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Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram

in Regensburg.

Von

Berthold Bretholz.

I. Die Reihe der S. Emmeramer Traditionsbücher.

Wenn auch Traditionsbücher in den bairisch-österreichischen Klöstern in der Zeit vom 9. bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert vorkommen, so hat sich doch noch nirgends, auch nicht in den bedeutendsten Stiftern, eine Fortführung dieser Bücher während des ganzen Zeitraums, also durch fünf Jahrhunderte hindurch nachweisen lassen. Vielmehr ist bei den einzelnen Gruppen einerseits der Zeitpunkt des Beginnes und Abschlusses, andererseits die Dauer der Unterbrechungen innerhalb der äussersten Grenzen sehr verschieden. So hört beispielsweise die Reihe der Freisinger Traditionscodices, welche mit der ältesten derartigen Sammlung, dem Codex des Kozroh, aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts beginnt, verhältnissmässig früh auf, während wiederum die beiden Brixener Traditionsbücher, die den vereinzelten Fall einer Fortführung bis ins 14. Jahrhundert zeigen, eigentlich erst mit dem Ende des 10. Jahrhunderts einsetzen. Die Gruppen der Salzburger und Passauer Traditionen sind noch kürzer und zeigen vor allem beträchtliche Lücken. Für Jahrzehnte, ganze Regierungen und noch längere Abschnitte ist der Strom der Traditionen unterbrochen. Redlich hat bereits in seiner Untersuchung über „Bairische Traditionsbücher und Traditionen 1) diese auffallende Erscheinung aus der Entstehungsweise der Bücher selbst erklärt. Indem nämlich die Traditionscodices zum grösseren Theile sich als von Zeit zu Zeit vorgenommene summarische Abschriften nach gesammelten Einzelaufzeichnungen darstellen, konnten bei solcher Zusammenstellung leicht Lücken entstehen,

1) In Mittheil. d. Instituts f. österr. Geschichtsforschung 5, 41.
Mittheilungen XII.

1

wofern in gewissen Perioden die Uebertragung der Vorlagen in das Traditionsheft vernachlässigt wurde; und dies ereignete sich nur zu oft, da in Wirklichkeit nicht überall und zu jeder Zeit die für die Entstehung solcher Sammlungen nothwendigen Bedingungen vorhanden waren. Nur bei einer Gruppe trifft dieser Grund nicht zu, bei der der Regensburger Traditionsbücher; ihre lückenhafte Ueberlieferung ist zum kleinsten Theil auf mangelhafte Anlage und unvollständige Sammlung, sondern in erster Linie auf die trümmerhafte Erhaltung der Bücher zurückzuführen. Der heutige Bestand deckt sich nicht mit dem einstmaligen und wie bei anderen Quellen dürfte auch hier der Versuch einer Reconstruction der Reihe nicht ohne Werth sein.

Die Reihe der Traditionsbücher aus dem Kloster S. Emmeram zu Regensburg besteht aus fünf Gliedern, von denen jedes ein selbständiges Ganzes bildet oder wenigstens einst bildete, denn zwei derselben sind bis auf einen minimalen Rest zu Grunde gegangen, so gleich der erste Theil.

