Auch der Ausguss tritt an keinem Gefässe auf. Eine weitere Eigenthümlichkeit muss jetzt noch hinzugefügt werden, welche die Entstehung des Gefässrandes betrifft, d. h. des besonderen Gefässtheiles, der an der Mündung in einem bestimmten Winkel von der übrigen Gefäss wandung sich absetzt. Bei keinem Gefüsse der Rheingewann kommt noch etwas derartiges vor; bei allen schneidet die Gefässwandung an der Mündung scharf ab. Die Wandung verläuft bis zur Mündung entweder gerade nach oben oder etwas nach innen zu geneigt. Niemals ist an diesen Gefässen auch nur die Andeutung eines sich im Winkel ansetzenden Randtheiles zu bemerken. Bezüglich der Ornamentik unserer Gefässe muss die Schärfe der Linienführung der Dreiecke und Zickzacklinien betont werden. Bei grosser Regelmässigkeit kreuzt keine einzige Linie die andere. Selbst bei den schraffirten Dreiecken ist das Kreuzen der Linien aufs Peinlichste vermieden. Bei den meisten Gefässscherben von Albsheim herrscht im schroffen Gegensatz hierzu gar keine Regelmässigkeit der Linienführung. Die Linien laufen kreuz und quer, ein eigentliches Muster ist oft nicht zu erkennen. Manchmal ist das Gefäss nur einfach rauh gemacht. Ohne Ausnahme aber sind die Einritzungen mit weisser Paste ausgestrichen, die ausgedehntere Verwendung gefunden hat und intensivere Farbe zeigt, als bei den Gefässen vom Hinkelsteintypus. Die Paste letzterer Gefässe ist mehr weisslich grau, dort von blendend weisser Farbe. Trotzdem besteht sie bei beiden aus demselben Stoff, aus kohlensaurem Kalk, den für die Albsheimer Funde schon Virchow 1883 (Zeitschr. f. Ethnologie. XV. Verhandl. S. 451) nachgewiesen hat. Er bildet dort einen Gefässscherben von Albsheim ab, den ich (nicht Mehlis) ihm zur Untersuchung überlassen hatte. Die unserigen sollen, was ich schon 1883 (Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Jahrg. II. 1883, S. 217) für wahrscheinlich erklärt habe, aus bronzezeitlichen Wohnplätzen, und nicht, wie mir irrthümlich zugeschrieben wurde, aus La Tène-Gräbern stammen. Es sind eben auf dem Terrain von Albsheim alle Perioden vertreten; so erhielt das Paulus-Museum ausser diesen Scherben von dort noch Kupferfunde, sowie Cylinderspiralringe der Bronzezeit und Armringe aus der Hallstatt- und La Tène-Periode. Regelmässige Linienführung kommt bei den Albsheimer Gefässen übrigens auch vor. Die Linien sind aber breiter angelegt, die tiefen Furchen lassen auf ihrem Grunde deutlich weitere Vertiefungen, zum Festhalten, gleichsam zur Verankerung der Paste, erkennen. Die meist tiefschwarze Farbe der Gefässwandung zwischen den weissen Linien ist dunkler und glänzender, als bei den HinkelsteinGefässen. Auf den mehr von Rauch geschwelten Gefässen heben sich die intensiv weissen Verzierungen wirkungsvoll von dem dunklen Hintergrunde ab. Charakteristisch für die vorgeschrittene Keramik ist das langgezogene schraffirte Dreieck, das oft an seiner Basis, besonders bei den grossen Töpfen, eine Reihe roher Fingereindrücke zeigt. Dies Ornament kommt an den Hinkelstein-Gefässen nicht vor. Gelegentlich erscheint auch eine viel schärfere Profilirung, indem der Hals des Gefässes deutlich von dem mit Ornamenten bedeckten Bauche abgegrenzt ist. Dass die Albsheimer Gefässe auf einer höheren Stufe der Keramik stehen, als die der Rheingewann, beweisen ferner die durchbohrten warzenförmigen Ansätze, die schon viel grösser geworden sind, ebenso die Durchbohrung. In einem Falle ist letztere schon so gross, dass man beinahe den kleinen Finger hineinbringen kann. Von da bis zur Entstehung des Henkels ist nur ein verhältnissmässig kleiner Schritt. Auch der flache Gefässboden ist bei den Albsheimer Scherben schon vertreten, im Gegensatz zu dem runden der Hinkelsteingefässe. Die weissen Verzierungen des Bauches greifen hier bis auf den Boden über. Der Scherben bildet etwa den vierten Theil eines ziemlich grossen Gefässes. Der Gefässfuss ist ebenfalls ganz anders