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Diplomatische Miszellen.

Von

P. Kehr.

Vorgelegt in der Sitzung vom 12. Januar 1901.

IV. Die Scheden des Panvinius.

Es ist eine der charakteristischen Eigentümlichkeiten des Vaticanischen Archivs, daß zusammengehörende Materialien sich nicht selten an ganz verschiedenen Stellen und in ganz verschiedenen Provenienzen finden. Aeußere Gesichtspunkte haben die Archivare bestimmt, den einen Band hierhin, den andern dorthin zu stellen und diese Umstellungen gehn bis auf den heutigen Tag fort. Hieraus ergibt sich für die Forschung eine nicht ganz einfache, dafür aber um so notwendigere Aufgabe, nämlich durch die verschiedenen archivalischen Systeme hindurch zu den ursprünglichen vorzudringen. Eine Arbeit voll intimer Reize. Allein von den zahlreichen Forschern, welche dem Vaticanischen Archiv ihre Anstrengungen gewidmet haben, hat eigentlich nur Sickel in seinen Römischen Berichten" eine solche Arbeit in Angriff genommen. Möchten doch Andere ihm bald folgen!

Ein merkwürdiges Beispiel dieser Verteilung derselben Materialien auf verschiedene Fonds bietet der Nachlaß des Onufrio Panvinio, der nach dem frühen Tode des unermüdlichen Sammlers im Jahre 1592 in den Vatican kam. Mit ihm hat sich neuerdings der Augustinerpater D. Perini (Onufrio Panvinio e le sue opere, Roma 1899) beschäftigt '); wie weit dieser aber seiner Aufgabe, die Werke seines berühmten Ordensbruders zu analysiren und kritisch zu erläutern, gerecht geworden ist, entzieht sich meinem

1) Das Buch von G. Orlando (Palermo 1883) ist mir nicht zugänglich. Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1901. Heft 1.

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Urteil: Schroers große Monographie über Panvinio wird hoffentlich alle Zweifel lösen, die etwa Perini's Arbeit unbeantwortet läßt. Sie wird, wie ich besonders um unsrer Arbeiten willen wünschen möchte, hoffentlich auch den gelehrten Anteil genauer bestimmen, den Panvinio an jenen merkwürdigen Vorarbeiten für die Geschichte des Papstthums, der Cardinäle, des päpstlichen Kanzleiwesens genommen hat, die sich sowohl in seinem Nachlaß wie in dem des Angelo Massarello finden, an jenen umfassenden und nach einem bestimmten Plane angelegten Sammlungen von Papsturkunden, an deren Zusammenbringung Panvinio, Massarello, Agostino sich abgemüht haben. Von wem ging die Idee aus, wer leitete das Unternehmen, und welches war der Plan?

Mit Massarello und Panvinio müßte man eigentlich die Geschichte der päpstlichen Diplomatik beginnen. Denn diese Männer haben ganz ernstlich den Versuch gemacht, Abschriften und Facsimiles von Papsturkunden zusammenzubringen, sie haben die Roten zusammmengestellt, die Monogramme gesammelt, sie haben Tausende von Datirungen abgeschrieben und die Unterschriften der Päpste und der Cardinäle auf das Genauste unter Wiedergabe aller diplomatischen Besonderheiten nachgezeichnet. Ich war betroffen hier einer Methode zu begegnen, welche anzeigt, daß diese Männer einen vollkommenen Begriff von der eigentümlichen Natur solcher Arbeiten besaßen und daß sie unter günstigeren Verhältnissen Bedeutendes auch auf diesem Gebiete hätten leisten können. Sie haben ein, bis auf den heutigen Tag unverarbeitet, ja fast unbekannt gebliebenes Material zusammengebracht, das den Vergleich selbst mit den Sammlungen der Mauriner nicht zu scheuen braucht.

Eine solche Sammlung fand sich in San Severino unter dem Nachlaß Massarellos; sie ist von mir Nachr. 1898 S. 505 oberflächlich beschrieben worden. Daß sich ähnliche Sammlungen auch im Vaticanischen Archiv befinden, hat Marini (I papiri dipl. p. 213) angedeutet. Ueber sie berichte ich hier. Es sind drei Bände, auf die ich nach und nach stieß; ihre Zusammengehörigkeit ist evident, obwohl sie im Archiv an ganz verschiedenen Orten stehn.

1) Misc. Arm. XI t. 34.

