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GERMANIA.

VIERTELJAHRSSCHRIFT

FÜR

DEUTSCHE ALTERTHUMSKUNDE.

BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER.

HERAUSGEGEBEN

VON

KARL BARTSCH.

VIERUNDZWANZIGSTER JAHRGANG.
NEUE REIHE ZWÖLFTER JAHRGANG.

WIEN.

VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN.

1879.

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DIE BEIDEN LITERARHISTORISCHEN STELLEN

BEI RUDOLF VON EMS.

Die literarischen Stellen im Wilhelm und Alexander haben wegen ihrer Wichtigkeit und der sich daran knüpfenden Folgerungen die Forschung immer wieder aufs neue beschäftigt. Zuletzt hat Johannes Schmidt in den Beiträgen von Paul und Braune 3, 140—181 die Frage wieder aufgenommen, ob der Wilhelm oder der Alexander das früher verfaßte Gedicht sei.

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Man hat sich gewöhnt davon auszugehen, daß, als Rudolf den Wilhelm dichtete, die dort erwähnten Dichter mit Ausnahme des Türheimers, Hesses und Fasolts sämmtlich gestorben waren. Aber wo steht denn das? Rudolf sagt nichts weiter, als daß zu der Zeit, wo die im voraufgehenden genannten Dichter die von Rudolf aufgeführten Werke verfaßten, die Aventiure von Wilhelm noch in welsch verborgen' war; speciell was den Stricker betrifft, als derselbe seinen Daniel von Blumental schrieb. Daß dieser eine Jugendarbeit des Dichters ist, darüber sind alle wohl einig; denn er bedient sich darin noch gewisser sprachlicher und metrischer Freiheiten, die er sich später nicht mehr gestattete. Aber daß der Stricker zur Zeit der Abfassung des Wilhelm gestorben war, sagt Rudolf durchaus nicht. Und die Art und Weise, wie er von Albrecht von Kemenaten redet, der genannt wird der wîse man, der meisterliche tihten kan, deutet entschieden auf einen noch lebenden Dichter. Denn wenn Schmidt dem gegenüber bemerkt (S. 160), daß man auch von den Leistungen eines verstorbenen Dichters das Präsens anwenden kann, so ist das wohl im allgemeinen ganz richtig, aber hier ist zu erwidern: bei allen Dichtern, von denen wir mit Bestimmtheit wissen, daß sie zur Zeit der Abfassung des Wilhelm gestorben waren, braucht Rudolf das Präteritum; und ferner nennt er unmittelbar nach Albrecht von Kemenaten denjenigen Dichter, von dem es eben so sicher ist, daß er zur Abfassungszeit des Wilhelm noch gelebt hat, Ulrich von Türheim, von diesem braucht er das Präsens und zwar genau dieselbe Wen

GERMANIA. Neue Reihe. XII. (XXIV. Jahrg.)

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:

dung der wol guotiu maere ze meisterschefte tihten kan. Die Geschmacklosigkeit und Ungeschicklichkeit, den ganz gleichen Ausdruck in einem Athem von einem verstorbenen und einem lebenden anzuwenden, traue ich zwar Herrn Schmidt der diese auffallende Übereinstimmung gar nicht bemerkt oder, wenn bemerkt, absichtlich verschwiegen hat aber nicht dem gewandten Rudolf von Ems zu.

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Das zweite Bedenken gegen die Annahme, Rudolf rede bis zu den Worten der Frau Aventiure nur von verstorbenen Dichtern, liegt in Gottfried von Hohenlohe. Mit dem stolzen Gefühle eines Mannes, der alle Schwierigkeiten spielend aus dem Wege räumt, sucht Hr. S. den Nachweis zu führen, daß der von Rudolf erwähnte Gottfried nicht der im J. 1254 oder 1255 gestorbene sein könne, sondern dessen Vater sein müsse, der 1219 oder frühestens Ende 1218 gestorben sei. Es soll der in einer Urkunde Friedrichs II. vorkommende Gottfried von Hohenlohe der Dichter sein. Wir wollen einmal annehmen, diese mit der größten Keckheit vorgetragene Behauptung sei richtig, so entsteher. dadurch erhebliche Schwierigkeiten für die chronologische Ordnung der Dichter bei Rudolf, welche Hr. S. doch verficht. Der im Jahre 1218 gestorbene Dichter, der fünf erwachsene Söhne hinterließ, wird das von Rudolf erwähnte Gedicht doch schwerlich unmittelbar vor seinem Tode gedichtet haben. Wir sind vielmehr berechtigt, dann die Dichtung sicherlich ins erste Jahrzehnt des 13. Jahrhs. hinaufzurücken. Dann geht also dem Gottfried voraus der Stricker, der nach 1236 noch gedichtet hat, also frühestens gegen 1240 gestorben ist; es folgt ein um 1219 gestorbener Dichter, dessen Thätigkeit bald nach 1200 fallen würde, dann wieder einer, der um 1230 dichtete. Soll das chronologische Ordnung sein?

