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Kapitale

Lateinische Kapitale

(Tafel XII)

„Die Urform aller lateinischen Schrift", sagt Sickel, „nennen wir Kapitalschrift." Die Schrift der römischen Denkmäler hat, wie schon oben ausgeführt wurde, ihre Formen direkt von der griechischen Schrift der chalkidischen Kolonien übernommen. Wann man damit begann, diese epigraphischen Kapitale zur schriftlichen Aufzeichnung auf anderem Stoff (Papyrus, Wachs, Holz, Ton), zur Abfassung kleinerer Schriftsätze oder ganzer Handschriften zu verwenden, steht nicht fest, doch darf angenommen werden, daß sich dieser für die Entwicklung der lateinischen Schrift äußerst wichtige Schritt schon frühzeitig vollzogen hat. Aus der Zeit kurz vor Christus und den folgenden beiden ersten Jahrhunderten findet sich in Papyrusfragmenten, auf Wachstafeln und in Mauerinschriften eine der epigraphischen Kapitale ähnliche Kursive. Die eigentliche Kapitale begegnet Datierung uns erst im III. Jahrhundert als Buchschrift. Die Datierung der Kapitalhandschriften ist heute noch äußerst schwierig und daher sehr schwankend und unsicher; so wissen wir z. B. nicht, welches Stück die älteste uns erhaltene lateinische Handschrift darstellt.

Überblickt man die auf uns gekommenen Werke in Kapitalschrift, so ergibt sich der Schluß, daß diese Schriftart vorzüglich zur Darstellung von dichterischen Erzeugnissen und Reden angewandt wurde. Persius-, Lucanus- und JuvenalVergil- fragmente zeigen die Kapitale. Von Vergil besitzen wir sogar handschrift sieben Exemplare in dieser Schrift. Unsere Abbildung ist dem

cod. lat. 3225 der Vatikanischen Bibliothek zu Rom ent-
nommen und zeigt eine Stelle aus der Äneis (VII, 302–317):

quid Syrtis aut Scylla mihi, quid vasta Charybdis
profuit? optato conduntur Thybridis alveo,

securi pelagi atque mei. Mars perdere gentem immanem Lapithum valuit, concessit in iras ipse deum antiquam genitor Calydona Dianae

quod scelus aut Lapithis tantum aut Calydona merente?
ast ego magna Jovis coniunx, nihil linguere inausum
quae potui infelix, quae memet in omnia verti,
vincor ab Aenea. quod si mea numina non sunt
magna satis, dubitem haud equidem inplorare quod
usquam est:

flectere si nequeo superos, Acheronta movebo.
non dabitur regnis (esto) prohibere Latinis
atque immota manet fatis Lavinia coniunx:
at trahere atque moras tantis licet addere rebus,
at licet amborum populos excindere regum.

hac gener atque socer coeant mercede suorum ...

Charakteristisch für die Kapitale ist der Mangel jeglicher Worttrennung; die Worte folgen ohne Zwischenräume aufeinander, was das Lesen auf den ersten Blick erschwert. Man unterscheidet zwei Arten von Kapitale: die littera quadrata, littera deren Buchstaben fast quadratische Formen aufweisen, und quadrata die littera rustica, deren Buchstaben mehr hoch als breit littera erscheinen und flüchtiger geschrieben sind. Unsere Abbil- rustica dung ist eine capitalis rustica und zeigt, wie unangebracht der verächtliche Name für die meist wohlgeformten Züge dieser Schrift ist, die vielfach die capitalis quadrata an Schönheit übertreffen.

Bis ins VI. Jahrhundert war die Kapitale zur Abfassung ganzer Handschriften im Gebrauch. Als Schrift für hervortretende Stellen (Überschriften etc.) hat sie sich bis zum heutigen Tage erhalten.

Lateinische Unziale

(Tafel XIII)

Die großen eckigen Formen der Kapitale bedingten naturgemäß für die Abfassung ganzer Handschriften ein äußerst mühsames und zeitraubendes Arbeiten, da ihr strenger Charakter eine flüchtigere Hand ausschloß und dem Schreiber gar keine Freiheiten gestattete. „Das Kompromiß zwischen Raschheit einerseits und Deutlichkeit und Schönheit der Schrift andererseits", sagt Tangl, „führt in diokletianischer Unziale Zeit1) zur Schaffung der Unziale.“ Die Unziale, ursprünglich der einen Zoll (uncia) hohe Buchstabe, ist aus der Kapitale hervorgegangen und gehört ebenfalls zur Majuskelgattung. Ihren Höhepunkt erreichte sie im V. und VI. Jahrhundert, um in der Anwendung für ganze Handschriften im IX. Jahrhundert allmählich wieder zu verschwinden. Die Renaissance der Majuskelschriften zur Zeit der Karolinger brachte hauptsächlich eine künstliche Nachahmung der Unziale in Prachthandschriften. Untergegangen ist diese Schriftart niemals; heute noch lebt sie in vielen Formen unserer großen lateinischen Buchstaben weiter.

