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DIE NEUERE

TIERPSYCHOLOGIE

VORTRAG

IN DER ZWEITEN ALLGEMEINEN SITZUNG
DER 79. VERSAMMLUNG DEUTSCHER
NATURFORSCHER UND ÄRZTE ZU DRESDEN

(1907)

GEHALTEN VON

5.923

0. ZUR STRASSEN

LEIPZIG


LEIPZIG UND BERLIN

DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER

1908

RARY AND COLLEGE

FEB 4 1900

LIBRARY

Walker fund

ALLE RECHTE,

EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.

I.

Überblick und Programm.

Die Tierpsychologie hat sich neuerdings in hohem Maße zum Vorteil verändert. Sie hat ihre Ziele erweitert und schärfer gefaßt, vor allem aber ihre Methoden, die früher unvollkommen, ja vielfach dilettantisch waren, so sehr verbessert, daß sie im Begriffe steht, eine Wissenschaft ersten Ranges zu werden.

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Die Zeit liegt noch nicht weit zurück, als die bekannte Frage: „Instinkt oder Überlegung?" das Interesse fast ganz allein in Anspruch nahm. Und diese Alternative die obendrein falsch gestellt war, denn es gibt noch ein Drittes pflegte sehr naiv vom menschlichen Standpunkt aus entschieden zu werden: eine Handlung, die der Mensch mit Überlegung vollbringen würde, sollte auch beim Tier in solcher Weise verursacht sein. Dabei machte die Siegerstimmung der Deszendenzlehre, die zwischen Mensch und Tier manches trennende beseitigt hatte, gerade die fortschrittlich gesinnten Geister oft geneigt, den Tieren ein ansehnliches Maß von Überlegung zuzuschreiben. Neben Wirbeltieren galten

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besonders die Insekten mit ihrer fast unerschöpflichen Fülle von Fertigkeiten in Brutpflege, Staatenbildung etc. als Muster von Intelligenz. Heute wissen wir aus zuverlässigeren Quellen, daß diese Meinung irrig war.

Zunächst: Sehr viel von dem, was Tiere mit scheinbarem Bedacht vollbringen, geschieht nachweislich rein auf Grund angeborener Befähigung. Wird eine Ameise oder Biene aus ihrer Puppenhülle künstlich befreit und abgesondert aufgezogen, so ist das junge Tier, das vom Getriebe des Staates nichts gesehen hat und keinerlei Unterricht empfangen oder Erfahrung sammeln konnte, doch völlig befähigt, die typischen Verrichtungen seiner Spezies auszuführen: die Ameise trägt Eier von Blattläusen ein, betreibt die Sklaverei, die Biene baut Waben ebenso tadellos und zweckentsprechend wie eine alterfahrene. So ist auch ein Vogel, der jung aus dem Nest genommen wurde, im ersten Herbst zum Wanderflug bereit; er vermag ohne Vorbild ein Nest zu bauen. Und in sehr zahlreichen Fällen läßt schon der normale Hergang keinen Zweifel, daß die Fähigkeit zu den Verrichtungen angeboren ist: Rhynchites betulae z. B. schneidet und rollt das Birkenblatt auf wundervoll zweckmäßige Art zum Trichterwickel, der seiner Brut als Wiege und Nahrung dienen soll, obgleich er noch gar nicht lebte, als seine eigene Wiege zustande kam.

Angeborensein und Unveränderlichkeit der Instinkte. 3

Gleich beim ersten Versuch ist er vollendeter Meister und lernt nach WASMANN1 durch Wiederholung nichts hinzu; im Gegenteil. Es scheint nun ganz unmöglich, daß irgendein Geschöpf von seiner Geburt an mit hinreichender Kenntnis und Urteilskraft ausgerüstet wäre, um solche Dinge nach selbständiger Entschließung auszuführen.

Und eine zweite Gruppe experimenteller wie normal-biologischer Tatsachen lehrt unmittelbar, daß das betreffende Tier sich wirklich gar nichts bei seiner zweckmäßigen Verrichtung überlegt: wird die Handlungsweise durch Modifikation der Umstände, unter denen sie nützlich war, ins Sinnlose verkehrt, so ändert das Tier sein Verhalten nicht, oder nicht sogleich. Eine Grabwespe z. B. trägt als Nahrung für ihre Brut, die sie in selbstgegrabenen Erdlöchern erzieht, Heuschrecken ein, schleppt aber die Beute nicht gleich ins Loch, sondern legt sie an dessen Eingang nieder; erst nachdem sie der Höhle unbelastet einen Besuch gemacht, bringt sie das Werk zu Ende. Dies hat seinen guten Grund: so erfährt die Wespe, ob etwa inzwischen eine von den Schmarotzerfliegen dagewesen ist, die in der Nähe zu lauern und den Fleiß der anderen für ihre eigene Brut zu mißbrauchen pflegen. Überlegt aber war es nicht. Denn als einst FABRE2, während die Wespe mit ihrer Rekognoszierung beschäftigt war, die draußen abgelegte Heuschrecke um ein par Zenti

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