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Unterschiede der Hauptrichtungen bisher kaum die eine oder andere beigebracht wurde. Es sind eben die eigentlichen Schulschriften: die Commentare zu den Sentenzenbüchern, die Summen, die 'Quodlibeta' und 'Quaestiones disputatae' besonders in dieser Periode so abstract und unpersönlich gehalten, dass in der Regel die Gegner nur als 'alii' oder 'quidam' auftreten. Und findet sich ein Name im Text, so bedarf es erst noch einer genauen Prüfung, ob er nicht etwa bloss einer vom Rande her eingeschmuggelten Glosse eines Abschreibers von zweifelhafter Glaubwürdigkeit sein Dasein verdankt.

Bei längerer Beschäftigung mit den Handschriften der mittelalterlichen Scholastik habe ich eine Anzahl jener seltenen Stellen und einige der bezeichneten Schriftstücke gesammelt, welche, zusammengehalten mit anderen einschlägigen Nachrichten, wie ich hoffe, dazu beitragen werden, die Grundanschauungen der beiden Hauptrichtungen genauer zu bestimmen, in welche sich die scholastische Speculation zu Anfang der Periode ihrer vollen Entfaltung um die Mitte des 13. Jahrhunderts spaltete.

Zum leichtern Verständniss des Nachfolgenden suchen wir zunächst den Unterschied der Dominikaner- und Franziskanerschule zu ermitteln, denn diese beiden Orden waren nicht nur die Hauptträger der grossen Geistesarbeit jener Zeit, sondern auch die vorzüglichsten Vertreter der beiden Hauptrichtungen.

Die Dominikanerschule des 13. Jahrhunderts umfasst zwei scharf geschiedene Richtungen. Die jüngere derselben geht vom seligen Albert dem Grossen aus, erreicht durch den hl. Thomas von Aquin ihre volle Gestaltung und wurde durch die Beschlüsse des Generalkapitels von 1278 und 12791 massgebend für den

1 Martène, Thesaurus novus anecdotorum IV, 1793, 1797; Fontana, Constitutiones capitulorum generalium Ord. Praed. Romae 1655, cc. 192, 196; Quétif-Echard, SS. Ord. Praed. I, 434.

Der Beschluss des Mailänder Generalkapitels lautet: 'Item iniungimus districte fratri Raimundo de Medullione et fratri Joanni Vigorosi, quod cum festinatione vadant in Angliam, inquisituri diligenter super facto fratrum, qui in scandalum ordinis de scriptis venerabilis fratris Thomae de Aquino obloquuntur. Quibus ex nunc plenam damus auctoritatem in capite et in membris. Qui quos culpabiles invenerint in praedictis puniendi, extra pro

ganzen Orden. Die zweite, ältere Richtung ist durch jene Lehrer vertreten, welche theils der vom seligen Albert ausgehenden Bewegung zeitlich vorhergingen, theils von ihr unberührt blieben. Unter ihnen sind Roland von Cremona, Robert Fitzacker, Hugo von St. Chair, Petrus von Tarantasia und Robert Kilwardby die bedeutendsten.

Für die Franziskanerschule war gleich ihr erster bedeutenderer Pariser Lehrer Alexander von Hales von bestimmender Bedeutung. Schon vor seinem Eintritt der vorzüglichste Lehrer des an der Pariser Universität seit ihren ersten Anfängen herrschenden Augustinismus, schuf Alexander durch seinen Eintritt in seinem Orden dieser Richtung einen ausgezeichneten Vertreter. Dieser Augustinismus war es, welchen der hl. Bonaventura und dessen grosser Schülerkreis eifrig fortentwickelten und auf der Höhe der Zeit erhielten. Erst gegen Ende des Jahrhunderts machten sich auch in dieser Schule zwei Strömungen bemerklich, eine conservativere von geringerer Bedeutung, welcher unter anderm auch die spiritualistischen Kreise folgten, und eine fortschrittlichere, welche zu Scotus führte.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das Entstehen der Franziskanerschule in Paris keine neue Lehrrichtung schuf, sondern nur dem herrschenden Augustinismus einen neuen

unus

vinciam emittendi et officio privandi plenam habeant potestatem. Quod si eorum casu aliquo legitimo fuerit impeditus, alter eorum nihilominus exsequatur. Quibus priores de sociis competentibus, quos ipsi ad hoc officium exsequendum idoneos iudicaverint, teneantur, quandocunque requisiti fuerint, providere.' - Ueber diese beiden Visitatoren vgl. ausser Quétif-Echard, SS. Ord. Praed. I, 434 s. auch Douais, Essai sur l'organisation des études dans l'ordre des frères Prêcheurs p. 92, und desselben Les frères Prêcheurs en Gascogne, pp. 441 s., 477.

