. Ähnlich auch L. Weiland, Die Angeln (Festgabe für G. Hanssen, Tübingen 1889), S. 145. Auch schon K. Müllenhoff, Die deutschen Völker an Nord- und Ostsee in ältester Zeit (Nordalbingische Studien I, 1844), S. 119 f. Die Ansicht, daß die nordalbingischen Sachsen ein Bund waren, ist überhaupt sehr häufig vertreten; neuerdings auch von E. Rosendahl, Gesch. Niedersachsens im Spiegel der Reichsgesch. (1927), S. 9, worauf mich Herr Professor Holtzmann aufmerksam macht.

7) L. Schmidt II, S. 37 f.

Gegenden vordrangen, genug Wege gegeben, auf denen sie sich über die Zustände in diesen Ländern informieren konnten; schon allein die feindlichen oder freundlichen Berührungen mit den rechtsrheinischen Völkern, besonders mit den Chauchen, mußten ihnen Kunde über deren nordöstliche Nachbarn bringen.

Zwar hat gerade Ptolemäus manche alte und durch Tacitus' Germania längst veraltete Nachrichten über Deutschland in seiner Geographie verarbeitet3); aber daß viele seiner Angaben auf gute und jüngere Quellen zurückgehen, als sie Tacitus besaß, ist trotzdem nicht zu bezweifeln. Das gilt vor allem für seine Beschreibung der Länder am Oberrhein und an der oberen Donau). Seine Angaben über Norddeutschland sind freilich oft rätselhaft, und besonders alle von ihm auf der Kimbrischen Halbinsel aufgezählten Völker wiederzufinden oder mit denen, die Tacitus dort kennt, zu identifizieren, ist kaum möglich. Aber daß das Ptolemäische Völkerverzeichnis für Schleswig-Holstein und Dänemark einen älteren Zustand widerspiegelt als den, welchen Tacitus im Auge hatte, ist durch nichts zu erweisen. Im Gegenteil scheinen einige seiner Angaben darauf hinzudeuten, daß es einer späteren Zeit angehört1o). Außerdem hat Ptolemäus die Germania des Tacitus. gekannt und benutzt11). Trotzdem hat er an die Stelle der von Tacitus im Lande rechts der Elbe genannten Völker die Sachsen gesetzt. Die Reudinger des Tacitus lassen sich in der Zeit nach der Germania dort nicht wieder auffinden. Daß aber die Sachsen auch später dort gesessen haben, ist keine Frage. Unter diesen Umständen ist doch die selbstverständliche Erklärung der Abweichung des Ptolemäus von der Germania, daß Tacitus die älteren, Ptolemäus die jüngeren Verhältnisse schildert.

8) Es ist übrigens bei solchen antiquierten Angaben über teilweise längst untergegangene Stämme nicht unbedingt vorauszusetzen, daß sie Ptolemäus immer aus einer veralteten Quelle bezogen hat. Er kann sie sehr gut aus Quellen, die recht jung und neu waren, bekommen haben; nämlich, (natürlich indirekt,) durch zu seiner Zeit lebende Germanen selbst. Wie die germanischen Ethnologen und Geographen, wenn man sie so nennen will, arbeiteten, lehrt am deutlichsten der Widsidh: Sie brachten Material, das Jahrhunderte auseinanderlag, zusammen. Um das Jahr 100 wird man darin nicht anders verfahren sein, als um 600, und die Römer dürften manchmal auf so entstandene, stark poetische Völkerverzeichnisse hereingefallen sein.

*) Vgl. Holz, S. 22.

10) Vgl. das, was unten, S. 8f. über Angeln und Warnen gesagt ist. Daß auch bei den östlicheren Stämmen Ptolemäus vielfach besser Bescheid weiß und neuere Kenntnisse hat, als Tacitus, ist bekar.nt.

11) Vgl. Holz S. 1 und sonst passim.

Daß die Reudinger in den Sachsen aufgegangen sind, ist nicht zu bezweifeln 12): sie saßen sicher in dem Land, das später den Sachsen gehörte, und seit deren Auftauchen ist ihr Name für immer verschwunden. Dagegen ist es ungewiß, wieweit die Sachsen die Avionen in sich aufgenommen haben. Zunächst ist nicht ganz unbestritten, daß diese überhaupt in einem Gebiete zu suchen sind, in dem sie als ihre Vorgänger in Betracht kommen können13). Nimmt man jedoch an, daß sie, wofür die größte Wahrscheinlichkeit spricht, an der Westküste Schleswig-Holsteins gewohnt haben, so ist es sehr wahrscheinlich, daß sie zum größten Teile mit den Angeln, und nur zum kleinen Teile, vielleicht sogar überhaupt nicht, mit den Sachsen verschmolzen sind.

Der Name Avionen taucht in der Form,,Eowe" im Widsidh wieder auf 14). Ihre Wohnsitze sind von dem wandernden Sänger offenbar auf dem Festlande, auf der Jütischen Halbinsel gedacht; doch wo dort, ist ganz ungewiß. Vielleicht könnte man die Tatsache, daß ihr Herrscher genannt wird, dagegen anführen, daß man Sachsen oder eine Abteilung der Sachsen in ihnen gesehen hat; denn von sächsischen Königen auf dem Kontinent hören wir niemals etwas 15). Auf die Eowe weist auch der Name des Königs Eoua hin, der im siebenten Jahrhundert in Britannien gelebt hat1). Er hat in Mercien residiert, also in einem Lande, das von Angeln kolonisiert war.

