sie nicht bis zum Rathaus reichten, konnten sie auch nicht einen Ausweg zur Flucht für den Rat darbieten. Um ein Ausfallsthor nach aufsen offen zu halten oder etwa die Aussetzung eines Beobachtungskorps oder Postens zu ermöglichen, waren sie weder hoch, noch breit, noch bequem genug angelegt. Man hätte hier wohl gleich, da es ohne zu grofse Mühe und Kosten hätte geschehen können, ganz andere Verhältnisse und wohl auch andere Auswege geschaffen, als aufserordentlich tiefe und enge Gänge mit schlotartig sich hinaufziehenden Ausmündungen sie gewähren können. Noch in ihrem gegenwärtigen Zustande bieten sie für einen kräftigeren Mann stellenweise Schwierigkeiten, obschon doch anzunehmen ist, dafs der durch das an den Wänden heruntersickernde Wasser erweichte Sandstein im Laufe vieler Jahrhunderte sich abgebröckelt hat und durch häufigeres Begehen allmählich abgeschleift und etwas erweitert worden ist. Bemerkt sei auch, dafs in amtlichen Aufzeichnungen des Bauamts diese Gänge als >>Wassergänge« ausdrücklich bezeichnet werden. 84) Der Gang vom Rathaus zur Burg ist erst im Jahre 1543 angelegt worden. In einem Berichte des Baumeisters von diesem Jahre, 85) der die aufserordentlichen Kosten der vorgenommenen Bauten zusammenstellt, wird die »tholmb, so vom tiergärtnertor under das rathaus gefürt worden«, ein Werk, das der Baumeister für ein besonderes oder Hauptgebäu erachtet, mit einem Kostenaufwande von 2000 fl. aufgeführt. Müllner bemerkt ganz ausdrücklich, dass man 1543 »in einem Gang unter der Erden fünf Schuh weit und acht Schuh hoch aus dem Stadtgraben beim Tiergärtnertor das Wasser zum Brunnen in das Rathaus geführt habe.) Diese Anlage hing ohne Zweifel mit dem Bau der Bastei der Veste zusammen, die in den Jahren 1538 bis 1545 unter dem berühmten Festungsbaumeister dem Malteser Andrea Fazuni weiter hinausgerückt und mit den grofsartigen Kasematten versehen wurde, die noch heute unsere Bewunderung erregen. 87) In diese Gewölbe, die sich unausgesetzt an der Grabenlinie der Bastei hinziehen, mündet der Rathausgang aus. Er ist gewissermassen ein Teil des Befestigungswerks, dem er einverleibt ist. Bemerkt sei noch, dafs im selben Jahre ein weiterer Dohlengang vom Rosenbad*) an der Schildgasse »verporgen unter dem pflaster« in die Pegnitz beim Spital mit einem Kostenaufwand von nur 150 Gulden für Steine, Tröge, Seiher und andere Arbeit geführt wurde. 85) Es war dies ein Kanal, wie so viele andere nur dazu bestimmt, das Abfallwasser fortzuleiten. Es ist bezeichnend, dafs die Gänge in amtlichen Schriftstücken als geheime gekennzeichnet werden. Und sie wurden in der That geheim gehalten. Der Stadtbaumeister hatte sie alljährlich einer Besichtigung zu unterziehen, woran auch zwei Deputierte des Rats - im 18. Jahrhundert wenigstens teilnahmen. Zur Ausbesserung der schadhaften Stellen aber waren — wie aus einem Bericht des Wolf Jakob Stromer vom 17. Mai 1611 hervorgeht zwei Steinmetzgesellen in Pflicht genommen, die »was sie gesehen und wozu sie gebraucht, verschwiegen und in geheim ihr leben lang zu halten«, angeloben *) Das Häuserquadrat zwischen Schild- und Brunnengäfschen (Brunnengässchen 15). mufsten. Als dieser Bericht, in welchem notwendige Reparaturen vorgesehen waren, im Rat zur Verhandlung kam, wurde sogar das Austreten der Ratsschreiber aus der Sitzung für nötig angesehen. 