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Alexanders VI. als der Zeit, da die Miswirtschaft an der Curie so ziemlich zur Höhe gediehen und der letzte grosse Reformversuch gescheitert war. Einen wirklichen Abschluss böte nur etwa das Ende des Tridentiner Concils. Ueber die Weiterbildung und Umwandlung der päpstlichen Kanzlei unter dem Eindruck der Reformationsbewegung, dem Einfluss des grossen Concils und der damit verbundenen Neuordnung der gesammten Kirchenverfassung überhaupt ist in Rom noch reiches Material zu heben. Hoffentlich ist es mir in absehbarer Zeit gegönnt, diese Arbeiten wieder aufnehmen und fortsetzen zu können. Aus diesem Gesichtspunkte habe ich einzelne Constitutionen hier übergangen, die wie die Neuordnung des Sekretärcollegs durch Innocenz VIII. (,,Non debet reprehensibile" Bull. Rom. 5, 330 ff.) zeitlich zwar in den Rahmen meiner Ausgabe fallen, sachlich aber sosehr mit der Legislative der Päpste des 16. Jahrhunderts verknüpft sind, dass ich sie nicht aus dem Zusammenhang reissen zu dürfen glaubte.

Die Ausgabe enthält zu etwa gleichen Theilen Neues und Wiederholung von bereits früher Bekanntem. Letztere rechtfertigt sich in den meisten Fällen aus der besseren handschriftlichen Grundlage des Neudrucks. Dass ich vor dem alten und seltenen Druck Ciampini's und dem schwerfällig zu benützenden und dabei oft recht minderwertigen Text des Bullarium Romanum nicht Halt machte, wird mir kaum jemand ernstlich übel nehmen; eher, dass ich auch den grössten Theil der erst vor wenigen Jahren durch Erler bekannt gewordenen Constitutionen und Formeln, allerdings in anderem und weiterem Zusammenhang, wieder zum Abdruck bringe. Dem, was Erlers Buch wirklich bietet, ist durch meine Ausgabe keine Concurrenz geschaffen. Die Entstehungsart beider Arbeiten ist eben grundverschieden. Erler gieng von Dietrich von Nieheim und seiner literarischen Thätigkeit aus und gelangte dabei auch zum Kanzleibuch, während bei mir das sachliche Interesse an letzterem durchaus überwog, das persönliche an dem Antheil Dietrichs dagegen zurücktrat. Wem daran liegt, speciell das Kanzleibuch von 1380 in nach Inhalt und Reihenfolge getreuer und vollständiger Wiedergabe zu benützen, der wird nach wie vor zu Erlers Liber Cancellariae greifen müssen.

Darüber, dass es mir durch meine Ausgabe nicht gelungen ist, Abschliessendes zu schaffen, gebe ich mich keiner Täuschung hin. Ich selbst stelle unten gegen Schluss der Einleitung einzelne Acta deperdita zusammen, die aufzufinden mir nicht gelungen ist. Genaue Nachprüfung wird vielleicht auch die Auswahl, die ich aus dem späteren Kanzleibuch traf, da und dort unzureichend finden, obwohl ich nichts wesentliches übergangen zu haben glaube. Dazu kommt noch

ein Weiteres. Ich erwähnte schon, dass neben dem Kanzleibuch zu jeder Zeit auch das Register Quelle für die curialen Verfügungen geblieben ist. Bei der gewaltigen Anzahl von Bänden würde jedoch der Erfolg einer Arbeit, die es unternähme, sie lediglich nach Kanzleiordnungen systematisch zu durchforschen, mit der aufgewandten Zeit und Mühe in keinem Verhältnis stehen. Als subsidiäre Quelle können die Register auch nur nebenbei für diese Frage untersucht werden. Ich selbst habe, als ich einen grossen Theil der Register von Benedict XII. bis Johann XXIII. zu anderen Zwecken durchnahm, auch darauf geachtet, allerdings zu einer Zeit, da der Plan zu dieser Ausgabe noch nicht gereift war. Die Register Martins V. und Eugens IV. hat Ottenthal seinerzeit durchprüft und das wesentliche Ergebnis für Kanzleigeschichte aus ihnen veröffentlicht. Die Untersuchung der Register aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts steht noch aus.