gebildet, wie bei den Bechern der Rheingewanngräber; der Boden ist vollständig flach, der Standring niedrig gehalten. Die Randbildung zeigt sich auf den hierfür charakteristischen Scherben. Auch ohne Hülfe einer Profilzeichnung ist deutlich zu erkennen, dass der nicht mit Ornamenten bedeckte oberste Theil nach aussen etwas umgelegt ist und in bestimmtem Winkel zur übrigen Gefässwandung steht. Der Winkel ist bei den verschiedenen Scherben verschieden gross. Diese Randbildung ist keine zufällige Erscheinung, sondern einer ganz bestimmten Absicht entsprungen. Denn bei Scherben, die von sechs verschiedenen Gefässen herrühren, ist die Innenseite des Randes in ganzer Ausdehnung ebenfalls mit Ornamenten bedeckt, welche mit glänzend weisser Paste eingelegt sind und aus Zickzacklinien, doppelten und dreifachen. Punktreihen und parallelen Strichen bestehen, die nur auf die Breite des Randes sich erstrecken und das übrige Gefässinnere frei lassen. Man hat demnach den Rand absichtlich als besonderen Gefässtheil kennzeichnen wollen. Bei diesen für die Entwickelungsgeschichte der Keramik hochwichtigen Albsheimer Scherben sind überhaupt die verschiedenen Gefässtheile deutlich differentiirt: Boden, Bauch, Hals und Rand. Scherben mit ähnlicher Verzierung auf der Innenseite des Randes sind nur noch, wie ich durch persönliche Mittheilung des Hrn. Virchow erfahren habe, auf Hissarlik gefunden worden. Da die Albsheimer Scherben einer der neolithischen unmittelbar folgenden Periode angehören müssen, auch die charakteristischen Merkmale in Bezug auf Randbildung, Verzierungsweise und Henkelansatz mit denen der Bronzezeit nicht übereinstimmen, aus demselben Albsheimer Fundplatze aber, zusammen mit diesen Scherben, zwei kleine mit Nietlöchern versehene Kupferdolche in unser Museum gelangten, so ist wohl als sicher anzunehmen, dass Kupferdolche und Scherben derselben Zeit entstammen. Eine Doppelaxt von merkwürdiger Form entspricht den Kupfergeräthen, auf die Virchow 1879 (Zeitschrift f. Ethnologie. XI. Verhandl. S. 336) aufmerksam gemacht hat. Aehnliche Aexte will er in Athen gesehen haben, und auch auf Hissarlik sind solche zu Tage gekommen sein. Er hält sie für altassyrische oder babylonische Formen, wie sie auch auf bildlichen Darstellungen vorkommen. Auch Schliemann erwähnt diese Form häufig (Mykenae, Leipzig 1878, Abbildungen S. 125), die auch in Nachbildungen aus Gold und bildlichen Darstellungen auf Siegelringen erscheint. Ueber die weitere Verbreitung dieser Doppelaxt vergl. Schliemann a. a. O. S. 291 f. Es liegen somit hier ganz merkwürdige Parallelen vor: auf der einen Seite das Zusammenvorkommen der früheren, mit innen verziertem Rande versehenen Gefässe und der Kupferdolche, die jedenfalls mit den Kupferäxten gleichaltrig sind; auf der anderen Seite das Erscheinen solcher Gefässscherben in Troja mit den Doppeläxten. Welcher Schicht von Hissarlik die Scherben angehörten und ob die Aexte aus Kupfer oder Bronze bestehen, ist mir unbekannt. Wahrscheinlich gehören sie nicht der sechsten, der Mykenischen Stadt, sondern einer früheren Periode an. Die beiden in Mykenae selbst gefundenen Doppeläxte haben, weil aus Bronze gegossen, schon eine vollkommenere Schäftung erhalten. Ein grosses ovales Stielloch dient zur Aufnahme des Schaftes, der auch bei bildlichen Darstellungen nicht fehlt. Bei den meist gehämmerten Kupfer-Doppeläxten dagegen wurde die Schäftung nach Art der undurchbohrten Steinbeile durch Umwickelung mit Bast bewerkstelligt. Als feststehend mag jetzt schon zu betrachten sein, dass der merkwürdige Typus der Albsheimer Gefässe nicht mehr der neolithischen und noch nicht der Bronzezeit angehört. Kommen so frühe Gefässformen auch ohne Begleitung von Kupfergeräthen in Gräbern oder Wohnplätzen vor, so wird der Schluss nicht ungerechtfertigt sein, dass wir Reste der Kupferzeit vor uns haben. C. Koehl. Steinzeitgrab von Retzin im Randowthal (Pommern). Rechts von dem