die ganze Philologie leidet. Die Prüfung fand dann am 4. November 1826 statt. Böckh, Hegel, Ideler, von der Hagen und Raumer beiteiligten sich am Examen, und bei der Abstimmung waren nach dem Protokoll alle Gegenwärtigen einig, daß Herr Heyse zu den ausgezeichneten Kandidaten gehöre. Die öffentliche Promotion erfolgte am 16. Dezember desselben Jahres; Opponenten waren dabei Friedrich Rosen, Adolf Trendelenburg und Konstantin Ilgen. Noch nicht drei Wochen später, am 2. Januar 1827, reichte Heyse sein Gesuch um Zulassung als Privatdozent bei der philosophischen Fakultät ein und bezeichnete dabei klar die Lebensaufgabe, die er sich gestellt hatte: non tantum litteras Graecas et Latinas, sed maxime philosophicam grammaticam in posterum docere. Eine Habilitationsschrift wurde auf Antrag von I. Bekker und Böckh nicht gefordert, am 7. April hielt Heyse seine Probevorlesung über den Ursprung, die Geschichte und den Zweck der philosophischen Sprachforschung und konnte nun im Sommersemester 1827 vor 24 Zuhörern mit einem Kolleg über den Philoktet des Sophokles nebst Einleitung über Wesen und Geschichte der griechischen Tragödie seine Lehrtätigkeit beginnen. Nachdem so der Grund für seine weitere Wirksamkeit gelegt war, gründete Heyse auch seinen eigenen Hausstand, indem er am 11. Juli 1827 eine Verwandte des Mendelssohnschen Hauses, die am 12. Januar 1788 geborene jüngste Tochter des schon in demselben Jahre gestorbenen Hofjuweliers Salomon Jakob Salomon, Julie Saaling so wurde der Familiennamen beim Übertritt zum Christentum geändert als Gattin heimführte. Er war ihr besonders im Jahre 1822 in mehrwöchigem täglichem Verkehr nahe getreten, als sie mit ihrer Schwester Marianne an der Reise der Familie Abraham Mendelssohn in die Schweiz teilnahm1), und hatte damals, scheint es, einen tiefen Eindruck empfangen von ihrer temperamentvollen Persönlichkeit mit ihrer eigentümlichen Verbindung von An 1) Vgl. S. Hensel, Die Familie Mendelssohn (1879), Bd. I, S. 121–134. spruchslosigkeit und geistiger Regsamkeit, warmer Empfindung und sprühendem Witz1). So groß die Verschiedenheit der beiden Naturen, so reich an gegenseitiger Liebe und innerem Glück wurde ihre Ehe, freilich auch nicht verschont von manchen tiefen Schatten. Der älteste Sohn, Ernst, der sich nur sehr langsam geistig entwickelte, verfiel am 9. November 1845 in eine dauernde Nervenkrankheit 2), die die Eltern zwang, ihn auf dem Lande, bei Verwandten, seine dämmernden Tage verbringen zu lassen (gest. 28. Dezember 1866). In ihrem zweiten Sohne Paul aber war ihnen ein um so reicherer Ersatz beschieden, und was der Vater an verständnisvoller Liebe, an pädagogischem Geschick und Feingefühl, an geistigen Anregungen und Anleitungen zu geben hatte, trug ihm hier beglückende Frucht. Ihm wurde der Sohn schon früh zu seinem nächststehenden Freunde, dem zur vollen Entfaltung seiner Begabung und zur Schulung und Stärkung aller seiner Kräfte die Bahn frei zu machen und ihn unmerklich, ohne Beengung seiner Eigenart, in der Zeit jugendlichen Dranges zu leiten seine höchste Aufgabe war, dem er aber auch von der eigenen Ideenwelt sprechen und über die eigenen Lebenserfahrungen das Herz öffnen konnte. Welche tiefgehende und dauernde Bedeutung er so für die geistige Entwicklung und die ganze Persönlichkeit seines Sohnes gewonnen hat, auf Grund der Briefe und der Jugenddichtungen Paul Heyses darzustellen, ist eine Aufgabe für sich, der