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Quellenwerken sind diesen, Centurien vorausgegangen. Sie sollten sachdienliches, geschichtliches Material zur Bekämpfung der katholischen Kirche wie des Papsttums bereitstellen. Unter diesen Vorläufern ragt ein Duodezband von 494 Druckseiten hervor, welcher in den Jahren 1556/57 in der Offizin von Ludwig Lucius in Basel mit einer Vorrede von Matthias Flacius, erschienen ist. Die aus Magdeburg und vom ersten Mai 1556 datierte Vorrede ist an den Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg gerichtet. Der Titel des Bandes aber lautet: Varia doctorum piorumque virorum de corrupto Ecclesiae statu Poemata, ante nostram aetatem conscripta; ex quibus multa historica quoque utiliter, ac summa cum voluptate cognosci possunt. Der Band ist ziemlich selten. Die Münchener Universitätsbibliothek besitzt ihn nicht. Dagegen ist er in der K. Hof- und Staatsbibliothek in einem Exemplar vertreten. Wie schon der Titel der Sammlung es andeutet, werden hier vornehmlich lateinische Dichtungen des Mittelalters geboten. Aber auch Spottverse gegen Päpste der Renaissancezeit kommen vor. Besonders genannt werden darunter Calixtus III, Pius II, Sixtus IV, Innocenz VIII, Alexander VI, Julius II, Leo X und Klemens VII.

Äußerlich ist der Band in vier Abschnitte eingeteilt. Während der vierte Abschnitt Anklagen enthält, welche gegen die Mönche gerichtet sind (p. 455), trägt der dritte Abschnitt (p. 406) die besondere Überschrift: De sceleribus Romae. In mehreren Einzeldichtungen wird hier in zum Teil sehr deutlichen Versen die Käuflichkeit und die Habsucht der Kurie gegeißelt. Eine besondere Bewandtnis aber hat es mit dem letzten in diesem dritten Abschnitt abgedruckten Poem. Nicht nur durch seine Länge zeichnet es sich aus. In diesem Flacianischen Druck p. 418-454 zählt es 967 Verse in Form von Distichen; auf einen Hexameter folgt immer ein Pentameter. Prüft man den Inhalt genauer, so scheint es zunächst ein ungeheurer Panegyrikus auf die päpstliche Kurie zu sein. Gepriesen wird die Bevölkerung Roms, gepriesen die Kurie mit ihren zahlreichen Beamten, deren Stufenfolge und Beschäftigung uns genau beschrieben werden. In überschwänglichen Worten gepriesen werden schließlich die Kardinäle und der Papst.

Der Flacianische Druck aber läßt es sich angelegen sein, das richtige Verständnis dieser Dichtung zu erschließen; die Überschrift lautet bei Flacius p. 418:

Ganfredus de statu curiae Romanae et de eius ironica recommendatione.
Und p. 454 lautet der letzte Vers:

O miser Aprilis, hic fuit antiphrasis.

Damit ist gesagt, daß die ganze Dichtung, welche als eine Unterhaltung zwischen einem Manne des Namens Ganfredus und einem andern, Aprilis geheißen, gegliedert ist, als eine scharfe Ironie aufzufassen sei, durch welche die römische Kurie gebrandmarkt werden solle.

Bei diesem Sachverhalt ist es besonders reizvoll zu sehen, daß eine Koryphäe auf dem Gebiete geschichtlicher Quellenforschung wie Jean Mabillon dasselbe lateinische Gedicht über die römische Kurie im vierten Bande seiner Vetera Analecta (Paris 1685) von neuem abdrucken konnte unter der Überschrift: Veteris Poetae Carmen apologeticum interlocutoribus Gaufrido et Aprile, adversus obtrectatores Curiae Romanae.1)

Von dem älteren Flacianischen Druck hat Mabillon im Jahre 1685 offenbar keinerlei Kenntnis gehabt.

1) Mabillon, Veterum Analectorum IV, 555-564.

Was also Matthias Flacius für eine schneidende Ironie ansah, das ist dem berühmten französischen Mauriner als eine Apologie zu Gunsten der römischen Kurie erschienen.

Der Tatbestand eines so scharfen Auseinandergehens der Ansichten namhafter Quellenforscher legt den Wunsch nach weiterer Aufklärung nahe.

Zunächst aber sei auf einen Unterschied hingewiesen, welcher in der Textüberlieferung, abgesehen von einer Anzahl von Einzelvarianten, zwischen dem Text bei Flacius und demjenigen bei Mabillon besteht. Der Flacianische Text beginnt alsbald mit der Schilderung der Begegnung zwischen Ganfredus, welcher von der Kurie zurückkehrt, und Aprilis, der, aus spanischem Volke aufgebrochen, sich auf dem Wege nach Rom befindet:

Nuper Apostolica Ganfredus sede relicta

In patriam rediit, cuncta peracta tenens,
Obviat Aprilis Hispana gente profectus,
Obviat, inque vicem verba salutis agunt.

