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heit für ihre Zwecke auszunützen verstehen. Der kräftigste dieser Masseninstinkte ist das von den Demagogen systematisch gesteigerte Selbstgefühl des souveränen Volkes, die Masseneitelkeit, die sich in der Ekklesie durch die Schmeicheleien von Leuten betören läßt, von denen man sich im Privatleben mit Verachtung abwenden würde.1) Eine höchst bedeutsame Beobachtung, die einen Krebsschaden der Massenherrschaft berührt. Der Einzelne, der als Glied einer Masse handelt, wird dadurch gewissermassen zu einem Kollektivwesen, das oft ganz anders fühlt und denkt, als es der Einzelne für sich tun würde; er wird die Beute von zwangsmäßigen Vorstellungen und Schlagwörtern, von elementaren Gefühlen und Leidenschaften, die die logische und nüchterne Überlegung ganz in den Hintergrund drängen können.) Kurz, die Persönlichkeit büßt ihre besten Eigenschaften ein, sobald sie in einer Masse aufgeht und Massensuggestionen und Massenerregungen ausgesetzt ist. Und dieser Herdenmensch ist recht eigentlich das Objekt der Leithammelung der Masse durch die Demagogen.3) Sie leben von der Kunst, das Volk zu beherrschen, soweit es Masse ist wie es eben Isokrates so drastisch geschildert hat. Den meisten Menschen" sagt er , ist es um die Befriedigung der Lustgefühle zu tun und sie lieben die Leute, die ihnen zu gefallen suchen, mehr als die, welche ihnen

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1) Symmach. 4 und 52. Vgl. auch was Roscher, Politik S. 353 über die knechtische Abhängigkeit" des modernen Zeitungslesers gegenüber Menschen sagt, denen er bei persönlicher Bekanntschaft vielleicht sehr wenig trauen möchte.

2) Es scheint, daß die Tatsache der Anhäufung den Herdencharakter des Menschen zum Ausdruck kommen läßt. Denn wo immer wir solche Versammlungen beobachten, sehen wir überall, wie die Mehrzahl mit Wohlbehagen der Leitung Einzelner sich überläßt und nicht eigenen Überzeugungen, sondern von Außen ihr zukommenden Schlagwörtern folgte. Gumplowitz, Sozialphilosophie S. 124.

3) Stets haben die Massen auf die Worte ihrer Meister geschworen!" Michels a. a. O. S. 83. Ders. 134: Die Armen, als Masse genommen, stehen ihrem Führer meist in völliger Hülflosigkeit gegenüber, weil ihre geringe formale Bildung sie nicht befähigt, ihn richtig zu werten und seine Handlungen richtig abzuschätzen.“

Gutes tun,1) und diejenigen, die sie mit freundlichen Worten betrügen, mehr als die, welche mit edlem Stolz und achtunggebietender Würde ihnen nützen.) Daher sinnen die Volksredner nicht auf das, was dem Staate frommt, sondern was die Menge gerne hört.3) Sie reizen ihre Leidenschaften, besonders ihre Begehrlichkeit und suggerieren so dem Demos Illusionen, die ihm die Erfüllung ausschweifender Hoffnungen auf Macht und Gewinn verheißen, aber notwendig mit schweren Enttäuschungen enden müssen.*)

Diese Kritik der Demagogen berührt sich enge mit der klassischen von düsterer Leidenschaft durchglühten" Anklageschrift Platos gegen die politischen Redner, gegen die verhängnisvolle Kunst der Redner und Demagogen, durch „Überredung der Richter im Gericht, der Ratsherren im Rat, der Bürger in der Volksgemeinde eine Macht zu gewinnen, die es ihnen ermöglicht, wie die Tyrannen zu töten, wenn sie wollen, Vermögen einzuziehen und aus dem Staate zu verbannen jeden nach Gutdünken. 5) Der Redner ist imstande vor Allen und über Alles zu reden, so daß er leichter als irgend ein anderer dem großen Haufen, d. h. eben denen, die nichts von der Sache verstehen, 6) alles, was er nur will, beibringen kann.) Denn diese demagogische Beredsamkeit, die Plato ein politisches Trugbild nennt,) behandelt die Volksgemeinden wie Kinder, indem sich die Redner bemühen, ihnen möglichst nur Angenehmes zu sagen.")

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Daher ist für Plato, ebenso wie für Isokrates, die Praxis des Demagogen eine beständige Angleichung an die Instinkte

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1) τοῦ ἡδέος sagt Plato im Gorgias 465 a von dieser Fertig-
στοχάζεται ἄνευ τοῦ βελτίστου.
2) Antidosis 133; vgl. 217.