Das folgende Generalkapitel von Paris 1279 beschloss: 'Item venerabilis vir, recolendae memoriae frater Thomas de Aquino sua conversatione laudabili et scriptis suis multum honoraverit ordinem, nec sit aliqualiter tollerandum, quod de ipso vel scriptis suis aliqui irreverenter loquantur etiam aliter sentientes [oder et aliter sentiant]; ideo iniungimus prioribus provincialibus et conventualibus ac eorum vicariis et visitatoribus universis, quod si quos invenerint excedere in predictis, punire acriter non postponant.' - Weitere Beschlüsse dieser Art von 1286, 1309, 1313, 1314 in Martène 1. c. c. 1817, 1917, 1942, 1948. Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte. V. 40

Vertreter gab. Hieraus erklärt sich auch die nahe Verwandtschaft der dem Weltclerus angehörigen Pariser Lehrer mit der sogenannten Franziskanerschule. Es verharrten eben diese Doctoren, ein Wilhelm von Auvergne, Giraud von Abbeville und Heinrich von Gent nicht minder als die Schüler Alexanders von Hales innerhalb des Franziskanerordens, in der alten Richtung der Universität, welche ich als Augustinismus bezeichne.

Eine Neuerung war die vom seligen Albert, Ulrich von Strassburg und vor allem vom hl. Thomas ins Dasein gerufene Richtung. Daher die Zweitheilung in ihrem Orden, indem eben die älteren Lehrer im Augustinismus der Pariser Universität verharrten, in welchem sie herangewachsen waren. Ihre Richtung, welche, seitdem Paris vom hl. Thomas gewonnen war, in Oxford ihren Stützpunkt hatte, erlosch erst nach dem Kapitelsbeschluss von 1278.

Es bezeichnen also die Ausdrücke Dominikaner- und Franziskanerschule für das 13. Jahrhundert nicht zwei verschiedene wissenschaftliche Richtungen, sondern nur die beiden Gesammtheiten der diesen religiösen Genossenschaften angehörigen Lehrer.

Ich weiss, dass ich mich durch vorstehende Darlegung den bisher sowohl in scholastischen als in antischolastischen Kreisen üblichen Auffassungen in nicht wenigen Punkten entgegengestellt und manche, auf den ersten Blick nicht sehr glaubhafte, neue Behauptungen vorgebracht habe. Ich sehe es daher als meine Pflicht an, diese abweichenden und völlig neuen Aufstellungen Punkt für Punkt, zumal durch ungedruckte Materialien, genau zu belegen.

Endlich bemerke ich noch zur Vermeidung jeglicher Missverständnisse, dass ich in dem Vorstehenden und in dem Nachfolgenden mich darauf beschränke, den Entwicklungsgang der Scholastik nur in seinen Hauptumrissen zu skizziren, ohne auf die besondere Gestaltung und Färbung der einzelnen Theile Rücksicht zu nehmen. Diese Ausfüllung des hier Gebotenen werde ich in der Folge, zumal auf Grund ungedruckter Materialien, zu bewerkstelligen suchen. Ferner hebe ich bei der Charakterisirung und Benennung der Schulen und Richtungen, wie es meine Aufgabe fordert, nur die differenzirenden Merkmale her

vor, ohne hierdurch eine allseitig ihr ganzes Wesen umfassende Charakteristik geben zu wollen.

1. Ein Schreiben des Erzbischofs von Canterbury Robert Kilwardby zur Rechtfertigung seiner Lehrverurtheilung vom 18. März 1277.

