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Wissenschaftlicher Jahresbericht

für 1862 bis 1867,

Das Ideal einer einheitlich bewegten und ihrer Einheit bewusst werdenden Menschheit verwirklicht sich immer mehr. Die vorgeschrittenen Enkel kommen aus dem fernsten Westen und erobern die Länder ihrer asiatischen Urheimat wieder, sei es mit der Gewalt der Waffen oder mit der grösseren ihrer Gedanken. Der vereinsamte Koloss des chinesischen Reichs, der entsagende Hochmut altindischer, der philosophisch-elegante der neuindischen Bildung, die wilde Heimatlosigkeit des turanischen Steppenlebens, die zwecklose Freiheit der arabischen Wüste, der blutige Stumpfsinn des Afrikaners alle werden von Tag zu Tag bestimmter in den Kreis unsrer europäischen Gedankenarbeit gebannt und gewinnen ihre ersten oder doch wieder neue Ziele. Sie alle empfangen von uns und können ein neues Leben anheben. Aber wir erhalten von ihnen kein Gegengeschenk, das culturgeschichtliche Wirkungen zu üben vermöchte. Ein verzweifelter Philosoph, der in solcher Stimmung um so mehr an sich selbst glaubte, hat zwar von der erkennenden und ethischen Berührung mit der Wissenschaft und Mythologie Ostindiens eine Epoche in unserm Geistesleben erwartet, an umgestaltender und befruchtender Kraft gleich der des Humanismus. Doch ausser an diesem Denker selbst gewahren wir nichts von jener bei ihm dazu missverstandenen Macht; unter uns wirkt vielmehr der Ausläufer eines ganz anderen Morgenländerthums, der fatalistische und dabei lustige Hedonismus eines nachhafisischen Islams, der in den Liedern eines feinaufmerkenden abendländischen Dichters einen immer von Neuem willkommen geheissenen Ausdruck gefunden hat 1), so willkommen geheissen, dass für ihn neuerdings auch die altheilige, sonst lieber den Bitt- und Bussgebeten der

1) Die Lieder des Mirza - Schaffy, von Friedr. Bodenstedt, mit einem Prologe. 18. Aufl. Berlin, v. Decker 1867, XXIV u. 194 S. 32o. cart. (n. 121⁄2 Ngr; in engl. Einbd. m. Goldschn. n. 221⁄2 Ngr)

Jahresbericht 1862-1867.

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Verbannung bestimmte Sprache ihre besten Reime hat suchen können 1a).

Europa darf gegenüber der sich wenn auch langsam, so doch unaufhaltsam umwandelnden Welt des Orients, von welcher es nach den grossen Offenbarungsideen ausser Naturprodukten nichts mehr empfangen zu sollen scheint, das stolze Bewusstsein hegen, eine Stufe menschheitlicher Entwicklung erstiegen zu haben, von welcher es die Vergangenheit und die Gegenwart auch des Morgenlandes immer siegreicher erkennend überschaut. Hierin wurzelt die Bedeutung der orientalischen Studien, für welche wir nicht eigens mit dem Träger eines berühmten Namens in Frankreich 2) die These ihrer Nothwendigkeit aufzustellen haben. Ihre Berechtigung liegt einfach in dem Moment, dass William Jones' und Herders ahnungsvolle Anschauungen erfüllend die Wissenschaft unserer Tage alles

Orientalische als ein Stück der Menschheit ansehn darf und muss. Die Geschichte dieser Studien ist daher zugleich ein bedeutsames Stück Culturgeschichte 2a) und mit um so grösserer Spannung sehen wir der genetischen Darstellung entgegen, welche ein ausgezeichneter Sprachforscher und Indologe im Auftrage der in der Wahl der Personen und der wissenschaftlichen Probleme gleich glücklichen Münchener historischen Commission zugleich von den morgenländischen und den sprachwissenschaftlichen Studien zu geben übernommeu hat. Beiträge zu einer solchen Geschichte sind unsre wissenschaftlichen Jahresberichte, und wenn schon die Zusammenfassung von drei Jahren (1859 bis 1861) durch Reichthum des Materials und Uebersichtlichkeit der Gruppirung, ungeachtet aller Knappheit ja fast Dürftigkeit der Schilderung, für die Ungeduld der lange wartenden Leser einigermassen zu entschädigen vermochte: so bietet die Berichterstattung über sechs Jahre unseres wissenschaftlichen Lebens, welche ich jetzt unternehme, ein noch grösseres und reicheres Bild; ja tritt unbedingt als das umfassendste und an Daten reichste Capitel auf, welches je über die Geschichte der orientalischen Studien geschrieben worden ist. Dass es das umfassendste ist, kann meinem vielleicht falsch kritischen und immer von Herbst zu Herbst nach neuem Material suchenden Zögern als

1a) Die Lieder des Mirza-Schaffy ins Hebräische übertragen und mit einem Prologe versehen von Joseph Choczner, stud. philol. (Auch mit hebr. T.:

מאת שירי מירצא - שאפפי נעתקו ללשון עבר ונוסף לאלה מבוא יוסף ו' שלמה חאטשנער

Breslau, Schlettersche Buchhdl. (H. Skutsch) 1868, 160 S. 32° (15 gr). Wenn auch im Titel sehr ungeschickt das persische z des Wortes Mirza durch wiedergegeben ist, so zeichnet sich doch die gereimte Nachbildung durch grosse Gewandtheit aus.