4) Ebenda 6 und 7.

5) Gorgias 452 e und 466 d.

3) Symmach. 5.

6) Ebenda 459 a.

7) Ebenda 457 e,Durch die Macht der Rede sagt der Demokrat Michels wird die Masse suggestioniert. Durch die Suggestion wird sie dem Redner unterworfen. Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie S. 69.

8) Gorgias 463 | πολιτικῆς μορίου εἴδωλον. 9) Ebenda 502 c.

der Masse. Nur indem er ihr nachgibt, vermag er sie zu leiten; parendo vinces! Der Demagoge muß es nach Plato so machen, wie jemand, der mit den Launen eines großen und starken Tieres dadurch fertig wird, daß er sich sorgfältig darüber vergewissert, wie man sich ihm nähern und wie man es behandelu muß, wie es auf diesen oder jenen Reiz reagiert, was es beruhigt oder aufregt. Er muß gut und schön das nennen, was dem großen Tier" angenehm, schlecht und häßlich, was ihm zuwider ist. Er muß selbst dem Volke möglichst ähnlich zu werden suchen, weil er dadurch am leichtesten sich beliebt machen und zum entscheidenden Einfluß im Staate gelangen kann.1) D. h. jede Demagogie beruht im Grunde auf der Ausnützung der menschlichen Schwächen.

Man sieht, wenn irgendwo so gilt hier der Satz, daß die Geheimnisse des staatlichen Lebens in den Geheimnissen des Massenlebens liegen, ) in der Pathologie der Massen, in die eben deshalb Publizistik und Staatslehre so scharf hineinleuchten.

Man kann sich keinen drastischeren Kommentar zu diesen antiken Anklagen denken, als jene modernen Lehrbücher der Demagogik, welche die Kunst der demagogischen Volksbearbeitung in ein förmliches System gebracht haben und zwa nicht blos vom Standpunkt des kritischen Beobachters aus, 3) sondern unmittelbar im Interesse der Agitatoren selbst.

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Ich erinnere an jene Vertrauliche Anweisung für sozial demokratische Redner", die im Jahre 1911 unwidersproche durch die bürgerliche Presse ging, und die selbst wenn si eine Fiktion wäre nichts enthält, was nicht durch die tat sächliche Praxis der Demagogik tausendfach belegt werde könnte. Da heißt es in dem bezeichnenden Kapitel über di Dreistigkeit“ (d. h. die Eigenschaft, die Isokrates die róλu δυναμένη ὄχλῳ χρῆσθαι nennt)4) ganz im Geiste der Isokrates und Plato geschilderten Praxis der Volksredner:

1) Gorgias 513 a.

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2) Fr. v. Wieser, Die gesellschaftlichen Gewalten 1901, S. 12.
3) Wie z. B. das von Bartels.

VO

4) S. oben S. 8. Ein Symbol dieser Dreistigkeit ist der Demagog im Schurzfell, wie Kleon. S. Aristoteles, Adην. ло¡. c. 28.

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Wer nicht mit vollkommenster Sicherheit der Versammlung gegenübertritt und nicht, ohne rot oder blaß zu werden, alles behaupten oder alles aussprechen kann, was die Partei von ihm verlangt, der ist zum sozialdemokratischen Redner nicht geeignet. Denn die größten Wahrheiten und die größten Lügen, die edelste Begeisterung und die muffigste Gemeinheit, die sittlichste Entrüstung, die schöntuendste Lobpreisung, die geschickteste Verdrehung alles verliert die Überzeugungskraft für die Hörer, wenn es nicht mit der gleichen Unerschütterlichkeit vorgetragen wird. Die Versammlung sieht in der Dreistigkeit den Beweis, daß der Redner von dem, was er sagt, überzeugt ist." Weiter heißt es in dem Kapitel: Warum der Genosse nicht schüchtern sein darf?" „Mit der Politik hat sich ein großer Teil der Genossen gar nicht oder fast nicht beschäftigt und diejenigen, die es durch Zeitungen oder Teilnahme an Vereinen getan haben, sind immer in derselben Richtung bearbeitet und verstehen schließlich nur noch das, was in diese Auffassung hineinpaßt. 1) Es ist Pflicht des Redners, diesen Vorteil zu benützen. Aussprechen darf er dies aber natürlich nicht! Für den Redner haben die Genossen niemals zu wenig Verstand. Dagegen wird. er fleißig ihre Intelligenz rühmen. Da auch die Arbeiter als Glieder des Staates, der Gemeinde usw. am politischen Leben teilzunehmen haben, so wird es dem Redner bei vielen nicht schwer fallen, ihnen klar zu machen, daß sie deswegen auch imstande sind, alles besser zu beurteilen. Er braucht nur zu sagen, daß der gesunde Sinn des Volkes das Richtige besser erkenne, als die Beamten am grünen Tisch, daß das Volk sich nicht dumm machen lasse über Dinge, die es am eigenen Leibe spüre und ähnliches. Es schadet gar nichts, wenn der Redner dabei auch von Dingen redet, welche die Zuhörer gar nicht verstehen können. Er muß sich nur so ausdrücken, daß sie merken, der Redner setzt voraus, daß sie damit vertraut sind. Wenn er z. B. sagt: „Sie müssen denken: Damals war die Hegelsche Philosophie an der Herrschaft und gegen sie erhob sich eine Reaktion", so erhält der Zuhörer das Bewußtsein, von den schwierigsten Sachen Kenntnis zu haben. Er fühlt sich angenehm gekitzelt." Überhaupt hat der Redner

