kritisch neu herausgegeben hat1). Danach hätte unser Historiograph an seiner Vorlage immerhin noch erhebliche Veränderungen und Ergänzungen vorgenommen. Ich bin aber in der Lage, eine dem Matthias noch viel näher stehende Quelle nachzuweisen, die er in der Tat ähnlich wie die Reden und Poeme Luders nur aus dem Lateinischen in sein schwerfällig-treuherziges Deutsch zu übersetzen brauchte, um sie seiner Geschichtsklitterung einzuverleiben. Im Cod. Pal. lat. 870 der Vatikana, einem Sammelbande, der aus dem grossen Raub von 1622 stammt, findet sich neben allerhand buntgemischten Niederschriften meist theologischen und kanonistischen Inhalts eine Reihe von Stücken aus dem Kreise der humanistischen Hofpoeten Friedrichs 2) und dazwischen eingestreut die Niederschrift eines Teils der » quodlibetarischen<< Jahresdisputation der Heidelberger artistischen Fakultät von 1458). Es handelt sich um die » quaestiones minus principales « des grossen Schulaktes: Fragen minder bedeutender Art, die zur Erfrischung der Zuhörer gegen Ende der 14tägigen Redeschlacht aus dem Kreise der Bakkalare oder Scholaren gestellt und von einem der teilnehmenden Magister beantwortet zu werden pflegten. Die Heidelberger » quodlibetarischen « Fragen dieser Art spielen seit langem eine besondere Rolle in der universitätsgeschichtlichen Literatur: sie gerieten mit dem Verfall der grossen Schulakte mehr und mehr ins Possen- und Zoten 1) Als nr. IX, a. a. O. 9 ff. Aufzählung von 6 älteren Abdrücken dieses wichtigen Quellenstücks, auf dem u. a. auch der berühmte »>Liber vagatorum« von etwa 1510 beruht, bei Jos. M. Wagner, Rotwelsche Studien, Herrigs Archiv f. d. St. d. n. Spr. XVIII, Bd. 33, p. 217 f. und Avé-Lallemant Das dt. Gaunertum I, (1858), 122 ff. Das zitierte Stück a. d. Chronik d. Matth. v. K. bei K. Hofmann, Quellen u. Erört, z. bair. u. dt. Gesch. II, IOI ff. u. im Neuabdruck bei Kluge a. a. O. S. 20 ff. 2) fol. 132 ff. Repeticio Matthie Kemnatensis und graciarum accio ad Fridericum electorem, scr. a. 1465, publ. von Hartfelder, Z.G.O. N.F. VI, 146 ff.; fol. 158: Laudes palacii et ducis palatini, lingua germanica, inc. »Ar [ir?] aller clersten< (ob identisch mit M. v. K., Chronik, a. a. O. p. 8, Z. 20 ff.?); fol. 197: Petri Luder epistola ad Joh. Wenck, dat. 23. 8. 1456; fol. 198: forma creacionis notariorum, betr. Ernennung des Peter Luder zum kaiserl. Notar, s. darüber im Text weiter unten! Vgl. Stevenson Katalog I. 3) fol. 144 ff. Das Datum ergibt s. aus den Namen der Disputatoren in Verbindung mit ann. fac. art. II. fol. 39a d. Hdbger. Univ.-Archivs. 3 hafte, und einige der tollsten humoristischen Stücke (von 1488 u. 1500) unmittelbare Vorläufer der grobsatirischen Literatur des XVI. Jahrhunderts, schon im 15. Jahrhundert und z. T. später noch oft gedruckt, hat Fr. Zarncke 1857 in seinen >> Deutschen Universitäten im Mittelalter « als Sittendokumente neu herausgegeben. Tritt dort das unflätigkomische Element fast ohne den Versuch äusserlicher Bemäntelung zutage, so geben sich die Quodlibetfragen von 1458 formell als ernst gemeint: lehrhafte Warnungen vor Ketzern und Betrügern, deren verschiedene Arten aufgezählt werden, doch nicht ohne behagliches Ausspinnen der zur Veranschaulichung eingeflochtenen Gaunergeschichten und allerhand Zweideutigkeiten. Hier haben wir zweifellos