2) De la nécessité des études orientales. Discours prononcé à Nancy, le 28 nov. 1861, par Emile Burnouf. Nancy, Grosjean 1862, 26 S. 8°.

2a) Ein kritisch - geschichtlicher Ueberblick wäre an der Zeit. Begränzt sind die Andeutungen in dem Aufsatze: Ueber orientalische Studien und deren Richtungen, Oesterr. Wochenschr. für Wiss. u. Kunst, 1863, I, p. 65-71.

Schuld angesehen werden; sein Reichthum aber nicht als mein Verdienst. Denn seitdem ich das zweifelhaft ehrenvolle Amt dieses Berichterstattens verwalte, haben sich die Verbindungen mit dem Orient, mit den Druckereien in der indischen und in der muhammedanischen Welt erfreulich gemehrt und befestigt; litterarische Notizen gehen in wachsender Fülle und Genauigkeit ein, und ihnen bringe ich, wie in einer Schicksalsbestimmung, meine sei es anerzogene oder angeborene entsetzliche bibliographische Geduld entgegen, welche vielleicht keiner meiner Nachfolger in gleich schwerem Maasse besitzen wird, ich auch keinem anwünsche. Abgesehen von dem in erster Linie wichtigen, unmittelbaren Bücherverkehr ist vor Allen Trübner 3) mit seinen überaus werthvollen Monatsberichten über orientalische und amerikanische Litteratur zu nennen; diese Mittheilungen sind so genau und orientieren so trefflich, dass z. B. von der indischen Dialektlitteratur, selbst wenn deren Erzeugnisse dem Leser nur zum kleinsten Theile zugänglich werden können, sich dennoch ein ziemlich lebensvolles und zuverlässiges Bild herstellen lässt. Wir haben hier dankbar eine grossartige Benutzung des umfassenden See- und Handelsverkehrs, wie ihn Grossbritannien besitzt, tür Litteraturleben und Buchhandel anzuerkennen und finden uns in Bezug auf chinesische und hinterindische Drucke besser berathen, als etwa auf unteritalische. Auch die Erzeugnisse der muhammedanischen Pressen in Aegypten und der Türkei werden uns rascher und vollständiger bekannt gemacht. Bianchi 4), welcher, angeregt und begünstigt durch unmittelbare Berührungen mit der türkischen Cultur, schon 1843 eine Reihe von etwa drittehalb hundert Drucken beschrieben hatte, nahm seit 1859 diese verdienstliche Bibliographie wieder auf, durch die litterarischen Nachrichten der mittlerweile ins Leben getretenen Jeride-i-hawâdith erheblich gefördert, und setzte seine exacten Beschreibungen osmanischer Drucke bis zu seinem Tode fort. Neben ihm steht der treffliche Dorn 5), zunächst mit seinem Kataloge nur eine Uebersicht des auch in dieser Richtung grossartigen Besitzes des Asiatischen Museums in St.

3) Trübner's American and Oriental Literary Record. A monthly Register etc. No. 1-10, March 16-Dec. 21, 1865; No. 11– 21, Jan. 22 - Dec. 4, 1866; No. 22 24, Jan. 31-March 30, 1867; 424 S. lex. 8°. Desgl. No. 25--30, May 15-Nov. 15, 1867; 1-116 S. lex. 8. (Subscr. 5 sh. per annum, Post free.)

4) Bibliographie ottomane, ou notice des ouvrages publiés dans les imprimeries de Constantinople, et en partie dans celle de Boulac, en Égypte, depuis les derniers mois de 1856 jusqu'à ce moment. Par Bianchi. Extr. du journ. As. 1859-63). No. I. Paris, Impr. Impér. 1864, 129 S. 8. Vgl. Journ. As. 6ième série S. 2 (1863) p. 217 271 und meinen Bericht für 1859 bis 1861 No. 920.

5) Catalogue des ouvrages arabes, persans et turcs, publiés à Constantinople, en Egypte et en Perse, qui se trouvent au Musée asiatique de l'Académie. Par M. Dorn, Bulletin de l'Acad. Impér. des sc. de St. Petersbourg. T. X. (1866) p. 168-213 und wiederholt Mélanges Asiatiques T. V (1867) p. 465-528.

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