Imágenes de páginas
PDF
EPUB

Angriff von Haus aus fremd. Bei Pierre passt er nicht nur trefflich in den Zusammenhang, sondern ist sogar für den weiteren Verlauf unbedingt erforderlich; in der II. Br. dagegen stört er, wie bereits oben angeführt, die Handlung vollkommen. Und dafs gerade jener Zug, den Br. II aus Br. XVI entlehnt hat, im deutschen RF fehlt, bürgt dafür, dass die Entlehnung in der Vorlage des Glîchezâre noch nicht stattgefunden hatte - ganz abgesehen davon, dafs die Branche Pierres zur Zeit des Glîchezâre vermutlich überhaupt noch nicht existierte. Die Benutzung der XVI. Branche durch einen Überarbeiter der II. Brauche erklärt die meisten Abweichungen und Unwahrscheinlichkeiten der letzter gegenüber dem RF: Um den Angriff überhaupt möglich zu machen, muss Pinte den verkehrten Rat geben; da Chantecler anders als bei Pierre so eindringlich gewarnt ist, mufs er natürlich schlafend, mit geschlossenen Augen überrascht werden. Vielleicht gehört hierher auch die abweichende Art, wie R. in den Hof gelangt: der angefaulte Pfahl, der in Br. II das Eindringen ermöglicht, findet sich auch in Br. XVI wieder 1; dadurch dass nun der Fuchs überspringt, anstatt wie im RF untendurchzukriechen, wird es möglich, dass er von Anfang an erkannt und der Traum von Pinte auf ihn gedeutet wird. So erweisen sich manche der Abweichungen und Erweiterungen des Rn. als spätere Änderungen und Zusätze.

7. Bei diesem Verhältnis des RF zum Rn. muss es auffallen, dafs ersteren an einer Stelle mehr bietet als der letztere: die Eingangsscene zwischen dem Bauer und seinem Weib. Man darf sie nicht ohne weiteres für Erfindung des Glîchezâre erklären: sie stört den Zusammenhang nicht im Mindesten, leitet vielmehr trefflich von der Schilderung des Bauern zu der eigentlichen Erzählung über. Auf der anderen Seite wiederum erscheint es merkwürdig, dafs die Scenen in der II. Branche gar keine Spur zurückgelassen.

Ich glaube jedoch, dafs unsere Scene an einer anderen Stelle des Rn. benutzt ist, und zwar in der IX. Branche (Méon 25). Die allgemeine Situation ist hier freilich völlig verändert: der Fuchs will nicht den Hahn rauben, sondern den freiwillig versprochenen holen; aber im einzelnen finden sich so genaue Übereinstimmungen, dass es schwer wird, an einen blofsen Zufall zu glauben: Der Bauer Lietart hat dem Fuchs zur Belohnung dafür, dafs dieser ihm seinen Ochsen vor den Bären gerettet, den Hahn Blancart versprochen. Mit Sonnenaufgang geht R. nach dem Hof, um den Hahn zu holen. Der Bauer bessert gerade einen schadhaften Zaun

1 XVI 154 ff. Que par devers le plesseïs Trouve un pel par aventure Qui ert usé de pourreture. Par la s'en est entrez dedenz. II 71 ff. Ou retour de la soif choisist Un pel froissié: dedenz se mist.

? IX 1065 ff.: Si tost con li jors escleira Renart qui ja bien ne fera, De Malpertus son fort plaissie S'en est issu le col baissie. A itant del aler estuide: Que il bien de verite cuide Avoir les jelines Litart Et avoques le coc Blanchart vgl. dazu RF V. 1211 ff. Eines tages dô diu sunne ûf gie, Rein

aus.

