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auch unsere Aufmerksamkeit von anderen Seiten der Sage ganz abzulenken, zumal sich ja oft von vornherein gar nicht bestimmen läßt, ob nicht einer Sage irgend ein Mythos zum Grunde liege, da häufig die Vergleichung mit Sagen älterer und neuerer Völker einen solchen mythischen Gehalt derselben ergibt. Dagegen haben wir häufig wiederkehrende Sagen, die auch bereits von Andern gesammelt waren und keine neuen und wichtigen Züge darboten, entweder nur einmal oder auch gar nicht aufgenommen, sobald sie namentlich den Charakter alltäglicherer Spuk- und Gespenstergeschichten an sich trugen. Wo aber solche Sagen, wie namentlich mehrere vom Harz und Kyffhäuser in mythologischer Beziehung wichtig waren, da erschien es uns zur Charakterisirung des Gebiets von Wichtigkeit, auch von Andern bereits Mitgetheiltes in der Form, wie wir es hörten, von neuem mitzutheilen, und man wird finden, daß sich in dieser Beziehung zuweilen so wichtige Züge ergeben haben, daß der einzelnen Sage erst dadurch ihr richtiger mytho= logischer Standpunkt angewiesen wird. Dies ist z. B. der Fall in der Sage von der Prinzeßin Ilse und dem Pferdejungen, der seine Pferde verloren, Nr. 200, 3. Diese Sage hatten wir zuerst im Herbst 1845 gehört, ohne daß uns jedoch der Zug, daß der Junge seine Pferde in der Höhle der Prinzeßin wiederfindet, erzählt wurde; wir hielten des= halb das Nennen eines Pferdejungen statt des Köh

lers bei Otmar für ein rein willkührliches; im Sommer 1847, wo wir abermals dort waren, wurde uns jedoch die Sage, wie sie jest da steht, mitgetheilt, und es ist ersichtlich, wie die Gestalt der Prinzeßin oder Junfer (so wird sie vom Landvolk schlechthin genannt) erst dadurch in ihr rechtes Licht tritt, was wir in den Anmerkungen zu dieser Nummer und zu Nr. 247, 2 nachzuweisen gesucht haben. An einigen andern Sagen, die bereits bekannt waren, wird man vielleicht keine neuen Züge finden, ja man wird sie vielleicht dürftiger finden als bei andern, aber es wird uns dies hoffentlich nicht zum Vorwurf gereichen, da wir nur geben wollten, was wir gehört; und da wir stets aus der großen Maße des Volks, der eigentlichen Trägerin der unverfälschten Sage schöpften, so wird man daran meistens auch den richtigen Maaßstab für andere ausführlichere Berichte haben. Dies ist auch der Grund, weshalb wir da, wo uns eine Sage von Leuten der gebildeten Stände mitgetheilt wurde, dies immer ausdrücklich angegeben haben, während da, wo ihr allein das Prädikat „mündlich“ gege= ben ist, stets die niederen, meist die untersten Stände als Quellen anzunehmen sind.

Die niederen Stände sind es nämlich vorzugsweise, an die wir uns bei unsern Forschungen ge= wandt haben, da in ihnen die Sage sich in einer oft bewundernswürdigen Reinheit fortpflanzt; dieselben Wörter und Wendungen gehen hier meist

von Geschlecht zu Geschlecht und man hält mit einer Treue daran fest, daß man oft glauben möchte, alle hätten ihre Erzählung nach einem gemeinsamen Berichte auswendig gelernt. In den mittleren und höheren Ständen mischt sich dagegen schon zu oft fubjective Ansicht und willkührliche Umbildung in die Auffaßung der Sage, so daß sie meist für keine treuen Bewahrer des ursprünglichen Gehaltes mehr gelten können. Gebräuche aus älterer Zeit und Aberglauben finden sich in der Regel nur noch allein bei jenen, so daß sie in dieser Beziehung meist unsere einzige Quelle waren; auch hier halten sie zuweilen mit einer Treue am Alten fest, die fast rührend ist, denn es ist uns mehrfach der Fall vorgekommen, daß ganze Gemeinden, denen gewiße Gebräuche und Umzüge an alten Festtagen durch die Polizei verboten waren, lieber eine Ordnungsstrafe zahlten, als die althergebrachte Sitte aufgaben. Es ist dies kaum zu verwundern bei unsern bisherigen Polizeieinrichtungen, die oft alles, was nur den Schein einer freien und selbstständigen Bewegung hatte, zu unterdrücken suchten. Haben doch die Gensdarmen jenen thüringschen Fastnachtgebrauch Nr. 7 für Abgötterei erklärt, und fanden wir in einem braunschweigischen Dorfe in der Nähe des Elm eine Bekanntmachung in der Krugstube, durch welche Zusammenkünfte der Knechte und Mägde des Abends beim Spinnrocken und namentlich das Singen von Volksliedern verboten

