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III.

Schilderung der allgemeinen Zustände.

Schon aus der Darstellung der unaufhörlichen Fehden und Streitigkeiten, der Barbarei oder des Terrorismus vielmehr, mit welchem, bei mangelnder oder unzulänglicher Rechtshülfe, die Partheikämpfe geführt wurden, der Sühnen, Friedensschlüsse und Bündnisse, die nur geschlossen schienen, um sie zu verletzen oder zu brechen, wird uns deutlich, welch namenlose Zerrissenheit im weiten römischen Reiche deutscher Nation herrschte und wie so schwierig, ja nahezu unmöglich, einen geordneten Rechtszustand herbeizuführen!

Durch Tausch, Kauf und Pfandschaft, wanderten Land und Leute aus einer Hand in die andre, um alsogleich darauf Gegenstand einer Polemik zu werden, die ihre Thaten nur mit Flammen und Blutströmen in die Tafeln der Geschichte trug. Erliegend unter der Last des Unglücks, jedes Hoffnungstrahles verlustig, verbreitete sich darum mächtig im Volke der Glaube und die Ueberzeugung eines, von fanatischen Sehern vorausverkündeten Weltuntergangs.

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Und in der That, kein Zeitalter mochte wohl geeigneter erscheinen, Gemüth und Einbildungskraft mehr zu erregen, die grausigsten Schreckbilder vor die Seele zu rufen, als jene Tage, „denn die Natur selbst war es, welche die entsetzlichen Anschauungen heraufzubeschwören und zu unterstützen schien, die Natur, die seit einer Reihe von Jahren aus ihren Fugen gewichen, den Gedanken an ihren Untergang, ihre Auflösung erregen musste. Furchtbare Zeichen des Himmels deuteten einen Wechsel der Dinge an. Schon seit dem Jahre 1333 hatten im östlichen Asien, im fernen China, die Elemente begonnen, in verderblichen Aufruhr zu gerathen. Ueberschwemmungen traten ein, wie man sie nie vorher erlebt, dann kamen Perioden der Dürre und des Sonnenbrandes, welche jeden Halm, jedes Blatt zu Staub versengten. Der Boden klaffte auf, schauerliche Schlünde weisend, und Berge stürzten zusammen. Ein Erdbeben von unerhörter Stärke verwüstete Cypern, Griechenland, Italien und die Alpen

länder. In Kärnthen wurden 30 Ortschaften und die Stadt Willach von Grund aus zerstört und verschüttet.

Der Hungersnoth, die unter dem Zorn der Elemente begonnen, folgten auf dem Fusse schreckliche Begleiter, Heuschreckenschwärme und entsetzliche Krankheiten. Von den ersteren wurden die südlichsten Lande deutscher Zunge förmlich verheert,

ward doch einer jener Züge drei Meilen in der Breite befunden, während seine Länge die Tagereise des schnellsten Reiters noch übertraf. Aber in noch erschrecklicherem Maasse wüthete die Pest, der schwarze Tod, unter den geängsteten Zeitgenossen. „Von den fernsten Marken des Orients langsam, aber unaufhaltbar vorschreitend, wie ein göttliches Strafgericht, wälzte sich dies entsetzliche Uebel über das ganze Abendland her, überdeckte den Menschen mit schwarzen Brandblattern, warf ihn oft auf der Stelle nieder und liess keine Rettung zu, da jede Kunst der Aerzte an ihr zu Schanden ward." Allein in Deutschland wurde über eine Million Menschen von ihr hinweggerafft und die Geschichtsschreiber melden, dass sie bei uns nicht am heftigsten gewüthet.

Einzelne Städte zählten ihre Todten, Basel wies 14000 Leichen nach, Strassburg und Erfurt je 16000; auch die Franziskaner-Minoriten in Deutschland hielten eine Zählung der Opfer aus ihrer Mitte, und es fanden sich ihrer mehr wie Hunderttausend! - Vulkanische Ausbrüche, Erdbeben und Orkane wechselten mit diesen Schrecknissen ab, wunderbare Meteore erleuchteten den nächtlichen Himmel, eine grosse Flammensäule sah man grade über dem päpstlichen Palaste zu Avignon, den von Todesangst erfüllten Seelen bestätigend, dass jene Heimsuchung von Oben gesandt sei. - „Und doch schien alles Erlittene nur ein Anfang des Endes, dem die jammernden Völker nicht Deutschlands allein, nein der Erde, zitternd entgegenschauten. Ein schauerliches Gefühl musste Jeden ergreifen, die Ahnung noch entsetzlicheren Unheils sich unwiderstehlich dem Leichtsinnigsten und Sorglosesten aufdrängen, wenn er sich nur über die Schwelle seines Hauses wagte, denn eine verdorbene, betäubende Luft, eine feuchte Wärme, mit starkem, übelriechendem Nebel, schlug ihm entgegen, vor der selbst die Thierwelt in Schrecken und zitternde Furcht verfiel." Musste nicht da jedes Herz in zagender Bangigkeit den Untergang Aller, oder beim rettungslosen Hinsterben so Vieler, das eigene Stündlein erwarten?