12) Nur an die Reudinger als Vorgänger der Sachsen denkt R. Much, Zur Stammeskunde der Altsachsen (Korrespondenzblatt der deutschen Gesellsch. f. Anthropol., Ethnol. u. Urgesch., XXIX (1898), S. 113 f.). H. Möller, Anzeiger f. deutsches Altert. XXII (1896), S. 133 ff., möchte gern die Kimbern des Tacitus zu den Sachsen des Ptolemäus machen; ebenso Th. Siebs, Zur Geschichte der englisch-friesischen Sprache I (1889), S. 21. Daß Tacitus' Kimberu an der Niederelbe saßen, ist jedoch nicht zu erweisen und wird sonst auch nicht angenommen. Ptolemäus (II, c. XI, 7, a. a. O. S. 258) setzt sie ganz in den Norden, was offenbar richtig ist.

13) R. Much, Paul und Braunes Beiträge XVII (1893), S. 195 ff., hat die Avionen auf den dänischen Inseln gesucht. Später hat er sie freilich, wie alle andern auch, auf die nordfriesischen versetzt, vgl. Hoops, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (1911-19) I, S. 146.

14) Widsidh, Vers 26 (Beowulf nebst den kleineren Denkmälern der Heldensage, hrsg. v. F. Holthausen, 1908, S. 110). Vgl. Schmidt II, S. 25; R. Much bei Hoops I, S. 146. Soviel ich sehe, ist die Gleichsetzung von Avionen und Eowe nirgends bezweifelt.

15) Doch ist damit nicht viel anzufangen. Im Widsidh wäre sicher auch ein Mann wie Widukind, der Sachsenführer z. Zt. Karls d. Gr., als Herrscher der Sachsen bezeichnet worden.

16) Historia Brittonum 65, Auct. ant. XIII, S. 208 (vgl. Much bei Hoops, RL. I, S. 146). In der mercischen Königsliste, Auct. ant. XIII, S. 204, steht dreimal Eua. H. Möller, Das altenglische Volksepos I (1883), S. 86, rechnet die Avionen denn auch zu den Angeln.

Es wird mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit angenommen, daß die Avionen mit den alten Ambronen, von deren Namen sich in späterer Zeit noch Spuren entdecken lassen, identisch sind 17). Sie scheinen in einigen englischen Ortsnamen fortzuleben 18) und werden ein paarmal in der Historia Brittonum genannt1o). Es ist hier von ,,Saxones Ambronum“ und „Ambrones, id est Aldsaxones" die Rede. Als ,,Saxones“ bezeichnet die Historia alle angelsächsischen Eroberer Britanniens, und auch unter,,Aldsaxones" scheint sie weiter nichts als die eingewanderten Sachsen, Angeln usw. zu verstehen im Gegensatz zu den Stämmen und Stammessplittern, die erst in England den Sachsennamen angenommen haben 20). Daß die Ambronen Saxones und Aldsaxones genannt werden, beweist also für die Frage, welchem von den Festlandsstämmen sie angehörten, gar nichts. Die Historia versteht unter ihnen aber offenbar Nordhumbrier 21), und Nordhumbrien war von Angeln besiedelt.

Doch einige Momente könnte man auch dafür in Anspruch nehmen, daß Avionen-Ambronen in den sächsischen Stamm übergegangen sind. Wenigstens ein Teil des Küstengebietes, das später den Sachsen gehörte, wird in ihrem Besitz gewesen sein 22); die Ambroneninsel Amrum hat man höchstwahrscheinlich zu den drei Sachseninseln in der Nähe der Elbemündung zu rechnen, die Ptolemäus erwähnt 23). Die Ambronen, die wahrscheinlich dem Ammerland in Oldenburg und dem Ammergau bei Hildesheim sowie einigen Örtlichkeiten in diesen Gegenden den

17) Und zwar deshalb, weil die Ambronen, wie der Name Amrum (Ambrum) beweist, an derselben Stelle gewohnt haben müssen, an der man sich die Avionen zu denken hat. Vgl. Schmidt II, S. 6 und S. 25. Nach E. Förstemann, Altdeutsches Namenbuch II, 3. Aufl. (1913), Sp. 127, dürfte der Name Ambronen (ebenso wie der der Avionen),,Wasseranwohner" bedeuten. Anders Much bei Hoops I, S. 76 f.

18) Vgl. Th. Siebs, Zur Gesch. d. engl.-fries. Sprache I, S. 15 f.

10) Vgl. Siebs, S. 14. Historia Brittonum 57 (a. a. O. S. 203): ,,Saxones Ambronum"; 63, S. 207: ,,genus Ambronum, id est Aldsaxonum." Man hat freilich auch in diesen Ambrones gar keinen Stammesnamen, sondern ein Schimpfwort sehen wollen (vgl. K. Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde II, 1887, 2. Aufl. 1906, S. 114 Anm.), weshalb sie Mommsen in den Auct. ant. auch klein druckt. Vgl. dagegen, wohl mit Recht: Siebs, S. 14.

20) Vgl. Siebs, S. 15.

1) Vgl. G. Thurneysen, Zeitschr. f. d. Philol. XXVIII (1896), S. 83, Anm. 2. 22) Aviones bedeutet Küsten-, Inselbewohner, vgl. Much bei Hoops I, S. 146. 23) L. Schmidt II, S. 25 sagt: „Ein Teil der Avionen, die Bewohner dreier Inseln an der Elbmündung und Dithmarschens, führte nach Ptolemäus auch den Namen Sachsen." Ganz so klar ist die Sache leider nicht, Ptolemäus identifiziert die Namen nirgends. Die drei Sachseninseln des Ptolemäus sieht man im allgemeinen in Helgoland, Sylt, Amrum-Föhr (die früher vereinigt waren). Vgl. Holz, S. 23.

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