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Thätigkeit hinderte ihn übrigens keineswegs an der eifrigsten Benußung alles Dessen, was seine Vaterstadt an Bildungsmitteln bot; ja gerade diese Zeit war es, von der er später im Vorworte zu einem der legten Bände seiner Geschichte der deutschen Dichtung selbst erzählt: daß, wenn er nicht damals so außerordentlich viel gelesen hätte, es ihm unmöglich gewesen sein würde so bald deren Ausarbeitung zu beendigen. Ueberhaupt mögen außer Schlosser sehr Wenige eine der seinigen auch nur nahe kommende Belesenheit und eine ähnliche Gabe gehabt haben rasch den Kern der Bücher zu fassen und sich gegenwärtig zu halten.

Die überaus lebhafte Theilnahme an vaterländischen und staatlichen Dingen, die auch bei Gervinus schon im Knabenalter durch die Freiheitkriege geweckt worden war, erhielt eben damals eine neue kräftige Anregung durch den griechischen Freiheitkampf und den spanischen Aufstand unter Riego. Eine Rückwirkung dieses letzteren war unter andern auch die, daß Gervinus mit einigen Altersgenossen schon zu jener Zeit Spanisch lernte, was ihm später für seine Arbeiten ebenso zu Statten kam wie die demnächst erworbene Kenntniß der italienischen und englischen Sprache. Je mehr er inzwischen zum politischen Bewußtsein herangereift war, desto schmerzlicher empfand er mit der ganzen Jugend jener Zeit das eisige Alpdrücken der furchtbaren Reaction, die zum Dank für die opferfreudige Hingebung unsers Volks und seine blutigen Siege über den französischen Unterdrücker auf Deutschland lastete, die während eines vollen Vierteljahrhunderts, d. h. nach einer kurzen Unterbrechung durch die Julirevolution, sich bis zum Jahr 1840 immerfort gesteigert hatte, und den hoffnungsvollsten Theil des jungen Geschlechts entweder ins Ausland trieb oder in den Kerkern verkommen ließ. Auch zum Fortbetrieb der Schulstudien blieb Gervinus' Kaufmannszeit nicht ganz unbenußt, so daß es ihm in kaum einem halben Jahr nachher seitdem er seines Berufs zum Studieren inne geworden und, wider des Vaters Wunsch, sich dazu entschlossen hatte — durch angestrengten Fleiß möglich geworden war seine Altersgenossen, die in der Classe geblieben waren, völlig einzuholen und die Abgangsprüfung zu bestehen. Er widmete sich nun der Philologie und bezog zuerst die Landesuniversität Gießen, die ihn aber wenig befriedigte. Er ging daher von da, besonders angezogen von Schlosser, im Frühjahr 1826 nach Heidelberg, und dieser Schritt wurde entscheidend für sein Leben. Hier war es nämlich, wo er zum vollen Bewußtsein seiner vorwal

tenden Neigung zur Geschichte gelangte und zu dem bestimmten Entschluß sich ihr künftig ausschließend zuzuwenden. Auf diesen Entschluß vom größten Einfluß war der nähere Verkehr mit Schlosser, der seinen scharfen Blick auch an ihm bewährte, ihm freundlich entgegenkam und ihn in den engeren Kreis von strebsamen jungen Männern zog, mit denen er jederzeit sich umgab, gemeinsam etwas streng Wissenschaftliches las und besprach. Die gewaltige Persönlichkeit dieses Mannes, der sittliche Ernst, die Gründlichkeit und der riesige Fleiß seiner Forschung, seine unbeugsame Wahrheitliebe, Charakterfestigkeit und Geradheit wirkten hinreißend auf Gervinus, wie auf so viele Andere, und er blieb ihm zeitlebens ein würdiges Vorbild. Wie schon früher in der Schul- und Kaufmannszeit, so verkehrte Gervinus auch während der Studienjahre, die er bestens nüßte, immer nur mit wenigen Freunden, am Meisten mit solchen, zu denen eine Gemeinsamkeit der Bestrebungen ihn hinzog. Nach Beendigung der Universitätsstudien wirkte er im Jahr 1828 und 1829 zu Frankfurt als Lehrer in einem namhaften Erziehungsinstitut, dann kurze Zeit ebenda als Hauslehrer. In jene Zeit fällt auch seine Betheiligung an einer Ausgabe des Thukydides, die er aber bald wieder aufgab. Hierauf machte er in Begleitung eines jungen Engländers eine Reise nach Italien und habilitirte sich 1830 zu Heidelberg in lateinischer Disputation, wobei ihm der demnächst berühmt gewordene Philologe Karl Friedrich Hermann opponirte, der damals gleich dem Germanisten Beseler dort docirte. Seine Zeit widmete Gervinus, schon als Privatdocent, ungleich weniger den Vorlesungen als seinen wissenschaftlichen Arbeiten, und er folgte dabei nur einem inneren Antrieb, denn er war offenbar mehr zum Forscher als zum eigentlichen Lehrer geboren. Das Schulmeistern, ja überhaupt das viele Sprechen, war nie seine Sache, und er galt schon bei seinen Schulkameraden für eine in sich gekehrte Natur. Obgleich er klar, fließend und ebenso anregend vortrug als schrieb, so sette er doch leicht bei seinen Zuhörern etwas zu viel voraus. Seine gewöhnliche Schweigsamkeit schloß jedoch nicht aus, daß er gelegentlich auch wohl einmal überaus fröhlich sein konnte und dann ganz aus sich herausging. Auch an berathenden Versammlungen mit ihrem vielen fruchtlosen Hin- und Herreden, wo nicht gar eitlen Schönrednereien, hatte er von je her kein Gefallen, fühlte sich darin nicht an seinem Plaß und es war dort nicht lange seines Bleibens. Seine meist scharf treffenden Urtheile über göttliche und menschliche Dinge waren ohnehin fast lediglich die

