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Die drei arezzaner Hymnen des Hilarius von Poitiers

und Etwas über Rythmus.

Von

Wilhelm Meyer aus Speyer,

Professor in Göttingen.

Vorgelegt in der Sitzung vom 17. Juli 1909.

Wilhelm Brandes hat beim Jahresbericht des Herzogl. Gymnasiums in Wolfenbüttel 1905 wieder herausgegeben ein kleines Gedicht, 'Praecelso et spectabili' beginnend, welches der Bischof Auspicius von Toul um 460 an Arbogast, den Comes in Trier, gerichtet hat. Es sind 164 solche Achtsilber mit steigendem Schlusse, in Gruppen von je 4, ohne jede Rücksicht auf Quantität: also ein rythmisches Nachbild der ambrosianischen Strophe.

Die Form dieser 164 Zeilen hat seit der Arbeit von Brandes zu ziemlich ausgedehnter Diskussion Veranlassung gegeben. Denn Brandes hat bemerkt, daß in diesen Versen nicht nur im Schluß, sondern meistens auch auf der 4. Silbe der Wortaccent mit der Schablone des jambischen Vorbildes zusammenfällt (~~~~~~~~); er hat deshalb behauptet, Auspicius habe mit dem Wortaccent betonte jambische Füße bilden wollen; meine Lehre, daß die rythmischen Dichter von vornherein vor dem Schlusse keinerlei Füße gebildet hätten, sei unrichtig.

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Darauf habe ich in diesen Nachrichten 1906 S. 192-229 geantwortet. Auspicius habe diese Achtsilber durch eine Caesur geteilt nach der 3. oder der 5. Silbe: 'antiquis comparabili, laetificabas antea'; da sei es unvermeidlich, daß ein Wortaccent auf die 4. Silbe falle. Daß von Manchen eine solche Caesur angewendet worden sei, zeige Prudentius, welcher 100 Jahre früher in Peristephanon V von 576 quantitirenden jambischen Dimetern volle

565 durch dieselbe Caesur geteilt habe. Daß Auspicius nicht an Accentjamben gedacht habe, beweise einmal der Umstand, daß er Verse wie aut rénovás aut superas' fast gänzlich gemieden habe, obwohl sie völlig richtige Accentjamben bilden, anderseits der Umstand, daß er im Anfang ebenso oft Trochaeus als Jambus setze, obwohl er mit Leichtigkeit überall hätte Jamben setzen können. Die Caesur im jambischen Dimeter lasse sich auch aus der Geschichte der Metrik begründen. Demnach habe Auspicius seine Achtsilber durch Caesur geteilt, was allerdings bemerkenswert sei; aber an Accentjamben mit bestimmten Füßen habe er nicht gedacht.

Zunächst mischte sich P. Maas ein. Er besprach in der Byzant. Zeitschrift XVII 239 meine Arbeit. Da er in den kunstreichen Strophen byzantischer Hymnen etliche Achtsilber gefunden hatte, welche die 2., 4., 6. und 8. Silbe accentuiren, und er sich in die Betrachtung der alternirenden Füße, d. h. Jamben und Trochaeen, versenkt hatte, so meinte er, auch Auspicius habe aus diesem Born getrunken und wirkliche Füße mit alternirendem Wechsel von Senkung und Hebung bilden wollen. Darauf habe ich in diesen Nachrichten 1908, S. 194-212, geantwortet. Paul Maas hat dann in der Byzant. Zeitschrift XVII, 587/91 auf meine Erklärungen erwidert; er bringt nichts sachlich Neues; nur ist er in den Sumpf persönlicher Angriffe herabgestiegen; ist's so seine Art, um so übler: meine ist's nicht.

Zuletzt hat Brandes im Rheinischen Museum (Bd. 64, 1909, S. 57-97) eine Arbeit veröffentlicht mit dem Titel: 'Die Epistel des Auspicius und die Anfänge der lateinischen Rhythmik'. Sie bekämpft hauptsächlich meine Arbeit über Auspicius und meine Ansichten über den Ursprung der lateinischen rythmischen Dichtung, leider Beides in unwissenschaftlicher Weise. Denn im ersten Teile über Auspicius, wo er es vor Allem mit der Caesur zu thun hat, erklärt er einfach, allerdings habe Prudentius von 576 jambischen Dimetern volle 565 durch die Caesur getheilt, doch das sei Zufall (S. 63). Also, wenn Auspicius von 164 Zeilen in 159 die 4. Silbe betont und nur in 5 Zeilen nicht, so ist das Absicht: wenn Prudentius von 576 Zeilen in 565 Caesur beachtet und nur in 11 nicht, so ist das Zufall. Das ist brandesische Wissenschaft.