Wird sich also als Nachlese noch so manches Neue ergeben, so dürfte anderes in besserer Ueberlieferung zutage kommen. Was bezüglich der Suche nach Ueberlieferungen des Kanzleibuchs noch zu thun bleibt, führe ich unten in der Einleitung näher aus.

Mein Zweck ist völlig erreicht, wenn es mir gelungen ist, für die Lehre von den Papsturkunden des späteren Mittelalters ein brauchbares Hilfsbuch, sozusagen einen ,,Codex diplomaticus cancellariae apostolicae", zu schaffen und das Interesse der Forschung für diese Fragen neu zu beleben und in Fluss zu bringen.

Selbst aus Studien über das päpstliche Kanzleiwesen hervorgegangen, wendet sich die Ausgabe in erster Linie an den Diplomatiker; daneben wird der Canonist manchen neuen Aufschluss aus ihr schöpfen, und auch für die allgemeine und Kirchengeschichte dürfte sie nicht ganz bedeutungslos sein. Die Organisation der grossen curialen Expeditionsbehörde, die mit der ganzen christlichen Welt in · lebhaftestem Wechselverkehr stand, beansprucht an sich unser Interesse. Die Schäden aber, die hier vom 15. Jahrhundert an immer bedenklicher einrissen, haben zur allgemeinen Verbitterung wider die Curie und damit zum Ausbruch der Reformationsbewegung mehr beigetragen, als man bisher zuzugeben bereit ist.1)

Es obliegt mir schliesslich, für die vielfache Anregung und Förderung, die mir im Laufe meiner Arbeit zutheil geworden ist, nach allen Seiten meinen tiefstgefühlten Dank auszusprechen: in erster Linie dem hohen k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht, dem Director

1) Vgl. die in ähnlichem Sinn gehaltene Aeusserung Pastors, Gesch. d. Päpste 2, 556.

des Istituto Austriaco di studi storici in Rom, Herrn Hofrath v. Sickel, den Herren P. Heinrich Denifle und D. Pietro Wenzel vom vaticanischen Archiv, den Praefecten der Bibliotheca Vaticana P. Bollig und Monsignore Carini, dem Bibliothekar der Bibl. Barberini in Rom, D. Alessandro Pieralisi, dem Rector des spanischen Collegs zu Bologna, Commendatore Don Yrazoqui, den Herren Professoren Mühlbacher in Wien und Kaltenbrunner und v. Ottenthal in Innsbruck. Die Vorstehungen der Bibliothèque nationale in Paris und der kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München haben mir einzelne Handschriften und seltene Drucke in zuvorkommender Weise nach Wien zur Benützung zugesandt. An den beiden heimischen Bibliotheken fand ich bei meiner Arbeit stets liebenswürdiges Entgegenkommen und wirksame Förderung. Für gütige Besorgung von nachträglichen Auskünften, Collationen und Abschriften bin ich Herrn Professor Röhricht in Berlin und den Herren Doctoren Knott, Mayr, Novaček, Starzer, Steinherz und Teige verpflichtet. Ihnen allen sage ich nochmals meinen besten Dank.

Wien im September 1894.

M. Tangl.

Einleitung.

Der Liber Cancellariae Apostolicae.

Wer den Namen Liber Cancellariae nennt, weckt damit von selbst die Erinnerung an den alten Liber Diurnus, das officielle Handbuch der päpstlichen Kanzlei, dessen früheste Formeln in die Zeit Gregors des Grossen zurückreichen, dessen Theilsammlungen im Lauf des 7. und 8. Jahrhunderts entstanden sind, dessen Abschluss um die Wende des 8. und 9. Jahrhunderts erfolgt ist. Die Spuren der Benützung des alten Kanzleibuchs reichen dann bis in die Zeiten Gregors VII.

