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I.

Die ältesten Gutachten

über die

Brüderschaft des gemeinsamen Lebens.

Von

Leonard Korth.

Von der Mystik schien in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts vor allem Deutschland die Wiedergeburt des religiösen Geistes erwarten zu dürfen. Sollte jedoch die Wirkung ihres Gedankenreichthums über die Enge einer theologischen Schule hinausdringen und das innere Leben der Massen ergreifen, so musste sie volksthümliche und praktische Gestalt annehmen1). Diesen doppelten Charakter gewann die theosophische Vertiefung und das Streben nach sittlicher Erneuerung in der Schöpfung des ehrwürdigen Gerhard Groot. Die Niederlande, die nicht mit Unrecht als eine bevorzugte Heimstätte genossenschaftlicher Bildungen bezeichnet werden, haben auch die Brüderschaft des gemeinsamen Lebens 2) sich entwickeln sehen, und das Gepräge niederländischer Herkunft ist den Ansiedlungen der Fraterherren selbst in ihrer Ausdehnung über entlegenere Gebiete des deutschen

1) C. Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, 2. Bd. (2. Aufl., Gotha 1866), S. 54. 2) Über die Brüder des gemeinsamen Lebens vgl. ausser der umfangreichen Litteratur, die K. Hirsche in Herzogs Realencyclopädie für protest. Theol. u. Kirche, 2. Band, 2. Aufl. (1878), S. 678 ff., zusammengestellt hat: K. Grube, Gerhard Groot und seine Stiftungen (Köln, 1883); Fr. Jostes, Johannes Veghe, ein deutscher Prediger des XV. Jahrhunderts (Halle 1883); die neue Ausgabe des Chronicon Windeshemense und des liber de reform. monasterior. von Joh. Busch, veranstaltet durch K. Grube in den Geschichtsquellen d. Prov. Sachsen, Bd. 19 (Halle 1886).

Höhlbaum, Mittheilungen XIII,

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Reiches niemals ganz verloren gegangen. Was Acquoy von dem Stifter der neuen Vereinigung sagt, findet Anwendung auf alle seine Jünger: mehr von sittlicher Energie durchdrungen als von Gemüth erfüllt, mehr praktisch als poetisch, eher nüchtern als zur Beschaulichkeit geneigt, machten sie die geistige Errungenschaft der Tauler, Suso, Ruysbroeck fruchtbar für das Leben1). Durch strenge Selbstzucht, durch gegenseitige Belehrung und Ermahnung suchten sie das eigene Seelenheil zu fördern, unter das Volk traten sie als Beichtväter und Prediger, und nicht zum mindesten wirkten sie durch die „Predigt des geschriebenen Wortes❝2). Es war ihr Kreis, aus welchem das Buch „von der Nachfolge Christi" hervorging.

So bereitwillig aber auch von vielen der Segen anerkannt wurde, den die Thätigkeit der Brüder stiftete, ein Theil der Zeitgenossen glaubte dennoch Anstoss nehmen zu müssen an den Eigenthümlichkeiten ihrer äusseren Verfassung. Sah man sich doch einer geistlichen Verbindung gegenüber, welche grundsätzlich den Zwang einer von der Kirche gebilligten Ordensregel zu verschmähen schien, welche zugleich auch aus der Zahl der evangelischen Räthe die freiwillige Armuth ausschied und an deren Stelle die Beschaffung des gemeinsamen Lebensunterhaltes durch Handarbeit setzte. Das war eine Erscheinung, die Anlass zum Misstrauen bot, und der Verdacht, welchen die kirchlichen Kreise seit langer Zeit gegen jede freie religiöse Vereinigung hegten, wurde auch jetzt wieder rege. Es kam hinzu, dass selbst gegen die Art der Arbeit, welche den Brüdern Erwerb bieten sollte, scheinbar gegründete Bedenken sich erheben liessen. Gerhard Groot, der sich selber einmal,peravarus librorum' nennt3), hatte den Seinigen die Vervielfältigung geistlicher Bücher als besonders angemessene Beschäftigung empfohlen1), und in der That sind aus den Niederlassungen der Fraterherren zahllose Codices in unsere Archive und Bibliotheken gelangt, die als Meisterwerke der Schreibkunst mit ihren kräftigen, deutlichen Zügen vortheilhaft von den sonst zumeist so flüchtigen Manuskripten jener Zeit

1) J. G. R. Acquoy, Het klooster te Windesheim en zijn invloed. Bd. 1 (Utrecht 1875), S. 7.) Jostes, Johannes Veghe, Einleitung p. XVI führt aus einer Rostocker Urkunde der Brüder die Worte an: Nos fratres, presbiteri et clerici.. non verbo sed scripto praedicantes". 3) K. Grube, G. Groot S. 26; vgl. Acquoy a. a. O., Bd. 1, S. 19 ff. u. ö.) Man kann geradezu eine Schreibergenossenschaft als den Anfang der Grootschen Stiftung betrachten. Vgl. Acquoy, Bd. 1, S. 43 ff.

sich abheben. Der lebhaften Kopistenthätigkeit gesellte sich aber schon früh, durchaus entsprechend dem volksthümlichen Geiste der Genossenschaft und angeregt durch des Meisters eigenen Vorgang, ein ebenso eifriges Bestreben, die werthvollsten Erzeugnisse der erbaulichen Litteratur in die Volkssprache zu übertragen und so ibre Verbreitung zu fördern1). Allein auch diese Form des Seeleneifers erregte den Verdacht der Feinde, und man warf die Frage auf, ob es den kanonischen Satzungen gemäss sei, dass dem Volke die heiligen Schriften unmittelbar zugänglich gemacht würden2).