Und dennoch gab es Viele, die nur in bacchantisch wilder Freude, in tollem Sinnentaumel, ein Gegengewicht für alle Schrecknisse und Plagen suchten, Solche, die in der Ueberzeugung des baldigen Endes aller Dinge, wenigstens die letzten Lebenstage in überschäumender Lust verbringen wollten und trunken sich jeden Gräul verstatteten, so scheusslich, als ob er ein Kind jener Pest sei!

„Bei den geschilderten Vorgängen und Naturereignissen, bedurfte es in der Mitte des 14. Jahrhunderts nicht auch noch der inneren Zerrüttung des moralischen Lebens und der sittlichen Zustände, des haltlosen Verfalls unter dem Clerus, des traurigen Kampfs zwischen Staat und Kirche, zwischen Kaiser und Papst, " der übermüthig drohenden Haltung Frankreichs, seines wahrhaft kanibalischen Hohns, allen wackeren Bestrebungen Deutschlands gegenüber, - „des Umsichgreifens aller rohen Gewalten, um die Menschen in einen Zustand und eine Stimmung zu bringen, worin sie in wildem Fanatismus entweder das Blut Anderer vergossen, jener unglücklichen Hebräer, die zu Tausenden todtgeschlagen, ersäuft, verbrannt, gemartert wurden, " nachdem man bald hier das Mährlein ersonnen, die Landplagen seien eine göttliche Strafe, weil die Juden mit geweihten Hostien Missbrauch getrieben, und bald dort das Gerücht von einer allgemeinen Judenverschwörung ausgesprengt, die von Spanien aus geleitet werde, um die ganze Christenheit zu vergiften, und die Pest sei nur die natürliche Wirkung,*) - „oder, in räthselhafter Sinnverwirrung gegen das eigene Blut wütheten, das jene wallfahrenden Scharen der Flagellanten mit ihren schrecklichen Geisseln einander aus dem Körper peitschten." - „Schwärmerische Ideen einer sittlichen Läuterung

*) Am Sonnabend vor Lätare, 1349, betraf die Verfolgungswuth auch die Israeliten zu Erfurt und die Bürgerschaft brachte mit Zulassung des Stadtraths über hundert derselben ums Leben. Die Uebrigen, deren Zahl auf mehr wie 3000 angegeben wird, retteten sich in ihre Häuser und verrammelten die Zugänge. Aber die Menge der Anstürmenden wuchs, wegen der Hoffnung auf Straflosigkeit, immer mehr und man zauderte nicht Feuer anzulegen, so dass die unglücklichen Belagerten nebst ihren wehrlosen Angehörigen und all ihrer Habe den Flammen zum Opfer fielen. „Viele zündeten, Angesichts eines sicheren Untergangs, mit eigener Hand ihre bedrohten Häuser an und verbrannten sich mit ihnen auf einem Scheiterhaufen."

Vergl. Chronik des Petersklosters, 340 ff. v. Gudenus, 104-106, gibt die Zahl der zu Erfurt gemordeten Israeliten auf 6000 an.

in ihren wunderlichen Cultus mengend, trieb sie der Gedanke, jene Züchtigungen, jene aszetischen Bussfahrten müssten den zürnenden Gott, der das Menschengeschlecht mit Qualen heimsuche, ,,zähmen, " sie standen ihm bei, sie zeigten sich ihm hülfreich, in rastloser Ausübung seiner Strafgewalt, gleichwie man einen Rasenden zu besänftigen glaubt, indem man ihm jeden Willen thut."*)

Hierauf mochten wohl die Worte des Liedes zielen, das sie unterm Schwingen ihrer blutigen Geisseln absangen, wenn sie, schwere Kreuze schleppend, mit entblösstem Rücken, in langen Zügen durch Dörfer und Städte pilgerten.

