wurden. Offenbar sind es zuerst Krieger, bei denen dies Bild verwendet wird; man ist versucht anzunehmen, daß die Übertragung dieses schönen Sagenmotivs in die Gegenwart zuerst im Kreise der öffentlichen Grabreden, dann in der Kunst erfolgt sei. Jedenfalls ist seine Benutzung bei beliebigen Bürgern, die in der Heimat den Strohtod gestorben, ja sogar bei Frauen, erst möglich gewesen, als sein prägnantes Gepräge, die Überführung in die Heimat, abgegriffen und unkenntlich geworden war1). Ursprünglich wurden diese Lekythen eigens für die Kriegerbestattung, für die staatliche Beisetzung gefertigt. Dasselbe dürfen wir für die Lutrophoros annehmen, von der unser Bruchstück stammt. Wenn wir uns der Zähigkeit erinnern, mit welcher die Athener an dem Brauche festhielten, dem unvermählt Gestorbenen das Brautbad am Grabe darzubringen), werden wir auch bei den Kriegerbestattungen die Verwendung von Lutrophoren für selbstverständlich halten. Ob der Staat dafür sorgte, ob die einzelnen Familien, ist nicht klar, aber nach den Worten des Thukydides (oben S. 7) möchte man letzteres annehmen. Unter den beim Grab der Marathonkämpfer rituell verwendeten Gefäßen fand sich auch eine Amphora (A. M. 1893 Taf. 2 S. 55) ähnlicher Form und Art wie die ebenfalls rituell verwendete aus dem Grabhügel von Vurvá (A. M. 1890 Taf. 11 S. 322) und die — jenen gleich nur mit Tierstreifen verzierte Amphora in Berlin (Arch. Anzeiger 1892 S. 100, 6), deren sepulkrale Bestimmung durch ihre aus Klageweibern gebildeten Henkel bewiesen wird. Ich möchte diesen Amphoren, die sich nur stilistisch von den späteren sicheren Lutrophoren unterscheiden, ebenso wie ihren geometrischen Vorgängerinnen die gleiche Bedeutung, eben die der Lutrophoros, zuschreiben, um so mehr, als schon die Hydria aus Analatos (Arch. Jahrbuch 1887 Taf. 3. 4, S. 34), die sich 1) Vgl. hierzu die demnächst erscheinende Münchner Dissertation von K. Heinemann, Thanatos in Poesie und Kunst der Griechen. 2) A. M. 1891 S. 386 ff. 393. in ihrer schlanken Form den Amphoren nähert1), durch die plastische Schlange am Henkel auf sepulkralen Brauch hinzuweisen scheint 2). Aus dieser schlanken Hydria hat sich dann die dreihenkelige Lutrophoros entwickelt, die als ganz gleichbedeutend neben der aus der Amphora hervorgegangenen zweihenkeligen steht (A. M. 1891 S. 378). Demnach darf man die Amphora in Marathon wohl auch als Lutrophoros ansehen, die hier sogar von Seite des Staates Verwendung gefunden haben könnte. Ob die Lutrophoros, welcher die Arndtsche Scherbe entstammt, privatem oder staatlichem Auftrag ihre Entstehung verdankt, mag nach alle dem zweifelhaft bleiben; daß sie eigens für eine feierliche staatliche Kriegerbeisetzung angefertigt wurde, ist klar. Auf ihr war die Grabstätte, der Hügel mit einer ganzen Reihe von Stelen dargestellt. Daß dies eine Form der Soldatengräber war, ist sicher3). Die klarste Anschauung eines solchen bietet uns wohl das viereckige Polyandrion in Thespiai (Пoaxtizá 1882 S. 67. 