So war der jungen Stiftung bald eine mit theologischen und rechtlichen Bedenken gerüstete Gegnerschaft erwachsen. Man würde jedoch irren in der Annahme, als seien die Vertreter der kirchlichen Wissenschaft geschlossen gegen die Brüder aufgetreten oder als hätte gar das Kirchenregiment wider sie Partei genommen3). Im wesentlichen handelt es sich um vereinzelte Angriffe, hervorgegangen aus den Kreisen des Mönchthums, in denen man naturgemäss nur schwer mit dem Gedanken an ein geistliches Zusammenleben ohne die schützende Ordnung einer festen und bewährten Regel sich abzufinden vermochte. Bis zu welchen Verirrungen dabei Leidenschaft und Vorurtheil oftmals sich hinreissen liessen, das zeigt am deutlichsten ein Dokument, welches auf eben diesen Blättern zum ersten Male veröffentlicht und in seinem geschichtlichen Zusammenhange gewürdigt wird1).

Solchen Zeugnissen feindseliger Gesinnung stehen nun aber Urtheile anderer Art gegenüber, welche um so bedeutungsvoller sind, als sie keineswegs private Meinungsäusserungen darstellen, sondern den Charakter amtlicher Aktenstücke tragen. Es ist gesagt worden, dass die Organe der kirchlichen Lehre und Leitung

1) Über die Verdienste der Brüder um die Pflege der deutschen Sprache vgl. u. a. Jostes, Joh. Veghe, p. XVI ff. und p. XXXII; im allgemeinen s. anch Cruel, Gesch. d. deutschen Predigt im Mittelalter (Detmold 1879), S. 370 ft. 2) Vgl. aus späterer Zeit Joh. Busch, De reformatione monasterior., hrsg. v. K. Grube mit dem Chron. Windesh. lib. 4, cap. 3, „de lectore ordinis predicatorum, qui predicaverat, quod laici libros teutonicos habere non deberent". Dazu H. Haupt, Die deutsche Bibelübersetzung der mittelalterlichen Waldenser in dem Codex Teplensis (Würzburg 1885), S. 49, Anm. 2. Auf diese Stelle und auf den Widerruf des Lektors (zu Zutfen) hatte jedoch schon vorher Fr. Jostes hingewiesen, Joh. Veghe, p. X. 3) Über die Stellungnahme eines der hervorragendsten Vertreter der Kirche s. z. B. Tschackert, Peter von Ailly (Gotha 1877), S. 297 ff. 4) Vgl. unten den zweiten Artikel in diesem Hefte von H. Keussen, Der Dominikaner Matthäus Grabow und die Brüder vom gemeinsamen Leben.

von jeder Parteinahme gegen das Werk Gerhards sich fernhielten. Diese friedliche Duldung aber durfte den Brüdern nicht genügen: ihnen musste vielmehr daran gelegen sein, den schwankenden Meinungen über ihre Daseinsberechtigung die ausdrückliche Billigung berufener Autoritäten entgegenstellen zu können. So gingen sie denn einen hervorragenden Kenner des kanonischen Rechts, dann aber auch eine gelehrte Körperschaft, deren Ansehen gerade damals in frischer Blüthe stand, um gutachtliche Erklärungen an. Das Ergebniss ihrer Bemühungen ist uns in zwei inhaltreichen Urkunden überliefert.

In seiner immer noch schätzbaren Abhandlung über die Brüder des gemeinsamen Lebens gedenkt Delprat einer Handschrift der königlichen Bibliothek im Haag, welche zwei Gutachten über die Stiftung des Gerhard Groot enthält1). Als Urheber des einen nennt sich Arnold, Abt zu Dickeninge und professor decretorum, an der Abfassung des zweiten erscheinen ausser jenem noch sieben andere namhafte Rechtsgelehrte betheiligt. Dieses letztere Gutachten ist unzweifelhaft dasselbe, welches bereits Mosheim aus einer nicht mehr zu ermittelnden Vorlage seinem ganzen Wortlaute nach veröffentlicht hatte); über die Erklärung Arnolds von Dickeninge jedoch ist bisher nichts weiter bekannt gewesen, als dass sie für die Brüder günstig lautete3). Im Folgenden wird nun zum ersten Male der vollständige Text derselben nach einer im Stadtarchiv zu Köln beruhenden originalen Aufzeichnung dargeboten. Die hervorragende Bedeutung des Schriftstückes legt den Wunsch nahe, auch die Persönlichkeit seines Verfassers in helleres Licht treten zu sehen, doch hat sich nur sehr Weniges über ihn ermitteln lassen.

1) G. H. M. Delprat, Verhandeling over de broederschap van G. Groote (2de Druck, Arnhem 1586), S. 51 ff. und S. 343, Anm. 2. Die Handschrift trug zu Delprats Zeit n. 355, gegenwärtig ist sie, wie der Oberbibliothekar Dr. Campbell im Haag mir mittheilt, mit X. 101 bezeichnet. Der Katalog beschreibt sie als Cod. membran. in 4., foll. 67, saec. 15. perspicue script., litteris initialib. rubris, una majuscula ornat., lineis stylo ductis; incolacrum pergamen. ubi legitur: „Scripta doctorum de congregationibus“; fol. 1a. b: Index, fol. 1b-67: „Quaedam scripta ex dictis sanctorum et declarationibus doctorum in unum collecta super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium". 2) J. L. a Mosheim, De Beghardis et Beguinabus commentarius ed. G. H. Martini (Leipzig 1790), p. 433 ff. Mosheim begleitet seinen Abdruck mit Lesarten aus einem Helmstädter Codex; über seine eigentliche Vorlage macht er keine näheren Angaben. Vgl. noch L. Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien (Leipzig 1885), S. 302. 3) S. z. B. Jostes, Die Tepler Bibelübersetzung. Zweite Kritik (Münster

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