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in der Vergangenheit liegen und mit dem Staatsleben in irgend welcher Beziehung stehen, es ist Sache des Staatsarchivs und seiner Beamten, diese Frage zu beantworten oder denen, die sie zu beantworten wünschen, das Material dazu in die Hand zu geben und den Weg zur Benutzung desselben zu weisen.

Selbstverständlich muss deshalb die Verwaltung eines Staatsarchivs vor allem nach Vollständigkeit desselben streben. Nicht als ob wir dafür schwärmten, dass jedes geschriebene Blatt der Vergessenheit entrissen würde; im Gegentheil, so manche Archive dürften noch ganz bedeutende Cassationen nutzlosen Ballastes vertragen können. Aber durch diese Säuberung darf doch keine Lücke entstehen; nur der ist ein richtiger Archivar, der beurtheilen kann, was wesentlich und was unwesentlich für sein Archiv ist.

Das Staatsleben steht nie still. Wenn nach kürzerer oder längerer Thätigkeit eine Behörde ihren Beruf erfüllt hat, aufgehoben wird und ihre Papiere in die Gewölbe des Staatsarchivs wandern, so sind inzwischen eine oder mehrere andere neue Behörden entstanden; ihre Wirksamkeit aber bildet in ihren Aktenrepositorien den Niederschlag, nach dem sie künftige Generationen beurtheilen können. Der Beamte, unter dessen Händen die Akten entstehen, steht freilich mitten im praktischen Leben der Gegenwart drin; er hat oft genug das Gefühl, dass, sobald die Angelegenheit erledigt ist, die Akten für die Papiermühle reif sind. Und das ist ja in der That vielfach der Fall; oft aber auch nicht. Da ist es eben nur der Archivbeamte, der eine Auswahl treffen kann; er muss am Besten wissen, was für die politische, Rechts-, Kirchen- und Culturgeschichte von dauernder Wichtigkeit ist; er muss in den Stand gesetzt werden, dieses Wissen anzuwenden, d. h. keine Behörde im Lande darf irgend etwas cassiren, ohne vorher das Placet der Archivbehörde eingeholt zu haben. Glücklicher Weise ist diese Nothwendigkeit auch in den meisten Staaten, über deren Archivwesen wir etwas Näheres wissen, erkannt und eine regelmässige Controle aller Aktencassationen durch die Archivverwaltung eingeführt worden.

Nun ist freilich das Durchsehen von dickleibigen Aktenverzeichnissen, auch wol das Umwälzen ganzer Registraturen ein viel geringeres Vergnügen als die Edition neuer Quellen und andere rein. wissenschaftliche Arbeiten. Es ist weitaus bequemer, irgend einen Schlusspunkt, etwa das Jahr 1813, anzunehmen, allem Neuen so lange den Eingang zu versagen, bis etwa die Geschichte einen neuen

>>Schlusspunkt << macht, und alles, was jemals eine Behörde veranlassen könnte, die wissenschaftliche Thätigkeit des Archivars zu stören, in das Bureau dieser Behörde auf Nimmerwiedersehen abzugeben. Aber es ist eine verkehrte, höchst mechanische Auffassung des Begriffs Staatsarchiv, der einer solchen Anschauung zu Grunde liegt. Soll das Archiv seine Aufgaben ganz erfüllen, so muss es so gut für die Zukunft sorgen als für die Vergangenheit.

Dass eben dieses Streben nach Vollständigkeit die Staatsarchive veranlassen muss, auch Fühlung mit den Archiven der Städte, Pfarreien, Corporationen u. s. f. zu halten und wie diess zu bewerkstelligen sei, darüber sprechen wir uns vielleicht bei einer andern Gelegenheit aus.

Für jetzt sei uns nur gestattet, einen andern hierher gehörenden Punkt etwas eingehender zu erörtern. Wir meinen das Bestehen verschiedener staatlicher Archive unter verschiedener Verwaltung neben einander. Sehen wir, wie es sich in dieser Beziehung zunächst bei einigen deutschen Staaten verhält.