1) Darin liegt übrigens zugleich eine Kritik der Berufspolitiker selbst. Von wie vielen ihrer Reden, welche die paar Gedanken, die der Redner hat, immer wieder in stereotyper Weise ausschlachten, weiß man den ganzen Inhalt voraus, wenn man die erste Zeile gelesen hat. Von so manchen hat man in der Tat geradezu den Eindruck, daß eine buddistische Gebetstrommel ein willkürliches und schöpferisches Wesen Sitzgab. d. philos.-philol. u. d. hist. Kl. Jahrg. 1913, 1. Abh.

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seine Rede den Wünschen seiner Zuhörer anzupassen.) Denn sie sind das Volk!" 3) Ein drastischer Kommentar zu dem Satz dəs Aristoteles, daß das Volk vom Demagogen schmeichlerisch umworben wird wie ein Tyrann".4)

Besonders bezeichnend ist auch das Kapitel über „sittliche Entrüstung":

da

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„Der Ausdruck der Empörung über irgend etwas heißt es bietet den großen Vorteil, daß nicht mehr bewiesen zu werden braucht, daß etwas unrecht ist, sondern daß dies schon als selbstverständlich betrachtet wird. Denn sonst könnte sich der Redner doch nicht entrüsten! Daher die Verwendbarkeit der sittlichen Entrüstung in Versammlungen. Ist der Redner nicht geradezu ungeschickt, so fragt niemand mehr, wie etwas ist, sondern man empört sich, daß eine Sache und vor allem, daß eine Person so schlecht ist; und damit hat der Redner gewonnenes Spiel.")

ist, verglichen mit diesen Rede- und Meinungsautomaten (Breysig a. a. O. S. 35). Eine Erscheinung, die es uns so recht verständlich macht, warum eine politische Geschichtschreibung wie die des Thukydides, von den Demagogen mit Ausnahme Kleons keinen Einzigen einer Charakteristik, ja kaum einer Erwähnung gewürdigt hat. Es genügt, wie E. Meyer, Geschichte des Altertums III 271 und Forschungen II 373 f. treffend ausgeführt hat, wenn an einem dieser Stimmführer der Massen, die auf der Rednerbühne immer wieder von neuem dasselbe Spiel wiederholen, der ganze Typus, die Verkörperung des kümmerlichen Parteiverstandes, der Aspirationen und Triebe der Massen charakterisiert wird. Vgl. die ironische Bemerkung des Thuk. II 65, 10 oi de vorεgov loor αὐτοὶ μᾶλλον πρὸς ἀλλήλους ὄντες κτλ.

2) τὸ πρὸς χάριν δημηγορεῖν, wie man das in Athen nannte. Demosthenes III 3. Vgl. 22: ý v tập képeiv zápis. Vgl. als Gegenstück Sokrates in der Apologie: „Ich bin unterlegen, nicht weil mir die Worte, sondern weil mir die nötige Dreistigkeit und Schamlosigkeit gefehlt hat, und weil es mir widerstrebte, so vor euch zu reden, wie ihr es am liebsten hört (38 d).

3) Die ψυχαγωγία διὰ λόγων . . . πλήθους μεμελετηκώς, wie Plato diese ontopian teyrn genannt hat. Phädros 260 c und 261 a.

4) Pol. II 9, 3. 1274a: ὥσπερ τυράννῳ τῷ δήμῳ χαριζόμενοι.

5) Kein Wunder, daß schon die griechischen Theoretiker der Volksberedsamkeit wie ihnen Aristoteles im Anfang der Rhetorik vorwirft so vielfach das Hauptgewicht auf die Kunst gelegt haben, zu verleumden oder Mitleid und Zorn zu erregen. Die Rhetorik der

Invektive!

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