Otto Winckelmann. Das Fürsorgewesen der Stadt Strassburg vor und nach der Reformation bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Zwei Teile in einem Band (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, (früher >>Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation) herausgegeben vom Verein für Reformationsgeschichte Band V). Leipzig, Verein für Reformationsgeschichte (Vermittlungsverlag von M. Heinsius) 1922. XVI, 208+ 301 S. 1 Tafel. Mit dem Erscheinen dieses Buches erfüllt sich uns zu unserer grossen Freude trotz der inzwischen hereingebrochenen, für die deutsche Forschertätigkeit auf dem Gebiet der elsässischen Geschichte verhängnisvollen Katastrophe ein alter Wunsch, dem auch in dieser Zeitschrift (vgl. N.F. Bd. 30, S. 128 f) gelegentlich Ausdruck verliehen worden war. Wir beglückwünschen den verdienten früheren Leiter des Strassburger Stadtarchivs, den inzwischen schnöder Undank aus dem jahrzehntelang treulich versehenen Posten und der ihm in ihrer Vergangenheit und Gegenwart ans Herz gewachsenen Stadt vertrieben hat, zur rechtzeitigen Vollendung der Sammlung und Bearbeitung des von ihm in der Hauptmasse im Strassburger Hospitalarchiv aufgespürten Materials zur Geschichte der städtischen Armen-, Kranken- und Waisenpflege vor und nach der Reformation. Musste auch der Plan einer Erweiterung durch nachträgliche Sammlung alles Handschriftlichen über die sonstigen Fürsorgemassnahmen der Stadt auf dem Gebiet der Gesundheitspolizei unausgeführt bleiben, so haben wir dadurch nach W.s eigenem Urteil nichts wesentliches verloren. Dem Verein für Reformationgeschichte sind wir für die Ermöglichung der ungekürzten Drucklegung von W.s Arbeit zu Dank verpflichtet. Im ersten Teile des Buches fasst W. die Ergebnisse seiner Studien und die wichtigsten Erträgnisse seiner als zweiter Teil angeschlossenen Urkunden- und Aktensammlung zu einer »Geschichtlichen Übersicht« zusammen, die zunächst einen Überblick über die Entwicklung des Strassburger Fürsorgewesens während des Mittelalters gibt. Daran reiht sich die Schilderung der Neuordnung des >>offenen<< Armenwesens zur Reformationszeit sowie der Geschichte des Almosenkastens und der aus dem Mittelalter überkommenen Fürsorgeanstalten bis in die Zeit des für Strassburgs Wohlstand verhängnisvollen bischöflichen Kriegs am Ende des 16. Jahrhunderts; dabei enthüllt sich uns im engeren Rahmen ein treuliches Abbild des opferfreudigen und schöpferischen Geistes der reformatorischen Frühzeit wie auch des unter dem Druck der lutherischen Orthodoxie erstarrten und doch so grenzenlos genusssüchtigen Zeitalters der Gegenreformation. Obschon für das von W. kurz behandelte Mittelalter treffliche neuere Untersuchungen, wie die von Goldberg, vorliegen, hat er u. a. auch zu wichtigen Fragen neues Material erschliessen oder neue Ergebnisse erzielen. können, so z. B. zur ältesten Geschichte des grossen Spitals, zur Geschichte des Waisenhauses, zur Gründung des Blatterhauses. Die Schilderung der nicht durchweg erfreulichen Entwicklung nach der Reformation führt u. a. zu dem zwingenden Ergebnis, dass die reformatorische Neuschöpfung durch Bewährung in schweren Zeiten die Gesundheit der ihr zugrundeliegenden Gedanken erwiesen und dass die Bürgerschaft auch unter der angeblich die Barmherzigkeit lähmenden Herrschaft der reformatorischen Rechtfertigungslehre ihre alte Gebefreudigkeit in zahlreichen privaten Zuwendungen an das Almosen und