In diesem einfachen Schweinslederband, der keinerlei äußere Abzeichen, sondern nur den Titel Panvinii Fragmenta de pontificibus et cardinalibus 2 trägt, sind verschiedene, wenn auch verwandte Materialien zusammengebunden. Zuerst Notizen, die wir bei Seite lassen können. Von f. 7-16 hat eine Schreiberhand, welche wohl

die des von Massarello am meisten beschäftigten Copisten ist 1), die bekannten Zusammenstellungen Panvinio's zur Geschichte der Cardinäle zusammengetragen: f. 7 Auctores quibus in hoc opere usi sumus; f. 10 die Listen der von den Päpsten seit Leo IX. vollzogenen Ordinationen; f. 12 die Listen der von den Päpsten geweihten Kirchen (ex tomis conciliorum); f. 14 (alt f. 219) Cardinales a Leone IX ad Innocentium IV u. s. f. bis Paul IV.; f. 16 (alt f. 220) Romani pontifices, Katalog bis Paul IV. Schon diese doppelte Foliirung der letzten Parthien zeigt an, daß der Band gar nicht ursprünglich ist, sondern daß man, wie auch sonst, willkürlich in einen Band zusammenbinden ließ was man gerade zur Hand hatte und was ungefähr zusammenzugehören schien. Es ist indessen nicht unsres Amts, die zersprengten Reste aus den verschiedenen Panviniusbänden zusammenzusuchen. Uns interessiren überhaupt nur die von f. 18 ab folgenden Scheden.

Diese Sammlung stellt sich auf den ersten Blick dar als eine ziemlich wüste Masse von Zetteln, Notizen, flüchtigen Aufzeichnungen und Zusammenstellungen, dazwischen facsimileartige Nachzeichnungen der Eschatokolle von Papsturkunden und besser geschriebene Listen von Cardinals subscriptionen. Die Hauptmasse bestand offenbar aus einzelnen Zetteln oder Blättern, die dann. bei der Ordnung des Ganzen, wahrscheinlich erst nach des Panvinio Tod, z. Th. aufgeklebt, z. Th. zusammengebunden wurden, und es ist leicht zu sehn, daß dabei gar nicht einmal der Versuch gemacht worden ist, die ursprüngliche Reihenfolge dieser Scheden beizubehalten oder wiederherzustellen. Da es uns nur auf den Inhalt dieser Scheden ankommt, so läßt sich wohl auch dieser ziemlich chaotische Zustand verschmerzen. Aber eine Frage taucht da gleich auf: sind diese Scheden vollständig? Schwerlich. Manche Scheden sind aus Versehen auch in die beiden andern Panviniobände gerathen, andere mögen bei einer genaueren Nachlese im Vaticanischen Archiv noch zu Tage kommen, andere endlich können. ganz verloren sein. Mit größerer Sicherheit läßt sich die zweite

1) Die genaue Kenntniß der verschiedenen Hände, welche in diesen und den anderen Archiv-Bänden saec. XVI vorkommen, würde vor allem andern nötig sein, um in diese Ueberlieferungen Ordnung zu bringen und das Verhältniß der einzelnen Teile und Bände genauer festzustellen. Ich brauche kaum ausdrücklich zu sagen, daß ich meine Studien nicht auch noch darauf habe erstrecken können. Manchen Wink verdanke ich Mons. Ehses, dem genauen Kenner der Vatikanischen Akten des 16. Jahrhunderts. Wenn, wie beabsichtigt ist, die Vaticanische Verwaltung die wichtigsten Hände in Facsimiles reproduzirt haben wird, werden die Forscher davon eine wirklich dankenswerte Erleichterung haben.

sich uns aufdrängende Frage nach der Natur dieser Scheden beantworten. Es sind Zusammenstellungen aus Archiven, offenbar zu dem Zwecke gemacht, um in ein systematisches Werk über die Cardinäle übertragen zu werden. Der Autor hat zunächst die Papsturkunden jedes ihm oder seinen Freunden erreichbaren Archivs in der bereits charakterisirten Art ausgezogen, indem er in der Regel den Anfang und das Eschatokoll oder bloß das Eschatokoll mit den Cardinalsunterschriften, und diese bald genauer unter Wiedergabe der besondern Gestalt der Kreuze bald mehr oder minder verkürzt bis zur kurzen Notiz, copirte oder auszog. So stehen die Urkunden für Pisa, Lucca, Massa, Salerno, S. Frediano, Verona, Lateran, Monte Cassino zusammen, und so war wohl ursprünglich das Ganze angelegt. Die Mehrzahl dieser Abschriften oder Notizen sind durchstrichen, offenbar weil und nachdem sie in ein anderes Werk eingetragen waren. Wir haben also einen Kladdenband vor uns, dessen Reinschrift noch zu suchen ist. Die Materialien reichen übrigens bis ins XVI. Jahrhundert herunter.

