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der

Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften Philosophisch-philologische und historische Klasse Jahrgang 1913, 11. Abhandlung

Der Trobador Marcabru und die Anfänge des gekünstelten Stiles

von

Karl Vossler

Vorgetragen am 6. Dezember 1913

München 1913

Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth)

C63 Maclops 1913

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I.

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Die Dichtung der Trobadors ist oft von einer Gleichförmigkeit, daß selbst einem anspruchslosen Gelehrten das Gähnen kommt. Die Minnelieder bewegen sich meist auf den Gemeinplätzen des höfischen Frauendienstes, wo für die Entfaltung künstlerischer Eigenart wenig Raum ist. Man könnte sich diese ganze Literatur", sagt Friedrich Diez, als das Werk eines Dichters denken, nur in verschiedenen Stimmungen hervorgebracht. 1) Und doch haben von den vielen, mehr als dreiundeinhalb hundert Dichtern die meisten, vielleicht alle den I hrgeiz gehabt, eigenartig zu sein. Ja, sie sind die ersten Künstler des Mittelalters, denen der Begriff des geistigen Eigentums aufgegangen ist. Es lohnte wohl die Mühe, verstreute und gelegentliche Äußerungen, in denen sich die Forderung dichterischer Eigenart, die Verurteilung des Plagiates und überhaupt das Selbstbewußtsein künstlerischer Urheberschaft kundgibt, zu sammeln und zu deuten.

Schon frühe treibt der Wille zum Eigenartigen den Trobador ins Gezierte und Verzwickte. Er versteift sich dann auf gesteigerte Gemütszustände und auf dunkele, gekünstelte Ausdrucksweise. Bald begann man über die Vorzüge und Nachteile, die inneren und äußeren Gründe der gekünstelten Stilart (trobar clus, serrat, cobert, escur, sotil) sich zu besinnen und zu streiten. Diez glaubte, das trobar clus für eine Erscheinung des Verfalls, also der späteren Zeit halten zu müssen. 2) Heute wissen wir, daß es schon am Anfang der Kunstentwicklung sich einstellt. Wir finden es bei einem der ältesten

1) Die Poesie der Troub. 2. Aufl. Leipzig 1883, S. 107.

2) Ebenda S. 60.

uns bekannten Trobadors, bei Marcabru, der um 1130 zu dichten begann; dann bei seinen unmittelbaren Nachahmern: Peire von Auvergne, Raimbaut von Orange, Giraut von Bornelh und am reinsten ausgeprägt bei Arnaut Daniel, dem Meister der dunkeln Künstelei. Dieser Arnaut, der zwischen 1180 und 1200 gedichtet haben dürfte und den Diez als den Anfänger des trobar clus betrachtete, stellt sich heute als dessen Vollender dar.

Es ist gewiß kein Zufall, daß die Anfänger, nämlich Marcabru und Peire, dem ritterlichen Stande nicht zugehörten. Wenn man auch der Biographie nicht ohne weiteres glauben will, daß Marcabru ein Findelkind war, 1) so ist er doch sicher nicht adelig gewesen. Peire war ein Bürgerskind und hat sich erst als Kanonikus, dann als Spielmann und schließlich als Trobador betätigt.2) Beide also mußten, wenn sie als höfische Sänger gelten wollten, da die Geburt es nicht tat

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durch den Kunstwert ihres Liedes bei feinen Damen und hohen Herrn sich empfehlen. Man wird an Vincent Voiture erinnert, den Sohn des Weinhändlers aus Amiens, der durch die Kostbarkeit seines Witzes und Redestiles, durch die Meisterschaft im Preziösen den Zutritt und die Bewunderung der aristokratischen Kreise des Hôtel de Rambouillet gewann.

Auch in den letzten Tagen der altprovenzalischen Dichtung wieder, als der Trobador Gefahr lief, gering geachtet und mit dem gemeinen Spielmann verwechselt zu werden, klammerte er sich an einen gelehrten und gepflegten Stil und suchte aus der Dichtkunst gar eine Wissenschaft zu machen. Im Jahr 1275 hat Giraut Riquier ein umständliches gereimtes Schreiben an seinen Gönner Alfons X. von Kastilien gerichtet mit der Bitte, der König möge verordnen, daß die schöpferischen Dichter und besonders die gelehrten vor den Spielleuten durch einen Titel ausgezeichnet werden; und der weise Alfonso beschenkte sie mit dem Ehrennamen eines Don Doctor de trobar.

1) G. Bertoni, in den Studi medievali III, S. 642 f. Turin 1911. 2) Die Lieder Peires von Auvergne, krit. hg. von R. Zenker. Erlangen 1900, S. 16 ff.

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