die Anstalten trotz gelegentlicher Stockungen durchaus bewährt hat. Nachdrücklich wiederholt W. den von ihm schon früher geführten Nachweis, dass der Grundgedanke der Neuordnung (»pflichtmässige Obrigkeitsfürsorge nebst Bettelverbot<<) etwas grundsätzlich Neues darstellt, das auf dem Boden der Reformation aus Anregungen Luthers erwachsen ist (vgl. auch W.s Selbstanzeige »Vom Fürsorgewesen im alten Strassburg im Elsass-Lothring. Jahrbuch I (1922), S. 44 ff.). Der Inhalt der umfangreichen Urkunden- und Aktensainmlung (204 Nummern), der durch W.s Ergebnisse lange nicht erschöpft ist, verheisst mit Hilfe der sorgfältigen Register der kirchenkultur- und medizingeschichtlichen wie auch der philologischen Forschung reiche Ausbeute. Besonders teuer aber wird dieses Denkmal treuer deutscher Forscherarbeit im Elsass dem Freund der Strassburger und Elsässer Geschichte sein, als ein köstliches, wehmütig und wieder hoffnungsfreudig stimmendes Zeugnis von der deutschen Vergangenheit der alten Reichsstadt. K. Stenzel. Dem vor Jahresfrist an dieser Stelle (N.F. 37, 233 ff.) angezeigten ersten Band von Adolf Hauffens »Johann Fischart, Ein Literaturbild aus der Zeit der Gegenreformation<< ist in kurzer Frist der zweite gefolgt (Berlin u. Leipzig, Vereinigung Wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. 1922. 429 S.), der wie der erste, hohen Lobes würdig ist. Ausser den die wirklich wichtige Literatur fast durchweg anführenden und kennzeichnenden Anmerkungen bilden wieder fünf umfangreiche Bücher seinen Inhalt: Fischart als politischer Dichter und Journalist (»einer der wenigen, die damals in Schriften und Dichtungen ihr Augenmerk auf das ganze Vaterland richteten«), seine Wirksamkeit im Dienste des protestantischen Bekenntnisses, der Liebhaber der Künste und Polyhistor, Versbau und Sprache, Stil und Persönlichkeit. Das Gesamturteil geht mit Recht dahin, dass der »aufrechte, fromme, starke und eigenartige« Mann, wiewohl keineswegs der begabteste Dichter des 16. Jahrhunderts doch durch seine belehrenden, polemischen und satirischen Schriften den Zeitgenossen im wahren Sinne des Wortes ein Führer gewesen ist. Von zahlreichen kleinen Flüchtigkeiten, die auch Verfasser namen, Titel und Jahreszahlen betroffen haben, hätte man das ausgezeichnete Werk, zu dessen Herausgabe der Verfasser wie das Wissenschaftliche Institut der Elsass-Lothringer im Reich lebhaft beglückwünscht werden dürfen, gerne frei gesehen. H. Kaiser. Unter dem Titel »Die Strassburger Priester-Märtyrer der Schreckenszeit 1793-1794, Vier biographische Skizzen« (Rech, Colportage Catholique 1922, VII, 142 S.) berichtet der Strassburger Diözesan-Archivar Joseph Brauner unter Verwertung einer umfangreichen Literatur und auf Grund eingehender archivalischer Studien in ansprechender Weise von den Schicksalen des Münsterpredigers und Seminardirektors Bernardin Saglio, des Münstervikars Johann Friedrich Beck, des Hagenauer Franziskanerpaters Daniel Frey und des Münstervikars und Kaplans des Hohen Chors Heinrich Wolbert, die alle als eidweigernde Priester dem Wüten des >>Terreur<< zu Opfer fielen. Das Büchlein, das zugleich eine Werbeschrift zur Einleitung eines Seligsprechungsprozesses dieser kirchlichen Blutzeugen sein will, darf als ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Schreckensherrschaft im Elsass, in der vorübergehend die deutschen Truppen als Erlöser und Befreier auftraten, bezeichnet werden. K. St. In