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C63 1966p5

1913

Gegenüber der in vielem durchaus unzutreffenden historischen Einstellung, die Alfred von Sareshel oder Alfredus Anglicus durch den ersten Herausgeber seiner Schrift De motu cordis, C. S. Barach, erfahren hat1) und die seitdem in die Darstellungen der mittelalterlichen Philosophie übergegangen ist3), sei es gestattet, mit einigen allgemeineren methodologischen Erörterungen zu beginnen. Dieselben sollen einige allgemeine. Leitlinien für eine solche Einstellung entwickeln und zugleich auf einige Fehlwege hinweisen, die dabei erfahrungsgemäß leicht eingeschlagen werden.

Wir sind gewöhnt, die Wissenschaft des Mittelalters, insbesondere des Hochmittelalters, als eine in sich wesentlich einheitliche und zugleich als eine wesentlich theologisch bedingte und darum metaphysisch gerichtete zu fassen. Beides trifft in der Tat im weitesten Umfange zu.

Was die theologische Bedingtheit anlangt, so ist sie historisch leicht zu verstehen. Wissenschaftliches Interesse, wissenschaftliche Aufgaben und der Geist wissenschaftlicher Methode mußten durch den Gesichtskreis des Standes bestimmt

1) Excerpta e libro Alfredi Anglici De motu cordis. Item Costaben-Lucae De differentia animae et spiritus liber translatus a Johanne Hispalensi. Als Beiträge zur Geschichte der Anthropologie und Psychologie des Mittelalters herausg. von Carl Sigmund Barach (Bibliotheca Philosophorum mediae aetatis, herausg. von C. S. Barach, II). Innsbruck 1878.

2) Insbesondere durch Überweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie 9 II. (Berlin 1905), S. 279. 285. Weit zurückhaltender drückt sich M. De Wulf, Histoire de la philosophie médiévale (Louvain und Paris 1912), S. 363 aus.

werden, der im Mittelalter auf lange Zeit hinaus fast der einzige Träger der wissenschaftlichen Bildung war, des geistlichen Standes. Denn wenn es auch in ritterlichen Kreisen eine höfische, weltliche Bildung gab, so ging diese in der Hauptsache doch auf in der feinen Sitte und der durch diese geforderten Gewandtheit in edler Kunst, in Lied und Weise. Die Pflege der Wissenschaft aber ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenigstens in der älteren Zeit in den Händen der Kleriker. Namentlich für die philosophische Spekulation gilt dies. Müssen wir für sie doch gerade bei führenden Geistern die bedeutungsvollsten Gedanken nicht selten erst aus dem Zusammenhange theologischer Werke loslösen.

Diese theologische Zielbestimmung ist zugleich mit ein Grund für den vorwiegend abstrakt-begrifflichen Charakter der mittelalterlichen philosophischen Arbeit. Mit metaphysischen Begriffen an dem spekulativen Ausbau der Theologie schaffend, ist man auch im rein philosophischen Denken vor allem den metaphysischen Fragen zugewandt. So tritt denn auch die Behandlung der Natur und des Seelenlebens überall in den Zusammenhang metaphysischer Probleme. Dadurch ist es denn weiterhin bedingt, daß in Naturwissenschaft und Psychologie bei den meisten das empirische Material und seine Analyse stark zurücktritt. Statt die in den Erscheinungen selbst liegenden Gesetzmäßigkeiten durch Analyse der Erscheinungen und durch exakte, womöglich mathematische Bearbeitung der Resultate aufzusuchen, geht man mit Vorliebe auf rein logisch gegliederte, mit Hilfe unzulänglicher Induktionen gewonnene begriffliche Einteilungen aus, sowie auf kausale Erklärungen unter metaphysischen Gesichtspunkten vermittelst meist ererbter allgemeiner Begriffe. Auch die Beschäftigung mit der Natur und dem Seelenleben ist im Mittelalter metaphysisch orientiert; nicht bei allen, aber bei den meisten, nicht bloß deshalb, weil die Träger jener Bestrebungen durchweg dem geistlichen Stande angehörten und aus der spezifisch theologischen Bildung Maßstäbe der Wertabmessung entnahmen, aber doch auch nicht ohne einen inneren Zusammenhang mit diesem

Umstande. Und gewiß hat diese herrschende Richtung auf die Metaphysik nicht nur auf einzelnen Gebieten hemmend gewirkt; sie hat auch den Hochflug des Denkens herbeigeführt und Systeme von tiefem Gehalt und von einer bewunderns werten inneren Geschlossenheit bauen lassen. Aber was hier in Betracht kommt, sind nicht Werturteile, sondern allein eine Tatsachenfrage: die Tatsache der vorwiegend metaphysischen Orientierung des mittelalterlichen philosophischen Denkens im Zusammenhange mit seiner theologischen Bedingtheit.