Kardinal Deusdedit, selbst einer der Neuerer, ein Rufer im Streit um die Schaffung einer weltbeherrschenden Hierarchie, ist zugleich der letzte, der den alten Liber Diurnus kennt und citirt. In den neuen Bahnen, die das Papstthum seither einschlug, war für die alten Formeln kein Raum mehr. Neue, den veränderten Verhältnissen angepasste, treten an ihre Stelle, ohne jedoch sofort auch zu einem neuen Formel buch, ähnlich dem alten Diurnus, zusammengefasst zu werden. Es vergehen vielmehr anderthalb Jahrhunderte, bis wir wieder Anfänge eines neuen officiellen Kanzleibuchs nachzuweisen vermögen. Der alte Diurnus folgt dem Papstthum von den Anfängen des Primats bis zum Wetterleuchten des Kampfs zwischen Sacerdotium und Imperium, der neue Liber Cancellariae findet es auf der Höhe der Macht und geleitet es thalab bis tief ins Reformationszeitalter. Zwischen beiden herrschen Wechsel und Werden, liegt der Kampf um Reform und Weltherrschaft.

Das neue Kanzleibuch ist uns erst für das 15. Jahrhundert im Original erhalten, für die frühere Zeit aber nur abschriftlich überliefert und zwar für das 13. Jahrhundert in doppelter Form: erstens in einer etwa 1280 entstandenen Kopie, 1) zwei

1) Cod. 275 des spanischen Collegs zu Bologna. (H.) Bruchstücke daraus veröffentlichte Merkel, Documenta aliquot quae ad Romani pontificis notarios et

tens in einer Abschrift, deren Anfertigung der päpstliche Scriptor und Abbreviator Dietrich von Nieheim im Jahre 1380 im Auftrag Urbans VI. besorgte. 1)

Keine der beiden Ueberlieferungen ist vollständig. Daher kommt es, dass bei Dietrich Aufzeichnungen fehlen, die im Bologneser Codex stehen und umgekehrt. Als Ergänzung zu beiden tritt hinzu ein dem 2. Band der Papierregister Clemens' VI. beigebundenes Formelbuch, das unter Johann XXII. geschrieben worden ist, dabei aber versprengte Stücke aus viel früherer Zeit gesammelt hat, die uns in den beiden früher erwähnten Handschriften fehlen; hieher gehören ein paar der ältesten Eide und die Taxordnung aus dem 13. Jahrhundert.

Auch die Reihenfolge der Aufzeichnungen ist im Bologneser Codex und bei Dietrich mehrfach verschieden. Im grossen und ganzen aber decken sich Inhalt und Aufeinanderfolge doch so, dass sie sichere Rückschlüsse auf Inhalt und Eigenart des Codex authenticus gestatten. Und hier tritt uns gleich ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem alten Liber Diurnus entgegen. Enthielt letzterer nur eine Mustersammlung von Formeln, so ist das neuere Kanzleibuch wesentlich reichhaltiger, und diese Mannigfaltigkeit muss ersetzen, was den einzelnen Eintragungen und Formeln an historischem Wert gegenüber manchen der wichtigen und vielumstrittenen Formeln des Diurnus mangelt.

Das Kanzleibuch des 13. Jahrhunderts setzt sich im wesentlichen aus folgenden Gruppen zusammen: 1. aus dem sogenannten Provinciale, dem Bisthumskatalog. 2. aus einer Formelsammlung. 3. aus einer Sammlung von Eiden, 4. aus Aufzeichnungen und Verordnungen über den Geschäftsgang in der Kanzlei, über Rechte, Pflichten und Bezüge der Beamten derselben; und diese scheiden sich wieder in Aufzeichnungen des Gewohnheitsrechtes, die aber durch die Eintragung ins Kanzleibuch officielle Geltung erlangten, und in eigentliche Erlässe, in denen der Papst selbst oder in seinem Auftrag der Vicekanzler als Gesetzgeber für die Kanzlei auftreten. Suchen wir nun die Entstehung der einzelnen Gruppen zu verfolgen, so gelangen wir zurück in den Ausgang des 12. Jahrhunderts und nicht in die Kanzlei sondern in die Camera apostolica.

curiales pertinent, Arch. stor. Ital. Append. 5, 131 f. Näheres siehe unten im Verzeichniss der benützten Hss.

1) Or. Hs. Cod. Paris. lat. 4169 (E), daraus etwa 2 Jahrzehnte später abgeleitet Cod. Ottob. lat. 911 (0). Aus E mit Beibehaltung der Reihenfolge und vollständiger Wiedergabe des Inhalts abgedruckt bei Erler, der Liber Cancellariae Apostolicae vom Jahre 1380, Leipzig 1888.

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