1. Das Fragment der ältesten Sammlung.

In dem Codex des k. b. Reichsarchivs in München (S. Emmer. 5 1⁄2), den wir als viertes Glied später zu besprechen haben werden, findet sich als fol. 9-14 ein Ternio beigebunden, der uns ein Bruchstück der ersten im Kloster angelegten Traditionensammlung darstellt. Er enthält blos zwölf Urkunden 1). Die älteste Nr. 1 gehört der Zeit des ersten Bischofs von Regensburg und Abtes von S. Emmeram (das bis Ende des 10. Jahrhunderts Kathedralkloster gewesen), Gawibald, an, der 739-761 regierte, die jüngste, Nr. 6, ist genau datirt: 822 April 22; damals stand Bischof Baturich (817-848) dem Kloster vor: also frühestens während dessen Regierung könnte die Sammlung entstanden sein. Von den übrigen zehn Urkunden, die nicht in chronologischer Ordnung aufeinanderfolgen, gehören sieben dem 8. und drei dem 9. Jahrhundert an 2). Die letzte Eintragung ist unvollständig; der Schluss stand auf dem ersten Blatte der nächsten Lage, die uns aber mit allen etwa nachfolgenden spurlos verloren gegangen ist. Das ganze Heft ist von einer Hand geschrieben "); wir haben hier Abschriften nach den Originalaufzeichnungen vor uns.

') Die ersten zehn sind gedruckt in Pez, Thesaurus anecdotorum novissimus 13, 81-87; besser in K. Roth, Beiträge zur Sprach-, Geschichts- und Ortsforschung 3, 97 ff., wo auch n. 11 und 12 abgedruckt sind. 2) Bis auf drei und die unvollendete letzte sind alle Urkunden genau datirt: Der Zeit Bischof Sindberts (756-791) gehören an: Nr. 8 (776 Juli 10), Nr. 5 (778), Nr. 4 (791 September 1), Nr. 7 (776–788) und Nr. 11; Bischof Adalwins (792-817): Nr. 2 und 3 (792 Juli 22), Nr. 9 (808 September 14) und Nr. 10 (814 März 10).

9) Die

Ueber den einstmaligen Umfang dieser ersten Sammlung lassen sich aus den erhaltenen Blättern keinerlei Folgerungen ziehen; dass wir den Anfang des Codex vor uns haben, ergibt sich auch daraus, dass die einzelnen Urkunden die Nummern I-XII tragen, die ursprünglich sind. Einen Anhaltspunkt für die Existenz eines selbständigen Codex, von dem diese Blätter die letzten Trümmer bilden, glaube ich zunächst in dem ältesten Bücherverzeichnis von S. Emmeram zu finden; es ist ein einzelnes Blatt, das als fol. 17 dem Evangeliencodex der Hof- und Staatsbibliothek in München (Cod. lat. n. 14222) beigebunden wurde; es stammt aus dem 10. Jahrhundert. Unter anderen Büchern ist hier auch ein, liber kartularum" verzeichnet, womit unser Traditionsbuch in seiner ursprünglichen Gestalt gemeint sein dürfte1). Die vielen Nadelstiche am Buge der erhaltenen Blätter zeigen nur, dass dieses Heft schon mehrmals seinen Platz gewechselt hat. Mit dem Codex, dem es nunmehr beigefügt ist, steht es aber doch schon länger im Zusammenhang, als seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts, da dieser, wie Roth meint, in seinen jetzigen Einband gebracht wurde. Auf der Rückseite des letzten Blattes, fol. 14 nämlich, ist am Rande eine Liste von Namen einer grossen Censualenfamilie von einer Hand des 12. Jahrhunderts notirt, die sich in einer ungedruckten Urkunde Nr. 581 des Codex 51⁄2 auf fol. 113' aus der Zeit des Abtes Engilfrid (1132-1143) wiederfinden. Damit ist für die Zertrümmerung des Buches ein terminus ad quem gegeben. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts war bereits der Codex zerfallen, die einzelnen Lagen waren lose, und auf die Blätter wurden beliebige Notizen und Eintragungen gemacht, denn ausser jenen Namen findet sich noch am unteren Rande des genannten Blattes von einer zweiten Hand gleichfalls des 12. Jahrhunderts ein kurzer Traditionsakt verzeichnet. Dass aber damals dieses Heftchen nicht wie jetzt zu Beginn des Codex, sondern ziemlich weit rückwärts lag, erkennt man aus einer Ziffer, die sich auf fol. 13 am unteren Rande vorfindet (es ist wohl 138) und die ich mit einer alten Foliirung des Codex 51⁄2 in Zusammenhang bringe, und dass es etwa eine Zeit lang sogar eine letzte Lage bildete, dafür spräche das schlechte Aussehen der Schlussseite, die ganz abgewetzt ist. Soviel wird aber sicher sein, dass dieses älteste S. Em

von Roth 98 und 127 gemachte Unterscheidung von zwei oder drei Händen" ist ganz unbegründet; der Wechsel der Tintenfarbe allein ist hier, wie bei so vielen Fällen in Urkundenbüchern unwesentlich und unverwerthbar.