ich in anderem Zusammenhange näher treten zu können hoffe. Neben der Krankheit des ältesten Sohnes war es die unsichere Gesundheit Heyses selbst, die das Glück seiner Häuslichkeit und die Freiheit seiner Tätigkeit trübte und beengte. Schon als er seine Doktordissertation einreichte, mußte er in dem Begleitschreiben angeben, daß er aliis negotiis districtus, infirma praesertim valetudine usus nicht zeitiger zum äußeren Abschluß seines Studiums habe gelangen können. Wie frühe aber 1) Paul Heyse, Jugenderinnerungen Bd I, S. 10. 2) Vgl. Theodor Heyse, Stammtafeln der Familie Heyse. St. Petersburg 1898, S. 15. sein quälendes Leiden sich zu einem bedenklichen Grade steigerte, geht daraus hervor, daß er schon von 1832 auf 1833 seine Vorlesungen für ein ganzes Jahr aussetzen mußte eine bittere Notwendigkeit, die sich im Sommer 1838 und 1842, im Winter 1844/45 und 1849/50 wiederholte, während er in manchen anderen Semestern sich nicht mehr als ein einoder zweistündiges Publikum zumuten konnte. Im Mai 1853 brach er kurz nach Beginn der Vorlesungen wieder zusammen, und im Sommer 1854 las er sein letztes Kolleg mit äußerster Anstrengung seiner Kräfte, an denen schon seit Jahrzehnten die Krankheit nagte. Man versteht die Empfindung, mit der er (am 16. April 1849) dem Sohne schreiben konnte: Gesundheit ist der fruchtbare Acker, auf dem jede Geistesblüte leicht und fröhlich gedeiht, während man dem dürren steinigen Boden der Kränklichkeit nur durch mühsamen Anbau im Schweiße seines Angesichts kümmerliche Früchte abzwingt. Ihm ist nie eine leichte und fröhliche Ernte vergönnt gewesen. Dazu kam noch ein anderes. Die äußeren Verhältnisse, in denen Heyse sich einzurichten hatte, waren nicht so reichlich, daß ihm die Sorge um den Lebensunterhalt für sich und die Seinen erspart geblieben wäre. Jahrelang hatte er deshalb Pensionäre im Hause, und was schlimmer war, auch seine wissenschaftliche Arbeit konnte er von dieser Rücksicht nicht frei halten. Am 23. November 1829 erfolgte zwar schon seine Ernennung zum außerordentlichen Professor, aber zunächst ohne Gehalt, und erst zwei Jahre später, 1831, wurde ihm der Normalgehalt" von 200 Talern bewilligt. Eine Erhöhung dieser Summe ist, trotz wiederholter Eingaben Heyses, nie erfolgt; der Minister von Altenstein vermochte vom Finanzministerium keine ausreichenden Mittel für die aufstrebende. Universität Berlin zu erhalten. Auch als am 10. März 1838 neun Extraordinarien 1) ein gemeinsames Gesuch um Verbesserung ihrer Lage einreichten, konnte er ihnen nur empfehlen, 1) Es waren Dove, Hotho, Heyse, Ferd. Benary, Marx, Helwing, Ad. Erman, Droysen und Petermann. Vgl. Max Lenz, a. a. O., II, 1, S. 418-425. sich unmittelbar an den König zu wenden, aus dessen Kabinett aber am 18. Oktober 1838 der Bescheid erging, eine Erhöhung der unzureichenden Besoldung sei unzulässig. Auch eine Ernennung zum ordentlichen Professor erfolgte nicht. Wie weit dabei ein Widerstand der herrschenden historischen Richtung in der Sprachwissenschaft gegen den Sprachphilosophen mitgesprochen haben mag, vermochte ich nicht festzustellen; wahrscheinlich ist er nicht untätig gewesen. Die Blütezeit des Hegelianismus an der Universität Berlin war vorbei, seine Vertreter durften auf keine Förderung mehr rechnen. Und Heyse war nicht der Mann, diese Ungunst der Verhältnisse durch eine ihn empfehlende politische Haltung wett zu machen wie etwa der Historiker Helwing, der auf