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Ein weiterer Grund der Heftigkeit der Reaction lag in der Schwäche, mit welcher nach dem Tode des Heiligen manche der schwächeren seiner Lehrmeinungen vertheidigt und die gegen sie vorgebrachten Einwände gelöst wurden. Auffallenderweise war es dem Heiligen nicht gelungen, innerhalb seines Ordens einen Kreis wirklich hervorragender Schüler heranzubilden. Denn so zahlreich seine Ordensbrüder sind, welche die Literaturgeschichte der Scholastik aus der zweiten Generation seiner Schüler aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts nennt, so wenige kennt sie aus der ersten, durch das lebendige Wort des Heiligen gebildeten aus den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts. In dieser Zeit waren seine bedeutendsten Anhänger der Lütticher Canoniker Gottfried von Fontaines und der Augustiner-Eremit Aegidius von Colonna. Diese Schwäche trug ohne Zweifel dazu bei, dass die alte Schule bald nach dem Tode des Heiligen selbst bis zu der Oxforder und Pariser Lehrverurtheilung von 1277 vorgehen konnte.

Doch ausser diesen inneren, sozusagen wissenschaftlichen Gründen flossen auch noch äussere in die Bekämpfung der neuen Lehre ein: von seiten der weltlichen Lehrer der Widerwille eines Wilhelm von St. Amour, Giraud von Abbeville und Heinrich von Gent gegen die Thätigkeit der Mendicantenorden in Kirche und Schule, sowie von seiten der Franziskanerlehrer ein gewisses Uebermass des Wetteifers, wie es sich im 'Correptorium fratris Thomae' des Wilhelm von Mare und in den Briefen Johann Peckhams 1 zeigt.

Die Betheiligung der dem Weltclerus angehörigen Lehrer an diesem Kampfe steht durch die Briefe Peckhams und eine Streitschrift des Nicolaus von Lisieux 2 fest. Derselbe scheint

1 S. dieselben in Wilkins, Concilia Magnae Britaniae et Hiberniae II, 107 s., im Registrum epistolarum Jo. Peckham ed. Martin III, 840 und in meinem Aufsatz: John Peckham über den Kampf des Augustinismus und Aristotelismus in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in der Zeitschr. f. kath. Theol. (1889) XIII, 172–193. Ich citire im folgenden nach dieser letztern Ausgabe, in der bei jedem Brief auf die beiden früheren verwiesen wird. Einige dieser Briefe finden sich auch im Chartularium univ. Paris. I, 624. 2 Denifle-Chatelain, Chart. univ. Paris. I, 560.

erst während der zweiten Lehrthätigkeit des Heiligen in Paris 1269-1271 so recht zum Ausbruch gekommen zu sein. Von den genannten Lehrern nahmen ausser Nicolaus sicher auch Giraud von Abbeville und Heinrich von Gent theil am Kampfe, ja nach Peckham1 selbst der Bischof von Paris. Doch ist wohl zu beachten, dass der Heilige trotzdem bei der ganzen Universität im höchsten Ansehen stand, wie es das Schreiben bekundet, welches die Universität am 2. Mai 1274 nach dessen Tode an das Ordenskapitel richtete.

Die Demuth, mit welcher Thomas in einer Versammlung das Urtheil über seine Lehrmeinungen dem Bischof und den Pariser Lehrern anheimgab 2, sowie seine Ende 1271 oder Anfang 1272 erfolgte Uebersiedelung nach Italien beschwichtigte, wie es scheint, den Sturm für einige Zeit. Doch glimmte das Feuer unter der Asche fort.

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Als daher Johann XXI. durch Schreiben vom 18. Januar 1277 den Bischof von Paris, Stephan Tempier, mahnte, über die an der Universität vorgetragenen Lehren schärfer zu wachen und allenfallsigen Irrthümern sofort entgegenzutreten, so wurden unter die 219 am 7. März 1277 verbotenen Sätze 3 auch einige dem hl. Thomas zugeschriebene Ansichten, zumal seine Lehre über das Individuationsprincip, aufgenommen. Auffallend ist, dass der Satz von der Einheit der Lebensform im Menschen verschont blieb, während doch gerade er nach der Darstellung Peckhams um 1270 den Brennpunkt des harten Kampfes gebildet hatte. Aber vielleicht ist mit dieser Thatsache die weitere Angabe Peckhams in Verbindung zu bringen, es habe Stephan Tempier nach der Lehrverurtheilung vom 7. März während der Vacanz des römischen Stuhles (20. Mai bis 25. November 1277) die Absicht gehabt, eine Reihe weiterer Sätze des Heiligen in Untersuchung zu ziehen, sei jedoch auf eine abmahnende Weisung einiger Cardinäle von seinem Vorhaben abgestanden.