Bei Mabillon dagegen geht dieser Schilderung des Textes eine Einleitung voraus, welche 48 Verse umfaßt. In ihr erzählt der Dichter, wie der Papst selber ihm den Auftrag gegeben habe, die Kurie poetisch zu schildern. Der Papst beruft sich dabei auf ein früheres Werk des Dichters, in welchem er die Tränen der Kirche besungen habe.

Dieser Aufforderung des Papstes leistet der Dichter Folge. Er erklärt, den Gegenstand in der Form eines Dialogs behandeln zu wollen, und beginnt mit einer Anrufung der Hilfe der himmlischen Mächte. Er hofft auf milde Beurteilung, da er die von vielen angegriffene Kurie zu verteidigen unternimmt. Die Anfangsverse bei Mabillon aber lauten:

Pastor apostolicus de cardine Solis ad undas
Aequoris occidui quem timet omne solum:
Imperio cuius tepido famulantur ab axe
Usque sub arctoas terra remota plagas:
Ille mihi dixit: Tu qui nuper cecinisti
Ecclesiae lacrimas, scribe, resume stilum.

Gehen wir, durch diese Feststellungen angeregt, der Verbreitung dieses Gedichtes in der handschriftlichen Überlieferung wie in der Literatur etwas weiter nach, so finden wir, daß es im ausgehenden Mittelalter nicht selten abgeschrieben worden und noch heute in einer Reihe von Bibliotheken vorhanden ist. Aber auch in der Literatur hat es bereits im ausgehenden Mittelalter, wie namentlich seit dem 16. und 17. Jahrhundert, mannigfache Beachtung gefunden. Dabei zeigt sich die Fortdauer des Gegensatzes in der Würdigung des Gedichtes, wie er uns schon zwischen Flacius und Mabillon begegnet war.

Bei der Umschau nach Handschriften, welche das Gedicht uns überliefern, beginne ich mit der K. Hof- und Staatsbibliothek zu München.

Hier enthält der von Dr. Hartmann Schedel im Jahre 1463 geschriebene Papierkodex Clm. 418 auf fol. 87-101 unsere Dichtung unter der Überschrift: Hyronia Gualfredi de gestis Curie Romane. Das Incipit lautet wie bei Mabillon: Pastor apostolicus, das Explicit ebenso mit Mabillon übereinstimmend: hunc peregrina domus. Der letzte Vers der Flacianischen Ausgabe, welcher die. Dichtung als antiphrasis bezeichnet, fehlt also in dieser Überlieferung. Dagegen bezeichnet der Titel die ganze Dichtung als eine Ironie. Diese Überschrift scheint zugleich anzudeuten, daß als Verfasser der Ironie eine der beiden

redenden Personen und zwar Gualfredus anzusehen sei. Im Catalogus Codicum Latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis Bd. III, p. I ed. altera, Monachii 1892, p. 111 wird demgemäß ein ganz bestimmter Gualfredus als Verfasser bezeichnet. Unter Hinweis auf Polykarp Leysers Historia poetarum et poematum medii aevi 1741, p. 979 nennt der Catalogus a. a. O. als Autor den Galfredus de Vinosalvo Anglicus, einen englischen Schriftsteller des ausgehenden 12., des beginnenden 13. Jahrhunderts.

Hartmann Schedel hat aber auch eine andere Überlieferung des Gedichtes gekannt. In seinem Codex chartac. saec. XV Clm. 466 hat er fol. 27 wenigstens Bruchstücke dieser Überlieferung, im ganzen 19 Verse, abgeschrieben. Hier erhält das Gedicht die Überschrift: Gamphredus de laude Romane Curie.

Der Text beginnt wie bei Flacius:

Nuper apostolica Gamphredus sede relicta
In patriam rediit

und am Rande links vom ersten Verse steht von gleicher Hand ausdrücklich das Wort: Inicium.

Nach den vier ersten Versen springt die Abschrift auf einen späteren Abschnitt über, der von den procuratores an der Kurie handelt. Es sind die Verse 137-151 unserer und der Mabillonschen Ausgabe, welche hier mit verschiedenen Varianten geboten werden.

Dem 13. Jahrhundert ist in dem hier in Betracht kommenden Teile eine ehemals dem Benediktinerkloster Oberaltaich gehörige Pergamenthandschrift zuzuweisen, welche heute in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek als Clm. 9659 signiert ist. Fol. 85 beginnt unser Gedicht unter der roten Überschrift: Disputacio Gaufridi et Aprilis De Roma. Das Incipit lautet:

Pastor apostolicus a cardine solis ad undas.