diesem Wege in der Reaktionszeit das ersehnte Ordinariat erreichte. Heyse hielt es für seine Pflicht, aus seinen liberalen Anschauungen kein Hehl zu machen, wenn er auch nie in den politischen Tageskampf eingriff und in den Revolutionsjahren mit klarer Besonnenheit den stürmischeren Wagemut des Sohnes zu mäßigen wußte. So gewann er von keiner Seite her eine entschiedene Unterstützung und ist nie völlig von dem Druck der Lebenssorgen frei geworden. Noch am 26. Juni 1853 mußte er seinem Sohne klagen: Und mit all meinen Mühen und Opfern habe ich mir nicht einmal ein sorgenfreies Alter erkauft; denn wenn ich nicht mehr arbeiten kann, so weiß ich nicht, wovon ich leben soll. Diese Verhältnisse lassen es auch begreiflich erscheinen, daß zu derselben Zeit immer neuer schwerer Krankheitsanfälle in Heyse der Entschluß reifte, sich von dem einzigen Schatze, den er in langen Jahren liebevollen Sammelns zusammengebracht hatte, von seiner Bibliothek zu trennen. Das systematisch geordnete Verzeichnis davon, das er unter dem Titel Bücherschatz der deutschen National-Litteratur des XVI. und XVII. Jahrhunderts" erscheinen ließ1), konnte er mit Recht einen bibliographischen Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte 1) Berlin 1854. Es ist heute eine Seltenheit geworden, da es nur in 50 Exemplaren gedruckt wurde. nennen; denn es ist tatsächlich eine wertvolle Vorarbeit des Goedekeschen „Grundrisses", nicht nur für die genannten zwei Jahrhunderte sondern auch für die Inkunabelzeit und den Anfang des XVIII. Jahrhunderts. Die bibliographische Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben ist für die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ganz ungewöhnlich und verrät durchgängig nicht nur das eindringende Sachverständnis des Gelehrten, sondern auch die wahre Liebe des Bibliophilen. Paul Heyse berichtet in seinen Jugenderinnerungen (S. 16), welche Sorgfalt sein Vater jedem einzelnen Bande und jedem fliegenden Blatt zugewendet hat, und so begreift man, daß sein Bücherschatz durch äußeren und inneren Reichtum auch die Bewunderung eines so kritischen Kenners wie des Wiener Romanisten und Bibliothekars Ferdinand Wolf erregen mußte1). Es war eine schmerzliche Genugtuung für den schweren Herzens Entsagenden, daß wenigstens der Hauptteil seiner Sammlung, mit der er selbst so innig verwachsen war, nicht zerstreut wurde, sondern in die Königliche Bibliothek in Berlin überging, wo sie nun seinem Wunsche entsprechend der Benutzung der Forscher und Freunde unserer Literatur in noch ausgedehnterem Maße zur Verfügung steht als vorher, wo er selbst jedem ihn darum nachsuchenden Gelehrten deren Ausbeutung mit Vergnügen gestattete. Für ihn selbst aber war sie nicht nur ein schöner Gegenstand der Liebhaberei, sondern auch recht eigentlich ein praktisches Handwerkszeug gewesen. Erst wenn man bedenkt, welche Fülle von Quellen er durch sie zur ständigen Benutzung zur Hand hatte, erklärt sich die Leistung seiner lexikalischen und grammatischen Arbeiten, die fast dreißig Jahre lang einen so großen Raum in seinem Leben einnehmen. Denn nicht nur die Anforderungen des täglichen Lebens, auch Pflichten der Pietät riefen Heyse schon früh auf dieses Gebiet, das ihm eine sehr verdienstliche Wirksamkeit eröffnete, aber zugleich freilich ihn von seinen eigensten und höchsten Aufgaben abzog. Am 27. Juni 1829 starb sein Vater und 1) Brief Heyses an seinen Sohn vom 16. Januar 1850. |