Imágenes de páginas
PDF
EPUB

Über Inhalt und Quelle des ältesten französischen Gedichts.

Die Sequenz auf Eulalia bekanntlich das älteste französische Gedicht, das uns erhalten ist hat die Aufmerksamkeit der Gelehrten schon vielfach auf sich gezogen; doch haben sich die meisten auf Betrachtung der Form und Sprache beschränkt und den Inhalt mehr bei Seite gelassen. Ich will daher versuchen, das Gedicht auch nach dieser bis jetzt mehr vernachlässigten Seite hin zu behandeln. Was andere Forscher über die einschlägigen Fragen geäussert haben, verwerte ich dankbar, hoffe aber meinerseits zeigen zu können dafs eine eingehendere Prüfung des litterarischen Materials gestattet, in mehreren Stücken eine andere oder bestimmtere Antwort zu geben.

1. Die Handschrift.

Ein sorgfältiges Verzeichnis der die Eulaliasequenz betreffenden Litteratur hat Koschwitz. Les plus anciens monuments de la langue française, quatrième édition, Heilbronn 1886 S. 3 gegeben. Doch hat er nicht angeführt dafs man ausführliche Auskunft über die Handschrift bei Mangeart, Catalogue descriptif et raisonné des manuscrits de la bibliothèque de Valenciennes, Paris 1860, und bei Müllenhoff und Scherer, Denkmäler Deutscher Poesie und Prosa, zweite Auflage, Berlin 1873, S. 298 findet.

Die Handschrift befindet sich gegenwärtig auf der Bibliothek zu Valenciennes, mit N. 143 bezeichnet. Nachdem sie lange verschollen war, wurde sie 1837 durch Hoffmann von Fallersleben dort neu entdeckt. Hoffmann erzählt die nähern Umstände der Auffindung in Mein Leben III 20 (Hannover 1868).

Die Handschrift kam 1791 aus Saint-Amand-les-Eaux nach ihrem jetzigen Aufbewahrungsort. Sie hat von Alters her dem dortigen Benediktinerkloster gehört, das im Mittelalter teils S. Amandus in Pabula fz. S. Amant en Pevle1 oder Pévele teils Elno fz. Elnon (Name eines Baches, noch jetzt so mit unaufgelöstem 1!) genannt wird. Heute ist die Stadt als Badeort bekannt (daher der Zusatz les Eaux), was sie schon in der Römerzeit gewesen ist.

Bei einem so wichtigen Gegenstand gewinnen auch Nebenumstände Interesse. Ich will darum nicht unerwähnt lassen, dass

'Beides wiederholt im Cartulaire de Flines p. p. Hautcœur; jetzt Pevelle.

mehrere Verzeichnisse der Handschriften des Klosters Saint-Amand auf uns gekommen sind von denen eines, das nur Unterrichtsbücher verzeichnet (aus dem 12. Jahrh., gedruckt bei Desilve, De schola Elnonensi, Loewen 1890, S. 152—4), hier aufser Betracht bleiben kann; ebenso ein anderes des 12. Jahrh., das Becker Catalogi bibliothecarum antiqui, Bonn 1885, S. 231-3 abgedruckt hat. Die beiden andern sind die zwischen 1150 und 1168 geschriebene Annotatio librorum bibliotechae Sancti Amandi (zuletzt herausgegeben von Desilve S. 155 ff.) und der Catalogus veterum librorum msc. monasterii Elnonensis vom Bibliothekar Goetghebuer im Jahre 1635 angelegt (und gedruckt bei Ant. Sanderus, Bibliotheca Belgica manuscripta I 31 f., Insulis 1641). Hier erfahren wir auch (Sanderus S. 57) dass mehrere Handschriften von Saint-Amand im 9. Jahrhundert nach S. Germain des Prés bei Paris geschenkt wurden, wohin man die Klosterhandschriften während der Wikingereinfälle geflüchtet hatte. Wir begreifen die Freude der Klosterbrüder über den Sieg bei Saucourt, den das Ludwigslied verherrlicht!