der Westmark II (1922) S. 863/84 teilt Ernst Traumann (»Unveröffentlichte Briefe K. G. Nadlers an August Reichensperger«) acht Briefe des Pfälzer Dichters an den Heidelberger Studienfreund aus den Jahren 1830-1849 mit, die sein Verhältnis zu diesem und dem Bunde der >>Faustina<< beleuchten. Sehr bemerkenswert und bezeichnend für seine Stellung zur Revolution ist der letzte Brief von 1849, wo der Umfall eines Teiles der Bürokratie und andere Erfahrungen ihn in seiner Menschenverachtung bestärken und brutaler Fanatismus sein eigenes Leben bedroht. Im Dezemberheft der Deutschen Revue S. 227-252 bespricht Oswald Dammann die Beziehungen zwischen Gustav Freytag und Alfred Dove, in deren freundschaftliches Verhältnis und geistigen Verkehr die bisher unveröffentlichten Briefe aus den J. 1870-1894 einen reizvollen Einblick gewähren. Ebenda weist (S. 260-273) Paul Wentzcke (Aus Scheffels politischen Anfängen) auf Aufzeichnungen in des Dichters Nachlass hin, die aus seiner Frankfurter politischen Lehrzeit stammen und zeigen, wie lebhaft der Kampf um die Gestaltung der deutschen Zukunft ihn damals beschäftigte. Die mitgeteilte Abhandlung über die Bildung der Parteien im ersten deutschen Parlament zeichnet sich durch Klarheit und Sachlichkeit aus. Oswald Floek, Heinrich Hansjakob. Ein Bild seines geistigen Entwicklungsganges und Schrifttums. Karlsruhe, Gutsch, 1921. 502 S. Gegenüber dem ersten, an sich verdienstlichen, aber unzulänglichen Versuche einer Hansjakob-Biographie, dessen an dieser Stelle (N.F. 34, 528) gedacht wurde, bedeutet das Buch. O. Floek, das von höherer Warte und in weiterem Rahmen seine Aufgabe zu lösen sucht, einen erfreulichen Fortschritt. Äusserlich wie innerlich ist es weit über seinen Vorgänger hinausgewachsen. Aus umfassenden Vorarbeiten entstanden, ruht es schon stofflich auf breiterer Grundlage: neben den bekannten sind auch halbverschollene, schwer zugängliche kleinere Schriften, zumeist politischen Inhalts, herangezogen worden; auch Handschriftliches, wie der Briefwechsel mit Vierordt, ist gelegentlich verwertet. Überall zeugt es von gründlicher Vertrautheit mit dem Gegenstande, von feinem Verständnis für die Eigenart H.s und Wesen und Wert seiner Werke, von Unbefangenheit und Sachlichkeit des Urteils. Mängel und Schwächen werden mit demselben Freimut behandelt, mit dem gehässige, ungerechte Angriffe zurückgewiesen werden. Zum ersten Male erhalten wir ein erschöpfendes klares, zuverlässiges Bild von der geistigen Entwicklung und der ganzen vielseitigen Lebensarbeit H's, von seinem Wirken in Kirche und Schule, von seiner Teilnahme an den kirchenpolitischen Kämpfen inner- und ausserhalb des Landtags, und vor allem von seiner fruchtbaren schriftstellerischen Tätigkeit, auf der seine Bedeutung beruht, von jenen ersten Studien rein geschichtlichen Inhalts ab, mit denen er begann, bis zu den letzten literarischen Kundgebungen in dem Weltkriege. Auf den Abschnitt, der von Hansjakob dem Volksschriftsteller und seinem Verhältnis zur Volkserzählung des 19. Jahrhunderts handelt, sei besonders verwiesen. Auch was weiter über seine komplizierte Persönlichkeit zusammenfassend gesagt wird (S. 411 ff.) enthält viel Treffendes und gehört mit zum Besten, was das dankenswerte Buch, dem wir viele Leser wünschen, uns bietet. K. Obser. Julie Schlosser, Aus dem Leben meiner Mutter. Berlin, 1923, Furche-Verlag. 