die Quelle des Matthias von Kemnat in Händen. In der ersten Quästion ist von den angeblichen Ketzereien der Beghinen und Begharden die Rede, deren volkstümliche Bezeichnung als »Füchslein« und »Wölfe« erklärt werden soll, was zu allerhand hämischen Verdächtigungen, z. T. recht lasziver Art, Anlass gibt. Dabei wird fast wörtlich derselbe Eulenspiegelstreich eines Begharden erzählt, den auch Matthias von Kemnat bringt (S. 109 f. bei Hofmann, fol. 132a des Cod. Bav. 1642); auch die gereimten lateinischen Stoppelverse (S. 110) sind unserem Text entnommen, und die gleich darauf folgende Erzählung von Ketzerverbrennungen ist in ihrer Anfangspartie (bis S. 111, Z. 10) nur eine Zusammenziehung längerer Ausführungen des Quodlibetarius (Cpl. 870, fol. 147a). Die dritte Quästion fragt nach dem Unterschied der verschiedenen Gaunerarten. Als Antwort folgt ausser einigen allgemeinen Ausführungen, die ganz wörtlich, aber gekürzt, bei Matthias wiederkehren (S. 101, Abs. 2; 108, Abs. 3), eine Aufzählung der verschiedenen Gattungen von Betrügern mit ihren rotwelschen Bezeichnungen, deren Reihenfolge und Schreibung sich nicht unerheblich von den » Baseler Betrügnissen« unterscheidet — ohne dass jedoch die inhaltliche Abhängigkeit unserer Handschrift von jener Vorlage dadurch verwischt würde. Da die Schreibung der rotwelschen Namen in allen bisher bekannten Handschriften voneinander abweicht und vielfach bis zur Unverständlichkeit entstellt ist, und da es sich um eine der ältesten und wichtigsten Quellen des Rotwelsch handelt, wird eine Mitteilung der geringen Abweichungen gegenüber Matthias erwünscht sein: Von den »Klant, quinta species< heisst es: »ymmo sunt de numero illorum, dye allen selen nicht ein dochtlein geben.<< Zu nr. 8. wird der >>hultzen vorsprecher« hier erst verständlich: »ligneum in manibus gerunt advocatum seu prelocutorem clamantes: Niclaus. . . more leprosorum<<. Nr. 13 »mit dem wolwerck« statt des unverständlichen »mit der wolberg«. Diese Gaunerart fehlt in den >> Baseler Betrügnissen«, und der Autor sagt selbst, er habe diesen Namen nicht in der »grammatica positiva« der Gauner gefunden, sondern sich selbst ausgedacht offenbar um eine lustige Anekdote anbringen zu können, die bei M. v. K. fehlt. Nr. 16: Radünne statt Radune. Nr. 18: Theweszer st. Trebeser. Cambisirer fehlt in unserm und dem Baseler Text. Nr. 19: Gefer st. Geiser. Nr. 21: Hantblinden st. hawbtblinden. Wapper dy do ditzen (st. »mit den diezen«). Im allgemeinen ist unser Text ausführlicher als Matthias. Die Gaunerart »mit dem wolwerck<< ist leicht als nachträglicher Einschub zu erkennen, da sie die fortlaufende Zählung in Unordnung bringt und einige Sätze vorausnimmt, die am Schluss des Ganzen wiederholt werden. Im übrigen entspricht die Aufzählung durchaus dem Text des Matthias. Nr. 23: Man sieht aus alledem deutlich die Arbeitsweise unseres Chronisten: was ihm an Kuriositäten am allernächsten zur Hand lag, hat er zusammengerafft und in seine Chronik hineingestopft. Aber auch da, wo er Selbsterlebtes berichtet, wird man dem höfischen Schmeichler, der sich selber nur als Kreatur seines Herrn empfand, nur mit grösster Vorsicht folgen dürfen. Ein recht anschauliches Bild seines Wesens und seiner Vergangenheit entwirft er selbst in jener Elegie auf das Podagra, die einst Hartfelder aus den ungedruckten Teilen der Chronik herauszugeben versprach1) und die nun hier nach Cod. Pal. lat. 884, fol. 1 folgen mag Elegus sive . . .2) Mathie Kemnatensis decrethorum bacalarii. Perlege fata libenter mea tu studiose viator! sectatus bella, sectatus queque petita. Non terre modo, sed fluviorum dampna subivi. 