Auch das ist richtig, daß, wie die Geistesgebilde des Mittelalters überhaupt, so auch seine philosophischen Geistesprodukte eine weitgreifende Gleichförmigkeit zeigen. Der Grund für diese Erscheinung liegt darin, daß die Struktur des mittelalterlichen Denkens im ganzen eine ziemlich gleichförmige ist. Gewohnt, nicht so sehr in der Auswirkung persönlicher Individualität, in der die Renaissance instinktiv das Ziel ihrer Lebensentfaltung fühlte, sondern in der objektiven Aufgabe als solcher die Bestimmung des Individuums zu sehen, mußte das mittelalterliche Denken unter durchweg gleichen kulturellen Bedingungen und innerhalb der im wesentlichen gleichartigen herrschenden Ordnungen nicht nur zu einer im wesentlichen gleichartigen Weise des Denkens gelangen, sondern auch die Resultate dieses Denkens mußten im ganzen übereinstimmend ausfallen. Der überwiegenden Gleichförmigkeit in der subjektiven Struktur des Denkens entsprach die überwiegende Gleichförmigkeit in den Denkergebnissen.

Freilich darf dies nicht übertrieben werden. Nur historisch nicht näher orientierte Beurteiler konnten in der mittelalterlichen Gedankenwelt, insbesondere der philosophischen, eine unterschiedslose Einheit erblicken, gleichfarbiges Licht die einen, gleichgestaltetes Dunkel die anderen. Die neueren Untersuchungen haben, obgleich sie so vielem noch unedierten Material gegenüber noch keineswegs zum Abschluß gelangt sind, uns doch schon ein viel formenreicheres und in den Farben differenzierteres Bild ergeben. Sie haben uns die tiefgreifenden Wandlungen kennen gelehrt, welche die platonisierende Früh

scholastik, die aristotelisierende Hochscholastik, die kritische Spätscholastik scheiden. Innerhalb dieses wechselnden Gesamtmilieus haben sie uns wieder einen unerwarteten Reichtum von mannigfachen Bewegungen gezeigt, in denen Neues mit Altem ringt, hier rein zur Erscheinung kommt, dort die mannigfachsten Verbindungen eingeht. Da treten neben und nacheinander die verschiedensten Gedankenelemente und Denkweisen auf, traditioneller Platonismus und Augustinismus und neuer Aristotelismus, griechischer Aristotelismus und solcher arabistischer Färbung, dazu neuplatonische Unterströmungen verschiedenen Ursprungs. Neben dem abstrakt begrifflichen Denken, das wir als hervorstechendes Merkmal im Charakter der mittelalterlichen Philosophie heraushoben, regt sich doch auch der positive naturwissenschaftliche und positive humanistische Geist, neben der metaphysischen und dogmatischen Denkweise auch der erkenntniskritische Sinn. So finden wir doch auch in der mittelalterlichen Philosophie neben und nacheinander eine Mannigfaltigkeit von Denkmotiven, die der lebendigen Denkarbeit teils aus neu aufgeschlossenen Quellen der Überlieferung zuströmten, teils den wechselnden allgemeinen Zeitstimmungen entstammten, in einzelnen Fällen auch aus der Tiefe der persönlichen Geistesart emporkommen mochten. Trotz seiner vorhin betonten vorherrschenden Gleichartigkeit zeigt doch auch das mittelalterliche philosophische Geistesleben differenzierte Mannigfaltigkeit und Lebensspannung. Fehlte eine solche Spannung ganz, so könnte ja überhaupt von einem wissenschaftlichen Leben nicht die Rede sein. Wir hätten dann nur noch höchstens eine didaktische Entwicklung in der Weitergabe festgewordener und erstarrter Sätze.

So ist das Bild der mittelalterlichen Philosophie trotz aller Gleichförmigkeit der herrschenden Züge doch ein viel reicheres und lebensvolleres, als die landläufige Beurteilung annahm. Freilich ist diese Einsicht erst durch die neuere Forschung, wie sie vor allem durch Cousin und A. Jourdain inauguriert wurde, gewonnen worden. Ein erster starker Unterschied zwischen der Frühscholastik, die platonisch in der Philosophie,

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