Die Eulaliahandschrift steht in der Annotatio unter N. 47, im Catalogus unter N. 112.

In beiden Verzeichnissen wird noch eine zweite Handschrift aufgeführt, die für den romanischen Sprachforscher nicht geringen Wert besitzt die Handschrift des Jonasbruchstücks (jetzt in Valenciennes N. 475). Sie steht in der Annotatio unter N. 136, im Catalogus unter N. 252. In seinem verdienstlichen Kommentar zu den ältesten französischen Sprachdenkmälern (Heilbronn 1886) hat Koschwitz gar nicht gesagt dafs auch das Jonasbruchstück aus Saint-Amand stammt. Er hätte dies, wenn ihm die Schrift Voyage historique de M. Bethmann dans le nord de la France traduit de l'allemand et précédé d'une introduction par Edmond de Coussemaker, Paris 1849, nicht zugänglich war (ich verdanke das Buch der Güte Ernst Dümmler's), aus Mangeart's Catalogue des msc. de Valenciennes S. 483 ersehen können. Man sollte endlich aufhören das Bruchstück nach Valenciennes zu benennen, wohin es erst 1791 gelangt ist: es sollte das Saint-Amander Bruchstück heilsen. Die ganze Handschrift verdiente einmal genauer geprüft zu werden. Sie wird von einem Werk des Palladius eröffnet, zeigt auf Blatt 30 verso ein ausradiertes Datum und ist nach Mangeart im Anfang des 10. Jahrhunderts geschrieben. Dieser letztere Umstand ist auch für das beim Einbinden verwendete Jonasbruchstück von Wichtigkeit, da er einen terminus ante quem ergiebt.

Auf die Eulaliahandschrift soll nach Dinaux, Trouvères de la Flandre et du Tournaisis S. 7 zuerst Montfaucon hingewiesen haben. Ich vermute dass eine Verwechselung mit Mabillon vorliegt.

2. Inhalt des französischen Gedichts.

Ich stelle das in der Sequenz enthaltene Thatsächliche kurz

zusammen.

Da sich Eulalia weder durch Geschenke noch durch Drohungen noch durch Bitten vom christlichen Glauben abwendig machen lässt, führt man das standhafte Mädchen vor den heidnischen König Maximiien. Dieser fordert sie auf dem Christentum zu entsagen. Sie will lieber das Schlimmste ertragen als ihre jungfräuliche Ehre verlieren. Man wirft sie ins Feuer, aber die Flamme kann ihrer Reinheit nichts anhaben. Sie wird dann auf Befehl

des Königs mit dem Schwert enthauptet. Ihre Seele fliegt in Taubengestalt dem Himmel zu.

Dies der schlichte Inhalt der merkwürdigen Dichtung. Der erste und fast der einzige, der sich mit demselben beschäftigt hat, ist Diez, Altromanische Sprachdenkmale, Bonn 1846, S. 15-16. Ich gebe hier seine Worte wieder, um mit meiner Untersuchung daran anzuknüpfen.

'Voran geht in lateinischer Sprache von anderer Hand ein begeisterter Gesang auf die heilige Eulalia, dessen Verfasser offenbar einen Hymnus von Prudentius auf die selbe Heilige vor Augen hatte (Peristephanon num. 3), denn nicht allein bedient er sich anfangs des selben Metrums, er schaltet seinem Lied auch zwei Verse des Hymnus wörtlich ein:

spiritus hic erat Eulaliae,
lacteolus celer innocuus.