Als er den Fuchs kommen sieht, reut ihn sein Versprechen, und er geht zu seiner Frau Brunmatin. Sie tadelt seine Faulheit und schimpft ihn.1 Er bittet sie, ihm nicht zu zürnen 2; er wolle mit ihr beraten, wie man den Hahn vor dem Fuchs retten könne3, denn zu ihrer Klugheit hat er das beste Vertrauen.4 Sie rät ihm, den Fuchs ruhig herankommen zu lassen und dann die Hunde auf ihn zu hetzen; um R. noch sicherer zu machen, solle er sich wieder an den Zaunbau begeben. Wenn jener den Hahn verlange, solle er sagen, derselbe sei zu alt und zäh. Der Bauer lobt den Rat seiner Frau; damit R. nicht entwischen könne, will er den Zaun vollends fertig machen. Er geht hin, R. kommt und verlangt den Hahn. Jener thut, als ob er nichts höre; der Fuchs drängt sich durch die Hecke ein.6 Dann folgt die Überlistung des Fuchses in der verabredeten Weise. Bemerkt sei noch, dafs später, als der Bauer durch die Drohungen des Fuches genötigt wird, sein Versprechen doch noch zu erfüllen, die zehn Hühner, die er samt den Hahn dem Fuchse übergiebt, wieder an den RF erinnern'; doch soll diese Übereinstimmung nicht zu stark betont werden, da bei einer so häufig gebrauchten Zahl am ehesten ein Zufall möglich ist.

Dagegen lassen sich die übrigen Übereinstimmungen in ihrer Gesamtheit nicht ignorieren: jedes einzelne Moment der Reinhartscenen findet sich hier jedoch unter einen anderen Gesichtspunkt gestellt wieder, z. T. wörtlich, hie und da sogar in Übereinstimmung von RF und Br. IX gegen Br. II. Von einem direkten Zusammenhange kann natürlich nicht die Rede sein: es muss eine gemeinsame Vorlage gegeben haben, und diese war offenbar das Hahnabenteuer in der Form, wie es dem Glîchezâre vorlag. Hier

hart do niht enlie, Ern gienge zuo dem hove mit sinnen: Do wolt er einer unminnen Schanteclêrn bereiten. In der Br. II dagegen ist die Handlung auf den Nachmittag verlegt (s. V. 369 ff.), wenn man sich nicht den Fuchs wie bei Chaucer einen ganzen Tag im Kraut liegend denken will.

1 IX 1106 Trop laissies ovre par matin, Sire malves vilain' fait ele vgl. RF 28 Bâbe Ruotzela zuo im sprach "alter gouch, Lanzelîn ..

[ocr errors]

2 Auch im RF vergilt er ihre Scheltreden nicht, vgl. V. 35 f. meister Lanzelin was bescholden (Daz ist noch unvergolden).

3 IX 1117 f. Comment poïsse decevoir Renart qui ci iloques vient, und V. 1132 ff. Pens i de bon cuer orendroit Comment nos puisson estranger Renart qui bien quide mangier Nos jelines et nos capons vgl. RF V. 21 ff.

Er hâte eine grôze klage, Er muoste hüeten alle tage Sîner hüener vor Reinharte.

Auch im RF folgt er ihrem Rat: V. 35 f. Doch er das niht enliez Ern tate, als in Ruozela hiez: Einen zûn machter vil guot. Vgl. dazu noch IX 1229 f.

5 Auch im RF geht der Rat zum Zaunbau von Note 4.

der Frau aus; vgl.

wanter sich durch

IX 1244 Renart en la haie se bote RF 51 nû den hac. Dagegen hat Br. II 75 f. Renart vint, oultre s'em passe, Cheoir

se laist en une masse.

7 IX 2012 f., 2118 ff.

dazu RF 30 f. Nû hân ich der hüener mîn Von

Reinharte zehen verlorn.

Zeitschr. f. rom. Phil. XV.

10

nach hat der Dichter der IX. Branche die Hahnfabel noch in einer älteren Form gekannt und benutzt. Dem widerstreitet nichts von dem, was wir über Datierung der einzelnen Branchen wissen: die IX. Branche ist vermutlich zwischen 1201 und 1234 entstanden 1, Pierre dichtete seine Branche Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrh.2; und erst nach Pierre kann ja unsere Branche ihre jetzige Gestalt erhalten fiaben.