1911 S. 153. I. G. VII, 1888), von dem die Umfassungsmauer, der in der Mitte ihrer Vorderflucht einst aufgestellte Löwe und neun der ebenfalls an dieser Seite, längs der Straße, aufgestellten einfachen Stelen mit den Namen der Gefallenen erhalten sind. Ähnlich, aber schlichter war der runde Grabhügel in Marathon ausgestattet: Τάφος ἐν τῷ πεδίῳ Αθηναίων ἐστίν, ἐπὶ δὲ αὐτῷ στῆλαι τὰ ὀνόματα τῶν ἀποθα νόντων κατὰ φυλὰς ἑκάστων ἔχουσαι (Paus. I, 32, 3). Solche Stelen sehen wir auch hier vor uns, nur hat der Maler anscheinend auf die Einteilung nach Phylen verzichtet, dagegen die nach Schlachtfeldern, die ja dazu treten mußte, wo nicht nur eine einzige Schlacht in Frage kam, betont. Leider ist nur die eine schon erwähnte Inschrift einwandfrei zu lesen: 1) Vgl. E. Fölzer, Hydria Taf. 2, 18; weniger stimmt 19, gerade diese aber hat die Schlange am Henkel. Zur Kanne von Analatos dort S. 38, 27. 2) Die Schlange findet sich allerdings nicht selten als Schmuck geometrischer Gefäße, und ihre ausschließlich sepulkrale Beziehung ist nicht recht beweisbar. 3) Vgl. A. Brückner, A. M. 1910 S. 213. ἐν Βυζαντίωι). Von den anderen Inschriften sind nur geringe Reste vorhanden, die ich hier in der Weise mitteile, daß ich die ganz kleinen, in der Abbildung nur noch wie Punkte wirkenden Reste nach der am Original noch sicher zu beobachtenden Richtung der Striche ergänzt wiedergebe. Stele 2: ganz dicht oben am rechten Rande. Stele 3: ISELEX Stele 4 oben: APIN, unten: ENBVIAN Über 2 ist eigentlich nichts zu sagen. Der schräge Strich, dessen äußerstes Ende allein erhalten ist, kann von A, kann auch von A herrühren. Der letzte Buchstabe von 3 ist wohl sicher ein V, bei dem wegen der Enge des Raumes der zweite Strich zu hoch geriet. Vor dem ist die Spur einer senkrechten Hasta erhalten, die sich nicht ohne weiteres zu N ergänzen läßt; sonst würde er] Zelev... den Raum grade füllen. Aber die Erwähnung einer der Städte des Namens Seleukeia, die sich so ergäbe, ist zeitlich unmöglich. Ich habe keine befriedigende Erklärung dieser Zeile gefunden. Die spätere Erwähnung von Byzanz ließ mich an Selymbria denken, dessen Namen in mancherlei Formen, Σαλυμβρία, Σηλυβρία, Σαλυβρία, Σαλυπρία vorkommt) und bei dem sich ein Halbgebildeter leicht eine Verschreibung zu Schulden kommen lassen konnte. Doch bleibt die Schwierigkeit, daß | nicht N vorher zu gehen scheint, und für Ji reicht der Raum auch nicht aus. Der an sich nahe liegenden Auffassung, es sei der Rest des Ortes Eleusis oder Eleutherai, also eine Heimatsbezeichnung zu erkennen, vermag ich, auch wegen der Enge des vorhergehenden Raumes, in dem doch der Name eines Gefallenen stehen müßte, keine befriedigende Deutung abzugewinnen. Das erste erhaltene Zeichen in 4 läßt sich trotz der Zerstörung mit genügender Sicherheit als A feststellen, darauf folgte P und 1. Der Rest der Zeile war von zwei senkrechten 1) Busolt, Griech. Gesch." I S. 470, 3. Strichen und einem schrägen eingenommen, also von N (neben dem sonst erscheint) oder KI (was wegen der senkrechten Stellung der Hasten und der Kürze des schrägen Striches wahrscheinlicher ist). Drei bis vier Buchstaben sind zu Anfang der Zeile verloren. Die obere Zeile in 5 scheint mit Erε (sicher nicht ní), die untere mit T begonnen zu haben. Ortsangaben, die doch mit v oder i beginnen müßten, lassen sich nicht daraus gewinnen, eher wären wohl Personennamen möglich, wie wir sie auf der Lekythos (oben S. 6) fanden. Aber die Erklärung, die wir bei jener noch wagen durften, verliert bei der großen Anzahl von mindestens fünf Stelen und ebensoviel Namen alle