Das Explicit dagegen:

hunc peregrina domus.

Explicit Pastor apostolicus.

Von einem Hinweis auf eine ironische Deutung des scheinbar panegyrischen Inhaltes findet sich also keine Spur, weder in der Überschrift noch im Explicit.

Von ganz besonderem Interesse für die Überlieferung unseres Gedichtes ist die Münchener Handschrift Clm. 14129. Es ist ein Folioband in Papier von 313/14 beschriebenen Blättern. Der Inhalt des ganzen Bandes ist ein einheitlicher. Eine einzige Hand hat ihn geschrieben und zwar in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Das ganze Werk setzt sich aus zwei Büchern zusammen, welche handeln de moribus egregiisque dictis omnium phylosophorum et poetarum. Et continet duos libros parciales. In primo agitur de phylosophis in generali. In secundo de phylosophis et poetis in speciali.

Das Werk will also gleichsam eine Blütenlese, zugleich aber auch eine Art von Literaturgeschichte bieten, in welcher hervorragende Philosophen und Dichter vertreten sein sollen. Das zweite Buch, welches die einzelnen Philosophen und Dichter in 247 Kapiteln vorführt, ist schon äußerlich viel umfassender als das erste Buch mit seinen fünf Traktaten. Auf der Rückseite von fol. 39 beginnt dieses zweite Buch.

Der Verfasser gibt alsbald die Quellen an, aus welchen er schöpft und sagt, jedem Philosophen oder Dichter sei ein Kapitel gewidmet. In Bezug auf die Quellen heißt es in

der allgemeinen Vorbemerkung zum zweiten Buche: Est autem hic liber collectus et receptus ex variis libris et materiis dispersis hinc inde, videlicet ex Speculo Hystoriali Vincencii, ex libro de compendio philosophorum, ex Laericio (sic! statt Laercio) de vita philosophorum, ex Agellio (sic!), ex Jeoronimo contra Jovinianum, ex beato Augustino in libro de civitate Dei, ex Helynando, Orosio, Justino et pluribus chronicis et ex libro de castigacionibus philosophorum aliisque diversis libris sentencias huiusmodi morales philosophorum et poetarum continentibus, quas hic placuit inserere et in unum compendiosum librum redigere, quatinus aliis libris egentibus difficultas huiusmodi inveniendi materias philosophicas et poeticas penitus excludatur.

"

Nun beginnt der Redaktor des Sammelwerkes mit den Philosophen des griechischen Altertums, indem er im ersten Kapitel Thales, im zweiten Solon behandelt. Auch in den folgenden Kapiteln überwiegen die Philosophen und Dichter des Altertums. Unter den Christen ist begreiflicherweise Boethius stark vertreten (cap. 202). Später erscheinen die Gelehrten des karolingischen Zeitalters und dann die des folgenden Mittelalters. Keiner derselben aber ist jünger als das 13. Jahrhundert. Im Kap. 218 kommt der Kompilator auf seinen früher schon genannten Gewährsmann Helinandus, den er hier als Frigidimontis 'monachus bezeichnet und von dem er sagt, er habe zu den Zeiten des Kaisers Philippus des Zweiten" geblüht.1) Im Kap. 220 erscheint Walter der Poet, im Kap. 230 Gamfredus, der als rhetor et poeta excellentissimus gerühmt wird und von dem es heißt, er habe zu den Zeiten des englischen Königs Richard Löwenherz und des Papstes Innocenz III geblüht. Auch sei er Protonotar des genannten englischen Königs gewesen. Mit diesem historisch beglaubigten englischen Schriftsteller, der tatsächlich am Ende des 12. und zu Anfang des 13. Jahrhunderts gelebt hat, bringt nun unser Kompilator im Kap. 247, dem allerletzten seines Sammelwerkes, den angeblich spanischen Philosophen Aprilis in die nächste Beziehung. An der Hand des von uns hier behandelten lateinischen Gedichtes über die römische Kurie schildert der Kompilator von Clm. 14129, cap. 247 die Begegnung des Gamfredus und des Aprilis. Jener kehrt von der Kurie zurück, nachdem er dort seine Geschäfte erledigt, Aprilis ist auf dem Wege aus Spanien nach Rom, wo er durch die Gnade des Papstes ein Benefizium zu erlangen hofft. Für die Überlieferung des Gedichtes über die römische Kurie ist von Bedeutung die Tatsache, daß schon in dieser Handschrift Clm. 14129 (aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts), der eine der beiden. Interlokutoren, Gamfredus nämlich, als der Verfasser des Gedichtes bezeichnet und für identisch erklärt wird mit jenem Engländer Gaufredus, den man gewöhnlich de Vino Salvo benennt, und der als Verfasser einer großen, lateinischen Poetria nova bekannt ist. Der Kompilator von Clm. 14129 läßt diesen Engländer das Gedicht de statu Curiae Romanae schreiben, nachdem er aus Rom in sein Vaterland zurückgekehrt ist. Ausdrücklich sagt der Kompilator, Gamfredus habe das fertige Gedicht dem Papste Innocenz übersandt, von welchem er den Auftrag dazu erhalten habe. Obwohl in Clm. 14129 fol. 298 das Gedicht zunächst bezeichnet wird als libellus de statu et commendacione Romane Curie, wird unmittelbar danach gesagt, der Titel des Libells habe gelautet: Incipit yronia Romane