1 A. a. O. S. 184.

2 Dies bezeugt Peckham in seinen Briefen a. a. O. S. 181. 186. 3 S. dieselben in Argentré, Collectio iudiciorum de novis erroribus I, 175, in revidirtem Text in Denifle-Chatelain, Chartularium univ. Paris. I, 543 s. 4 In seinen Briefen a. a. O. S. 179.

Noch bemerke ich, dass selbstverständlich die Lehrverurtheilung vom 7. März nur für die Pariser Universität und Diöcese verbindende Kraft hatte und von einem der Nachfolger Stephans, dem Bischof Stephan de Borreto, durch Schreiben vom 14. Februar 1324 aus Anlass der Heiligsprechung des Aquinaten (18. Juli 1323) zurückgenommen wurde.

Doch das Schriftstück, welches ich vorzulegen habe, betrifft nicht die Bekämpfung der Lehre des Heiligen von seiten der dem Weltclerus und dem Franziskanerorden angehörigen Lehrer, sondern den Widerstand, den er von seiten der älteren Lehrer seines eigenen Ordens fand.

Schnell gewann Thomas durch seine überlegene Geisteskraft die unter seiner Leitung studirende Jugend seines Ordens für sich, auch wohl die mittlere Generation desselben, welche durch Albert auf die neue Aera vorbereitet war. Doch ohne Zweifel blieb eine Anzahl seiner älteren Ordensbrüder der von ihm ausgehenden Lehrreform fremd. Dies war nach Peckham 1 selbst bei einigen Lehrern der Fall, welche 1269-1271 mit ihm in St. Jakob in Paris zusammenlebten. Auch von ihnen griffen einige dessen neue Lehrsätze an. Doch bedeutend kann wenigstens in den französischen und italienischen Ordensprovinzen, in welchen Thomas selbst gelehrt, und in den deutschen, in welchen Albert schon seit langem in derselben Richtung gewirkt hatte, der Widerstand nicht gewesen sein. Dies beweist auch der gleich zu erwähnende Beschluss des Generalkapitels von 1278.

Anders lag die Sache in England und besonders in Oxford. Dort wirkte von ca. 1248—1261 als Lehrer und von 1261-1272 als Provinzial Robert Kilwardby 2. Als Pariser Magister artium in den Orden eingetreten, scheint er unter Richard Fitzacker, sicher unter Lehrern der alten Schule seine theologischen Studien vollendet zu haben. Er hatte also, als die von Albert und Thomas ausgehende Bewegung sich in weiteren Kreisen fühlbar machte, bereits seine eigenen Lehransichten nach den Principien der ältern Richtung ausgebildet und in Schriften niedergelegt. Bei

1 In dessen Briefen a. a. O. S. 184.

2 Quétif-Echard, SS. Ord. Praed. I, 374.

dieser Sachlage musste die Neuerung nicht nur in ihm, sondern auch in der von ihm gebildeten und geleiteten Provinz Widerstand finden.

Im Jahre 1272 auf den erzbischöflichen Stuhl von Canterbury erhoben, hatte Kilwardby als Metropolit über die Universität von Oxford zu wachen. Bei der der neuern Richtung wenig günstigen Stimmung der Oxforder Lehrer, bei dem regen Verkehr, welcher diese Hochschule mit der von Paris verband, und bei dem bestimmenden Einfluss, welchen letztere auf erstere ausübte, mussten die Streitigkeiten, welche in Paris zu der Lehrverurtheilung vom 7. März 1277 führten, in Oxford ein kräftiges Echo finden. Vielleicht richtete Johann XXI. eine ähnliche Mahnung an Kilwardby, wie er sie an Stephan Tempier sandte, oder hatte das an letztern gerichtete Schreiben auch seine Wirkung auf Robert; Thatsache ist, dass auch er nur vierzehn Tage nach Stephan in Oxford eine Reihe von Lehrsätzen verbot, von welchen vier der Grammatik, zehn der Logik und sechzehn der eigentlichen Philosophie angehörten. Unter diesen letzteren befand sich auch die Ansicht des hl. Thomas über die Einheit der Lebensform im Menschen.