Den andern Hinweis, daß von den richtigen Accentjamben, wie 'aut rénovás aut súperas', Auspicius nur 2 bringt (weil sie eben durch die Caesur ausgeschlossen sind), glaubt er (S. 70) damit abgethan zu haben, daß er behauptet, da solche Zeilen alle mit

proparoxytonen Wörtern schließen, so sei der Fall schwierig und selten, daß auch die 4. Silbe der Schluß eines proparoxytonen Wortes sei. Ein solches Vorgehen ist mehr als keck. Ich habe ihm S. 205 erstens die S. 229 gedruckte Tabelle, zweitens das Carmen Buranum no. 16 zitirt. Meine Tabelle S. 229 enthält alle Achtsilber, welche aus einem Stück des Caesar sich mechanisch ausschneiden lassen. Von diesen 15 Achtsilbern haben 4 verschiedenartige Einschnitte; 6 betonen die 3. Silbe und schneiden nach der 4. sinkend ein, wie 'leniórem sententiam'; aber 5, also das volle Dritteil, haben den Einschnitt 'ac fórtitér sententias; auxíliúm si postea; pertérritús conviciis'. Die spätlateinischen Dichter beweisen hier nichts, weil sie von meiner Caesur mehr oder weniger angekränkelt sein können: Caesars Prosa ist von diesem Verdacht frei, und sie zeigt, daß das 'sprachliche Material' solche 'innern Daktylen' sogar oft zuläßt. Von den Carmina Burana will ich jetzt no. 69 S. 40 'Florebat olim studium' anführen; von den 50 Achtsilbern sind 8 mit dem stumpfen Einschnitt geteilt 'Caeci caecos praecipitant', aber nicht weniger als 13 sind mit dem daktylischen Worte geteilt: 'exorbitant a semita'. Aber Brandes kümmert sich darum nichts; er dekretirt: das sprachliche Material bietet in Achtsilbern solche Einschnitte nur selten.

Mein Einwurf, daß Auspicius im 1. Fuß offenbar sich um Accentjamben nichts gekümmert habe, wird ebenso gründlich widerlegt: vielleicht habe Auspicius die zweisilbigen Wörter auf der letzten Silbe betont (vgl. übrigens Gramm. lat. I 433, 5), vielleicht es ästhetisch und schön gefunden, die langweilige Kette der jambischen Anfänge durch trochäische zu unterbrechen. In dieser Weise geht die Erörterung weiter.

Das ist kein wissenschaftliches Suchen nach Wahrheit, sondern Rabulistik und rechthaberisches Gezänk. Dazu habe ich keine Zeit und keine Lust.

Der von Brandes entdeckte lateinische Volksrythmus.

Im 2. Teil seiner Arbeit legt Brandes eine neue Entdeckung vor; er hat die eigentliche volksmäßige lateinische Rythmik aufgespürt, aus der sich der Zeilenbau des Commodian, des augustinischen Psalms und dann weiter die ganze Art der frühesten rythmischen Dichtung leicht begreifen lassen. Brandes selbst hofft, daß es ihm 'gelungen sei, die Hauptfragen des rythmischen Problems ihrer endlichen Lösung einen Schritt näher zu bringen'. Ich könnte freilich den Rest meiner Lebenszeit nützlicher verwenden; allein da diese Arbeit zunächst mich bekämpft und da 27

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1909. Heft 3.

sie in einer angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift erschienen ist, so will ich darauf eingehen.

Der alternirende lateinische Volksvers wird von Brandes durch das Zeugnis des Marius Victorinus bewiesen. Brandes unterscheidet den lateinischen Volksvers und den lateinischen Volksrythmus. Es wäre freilich nett, wenn beide ziemlich übereinstimmten; aber das geht einmal nicht. Brandes kommt nun S. 91/92 zu dem Schlusse, daß mit dem Saturnier beginnend 'der lateinische Volksvers zu allen Zeiten von Natur alternirend war', d. h. daß je 1 Hebung oder 1 Senkung abwechselten also daß er aus Jamben oder Trochäen bestand. Das ist nun bei einem Volke, das in Füßen dichtet, ziemlich natürlich. Denn es gibt nur die 2 Gattungen: - und oder und . Dazu sind Reihen von reinen Daktylen oder reinen Anapästen zu klappernd; sie müssen also mit andern Füßen gemischt werden; dies Mischen verlangt aber schon eine ziemliche Verskunst. Deshalb wird ein in Füßen dichtendes Volk überhaupt, besonders aber in den Zeiten kindlicher Metrik, mehr Jamben und Trochäen als Daktylen und Anapäste dichten. Diese Erkenntnis ist also keine Entdeckung: wohl aber der Beweis dafür, den Brandes (S. 92) gefunden hat.