Man nimmt der Heiligen dieses Namens gewöhnlich zwei an, eine von Merida und eine von Barcelona (Acta sanct. ed. Bolland. Febr. tom. II p. 577); die erstere ist die von Prudentius und mithin von dem Verfasser des lateinischen Liedes besungene. Das romanische Gedicht erinnert in nichts an jenen Hymnus, es weicht selbst in wesentlichen Punkten von ihm ab, indem es den Kaiser Maximian selbst als Richter nennt und Eulalia durch das Schwert sterben lässt, während nach dem Hymnus ein kaiserlicher Beamter zu Gerichte sitzt und die Heilige durch das Feuer endet. Aber auch auf die von Barcelona kann es sich nicht beziehen, da diese gleichfalls unter einem kaiserlichen Präses den Feuertod litt (España sagrada t. XXIX p. 374); der Verfasser muss einer andern in einigen Umständen abweichenden Legende von einer römischen Eulalia gefolgt sein (vgl. das. p. 305), die der Kaiser Maximian selbst verurteilt haben kann.'

So weit Diez, dem ich um so lieber das Wort gelassen habe, als er in seiner ruhigen, besonnenen Art hier alles Wesentliche aufführt, was für die Fragestellung von Bedeutung ist. Seitdem sind nur Koschwitz, in dem erwähnten Kommentar S. 56, und Adolf Ebert, Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters III 181 auf die Frage zurückgekommen.

3. Gab es eine Eulalia von Rom?

Wir fassen zunächst den letzten Satz der Diezischen Darlegung ins Auge, die Annahme einer Eulalia von Rom, welche

Kaiser Maximian dort persönlich verurteilen konnte. Diez citiert hierfür des Florez España sagrada XXIX 305. Schlagen wir die Stelle auf, so finden wir den Hinweis darauf dass sich eine Eulalia von Rom zum 11. Dezember in mehreren Martyrologien genannt findet, was in dem selben Werke schon XIII 293 hervorgehoben war. Es heifst dann weiter bei Florez: da zuweilen von einer spanischen Eulalia, die enthauptet wurde, die Rede sei, während die ältesten Quellen aus Spanien den spanischen Eulalien eine andere Todesart geben, so möge wohl das Enthaupten ursprünglich die Todesart der römischen Eulalia gewesen und nur durch Verwechslung auf die Spanierin übertragen worden sein.

Das einzige Zeugnis für diese Eulalia von Rom gewährt eine Handschriftengruppe des Martyrologium Hieronymianum, welche zum 10. Dez. In Hispania civitate Emerita passio s. Eulaliae virginis und darauf zum 11. Dez. Romae s. Eulaliae setzt. Migne XXX 485.1 Man findet aus mehreren der hierhergehörigen Handschriften die Lesarten bei Florentinius, Vetustius occidentalis ecclesiae martyrologium, Lucae 1668, S. 1026 ff. und bei Migne LXXXV 163 Anm. angegeben.

Nichts ist gewöhnlicher als ein derartiger Fehler. Schon Ado klagt dafs die 'dies martyrum satis confusi in kalendariis inveniri solent', und sein Herausgeber (Georgius, Martyrologium Adonis S. 619-620) zweifelt nicht dafs ein Fehler vorliegt, wenn Martyrologien die Eulalia bald zum 10. Dez. bald zum 11. nennen. War irgendwo eine Heilige um einen Tag zu früh oder zu spät eingetragen, so war die Möglichkeit gegeben dafs ein Bearbeiter, der mehrere Martyrologien zu einem Kalender zusammenstellte, auch jenen Irrtum übertrug, so dass die Heilige dann an zwei auf einander folgenden Tagen erwähnt wird. In unserm Fall findet sich sogar eine dreifache Wiederholung, indem Eulalia am 10., 11. und 12. Dezember in der selben Handschrift vorkommt.

Ich will auf das Litania indicenda, das zu Beginn einzelner Monate steht und vielleicht eine andere Deutung der Ortsangabe zulässt (Florentinius S. 41), kein Gewicht legen, da ich die Römerin Eulalia nach dem Gesagten bereits für beseitigt halten darf.