EvangelienTafel XIII zeigt ein Blatt aus einem Evangelienbuch (fol. handschrift 18a des cod. lat. 27 270 der K. Hof- und Staatsbibliothek zu München), das zur Zeit der Karolinger-Renaissance entstanden. Inhaltlich bildet es eine Vorrede zum Markusevangelium und hat den Wortlaut:

Incipit praefatio Marco:

Marcus euangelista dei1) et Petri in baptismate filius atque in diuino sermone discipulus sacerdotium in Israhel agens secundum carnem leuita conuersus ad fidem Christi euangelium in Italia scripsit ostendens in eo, quid et generi

1) Anfang des IV. Jahrhunderts nach Christi Geburt.

über der Zeile nachgetragen.

suo deberet et Christo nam initium principii in uoce propheticae exclamationis instituens ordinem leuiticae electionis ostendit: ut praedicans praedistinatum Johannem filium Zachariae in uoce angeli enuntiantis emissum1) non solum uerbum caro factum sed et3) corpus domini per uerbum diuinae uocis animatum initio euangelicae praedicationis ostenderet ut qui haec legens sciret cui initium carnis in domino et3) in3) Jesu

Deutlich zeigt sich hier der klare, reine Eindruck, der den Kennzeichen sauberen, regelmäßigen Zügen der Unziale eigen. Was sie der Unziale von der Kapitalmajuskel wesentlich unterscheidet, ist der Umstand, daß bei ihr die meisten Ecken derselben zu Rundungen geworden sind. Besonders kennzeichnend für diesen Vorgang erscheinen die Buchstaben A DE M. Ferner hält die Unziale das Höhenmaß nicht mehr so genau ein wie die Kapitale, einzelne Buchstaben beginnen über das Zweizeilensystem hinauszuwachsen: D H L greifen nach oben über, PGQ sind nach unten verlängert. Ligaturen (Verschmelzungen zweier Buchstaben, z. B. Æ, UR) finden sich selten. Die Unterscheidungszeichen sind noch vollkommen ungeregelt und fehlen oft gänzlich; in unserem Stück bezeichnet ein Punkt in halber Zeilenhöhe kleinere, ein Doppelpunkt größere Abschnitte.

Wie fast alle Bibeln in Unzialschrift, so bildete auch unser Stück eine Prachthandschrift, die leider nur zu einem Dritteil erhalten ist. Dieser Rest besteht aus 60 Blättern, die 35 cm in der Höhe und 26 cm in der Breite messen. Der größte Teil davon wurde von der Bibliothek im Lauf der Zeit um billiges Geld erworben, der letzte Zugang von 8 Blättern, zu denen auch die von uns gebotene Seite zählt, stammt

1) das e ist in Kapitale über der Zeile nachgetragen. ) durch die daruntergesetzten Punkte getilgt.

*) durch die daruntergesetzten Punkte getilgt.

aus Ingolstadt und kam auf dem Tauschweg nach München. Das prächtige Pergament war zu Einbänden für Salzamtsrechnungen verwandt worden! In aufgeklebten Schildern oder direkt aufs Pergament geschrieben prangten Überschriften wie „Hallingische Saltz- vnd Gelt-Rechnung des Ambts Ingolstatt de Anno 1688" oder „Reichenhallerisches Saltz- vnd Wochen-Handt-buech des Ambts Ingolstatt de Anno 1690". An den Seiten war das Pergament durchschnitten worden, damit die Aktenschnüre durchgezogen werden konnten. Zeiten, in denen derartiges vorkommen konnte, verraten einen Tiefstand des Geschmackes, der heute wohl als überwunden gelten darf.

Karolinger Minuskel
(Tafel XIV)

Neben der glänzenden Tätigkeit in staatsmännischer und strategischer Hinsicht, hat sich Karl der Große auch als Bahnbrecher auf geistigem Gebiet hervorgetan. Zur Durchführung seiner Pläne, die wahrscheinlich das eroberte Italien angeregt, hatte er bedeutende Gelehrte aus dem Ausland an seinen Hof berufen, so den Geschichtsschreiber der Langobarden Paulus Diakonus, den Grammatiker Petrus von Pisa, den spanischen Dichter Theodulf und vor allen den Angelsachsen Alkuin, einen Mann universellster Bildung. Sie waren Aachener die vorzüglichsten Lehrer der Akademie, die am Hofe des Palastschule Kaisers entstand. Karl selbst und seine Kinder genossen hier mit vielen jungen Männern vom Adel Unterricht in den Wissenschaften (alte Sprachen, Dichtkunst, Redelehre usw.). Dieser Hochschule entstammen hervorragende einheimische Kräfte wie der Baumeister und Biograph Karls, Einhard, der Dichter Angilbert, der der Schwiegersohn des Kaisers wurde.

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