1) Dieses Bücherverzeichnis ist gedruckt und mit anderen späteren derselben Klosterbibliothek besprochen von Schmeller, Ueber Bücherkataloge des 15. und früherer Jahrh. Serapeum 1841.

meramer Traditionsbuch im Kloster selbst und spätestens zu Beginn des 12. Jahrhunderts zerstört wurde; diese zunächst vielleicht noch überraschende Thatsache wird durch weitere Analogien gesichert. Verschieben wir vorläufig die Untersuchung über den einstmaligen Umfang dieses Codex und wenden wir uns der wichtigen Frage zu, wann dieser Codex wohl angelegt wurde und welchem Bischofe er seine Entstehung verdankt. Viele Umstände weisen auf die Zeit Baturichs hin, der als Abtbischof von 817-848 Bisthum und Kloster leitete. Dass die sechste Urkunde das Jahr 822 als terminus a quo angibt, wurde schon erwähnt. Leider lässt sich der weitere Beweis nicht auf so nüchterner Grundlage, wie sie Zahlen bieten, aufbauen; wir müssen uns auf das Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung begeben, indem wir mit inneren Gründen operiren. Redlich hat den allgemeinen Satz ausgesprochen, dass der Aufschwung eines Klosters, die Regierung tüchtiger Bischöfe auch gewöhnlich durch die Anlage von Traditionsbüchern gekennzeichnet sei (S. 41).

Ohne deswegen etwa jedem tüchtigen Klostervorsteher die Anlage eines Traditionscodex zumuthen zu wollen, dürfen wir auf den Zustand S. Emmerams zur Zeit Baturichs doch hinweisen. Er selber ein Schüler der Klosterschule von Fuld vielleicht in der Zeit, als sie unter Hrabans Leitung stand, hat in Regensburg zu litterarischer Thätigkeit allenthalben angeregt. Unter ihm erst erhielt die dortige Schreibschule eine grössere Bedeutung, indem er die Mönche zu grösseren Arbeiten dieser Art veranlasste; wir haben noch jetzt eine Anzahl von Codices, die er anlegen oder abschreiben liess. Reger Sinn und gutes Verständnis für Schriftwerke müssen aber vorausgesetzt werden, um die Führung eines Traditionsbuches in verhältnismässig so früher Zeit und in so vollkommener Weise, wie es in S. Emmeram gleich von Anfang der Fall war, annehmen zu dürfen. Sodann stimmt der rein praktische Zweck, der der Anlage eines Traditionsbuches immer zu Grunde liegt, sehr wohl zu dem Eifer dieses Bischofs, Güter und Rechte, die dem Kloster in der letzten Zeit entfremdet worden waren, wieder zu gewinnen1). Soweit ist der Beweis aus dem Fragment selbst und auf Grund allgemeiner Gesichtspunkte zu führen; ins rechte Licht wird aber unsere doppelte Hypothese, dass der Codex inhaltsreicher war und unter B. Baturich entstanden ist, erst durch die Betrachtung und Prüfung des nächstfolgenden Gliedes der Reihe, das uns unversehrt überkommen ist, gestellt.

1) Vgl. über die Regierung B. Baturichs und über die litterarischen Arbeiten im Kloster in dieser Zeit: Janners Geschichte der Bischöfe von Regensburg 1, 196 ff.

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