Als zu Anfang des 13. Jahrhunderts die aristotelischen Schriften mit ihren arabischen Commentaren von Toledo aus in lateinischen Uebersetzungen diesseits der Pyrenäen sich allmählich verbreiteten, fanden sie durch Albert den Grossen eine ebenso sorgsame als verständnissvolle Verwerthung. In der Methode seiner Arbeiten war für Albert Avicenna massgebend, dessen Schriften vor jenen des Averroes Verbreitung fanden. Daher sind Alberts Erläuterungen der aristotelischen Schriften wie die Avicenna's mehr Paraphrasen als Commentare.

Durch Albert seit seinen ersten Studienjahren in diese neue Weisheit eingeführt, hielt sich Thomas von Anfang an an die für ein tieferes Eindringen in das aristotelische Denken ungleich geeigneteren Commentare des Averroes. Sie gaben ihm das Muster für seine eigenen Arbeiten über den Stagiriten. Durch das providentielle Zusammenwirken dieser Umstände gelangte Thomas vermöge seiner ausserordentlichen Geisteskraft zu der Kenntniss und Beherrschung der peripatetischen Philosophie, welche wir an ihm bewundern.

Mit klarer Erkenntniss des Werthes dieser Philosophie brach Thomas mit der bisher in den Schulen üblichen Art von Alleinherrschaft des hl. Augustin, räumte neben ihm dem Stagiriten eine leitende Stellung ein, ja stand nicht an, in rein philosophischen Fragen der Peripatetik den Vorrang vor dem Platonismus des hl. Augustin zuzugestehen.

Dieses Vorgehen war ohne Zweifel eine grosse, kühne Neuerung. Nicht als ob die alte Pariser Schule auch nach der Zurücknahme des Verbotes der aristotelischen Schriften (1231) gegen die neue Denkweisheit sich abgeschlossen hätte; im Gegentheil, auch sie sprach bald die Sprache des Philosophen und des Commentators. Aber den leitenden Einfluss in der Wahl der Lehrmeinungen, welchen der Philosoph in der neuen Schule des hl. Thomas in zwei Jahrzehnten erreichte, erlangte er in der

alten erst in der dreifachen Zeit. Dieselbe löste sich viel langsamer von den Banden, welche sie an den hl. Augustin fesselten, und nahm die Theoreme des Stagiriten viel bedächtiger in sich auf, wodurch sie allerdings den Vortheil erlangte, dass sie dessen Lehre in einer gereiftern, durch bessere Uebersetzungen geläutertern und von den Einflüssen der arabischen Commentatoren gereinigtern Gestaltung erhielt. Doch hierfür besass die neue Schule den Vorzug, dass sich dieser Umbildungsprocess in ihr durch die eine, überlegene Geisteskraft des Aquinaten einheitlicher und systematischer vollzog.

Diesen Charakter einer Neuerung hebt selbst der nicht mehr zeitgenössische Biograph des Heiligen in dessen erstem Auftreten als Lehrer hervor, indem er schreibt: 'Erat enim novos in sua lectione movens articulos, novum modum et clarum determinandi inveniens et novas reducens in determinationibus rationes, ut nemo, qui ipsum audisset nova docere et novis rationibus dubia definire, dubitaret, quod eum Deus novi luminis radiis illustraret, qui statim tam certi coepisset [esse] iudicii, ut non dubitaret, novas opiniones docere et scribere, quas Deus dignatus esset, noviter inspirare.'1

Selbstverständlich rief dieses Vorgehen trotz der überwältigenden Macht, welche es offenbarte, einen heftigen Widerstand hervor. Dies ist ja das Echo, welches fast jede noch so berechtigte Neuerung findet. Sodann war eben die Neuerung des Heiligen, so berechtigt und glücklich sie auch im wesentlichen war, wie jedes Menschenwerk nicht frei von Schwächen und, so weit sie ihrer Zeit vorauseilte, mit manchen Unvollkommenheiten derselben behaftet.

Von den neuen Lehrmeinungen, welche Thomas der augustinischen Philosophie der alten Schule entgegenstellte, gelangte ein Theil allerdings bald siegreich zur allgemeinen Annahme, ein anderer hatte diese Kraft nicht, fand aber doch auch ausserhalb der 1278 zur Lehre des Heiligen verpflichteten Schule seines Ordens eine mehr oder minder grosse Verbreitung, ein dritter endlich konnte sich nur innerhalb der Ordensstudien halten.

1 Wilhelm von Tocco in Acta SS. VII martii, n. 15.

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