Das Königreich Bayern hat ausser den acht Provinzialarchiven drei das ganze Land umfassende staatliche Archive: das aus dem früheren Landesarchiv hervorgegangene »Reichsarchiv<< - über den Titel wollen wir nicht streiten, das k. geheime Hausarchiv und das k. geheime Staatsarchiv. Diese eigenthümliche Dreitheilung, die aus dem Jahre 1799 rührt, ist bis auf den heutigen Tag aufrecht erhalten worden. Alle Urkunden und Akten, die persönliche und Vermögensverhältnisse des Herrscherhauses oder einzelner Glieder desselben betreffen, alle Familienverträge, Erbtheilungssachen, Testamente, Vermählungsangelegenheiten und dergl. und zwar aus der frühesten bis zur spätesten Zeit, liegen im Hausarchive, alles, was die Beziehungen zu auswärtigen Mächten sowie zum Reich anlangt, im Staatsarchiv, alles übrige im Reichsarchiv und den acht andern Landesarchiven. Die Archive stehen unter verschiedener Oberleitung: die Genehmigung zur Benutzung des Reichsarchivs ertheilt in Zweifelsfällen das Ministerium des Innern, während die Benutzung des Haus- und Staatsarchivs von der Bewilligung des Königs resp. des Ministeriums des Auswärtigen abhängt 1).

In Baden bestehen ebenfalls drei Archive neben einander, nämlich das allgemeine Landesarchiv, das grossherzogliche Haus- und

1) v. Löher: Archival. Zeitschrift. I 82. 83. 107.

Familienarchiv und das geheime Staatsarchiv; sie haben jedoch unter der Bezeichnung Generallandesarchiv eine einheitliche Direction und Verwaltung. Nur bei der Ertheilung der Genehmigung zur Benutzung derselben zeigt sich, dass sie doch nicht zu einem Archivkörper zusammengewachsen sind: für die Benutzung des Landesarchivs ist das Ministerium des Innern, für die des Hausarchivs der regierende Grossherzog bez. das geheime Cabinet, für die des geheimen Staatsarchivs das Staatsministerium competent 1).

Weniger künstlich als diese Dreitheilung ist das Verhältniss da, wo neben einem Staatsarchive ein Hausarchiv steht. So giebt es in Preussen ausser den Staatsarchiven in den Provinzen und dem geheimen Staatsarchiv zu Berlin das königl. Hausarchiv. Während alle übrigen Archive unter dem »Directorium der preussischen Staatsarchive< und in letzter Linie unter dem Präsidenten des Staatsministeriums als Chef der Archivverwaltung stehen, hat das Hausarchiv eine gesonderte Direction und Verwaltung und gehört zum Ressort des Hausministeriums 2).

Aehnlich ist das Verhältniss in Sachsen-Weimar; es besteht neben dem geheimen Haupt- und Staatsarchiv, wenn auch unter demselben Vorstand, ein gesondertes Hausarchiv 3).

Auch in Württemberg sind Haus- und Staatsarchiv nur räumlich getrennt, sie stehen unter einheitlicher Verwaltung; sie gehören hier zum Ressort des Königl. Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten. Daneben bestehen noch Archive oder doch weit zurückreichende Registraturen bei den einzelnen Ministerien 4).

Am Vollkommensten ist die Vereinigung von Haus- und Staatsarchiv, soviel mir bekannt ist, in Sachsen durchgeführt. Sie bilden hier zusammen das Hauptstaatsarchiv und stehen unter dem Gesammtministerium, das die Genehmigung zur Benutzung ertheilt. Bis zum Jahre 1873 bestand ein getrenntes, sehr umfangreiches Finanzarchiv, das zum Ressort des Finanzministeriums gehörte; man hat es, vollkommen richtigen Principien folgend, in dem genannten Jahre mit dem Hauptstaatsarchive vereinigt 5).

1) Burkhardt: Hand- und Adressbuch 2.

2) Ebendaselbst 98 fg.

3) Ebendaselbst 152 fg.

4) S. ausserordentl. Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger No. 50 vom 20. Dec. 1875.

5) In Sachsen wie anderwärts herrscht leider der Misbrauch, alle Registra

Auch in den kleineren deutschen Staaten sind Haus- und Staatsarchiv vielfach verbunden, und diese Verbindung ist meist geboten, weil das Material zu geringfügig ist, um eine doppelte Verwaltung zu rechtfertigen. Leider ist hie und da die Folge dieser Verbindung gewesen, dass die Unnahbarkeit des Hausarchivs sich auch auf das Staatsarchiv erstreckt hat.