Aber die Urkunde von 1218 ist unecht, und damit ist S. einfach der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich verweise auf die ausführliche Begründung der Unechtheit durch E. von Wattenwyl, Geschichte der Stadt und Landschaft Bern I (1867), 353 ff. Der Gottfried von Hohenlohe, der der Dichter sein soll, ist urkundlich überhaupt gar nicht belegbar, und der seit 1220 auftretende ist derselbe, der im J. 1254 oder 1255 gestorben ist, der also erwiesenermassen zur Zeit wo der Wilhelm verfaßt wurde, noch gelebt hat.

Dadurch wird selbstverständlich auch für Albrecht von Kemenaten dargethan, was schon in den Worten Rudolfs liegt, daß auch er zur Abfassungszeit des Wilhelm noch ein Lebender war. Nur die durchaus unnöthige Annahme, daß alle die dem Türheimer vorausgehenden Dichter gestorben waren, macht Rudolf zu einem "unlogischen

Schwätzer'. Wie hätte auch Rudolf von allen den genannten Dichtern, die zum Theil seine unmittelbaren Zeitgenossen waren, mit Sicherheit behaupten können, daß sie alle verstorben waren? Von den großen Meistern am Ende des zwölften und am Anfang des 13. Jahrhs. konnte er es natürlich wissen, wie aber z. B. vom Stricker, der im fernen Österreich wohnte und von dessen Tode schwerlich rasch eine Kunde zu Rudolf gedrungen ist? Freilich wenn er die Sicherheit der Behauptungen von Herrn S. gehabt hätte, so konnte er recht gut die Leute auch etliche Jahre früher sterben lassen.

Worin besteht denn nun aber der Unterschied zwischen jener Dichterreihe und dem allein stehenden Türheimer? Auch bei diesem wird zunächst auf seine bisherige dichterische Thätigkeit hingewiesen, auf seinen Clies. Dieser muß, nach dem Gedankengange Rudolfs zu schließen, gedichtet sein, nachdem die welsche Quelle Rudolf zugänglich geworden und Rudolf bereits das Gedicht begonnen hatte, während die Werke der vorausgehenden Dichter sämmtlich vor diesen Zeitpunkt fallen. Warum aber kommt die Aventiure bei dem Türheimer noch nicht an? Offenbar weil er jetzt mit einem andern Gedichte beschäftigt ist, und unter diesem werden wir zunächst die Fortsetzung des Tristan zu verstehen haben, da die des Willehalm entschieden zu spät ist.

Der Einwand, den Frau Aventiure erhebt, ist also der: zu der Zeit, als die von Dir (Rudolf) genannten Dichter ihre von Dir genannten Werke verfaßten, war ich noch in Wälsch verborgen. Sie alle dichten jetzt keine epischen Gedichte mehr, sie sind theils verstorbene, theils haben sie ihre dichterische Thätigkeit eingestellt. Nun macht Rudolf eine Einwendung mit dem Hinweis auf einen Dichter, der in unmittelbarer Gegenwart auf dem Gebiete erzählender Dichtung thätig ist. Aber auch bei ihm kann die Aventiure nicht ankommen, weil er eben gerade mit einem anderen Werke beschäftigt ist. Wir haben uns zu erinnern, daß es in jener Zeit keineswegs allgemein war, daß jemand sein ganzes Leben dem dichterischen Berufe widmete. Wir wissen von einer Menge von Dichtern, die eben nur ein einziges Werk geliefert und damit ihre dichterische Thätigkeit abschlossen. Die Annahme, daß von gar manchen uns eben nur ein Werk erhalten, das übrige aber verloren gegangen, wäre durchaus unberechtigt; denn gerade die beiden Dichterverzeichnisse lehren uns, daß von den meisten Dichtern, von denen überhaupt etwas auf uns gekommen, wir diejenigen Werke besitzen, welche Rudolf namhaft macht. Und so konnte, wenn auch Rudolf, was gar nicht zu erweisen ist, von gar manchem Dichter

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