Wahrscheinlichkeit, wenn wir nicht an die Stelle der engeren Familie als der Stifterin des Gefäßes einen weiteren Geschlechtsverband setzen. Von solcher Betätigung ist uns aber nichts überliefert. In unserem Fall ist der Maler jedenfalls über das ausschließlich persönliche Interesse, das die Lekythos in Chicago mit ihren drei Eigennamen allein erkennen ließ, zu einem objektiveren Bilde fortgeschritten. Das Grab, Tymbos und Stele, das wir auf so vielen dem. Grabeskult dienenden Gefäßen, Lekythen und Lutrophoren, sehen, ist zweifellos immer das dem Verstorbenen zugedachte. Indem also der Grabhügel schon aufgeschüttet, die Stele schon errichtet erscheint, zeigen uns diese Bilder den zukünftigen Kult am Grabe, und das Grab soll immer als das desjenigen Verstorbenen gelten, bei dessen Bestattung das Gefäß benutzt wird. Unsere Lutrophoros zeigte sicher außer dem Kriegergrab auch die Gestalten derer, die dies Grab mit Gaben und Spenden pflegen, aber wir dürfen fragen, ob hier dieselbe Auffassung gelten muß, wie bei jenen anderen Gefäßen, d. h. ob die Stelen auf dem Grabe dessen stehen, für den diese Lutrophoros dargebracht wurde, oder ob wir ein beliebiges älteres Stück des Ehrenfriedhofs vor uns haben, ob also durch die Stelenreihe nur der Ort charakterisiert werden soll, an dem die ehrenvolle Beisetzung des Kriegers stattfindet, bei der diese Lutrophoros gedient hat. Daß ein Vasenmaler ein älteres Monument charakteristisch wiederzugeben sucht, ist nichts unerhörtes. Auf der bekannten Vase Blacas in London (Catalogue III, E 298) tritt Nike zu dem Dreifuß heran, der auf seiner Basis die Inschrift trägt: AKAMANTIS während darunter in jüngeren Buchstaben die Lieblingsinschrift гɅÅVKØNKÅлO≤ steht1). Hier hat der Maler also bewußt den altertümlicheren Charakter einer offiziellen Steininschrift nachgeahmt. Wenn wir ähnliches für unseren Fall annehmen, so wären die Stelen, die wir sehen, ältere, und ihre Inschriften vielleicht absichtlich altertümlicher, als die Entstehungszeit der Vase rechtfertigte. Das ganze Bild, soweit es uns erhalten ist, wäre dann vielleicht auch nicht der eigentliche Mittelpunkt der Handlung, sondern mehr die Staffage der Darstellung. In jedem Falle muß die Kriegstat ¿v Bušavtío aber eine gewesen sein, die im Gedächtnis des Malers und seiner Zeitgenossen lebte. Es ist ein eigener Zufall, daß wir als ganz erhaltene Stele vom attischen Staatsfriedhof gerade die besitzen, welche Gefallene vom Chersonnes und von Byzanz nennt 2). Kirchhoffs Annahme, daß sie ins Jahr 408 gehöre, scheint jetzt allgemein aufgegeben zu sein 3); man bezieht sie vielmehr auf die Zeit des samischen Aufstandes. Aber die Schrift unserer Scherbe ist merklich altertümlicher als die der Stele, statt E, V statt Y, W statt N (obwohl ersteres vereinzelt auch noch auf dem Stein steht). Das macht es schwer anzunehmen, daß die 1) Es ist dies der Stratege des Jahres 441/0 in Samos, 433/2 in Kerkyra; die Inschriften, welche ihn als xalós feiern, liegen also entsprechend früher (vgl. Kirchner, Prosopographia Attica 3027). 2) I. G. I Suppl. S. 109. Conze, Attische Grabreliefs III, 1427 Taf. 293 A. 3) Hermes XVII, 1882, S. 623 (Kirchhoff). XXII, 1887, S. 243, 3 (Wilamowitz). XXIV, 1889, S. 90 (Köhler). Österr. Jahreshefte 1899 S. 221, 1 (Wilhelm). |