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Was die ausserdeutschen Länder anlangt, so wird Frankreich als der Staat genannt, der in seiner Archivverwaltung die straffste Centralisation durchgeführt hat; ohne Zweifel verdankt Frankreich dieser centralisirten Verwaltung eine in ihrer Art vortreffliche Ordnung seiner Departemental-, Communal- und Hospitalarchive, die freilich und das ist unserer Meinung nach ein grosser Fehler durchaus schematisch, ohne Rücksicht auf die besondere Geschichte der Landestheile, ohne Rücksicht auf die geschichtlichen Grenzen u. s. w. künstlich gemacht worden ist; das Abbild eines Volkes, das mit seiner Geschichte einmal gründlich gebrochen hat. Merkwürdiger Weise vermisst man diese Einheit in oberster Instanz. Die Oberleitung der Departementalarchive ist bei dem Ministerium des Innern, während das allgemeine französische Centralarchiv im Jahre 1853 dem Ministerium des Innern entzogen und dem Staatsministerium zugewiesen worden ist 1). Daneben bestehen in Paris bei einzelnen Ministerien Archive, von denen z. B. das Archiv des auswärtigen Amts grosse Wichtigkeit haben und bis ins Mittelalter zurückreichen, aber sehr schwer zugänglich sein soll.

In Italien dagegen, dessen Archivorganisation bekanntlich ganz neuerdings eine durchgreifende und theilweise sehr anerkennenswerthe Regelung erfahren hat, stehen seit dem 1. April 1874 sämmtliche Staatsarchive, nämlich das noch in der Bildung begriffene Reichsarchiv in Rom, die Centralarchive, d. h. die Archive, welche die Documente der Centralstellen jener Staaten, aus denen sich das Königreich Italien gebildet hat, umfassen, und die nicht centralen Staatsarchive unter der Leitung des Ministeriums des Innern; man hat dort erkannt, wie grosse Uebelstände die Vertheilung unter verschiedene Ministerien im Gefolge hat 2).

turen als Archive und wo möglich die Kanzleibeamten, die mit ihrer Verwaltung beauftragt sind, als Archivare zu bezeichnen. Von solchen Archiven sehen wir hier natürlich ab.

1) Vgl. H. Pfannenschmid: Das Archivwesen in Elsass-Lothringen. 43. 2) v. Zahn: Archival. Zeitschr. I 183. 177.

Den vollständigen Gegensatz zu dieser Einheitlichkeit der Oberleitung bildet der Zustand des Archivwesens in Oesterreich. Hier fehlt es an jeder Centralisation 1). Die Archive der einzelnen Kronländer stehen, soweit sie ständisch sind, unter den Landesausschüssen, soweit sie staatlich sind, unter den Oberbehörden der Landestheile und in einer wol sehr losen Verbindung mit dem Ministerium des Innern 2). Das k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, das sich jetzt, aber noch nicht sehr lange, unter Arneth's Leitung einer sehr liberalen Verwaltung erfreut, untersteht dem Ministerium des kaiserlichen Hauses und dem des Aeussern; in der Regel reicht die Genehmigung des Directors zur Benutzung aus. Die übrigen Ministerien, das Reichsfinanzministerium, das Ministerium des Innern, das Reichs-Kriegs- und Justizministerium und das Ministerium für Cultus und Unterricht haben ihre eigenen Archive unter eigener, sehr verschiedener Verwaltung. Wiederholt hat man Vorschläge zu einer mehr einheitlichen Organisation gemacht; wir erwähnen nur die Pläne, die Dudik im J. 1856 verfolgte 3), und das Gutachten einer in neuerer Zeit durch das Ministerium des Innern berufenen Commission, welches durch v. Meiller, Sickel und v. Zahn ausgearbeitet worden ist 4). Aber die Ausführung dieser Vorschläge scheiterte wol besonders daran, woran leider so viel Erstrebenswerthes im Archivwesen scheitert: an der Geldfrage.

Sehr eigenthümlich sollen Englands archivalische Verhältnisse sein, und es wäre recht dankenswerth, wenn dieselben einmal von kundiger Feder dargestellt würden. Bis jetzt fehlt unsers Wissens eine solche Bearbeitung, und wir sind daher nicht ausreichend orientirt 5). Soviel uns bekannt, bestehen aber auch in London neben dem Record Office, dem englischen Centralarchive, bei den einzelnen Ministerien Archive.

Wir stellten oben die Vollständigkeit als die wichtigste Bedingung für die Leistungsfähigkeit der Staatsarchive hin. Der Historiker wie der praktische Geschäftsmann wird uns gewiss zugeben, dass das Staatsleben, wenn man es in seiner Totalität erfassen will, wie es in Archiven erfasst werden soll, sich nicht in verschiedene

1) Burkhardt: Hand- u. Adressbuch 86. Vgl. Wolff: Geschichte der k. k. Archive in Wien, Wien 1871.

2) v. Löher: Archival. Zeitschr. I 44.

3) Wolff a. a. O. 141. 4) das. 244.

5) Vgl. unten Reise nach London« von Grünhagen. (Anm. d. Red.)

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