Wer war der Autor? Die Archivangaben weisen auf Panvinius, und in der That rührt ein großer Teil der Scheden von ihm her. Einmal (auf f. 48) erzählt er von sich: „Son stato a Garda due giorni per conto di certi terreni del monastero et per veder una mia sorella, et nella pieve di Garda ho trovato una pietra la quale forse mi aiutera al libro dei Cardinali", worauf er das Datum der als Inschrift erhaltenen Bulle Innocenz' II. von 1138 XI 4 (ed. G. Orti di Manara Di alcune antichità di Garda e Bardolino p. 15) mit der seine Arbeitsweise und Absichten bezeichnenden Bemerkung: „Poi seguita tutta la bolla che non l'ho scritta perche non m'importa" mitteilt. Auf f. 68 copirt er eine Urkunde Alexanders III. für S. Stefano di Verona von 1181 VI 19 mit der Bemerkung: „Anno domini 1556 die 9 novembris Veronae“

Ueberhaupt weist das stattliche Material aus Verona auf Panvinio. Und fast überall begegnet da seine flüchtige und schwer lesbare Hand. Daneben aber stehn viele Stücke von andern Händen. Vorzüglich häufig ist die des bereits erwähnten Massarelloschreibers. Und Massarello selbst wird öfter als Gewährsmann genannt. Außer Massarello finden wir häufig auch Antonio Massa Galesio und Antonio Agostino, damals Auditor der h. Rota, citirt.

2) Misc. Arm. XV t. 128.

Ein Band ohne Titel, aber in der Art gebunden wie die meisten Bände der Serie Varia politicorum (s. Nachr. 1900 S. 382 ff.),

mit den Abzeichen Innocenz' X. (1644-55). Fol. 1-30 fehlen. Fol. 30 beginnt: Ex commentariis Pii II. P. M.; f. 78: Ex diariis D. Jacobi Mafei Volaterrani; f. 96: Qua ratione summus pontifex eligi et consecrari solebat; f. 100: Ex regestro Gregorii VII also ganz verschiedene Materialien und von verschiedenen Händen herrührend, höchst wahrscheinlich ganz willkürlich zusammengebunden. Dann beginnt auf f. 107 eine Sammlung, welche ich Panvinii Excerpta nennen will, sauber geschrieben von derselben Schreiberhand, die uns bereits in Misc. Arm. XI t. 34 begegnet ist. Die Sammlung ist von so durchaus gleichartiger Anlage, daß man sie sofort als eine Reinschrift bezeichnen kann. Mit diesen gleichartigen Abschriften wechseln facsimileartige Nachzeichnungen, wie wir solchen schon in dem Band Misc. Arm. XI t. 34 begegnet sind. Dazwischen finden sich auch Notizenzettel und Scheden von des Panvinio Hand, die meisten durchstrichen: es ist sogleich deutlich, daß sie eigentlich in den Kladdenband Misc. Arm. XI t. 34 gehören. Man müßte einmal diese Bände wieder auseinander nehmen und die einzelnen Teile in ihre ursprüngliche Ordnung bringen.

Diese Sammlung ist nicht wie der Kladdenband nach den Archiven, sondern chronologisch geordnet. Die chronologische Folge ist freilich nicht streng beobachtet, indessen unzweifelhaft beabsichtigt. So, wie sie jetzt vorliegt, umfaßt diese Sammlung fast 300 Papsturkunden von Pelagius II. bezw. Johann III. bis Hadrian IV. incl. Damit endet sie auf f. 338. Es folgt dann von f. 339 ab die Geschichte der Päpste von Clemens II. bis Gregor XI.

3) Arm. VIII ord. II H.

Die Signatur zeigt an, daß dieser Band zum Archivio di Castel S. Angelo gehört. Es ist ein gewöhnlicher Pergamenteinband, äußerlich also von dem zuvor beschriebenen völlig verschieden. Dennoch ist er nichts anderes als Tomus II der in Misc. Arm. XV t. 128 f. 107-338 stehenden Sammlung.

Der äußere Titel lautet Insignia bullarum diversorum pontificum, der innere Segni di bolle di diversi pontefici. Honuphrii Panvini. Daß er in der That zu dem Nachlaß des Panvinio gehörte, ergibt sich auch aus dem vorn angebundenen Brief mit der Adresse: Rdo Dno Honuphrio Panvinio eximio theologo Rome. Der Brief ist für die litterarischen Beziehungen Panvinio's und für seine Arbeitsweise von Interesse; er ist geschrieben von Cabassole und datirt Dat. Berbentane idib. mai. a MDLXI und gibt ausführlich Auskunft über die Urkunden von Avignon.

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