Wegen dieser Massnahme machte dem Erzbischof einer seiner Ordensbrüder, Petrus de Confleto, Erzbischof von Korinth, Vorwürfe und suchte einige der verurtheilten Sätze zu rechtfertigen. Ihm antwortete Robert mit einem längern Vertheidigungsschreiben, in welchem er sein Urtheil über die von Petrus in Schutz genommenen Thesen begründet. Dies ist das Schriftstück, welches ich zum erstenmal veröffentliche.

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Noch bemerke ich, dass dieser Widerwille der Oxforder Dominikaner gegen die neue Richtung des hl. Thomas bald überwunden war. Das energische Auftreten der vom Mailänder Generalkapitel von 1278 abgesandten Visitatoren 1 und wohl nicht minder der noch vor der Ankunft derselben erfolgte Weggang des am 12. März 1278 zum Cardinalate erhobenen Kilwardby genügten hierfür. Ausserdem musste die sich immer steigernde Bekämpfung des Heiligen von seiten der Franziskanerlehrer natürlich in derselben Richtung wirken.

1 S. oben S. 604.

Kilwardby's Vertheidigung seiner Lehrverurtheilung ist für die Kenntniss der ältern Dominikanerschule und der zwischen ihr und der neuen Richtung bestehenden Meinungsverschiedenheit von Bedeutung. Eine allerdings sehr wesentliche Ergänzung wird diese Apologie erhalten, wenn ich aus den unedirten Schriften dieser Schule meine reichlichen Auszüge veröffentlicht haben werde.

Leider lässt die handschriftliche Ueberlieferung des Schreibens viel zu wünschen übrig. Der volle Text desselben findet sich in dem Sammelband Cod. 267 des Merton - College in Oxford, Bl. 109 bis 115a, von einer Hand vom Eingang des 14. Jahrhunderts1. Der von alter Hand geschriebene Titel lautet: 'Quedam epistola destinata a fratre Roberto archiepiscopo Cantuariensi ad alium archiepiscopum de articulis et erroribus condempnatis Oxonie [eingefügt: Parisius], ut patet intuenti.' Doch ist diese Abschrift sowohl fehlerhaft, als stellenweise sehr schwer leserlich. Sehr erwünscht kam mir daher eine Florentiner Handschrift, welche ehemals in S. Marco armar. IV, Cod. 25 ad sin. war und jetzt in der Nationalbibliothek Cod. I. VII. 47 der Abtheilung 'Dai conventi soppressi' ist. Es ist dies ein Pergamentband aus dem 14. Jahrhundert, welcher nach einer Reihe kleiner Schriften des hl. Thomas, Albert des Grossen, Hugo von St. Chair Bl. 106 bis 107b unsere Schrift enthält mit der von jüngerer Hand stammenden Ueberschrift: 'Declaratio falsitatis quorumdam articulorum.' Doch leider bricht der Text gegen die Mitte ab. Gerne hätte ich daher die zweite Hälfte meiner vor sieben Jahren gefertigten Abschrift noch einmal mit der Oxforder Handschrift verglichen, um womöglich die Zahl der Lücken und der zweifelhaften Lesarten zu reduciren; doch war es mir leider nicht vergönnt. Die Oxforder Handschrift bietet im Vergleich zu der Florentiner an einigen Stellen einen etwas verkürzten Text.

Quétif und Echard glaubten, das Schreiben Kilwardby's sei an Wilhelm von Morbeka gerichtet, doch wies neuerdings P. Denifle 2 nach, dass Petrus de Confleto der Adressat ist.

1 S. die Beschreibung und Inhaltsangabe in Coxe, Catalogus codd. mss. collegiorum et aularum Oxoniensium I, 105.

2 Chartularium univ. Paris. I, 559; vgl. Archiv f. Lit.- und Kirchengesch. II, 207, Anm. 5.

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