8. Unter solchen Umständen bekommen auch die dem RF eigentümlichen Personen namen Lanzelîn und Ruotzela ihre Bedeutung. Einmal eine Überarbeitung der franz. Branche zugeben, ist es nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dafs der Name des Bauern Constans des Noes dem Überarbeiter und nicht dem Originalgedicht angehört. Wenigstens finden wir in allen. übrigen Bearbeitungen der Hahnfabel eigentümliche Namen: die Br. XIV nennt den Bauern Gombaut; bei Pierre heifst der Besitzer Chanteclers Bertolt; in Br. IX finden wir den Namen Lietart, und selbst der Hahn trägt hier einen anderen Namen, Blanchart. Die Willkür der franz. Trouvères in der Anwendung der Personennamen ist somit offenbar. Die Bearbeitung der II. Branche ist überdies sehr frei und wird die Personennamen um so weniger geschont haben, als es dem Bearbeiter darauf ankommen musste, den Schein der Neuheit zu erwecken. Halten wir nun alles dies zusammen mit dem, was oben (S. 133 f.) über die Personennamen beim Gl. überhaupt gesagt ist, so wird es mehr als wahrscheinlich, dafs die Namen Lanzelîn und Ruotzela der franz. Vorlage angehört haben.

9. Es lässt sich nicht sicher sagen, ob bei der Überarbeitung des alten Gedichts noch andere Quellen aufser Br. XVI benutzt worden sind. Wenigstens gehört der Zug, dass im Ren. der Fuchs den Hahn erst das eine Auge, dann beide schliefsen lässt, nicht der Erfindung eines Trouvères an: wir finden diesen Zug in der ältesten schriftlichen Darstellung, dem lateinischen Gedicht Gallus et vulpes' wieder. Hat der Gl. diesen Zug unterdrückt? Oder ist es erst der spätere Zusatz eines Überarbeiters? Bei der Unabweisbarkeit einer Überarbeitung ist letzteres das wahrscheinlichere. Andere dem RF fremde Stücke, wie z. B. die Entdeckung des Raubes durch die Hausfrau, wird nicht sowohl aus einer bestimmten Quelle als aus der freien Phantasie des Überarbeiters geschöpft sein.

10. Aus alledem ergiebt sich, dafs die Überarbeitung eine ziemlich durchgreifende gewesen sein mufs: in Inhalt, Ausdehnung und Form. Es wird überhaupt fraglich, ob man nicht mehrere Überarbeiter anzunehmen hat.

Dadurch wird es natürlich schwer die Vorlage des Gl. selbst genau zu bestimmen, unmöglich, etwa aus der jetzigen Br. II und dem RF ihren Wortlaut herzustellen. Rechnet man alles ab, was

1 Martin, Obs. S. 58.

2 Martin, Obs. S. 111. 84.

vermutlich spätere Erweiterungen und Zusätze sind, so ergiebt sich, dafs die Vorlage im Allgemeinen wohl nicht viel umfangreicher war als die Darstellung im RF. Damit soll nicht gesagt sein, dass der deutsche Dichter etwa Zeile für Zeile übersetzt habe: wie jeder nicht sklavische Übersetzer wird er wohl hie und da einmal einen ihm unbequemen oder überflüssig scheinenden Vers weggelassen haben. Jedenfalls hat er aber nicht prinzipiell gekürzt oder ausgezogen. Manche Stellen, die er entweder treuer als unser Rn. bewahrt oder selbst hinzugedichtet hat, zeigen, dass es ihm durchaus nicht darum zu thun war, möglichst rasch zum Ende zu eilen: so die humorvolle Antwort Schanteclêrs V. 83 ff. sam mir mîn lîp, Mê verzaget ein wip, Danne tuon viere man, Pintes rührende Mahnung an Sch., sich für seine kleinen Kinder zu erhalten und sein Weib vor Leid zu bewahren. Ein offenbarer Zusatz des Dichters aus dem heimischen Sprichwörterschaftz sind die Verse 162-164, denn in allen fremden Versionen erscheinen an dieser Stelle nur die beiden folgenden Sprichwörter V. 165 ff. und V. 167 ff. Wenn dagegen in V. 139 ff. sowohl Martin (Obs. S. 107) als auch Reissenberger (S. 25) die Erwähnung der Verfolgung und der Scheltworte der Bauern vermifst, so lässt sich erwidern, dafs das französische ,,or ca, or ci!“ „or lost apres !" „vez le gorpil!" ebensowenig für Scheltworte gelten darf als das deutsche,,o wê der hüener mîn!“ d. h. die Anrede des Hahns im Ren. „Dont n'oez quel honte vos dient Cil vilain qui si vos escrient ?" ist ebenso wenig oder ebenso gut motiviert wie RF V. 143,, Wes lat ir iuch disen gebûr beschelten ?“ Das ganze ist ja nur eine List des Hahns, um den Fuchs zum Sprechen zu bringen, da darf mans mit den Worten wohl nicht zu genau nehmen; thut man es aber doch, so darf man auch vom RF nicht mehr Genauigkeit verlangen als vom Rn.