1) Forsch. z. dt. Gesch. XXII, 337/8. 2) Ein Wort durchstrichen. Nonnunquam venabar ego loca plurima lustrans saltu, luctando, cursu paucis superabar. Hec tamen explevi; muenibus 3), dum tulit etas, quosque complexus eram. Qui non tulit egre Bachum semper amo, quamquam mea stirpis origo meque sue famule: genuagra ciathica 5) torquent est miseris dictum nec abest c[h]iragra, podagra. -- 1) Von mir verbessert nach Clm 338, fol. 189 und Cod. germ. Monac. 1642, fol. 108. (beide wie oben); dagegen ms: reliquas superum longas. 2) ms: immensa. 3)= munibus. - 4) Kemnat liegt in der (bair.) Oberpfalz. 5) Wohl von »cyathus« (Becher) abgeleitet. Me miserum! Quid agam, cunctis despectus amicis? inclite iam princeps! Vos, o servicia regum, 《 Derselbe Sammelband der Vatikana, der die von Matthias benützten Heidelberger »Quodlibetarien enthält, bringt uns auch recht erwünschte Mitteilungen über seinen Genossen Peter Luder. Unter den Überschriften: »Forma creationis notariorum«, »Imperator legittimat spurcos« usw. findet sich Fol. 198 ff eine Zusammenstellung von allerhand Formularen aus dem italienischen Notariatswesen, anscheinend für den praktischen Kanzleigebrauch zusammengestellt; wahrscheinlich geht sie irgendwie auf den schriftlichen Nachlass Peter Luders zurück2). Denn das erste Stück ist nichts anderes als die wortgetreue Kopie einer Notariatsurkunde, datiert Venedig, den 25. 7. 1445, in der die Ernennung des >>Petrus Luder quondam Johannis de Kyslau«, zur Zeit im Hofgefolge (» domicellus) des Dogen von Venedig, Franziskus Foskari, zum kaiserlichen Notar) ausgesprochen wird. Gleichzeitig wird der Ernannte nobilitiert, erhält ein Wappen und wird zum kaiserlichen Schildknappen << (scutifer) erhoben1). Aussteller ist Andreas Donatus, ein venetianischer Jurist und Diplomat, der dem Kaiser Sigismund während des Basler Konzils wichtige politische Dienste geleistet und dafür das erbliche Comitiv (als Hofpfalzgraf) 1) i. e. Friedrichs I. 2) Der Kodex selber ist mir nicht erreichbar. Ich kenne nur Photographien von fol. 198a-199a, die ich 1920 in Rom anfertigen liess. 3) de notariatus et ordinarii iudicatus vel delegati officiis ... investivimus. Das >>Johannis « (unmittelbar neben dem Nominativ Petrus) ist offenbar der Genetiv des Vatersnamens. In der Heidelberger Matrikel erscheint P. L. 1431 (Toepke, Matrikel I 186) als »Petrus de Kislau, Spir. dioc., pauper.<< Franziskus Foskari regierte 1423-57. 4) Insuper dictum Petrum Luder nobilitamus et de ignobili et populari statu ad nobilitatem reducimus et privilegia, quibus nobiles gaudere solent, tribuimus eidem insignia seu arma hec dando in signum tamen et cognitionem predictorum. Item eundem Petrum nobilem procreatum in scutiferum imperialem constituimus et creamus divisiam argenteam imperialem (serpentem videlicet cum cruce et litteris inscriptis: »O quam misericors est dominus, iustus et patiens<<) cum cordula de serico argento contexta et pendulo volitante ... eidem Petro plenarie concedimus usw. |