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Frucht eignen Studiums und Nachdenkens, und, wie sie ohne Zuthun Anderer zu entstehen pflegten, so hielt es auch meist sehr schwer ihn davon abzubringen; schon als junger Mensch war er sehr bald mit sich über Etwas im Reinen und fertig und dann ziemlich abge= schlossen und unzugänglich.

Seine schriftstellerische Laufbahn eröffnete er mit einer Anzahl kleinerer Arbeiten, z. B. der Dissert. über die Geschichte der Angelsachsen, den Briefen über Heeren, der aragonischen Geschichte, den (von Dahlmann als „ausgezeichnet" gerühmten) Untersuchungen über die florentinische Historiographie 2. 1833. Hieran schlossen sich später, 1837, die vortrefflichen „Grundzüge der Historik." 1835 erschien der erste Band des bahnbrechenden großen Werkes, das zuerst unter dem Namen „Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen" erschien, das gewissermaßen die Losung gab zur Veröffentlichung zahlreicher ihm freilich höchst ungleicher Werke Anderer unter gleichem Titel. Den ersten Anstoß zur Abfassung dieses Werkes gegeben zu haben, verdankt man dem mit Gervinus befreundeten Buchhändler W. Engelmann. Es war ganz in Schlossers Geist, d. h. in steter Rücksicht auf die Wechselwirkung des geistigen und des äußeren Lebens unseres Volkes durchgeführt, zeugte von der gründlichsten und umfassendsten Quellenforschung und erfreute sich nicht nur Schlossers und der Brüder Grimm höchster Anerkennung, sondern auch des ungetheilten Beifalls des ganzen Deutschlands. Schon bald nachher ward Gervinus in Heidelberg zum außerordentlichen Professor und dann auf Dahlmanns und Jakob Grimms dringendes Verlangen 1836 als ordentlicher Professor nach Göttingen berufen. Dort verheirathete er sich in demselben Jahr mit Victorie Schelver, der jüngsten Tochter des verstorbenen Heidelberger Professors der Botanik, und diese Ehe gab ihm jene Befriedigung im engsten häuslichen Kreise, der er es zu verdanken hatte, daß manche herben Erlebnisse ihn wenig oder gar nicht berührten.

Gervinus gehörte ohne Frage zu den aufgehenden Sternen der Georgia Augusta und die, wenn auch nur kurze, Zeit seines Göttinger Aufenthaltes war offenbar die Blüthezeit seines Lebens. Aufs Innigste befreundet mit Dahlmann, den Brüdern Grimm und andern hervorragenden, jedoch meist jüngeren Männern, erfreute er sich einer Uebereinstimmung des Denkens und Fühlens mit ihnen, wie sie überall selten, am Seltensten aber auf den Hochschulen zu finden ist. Das gleiche Streben, der rege Meinungsaustausch und das treue Zu