„Nu is die betevart also hehr,
Christ reit selber gen Jerusalem,
Er füerete ein Kriuze in seiner hant:

Nu helfe uns der heilant!

Nu hebet auf eure hände,

Dass Gott das sterben wende,

Nu hebet auf eure Arme,

Dass sich Gott uns erbarme!

Nu ist die betevart also guot,

Hilf uns Herr durch dein heilig bluot,
Das du an dem Kriuze vergossen hast
Und uns in dem ellende gelassen hast!

Nu ist die strasse also breit,

Die uns zu unser frowen treit,
In unser lieben frowen lant,
Nu helfe uns der heilant.

Wir sollen die buosse an uns nehmen,
Dass wir Gote desto bass gezémen,

Aldort in seines vaters Rich.

Das bitten wir dich alle glich.,
So bitten wir den heilgen Christ,
Der aller welt gewaltig ist."

So oft sie an eine Kirche kamen, warfen sie sich mit ausgebreiteten Armen, also unter Nachahmung des Kreuzes, zu Boden und sangen:

*) „Schon die Verbindung der Reuwinen oder Beguinen und der Begharden machte gleichen Ursprungs sein. Der Kirche erschienen jene Verbrüderungen, jene von Laien ausgehende Schwärmerei, um so gefährlicher, als sich Ideen einer Kirchenreformation mit einmischten, darum that sie der Papst schleunig in den Bann. Einer ihrer Führer, Constantin, wurde zu Erfurt verbrannt, weil er sich für den Messias ausgab." Wolfgang Mentzel, Gesch. der Deutschen.

„Jesus, der wart gelabt mit gallen,
Dess sollen wir alle am kriuze fallen!"

Jeder erhielt von seinen Brüdern die Absolution, ohne münd

lich beichten zu müssen, mit den Worten:

„Steh auf durch der reinen marter ehre,
Und hüte dich vor sünden mehre."

Und so zogen sie denn vorüber, mit ihren Kreuzen, Fahnen und Fackeln, die Häupter vermummt, dass man aus den schwarzen Verhüllungen nur die tiefliegenden Augen hervorleuchten sah,

mit ihren schaurigen „Leisen".

„Ein anderer Theil des Volks dazwischen klammerte sich mit seiner ganzen Hoffnung an ein Phantom und Sagengebilde." Er konnte, er wollte nicht glauben, dass die grossen Kaiser auf immer dahin gegangen seien. Er lebte dem Gedanken, dass der grosse Hohenstaufe, sei es der verzauberte Rothbart im Kyfhäuser, sei es Kaiser Friedrich II., glorreichen Andenkens, „als von Gott mit wunderbarer Kraft ausgerüsteter Monarch, wiederkehren werde, um die Kirche wieder aus den schmachvollen Banden Frankreichs zu erlösen, nicht nur des Reiches alte Herrlichkeit wieder herzustellen, nein dem ganzen Erdkreis Heil und Frieden zurückzubringen!"

So trug man denn die unsterbliche Idee des Kaiserthums auf jene Helden selbst über und die ewige, - ja diese nimmer ertödtende Sehnsucht nach einem wahren und ächten deutschen Kaiser trat wieder so recht klar und lauter zu Tage.

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„Er werde," sagten jene Gläubigen, „den Unterschied von Arm und Reich ausgleichen: der armen Jungfrau den reichen Jüngling vermählen, dem reichen Weibe den Darbenden zum Manne geben, der Nonne den heiss und heimlich ersehnten Gatten, dem Mönche die entbehrte treuliebende Gattin, den Beraubten, Waisen, Wittwen und Unterdrückten ihre Habe wieder reichen, - Allen Gerechtigkeit verschaffen! Den reichen Clerus werde er so unerbittlich verfolgen, dass die frommen Patres ihre Tonsur, um sie nur unsichtbar zu machen, in der ängstlichsten Weise zu verbergen suchen würden, und unwürdiges Pfaffenvolk werd' er wie Strolche von der Erde ausrotten."

Wer konnte es dem jammernden, verzweifelnden Volke verargen, den Gedanken an einen besseren, erträglicheren Zustand zu fassen? „Ein grosses, mächtiges Reichsoberhaupt, das furchtlos und treu eine grosse, zu Boden getretene Nation zu alter Herrlichkeit

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