206 S. Gr. Z. 4 X Schlüsselzahl. Es ist das anziehende Lebens- und Charakterbild einer hochgemuten tapferen Frau, das die Tochter auf diesen Blättern in liebevollem Verstehen mit feinen Strichen zeichnet. Aus altem angesehenem Geschlechte entsprossen, Tochter eines baltischen Edelmanns von vornehmer, vorurteilsfreier Denkweise und künstlerischer Bildung, der zeitlebens schwer ums Dasein zu kämpfen hatte, und Nichte jenes Wilhelm von Kügelgen, der als Verfasser der »Jugenderinnerungen eines alten Mannes« uns allen vertraut geworden ist, hat Gräfin Lilla Rehbinder ihre Kindheit und erste Jugend in der schönen Heimat an der Ostsee verbracht, die ihr Zeitschr. f. d. Gesch. Oberrh. N.F. XXXVIII. 2. 12 ans Herz wuchs. Als Zögling des Stiftes Finn empfing sie Eindrücke, die für ihre Zukunft bedeutsam wurden. Äussere Not, die Sorge um Eltern und Geschwister, trieb sie früh, ihr Brot zu verdienen; innere Neigung und Begabung wiesen sie auf den Beruf der Lehrerin. So begann sie schon mit 17 Jahren sich erzieherischer Arbeit zu widmen, in der sie fortan ihre Lebensaufgabe suchte und fand. Jn Mitau erstand ihre erste Schule. Aber schon 1874 folgte sie einem Rufe der Grossherzogin Luise, um die Leitung des Grossh. Pensionats in Mannheim zu übernehmen. Das Amt war kein leichtes, allein sie wusste durch hohen sittlichen Ernst, selbstlose Hingabe ihrer Persönlichkeit und verständnisvolles Eingehen auf die Eigenart eines Jeden die Neigung ihrer Pfleglinge in reichem Masse zu erwerben und sich durchzusetzen, wenngleich ihr bittere Erfahrungen nicht erspart blieben. 1876 siedelte sie nach Karlsruhe über, um dort mit Hilfe eines Grossindustriellen ein eigenes Institut zu gründen, das sie 6 Jahre lang leitete und zu hohem Ansehen brachte, bis ihre Verheiratung mit dem Pfarrer Schlosser ihr auf sozialem Gebiete neue Wege und Pflichten wies. Was sie in dieser Mannheimer und Karlsruher Zeit erlebte, wie sie ihre Aufgabe erfasst und gelöst, ihr Verkehr mit Heinrich Ordenstein und im Ispringer Pfarrhause Max Frommels, ihre Beziehungen zu dem Grossherzogspaare, das alles bildet den Inhalt des zweiten Teiles des Buches, dessen intimerem Reize sich wohl kein Leser verschliessen wird. Der Erinnerung an die Grossherzogin Luise, die ihr in allen Lebenslagen ein unerschütterliches Vertrauen bewahrte und freundschaftlich gesinnt blieb, ist ein eigener Abschnitt gewidmet. K. Obser. Otto Cartellieri. Heidelberger Erinnerungsstätten. Eine Wanderung durch die Jahrhunderte. Mit 40 Mezzotintos nach Paul Wolff. Heidelberg 1922. Kein Ergebnis neuer Forschung, aber eigenartig durch die äussere Form der Darstellung in einzelnen getrennten Bildern und zugleich als ein Bekenntnis innern Erlebens und der Freude eines bekannten, sonst in der reichen burgundischen Kulturwelt forschenden Historikers: am Fusse des Heidelberger Schlosses leben und lehren zu dürfen. Dies gibt dem Buche eine besondere Wärme, die in innerlicher Auffassung und lebendiger Stilform zum Ausdruck kommt. »Eine Wanderung<< nennt der Verfasser sein Werk. Da aber ein Wanderer am liebsten und längsten da Halt macht, wo sich die Blicke weiten, so sind auch diese Bilder da am frischesten und lebendigsten gezeichnet, wo das historische Leben am reichsten sich gestaltet und auch die Gedankenwelt unserer Tage berührt. Eingehender, als sonst in den Büchern über Heidelberg sind auf Grund der nur dem Fachgelehrten vertrauten gleichzeitigen Berichte, und darum für die meisten Leser neu, die Erlebnisse und Leiden von Stadt und |