12. Resultat: Der deutsche Dichter hatte eine Vorlage, von welcher sich seine Übersetzung nach Umfang und Inhalt nicht wesentlich entfernte. Diese Vorlage enthielt noch die Eingangsscene des RF zwischen dem Bauern und seinem Weib, aber noch nicht den ersten Angriff des Fuchses auf den schlafenden Hahn. Später wurde das Gedicht vielleicht mehrfach umgearbeitet, z. T. unter Benutzung der XVI. (11.) Branche.

II. Fuchs und Meise.

Kurz zu

1. Nachweise: Robert zu La Fontaine II 15 (Band I 145). · Waldis IV 2. Oesterley zu Kirchof III 128. Regnier, Euvres de La Fontaine I 175. Voigt S. LXXXI. *Haltrich-Wolff zu No. 20. *Martin, Obs. S. 33. *Bozon, No. 61, Anm.1

[ocr errors]
[ocr errors]

Wie die Erzählung im Rn. vorliegt, enthält sie zwei Fabeln. a) Die Kufsfabel: von Fuchs und Meise im RF V. 177-216,

1 Hierzu das Buch von Soulier, La Fontaine et ses devanciers, Paris

Angers 1861, das mir nicht zugänglich war.

hierzu vielleicht die Anspielung Rn. Va 759-62; von Wolf und Schaf in, wie es scheint, sehr freier Bearbeitung und unter Vermischung mit der Friedensfabel bei Odo de Ceringtonia (Hervieux II 661); von Fuchs und Hahn bei Guidrinus (Voigt, Kl. lat. Denkm. RF 25,144 f.); desgl. von Fuchs und Hahn in Seb. Francks Sprichwörtern, Frankfurt 1831, S. 115, und in eigentümlicher Weiterbildung in dem Siebenbürgener Märchen (der Fuchs als Gottesmann will dem Hahn den Staar heilen). Über Ren. II 469 ff. und VI 298 ff. s. u.

[ocr errors]

b) Die Friedensfabel. Die Beziehung zu Äsop, zvov xai άλexτovov (Halm 225), scheint mir mehr als zweifelhaft. In der abendländischen Fabellitteratur finden wir die Fabel zunächst von Fuchs und Taube: so im erweiterten Romulus (Oesterley, Romulus app. 46; Hervieux II 533) = Marie de France, Fabel 52, so auch später bei Bozon 61. Mündlich ist die Fabel von Fuchs und Hühnern bei den Slaven bekannt, vgl. Krauss II No. 10. Im Tierepos finden wir die Fabel zuerst im Ysengrimus V 1-316 von Fuchs und Hahn, im Anschluss an die Fabel Ib (s. o.); von Fuchs und Eichhorn in einer kurzen Anspielung Br. Ia 1691-98 (21, 11439-46); mit der Kufsfabel vermischt von Fuchs und Meise Rn. Br. II 469-601 (6,1721—1863) und wahrscheinlich hiernach die Anspielung Br. VI 298-314 (24, 13880-96). Reinaert 315420 (hiernach Reinke I 4) bietet ein eigentümliche Umformung (Fuchs Eremit), wahrscheinlich nach Romulus gearbeitet, nicht nach den Tierepos. Weit verbreitet ist die Fabel in den späteren Sammlungen, Poggius, Steinhöwel, Kirchhof u. s. w.; auch hier berührt sich Burcard Waldis IV 2 mit dem niederd. Gedicht 'de vos un de hane' ZfdA. 5, 406 ff. V. 161—227 (Brief vom Papst).

[blocks in formation]

1 Ähnliches wie hier wird Br. XIII 1551 ff. (29, 23529 ff.) erzählt, aber

ohne das Friedensmoment.

2 Comere, bien soiez venue

got grüeze iuch, gevatere mîn.

« AnteriorContinuar »