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Er schreibt 'Man darf nach alledem schließen, daß der lateinische Volksvers zu allen Zeiten von Natur alternirend war, wie Maas es für den Dimeter des Auspicius geltend macht, auch ohne ausdrückliche Zeugnisse der Grammatiker, wie das des Marius Victorinus (Keil, Grammatici VI 113): Nam ut nihil scribere possumus, quod extra numerum litterarum cadat, sic ne loqui quidem aut verbum ullum emittere, quod non in pedes aliquos et in rythmos incidat, qui alterna syllabarum sublatione et positione continentur. Brandes traut also wirklich dem Marius die Ansicht zu, daß im menschlichen Sprechen je 1 Hebung und 1 Senkung regelmäßig sich folgen. So thöricht ist dieser lateinische Grammatiker doch nicht gewesen. Er hat zunächst sehr wohl gewußt, daß bei allem Sprechen sehr oft 2, ja mitunter 3 weniger betonte Silben sich folgen, d. h. daß beim Sprechen Jamben und Trochäen mit sehr vielen Daktylen und Anapästen gemischt sind. Dem Marius bedeutet also sublatio und positio vocis nicht eine einzelne mit erhobener oder gesenkter Stimme gesprochene Silbe, sondern die Erhebung oder Senkung der Stimme, welche in jeder dieser zwei Lagen auch mehrere Silben sprechen kann. Genau dieselben Worte in demselben Sinn gebraucht Marius S. 40, 10: consequens reor de arsi ac thesi id est de terna syllabarum

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sublatione ac positione, quibus pedes in metris nituntur atque formantur, dicere. Die Füße, welche dann besprochen werden, sind nicht nur Jamben und Trochäen, sondern sind auch Daktylen und Anapäste; ja die Jonici (v oder ) 'unam partem (~~) in sublatione habent, duas (--) in positione seu contra' (p. 43, 23). Also ist keine Rede von dem 'alternirenden Volksvers'. So geht Brandes mit seinen Zeugnissen um1).

Der von Brandes in den lateinischen Grammatikern entdeckte lateinische Volksrythmus.

(Die alte Lehre) Das Aufkommen der rythmischen Dichtung im 4. Jhdt. n. Chr. hatte man sich früher so erklärt: die lateinische Wortaussprache und Dichtung war ursprünglich accentuirend; dann drang zwar in den gebildeten Ständen die quantitirende Dichtweise der Griechen ein; allein die accentuirende hielt sich allezeit in den untersten Volksschichten Roms und brach im 4. Jhdt. im Dienst des Christenthums wieder ein in das literarische Gebiet. Andere nahmen an, daß zwar die alte römische Wortaussprache quantitirend gewesen sei; daß aber in den Jahrhunderten der Kaiserzeit bei der Aussprache die Quantität immer weniger, der Wortaccent immer mehr hervorgetreten sei, bis im Laufe des 4. Jhdts. der Wortaccent definitiv gesiegt habe. Diese beiden Schulen erkannten den definitiven Sieg des Wortaccentes auch darin, daß in der Dichtung in die Stelle der langen Vershebungen die stark betonten Wortsilben geschoben worden seien.

(Meyer) Diese Theorie ist sehr schön; allein die Thatsachen sind anders. Als ich die alten Denkmäler der sogenannten rythmischen Dichtung untersuchte, sah ich, daß in die Stelle der vom Versaccent getroffenen Hebungen durchaus nicht regelmäßig die Accentsilben eingerückt seien. Das war nur in der Schlußkadenz geschehen (mágna oder máximà); vor diesem Schlusse wurden nur

1) Ich will Brandes die Stelle des Marius erklären, da die Sache mit dem Folgenden sich berührt. Nach Cicero Orator 183 'a modis quibusdam cantu remoto, soluta esse videtur oratio maximeque id in optimo quoque eorum poetarum, qui lyrici a Graecis nominantur, quos cum cantu spoliaveris, nuda paene remanet oratio', womit Quintilian IX 4, 53 stimmt, hat Marius zunächst bemerkt: ipsa quoque lyrica poemata sublata modulatione vocis non ultra solutam orationem procurrunt. Quintilian knüpft hieran den Gedanken IX 4, 60 'ratio pedum in oratione est multo quam in versu difficilior': Marius 'quocirca putant non nulli duriorem legem oratoribus fore quam poetis'. Quintilian begründet dies § 61 'neque enim loqui possumus nisi syllabis brevibus ac longis, ex quibus pedes fiunt': Marius mit den oben von Brandes zitierten Worten: nam .. ne loqui quidem aut verbum ullum emittere (possumus), quod non in pedes aliquos et in rythmos incidat, qui alterna syllabarum sublatione et positione continentur.

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