wurde! Wo so alles, das Gute mit dem Schlech= ten, unterdrückt werden soll, da kann man sich nicht wundern, daß entweder der Widerstand zuleht ein allgemeiner, oder jede Selbstständigkeit ertödtet wird und willenlose Charakterlosigkeit an die Stelle der immerhin zuweilen über das Maaß gehenden Derbheit tritt. Das Volk liebt seine wenigen Feste als Vereinigungspunkte zu gemeinsamer Lust, sie find die einzigen Haltpunkte für seine Einheit, und da man bisher nichts Beßeres an die Stelle der alten Gebräuche zu sehen wußte, so laße man sie ihm und suche sie nur von ihren Auswüchsen zu befreien. Sie, seine Lieder und Sagen sind das einzige poetische Element im Leben des Landvolks, und man wird nicht läugnen wollen, daß grade die beiden letzteren oft einen veredelnden Einfluß auf die rauhe Derbheit desselben üben. Wir haben oft die Erfahrung gemacht, daß grade diejenigen, in welchen die alte Zeit in Sage, Lied und Gebrauch noch so recht lebendig war, zu gleicher Zeit mit einer Liebe an ihrer Heimat hingen, die wir hier nie erwartet hätten. So erinnern wir uns na= mentlich einer Magd aus der Gegend von Winsen an der Aller, die, nachdem sie uns manche hübsche Sage mitgetheilt hatte, auch von den Auswanderern erzählte, die aus Bremen nach Amerika zögen. ,,Wenn die auf's Schiff stiegen, sagte sie, stünden die Verwandten jammernd herum und es wäre kein Weinen mehr, sondern ein Gebrüll; dann gingen

alle Glocken von den Thürmen Bremens so recht feierlich, denn es wäre ein gar schwerer Gang, den sie thäten. Ihr Ohm, der aus Mandelsloh weggezogen, hätte aus Amerika geschrieben, es wäre kein leicht Stück, da hinüberzuziehen, und wer in der Heimat redlich arbeiten wollte, der könnte auch da leben, denn dort müßte er auch arbeiten, drum möchten alle, die ihm folgen wollten, lieber «<in dütschen landen bliwen», denn der Mandelsloher Kirchthurm wäre hoch, aber die Wellen draußen auf dem wilden Meer, die wären noch viel höher und schon Mancher läge unter ihnen begraben."

Wenn nun, wie wir oben gezeigt haben, das Volk mit großer Treue an seinen Ueberlieferungen festgehalten hat, so mußte es unsere Aufgabe sein, sie möglichst eben so treu wiederzugeben. Wir haben deshalb fast immer unmittelbar, nachdem wir eine Sage gehört hatten, uns die Grundzüge der= selben aufgezeichnet und sie in der Regel noch am selbigen Tage vollständig aufgeschrieben, wobei wir mit der äußersten Genauigkeit in Bezug auf besonders wichtige Ausdrücke verfuhren, und jeder die Durchsicht deßen, was der andere aufgeschrieben hatte, übernahm. Wenn wir so einerseits den Vortheil der größten Zuverläßigkeit erreicht zu haben glauben, so können wir uns andrerseits nicht verhehlen, daß die Darstellung hierdurch zuweilen etwas hart und eckig geworden ist, was um so mehr eintreten mußte, als unser jebt gelieferter Bericht

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