1) Gemeint ist der französische Zisterzienser Helinandus aus dem Kloster Froidmont, welcher nach dem Jahre 1229 gestorben ist. Vgl. über ihn die Histoire littéraire de la France, t. XVIII, p. 87–103. Weitere Litteratur in Ulysse Chevaliers Répertoire des sources hist. I, 2e édit., p. 2047.

Curie a magistro Gamfredo Anglico edita ad Aprilem. Und zur weiteren Erläuterung fährt der Kompilator von Clm. 14129 a. a. O. wörtlich fort:

Bene inquit yronia. Nam yronia est locucio pronunciata de aliqua re contrarium habens intellectum. Sic in hoc libello Gamfredus describit commendando singula officia Curie Romane secundum iuris formam secundum quam exerceri solent, interius tamen de facto fieri contrarium dat intelligere quasi per antifrasim ea secundum utitur autem Gamfredus in huiusmodi libello sermone dyalogo seu tragmatico (sic!) qui est inter Aprilem velut querentem et seipsum ut respondentem. Cuius libelli materia cum sit pulchra et rara presentibus de verbo ad verbum est1) annotata etc.

Nun folgt nach einer roten Vorschrift: De causa suscepti operis die ganze Dichtung von Nuper apostolicus (fol. 299) bis zum Schluß: hunc peregrina domus (fol. 308′).

Da haben wir also unseren libellus de statu Curiae Romanae gleichsam als Glanzund Höhepunkt am Abschluß unserer spätmittelalterlichen Literaturgeschichte und Blütensammlung zur Geschichte antiker und mittelalterlicher Philosophie und Dichtkunst. Der Kompilator aber dieser Geschichte der Weltliteratur faßt unser Gedicht auf als eine feine Ironie und schreibt sie dem Engländer Gaufredus de Vino Salvo zu, dem Zeitgenossen König Richards und Papst Innocenz III, dem Verfasser der Poetria nova.

Das ist eine für die Überlieferungsgeschichte sehr wertvolle Feststellung. Auch die K. Bibliothek in Berlin verwahrt eine besonders wichtige Pergamenthandschrift saec. XIII unseres Gedichtes, welche aus der ehemals Meerman'schen Bibliothek später in die Bibliothek des Sir Thomas Phillipps als Nr. 1827 gelangte und von dort für die K. Bibliothek in Berlin erworben wurde.

Unter den lateinischen Handschriften der Berliner Bibliothek steht sie jetzt als Ms. Nr. 193 und Valentin Rose hat sie im XII. Bande der Handschriftenverzeichnisse der K. Bibliothek zu Berlin, S. 430-433 im Jahre 1893 genauer beschrieben. Der Pergamentkodex in bequemem Oktavformat enthält zunächst fol. 2r-67 eine Blütenlese, Proverbia aus antiken und mittelalterlichen Dichtern. Dabei sind u. a. vertreten: Ovid, Vergil, Statius, Geta, Pamphilus, Horaz, Juvenal, Persius, Lucan, Sedulius, Prosper, Prudentius, Maximian, Claudian, des Alanus ab Insulis Anticlaudian, Gualterus etc.

Ohne alle Überschrift folgt dann fol. 67-72 zweispaltig mit dem Incipit:
Pastor apostolicus te (sic!) cardine solis ad undas

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Auf das letztere folgt von der gleichen Hand geschrieben wie das Gedicht die sehr wichtige Schreibernotiz:

Wernherus scripsit anno domini MCCLXXVII in Augusto.

Das Gedicht ist also hier im August 1277 von einem Schreiber namens Wernher abgeschrieben worden. Der ganze Kodex aber zeigt in seiner Anlage eine gewisse Ähnlichkeit mit Clm. 14129 in München: als Abschluß eines Florilegiums lesen wir in beiden Handschriften unser Gedicht. Nur ist die Blütenlese in Clm. 14129 nicht auf Dichter beschränkt und zu einer Art Geschichte der Weltliteratur erweitert worden.

1) Hds. et.

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