Eine andere Eulalia von Rom, über die rein gar nichts bekannt ist, dürfen wir gleichfalls auf sich beruhen lassen. Ihre Gebeine wurden im Jahre 1640 aus Italien nach Antwerpen gebracht. In den ASS. Febr. III 728 B heifst es: de ipsis martyribns nihil nobis compertum, nisi ex coemeteriis Romanis, quae diximus, extractas eorum reliquias: qua vixerint aetate, quibus supplicii fidem testati, sub quibus tyrannis, plane ignoratur. Nicht viel mehr weifs man über eine Eulalia, die zum 30. März in verschiedenen Martyrologien genannt wird (ASS. Martii III 828-9 Hampson, Medii aevi kalendarium I 402) und vielleicht in Asti den Tod erlitt.

1 So citiere ich die Patrologia Latina.

4. Litteratur über die spanischen Eulalien bis 900.

Von den Eulalien, welche Diez nennt, können also nur die beiden bezeichneten für uns in Frage kommen: die von Mérida und die von Barcelona. Beide sollen in der selben Verfolgung (im Jahre 304) ums Leben gekommen sein.

Die Frage, welche der beiden der französische Dichter hat besingen wollen, hängt eng zusammen mit der Frage, aus welcher Quelle, oder aus welchen Quellen, er seine Kenntnis von dem Leben der Heiligen geschöpft hat. Um sicher zu gehen, werden wir uns dazu bequemen müssen, die Litteratur über Eulalien, welche gegen das Ende des 9. Jahrhunderts einem Dichter zur Verfügung stehen konnte, möglichst vollständig zu überblicken. Wenn wir beiläufige Erwähnungen bei lateinischen Schriftsteller bei Seite lassen, besteht dieselbe aus Hymnen, Liturgien, Martyrologien oder Kalendern und Lebensbeschreibungen der Heiligen in Prosa.

Wir wollen den ältesten Texten den Vortritt lassen.

Der schon von Diez erwähnte Hymnus des Prudentius Germine nobilis Eulaliae (Migne LX Sp. 340) ist unter allen Quellen die vornehmste, älteste, glaubwürdigste. Der Dichter war selbst ein Spanier und schrieb im 4. Jahrhundert. Ruinart hat in die Acta sincera nur diesen Hymnus aufgenommen, der die Grundlage aller späteren Legenden zu bilden scheint.

Es sei mir gestattet hier den Inhalt des Hymnus mit den Worten Adolf Ebert's anzugeben, die ich seinem klassischen Werk (Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande I, 2. Auflage, S. 263) entnehme.

'Die Heldin ist ein junges schwärmerisches Mädchen von edlem Geschlecht, die sich selbst zum Märtyrertum drängt, indem sie heimlich Nachts das väterliche Landgut verlassend zu der Stadt [Emerita] über Stock und Stein stürmt, um vor dem Tribunal die Götter zu schmähen, und die der Prätor selbst dann vergebens noch zu retten sucht. Sie stirbt den Tod in den Flammen, welche an ihrem langen, sie züchtig umwallenden Haupthaar rasch hinauflodern; ihr unschuldvoller Geist entflieht in Gestalt einer weifsen Taube zum Himmel, während von diesem Schnee herabfällt, ihre Leiche zu umhüllen. Die Darstellung hat etwas Glänzendes und Elegantes, und der daktylische Trimeter hypercatal. entspricht ganz dem stürmischen, leidenschaftlichen Wesen der Heldin.'

Regierender Kaiser ist Maximianus (d. h. Maximianus Her

culeus).

Der Todestag der Heiligen wird zuerst im Martyrologium Carthaginiense vom J. 483 angegeben (bei Mabillon, Analecta vetera III 166, nova ed., Paris 1723):

(10. Dec.) IV. id. dec. sanctae Eulaliae.

Es ist der selbe Tag, an welchem man auch später das Fest der Heiligen von Merida beging.

Spätere Martyrologien dürfen wir erst für die Zeit ansetzen, welcher der letzte Überarbeiter des Textes angehört, auch wenn

« AnteriorContinuar »