Wege, der von Löcknitz nach Retzin führt, liegt dicht am Randowthal und etwa 1,5 km vor Retzin die Besitzung des Hrn. Karl Klempenow. Auf dem Lande desselben, und zwar auf einer kleinen natürlichen Anhöhe, lag ein grosser Feldstein, der bei der Beackerung hinderlich war und dessen Entfernung beschlossen wurde. Der Stein bildete eine grosse Platte von etwa 2,5 m Länge und 1,5 m Breite, und die Entfernung kostete grosse Mühe. Als man den plattenförmigen Stein umgraben und gehoben hatte, zeigte es sich, dass unter demselben mehre Skelette lagen, daneben ein von dem Gewichte der Platte zerdrücktes Thongefäss und 4 Feuersteinmeissel. Letztere wurden aufbewahrt, die Knochen und Scherben aber nicht. Die Lage der genannten Gegenstände liess erkennen, dass die Platte noch an ihrem ursprünglichen Platze lag und, was bei ihrer Schwere auch ohnehin wahrscheinlich war, noch nicht bewegt sein konnte. Meissel I (Fig. 1) aus auf der einen Seite dunklem, hellgeflecktem, auf der anderen Seite hellgrauem Feuerstein, 163 mm lang. Am Kopfe 24, an der Schneide Vorder- und Rückseite schön geschliffen, die kantig abgesetzten Seitenbahnen gerade zugehauen, die Schneide scharf und stark geschweift. Meissel II (Fig. 2) aus hellgrauem Feuerstein, 130 mm lang, am Kopfe 20, an der Schneide 42 mm breit, scharf, stark geschweift. Auch hier sind die Seitenbahnen kantig abgesetzt und nur zugehauen. Der Meissel ist bis auf einige vertiefte Stellen auf der Vorder- und Hinterseite vollständig zugeschliffen. Meissel III (Fig. 3) aus hellgrauem, weiss geflecktem Feuerstein hergestellt, 85 mm lang, am Kopf 25, am Schneidentheil 39 mm breit, mit kantig abgesetzten und nur zugehauenen Seitenbahnen. Die Schneide ist scharf und wenig geschweift, gut geschliffen. Meissel IV (Fig. 4). Bruchstück, unteres Schneidenende eines ehemals. ziemlich grossen Meissels, grösste Breite an der Schneide 75 mm, aus hellgrauem Feuerstein. Der grösste Theil des Meissels, der gleichfalls nur zugehauene kantige Seitenbahnen zeigt, ist gemuschelt, nur kleinere Flächen sind geschliffen. Die Meissel zeigen die Formen, wie wir sie häufig in unseren steinzeitlichen Gräbern finden und bieten nichts Besonderes, dagegen um so mehr die Einrichtung des Grabes selbst, denn um ein solches handelt es sich natürlich. Unsere pommerischen Steinzeitgräber bilden bekanntlich Steinkisten, über denen ein aus grossen Blöcken mit horizontalen Decksteinen gebildeter Oberbau hergestellt ist (ältere Form, Hünenbetten), oder sie bestehen aus grossen Steinkisten unter der Erde, bei denen nur der Deckstein herauszuragen pflegt. Endlich kennt man noch Steinzeitgräber, bei denen die Skelette frei, ohne Kiste, in der Erde liegen. Vorstehendes Grab gehört keiner der genannten Arten an. Hr. Carow, der bei der ganzen Aufgrabungsarbeit zugegen war und dem die Steinkisten wohl bekannt sind, berichtete ausdrücklich, dass unter dem platten Steine keine kleineren gelegen hätten; es sei nicht daran zu denken, dass es sich etwa um eine eingefallene Steinkiste gehandelt haben könne, die Skelette und Beigaben hätten vielmehr direct unter der Platte gelegen. Die grosse Deckplatte erinnert noch an die Steinkisten, der Mangel jeder Kiste schliesst das Grab dagegen den freiliegenden Skeletgräbern an. Es scheint daher in der That, als ob man in dem vorliegenden Grabe eine Uebergangsform vor sich habe zwischen der Beerdigung in Steinkisten und den freiliegenden Skeletgräbern, welch letztere ja vielfach als die jüngeren aufgefasst werden. Die Kisten scheinen zuerst weggelassen und nur noch ein grosser Deckstein übrig geblieben zu sein, bis auch dieser wegblieb und nun eben vollkommen freiliegende Skeletgräber angelegt wurden. Die Folgezeit wird lehren, ob wir häufiger derartigen Gräbern begegnen. Leider sind die Reste der Keramik und die Skelettheile auch hier wiederum nicht des Aufbewahrens gewürdigt worden Hugo Schumann. Abgeschlossen im März 1897 FEB 1 8 1916 |