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sammenwirken in diesem Kreise hochbegabter Männer wirkte höchst anregend und wahrhaft neubelebend zurück auf die ganze Hochschule, die bekanntlich der Hauptsitz des vornehmen Professorenthums und seines altherkömmlichen Zopfes bis dahin gewesen war. Nie hatte auch Gervinus mit so viel Liebe, Eifer und Erfolg seine Vorlesungen gehalten als dort. Aber diese Herrlichkeit sollte nicht lange dauern. 1837, schon sehr bald nach den unvergleichlich glänzenden Tagen der hundertjährigen Jubelfeier der Universität, zerriß bekanntlich Ernst August das hannoverische Staatsgrundgesetz, an dessen Zustandebringen Dahlmann den hauptsächlichsten Antheil gehabt hatte. Gervinus war viel zu wenig bloßer Stubengelehrter, viel zu sehr ein ganzer Mann, von Grundsäßen und tiefen politischen wie sittlichen Ueberzeugungen getragen, um nicht sofort nebst noch fünf andern der ersten Männer der Wissenschaft sich der Rechtsverwahrung anzuschließen, die Dahlmann gegen diesen plumpen Staatsstreich abgefaßt hatte. Je weniger man von Professoren ein so muthiges Auftreten gewohnt war, desto mächtiger wirkte bekanntlich diese That der Sieben" im ganzen deutschen Vaterland. Gervinus ward sogar mit Dahlmann und Jakob Grimm vor den Andern, die nur ihres Amtes entsegt wurden, dadurch ausgezeichnet, daß sie alle drei binnen kürzester Frist Stadt und Land verlassen mußten. Er ging in Folge Dessen auf fast anderthalb Jahre nach Italien und zog dann im Herbst 1839 nach Heidelberg über. Hier hat er seitdem, mit nur einer längern Unterbrechung durch eine abermalige Reise nach Italien im Spätsommer 1866, bis zu seinem Tode, also mehr denn 31 Jahre, sehr zurückgezogen ein arbeitsames Stillleben gelebt. Inzwischen hatte er schon 1842 die Geschichte der deutschen Dichtung mit dem fünften Bande vollendet, und sich dann nach einander an die große Arbeit über Shakespeare und an die ungleich größere der Geschichte des 19. Jahrhunderts begeben. Wer es weiß, wie unendlich schwer es für die Schrift eines Ausländers über Shakespeare ist, Eingang und vollends große Anerkennung in England zu finden, der muß sich wundern, daß Beides dem Buche von Gervinus in Folge einer Ueberseßung gelungen ist, und man darf daraus wohl mit Recht schließen, daß man dort Manches darin entdeckt hat, was in der ganzen überreichen englischen Shakespeare-Literatur nicht zu finden war. Das eben erwähnte Geschichtwerk aber stellt sich durch den Umfang und die Gediegenheit der Quellenforschung, nicht minder durch das treffende Urtheil, würdig an die Seite der Schlosser'schen Geschichte des 18. Jahr

hunderts und seiner eigenen Geschichte der deutschen Dichtung, von der einst Jakob Grimm urtheilte, daß ihr Verfasser den Nagel auf den Kopf getroffen und Das richtig herausgefunden habe, was alle Andern vergeblich gesucht.

Die Reihe von Bänden jener neueren Geschichte fand befanntlich leider im Jahr 1866, wo Gervinus daran weiter zu arbeiten die Lust verlor, ihren Abschluß. Dem Professor honorarius zu Ehren, wozu man ihn in Heidelberg ernannt hatte, hat er, wenn wir nicht irren, nur viermal, 1846 und 1847, Vorlesungen gehalten, darunter eine über Politik und eine über Shakespeare. Zu den fleineren Schriften, die er bald nach Vollendung der Geschichte der deutschen Dichtung veröffentlichte, gehört das zuerst 1842 erschienene „Handbuch der poetischen Nationalliteratur der Deutschen“ und die Flugschrift über „die Mission der Deutschkatholiken“ 1845. In dieser religiösen Bewegung erblickte er wenigstens einen nachdrücklichen Protest gegen jeden Bersuch der Erneuerung mittelalterlichen Aberglaubens, sowie gegen die ebenso vollkommen zeitwidrig gewordene Aufrechthaltung eines Dogmenzwanges, sei es von katholischer oder protestantischer Seite: im Uebrigen hatte er zu ihr freilich wenig Zutrauen. 1846 verfaßte er die durch Christians VIII. offenen Brief veranlaßte, von Heidelberg ausgegangene, Adresse an die Schleswig-Holsteiner, für deren Sache er auch später persönlich in England zu wirken suchte. Diese Adresse fand bekanntlich lebhaften Anklang in ganz Deutschland und gab den Hauptanstoß zu der langjährigen Bewegung zu Gunsten der Herzogthümer. Das preußische Patent vom 3. Februar 1847 bestimmte Gervinus zu seiner ausführlichen Beleuchtung in der Flugschrift „Die preußische Verfassung und das Patent 2c.," worin er auf die überzeugendste Weise den Mißklang darlegte, in welchem der Geist dieser Schöpfung mit den unabweislichsten Bedürfnissen unserer Zeit und unseres Volkes stand, und worin ein seltener politischer Scharfblick, man möchte fast sagen eine Sehergabe, nicht zu verkennen ist. Gervinus hielt nun, und nach den folgenden Vorgängen, dem Auftreten des Vereinigten Landtags" 2c., endlich die Zeit für gekommen wo man ernstlich darauf denken mußte der seit 1840 allmählich erwachten freiheitlichen Lebensregung unseres Volks Zusammenhang und ein bestimmtes Ziel zu geben, gleich frei von der Fehlrichtung aller äußersten Parteien, vor allen der republikanischen, aristokratischen und socialistischen. Dazu hielt er die Gründung eines größeren Tagblattes für unbedingt nöthig und unternahm ein solches selbst her

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