85) Diese ängstliche Geheimhaltung hat ihren Grund ohne Zweifel in dem eigenartigen Charakter der unterirdischen Gänge. Sie bildeten, wie beispielsweise der grofse Rathausgang, ein Annex des Fortifikationswerks der Burg. Dieses war vielleicht schon in früherer Zeit zum Zwecke der Bestreichung des Grabens mit Gängen oder Kasematten versehen gewesen. Mit der Anlage der Bastei wurde dann der Gang zum Rathaus ausgebaut, erweitert und ausgemauert. Nun konnte die so wichtige Kommunikation zwischen dem Rat und der Besatzung der Burg nicht unterbrochen werden, zugleich aber war damit im Fall der Gefahr ein geheimer Weg zur Sicherung des Rats auf der Burg geöffnet. Die sogenannte >>Ratssession ad annum 1734 und 1735 87) bestätigt unsere Aufstellung, indem sie mit Bezug auf den Ratsbehälter der nördlichen Wand der Ratsstube bemerkt: »Alhier soll eine Thür in das Lochgefängnis hinuntergehen, um im Fall der Not in Sicherheit zu seyn<«. Der Verfasser dieser dieser Ratssession hat bezüglich des ersten Punktes seiner Bemerkung, die doch auf eine Mitteilung von einer mit der Sachlage vertrauten Seite zurückzuführen sein dürfte, durch die vor wenigen Jahren gemachte Entdeckung einer geheimen, zu den Lochgefängnissen führenden Thür in der Rückwand jenes Schrankes Recht erhalten; sollte er nicht auch wegen des Zweckes dieser Thür gut beraten gewesen sein? Und liegt jene Annahme nicht nahe genug und drängt sie sich nicht auch ohne jene Bemerkung ganz von selbst auf? Aus dem Jahr 1761 ist ein Bericht des Losungsamts über eine Besichtigung des Hauptganges zwischen Rathaus und Burg erhalten, die durch die sämtlichen älteren Herren vorgenommen wurde.88) Seit 1755 war jede Visitation aus unterschiedlichen Hinderungsgründen unterblieben. Bei den nunmehr im Septemviratskollegium eingetretenen Personalveränderungen hielt man eine neuerliche Besichtigung für geboten. Am Nachmittag des 18. Juni um halb 3 Uhr hatten sich in der Ratsstube die Älterenherren Karl Sigmund Ferdinand Grundherr, Johann Sigmund Pfinzing, Christoph Friedrich Stromer, Johann Adam Rudolf Karl Geuder, Christoph Jakob Waldstromer, Georg Burkhard Haller und Georg Friedrich Pömer, der Baumeister Christoph Andreas Imhof, sowie die beiden Losungsräte Friedrich Karl Scheurl und Sigmund Friedrich Löffelholz eingefunden. Bevor sie ihren Weg antraten, reichte ihnen der Anschicker Walther die gewöhnlichen Sürtouts und Mützen, der Baumeister und der Stadtschlosser Sauer verriegelten und versperrten die Ratsstube, dem Lädlein am Fenster entnahm man die Schlüssel zum sogenannten Einstieg und schlofs damit den Wandbehälter auf, hinter welchem jener sich befand. Die Schneckenstiege hinunter beging man zunächst den Gang, der zum Waldamt Sebaldi führte, und die anstofsenden Gewölbe bis zum Ausgang neben dem Fünferhaus und von da das Holzgewölbe des Lochgefängnisses. Der Gang zur neuen Tortur und zum scharfen Verhör war schon allen bekannt, man ging daher gleich durch das Kindbetterstüblein, die Küche und Gänge bei den neuen Gefängnissen in die Wasserleitungsgänge bis zur eisernen Thür der Bastion beim Tiergärtnerthor. Von da verfügte man sich in die Hauptbastion vor der Veste und von dort in die dritte beim Vestnerthor. In den Nebenwerken oder Tenaillen wurde der Umgang durch eine kurze Rast unterbrochen. Überall hatte man das Gemäuer, die Schlösser und Anhaltstangen repariert und in gutem Zustande angetroffen. Durch die eiserne Thür des ersten Bollwerks wurde der Rückweg durch die Wasserleitungsgänge in die Ratsstube genommen. Zwei Stunden hatte die Besichtigung gedauert, die wie jene in den Jahren 1714, 1719, 1746, 1752 und 1755 ihren Verlauf genommen hatte. Dem Baumeister sprach das Kollegium für seine Mühewaltung und besonders für das Aufsperren der Thüren den gebührenden Dank aus. Es kann kaum Wunder nehmen, dafs bei der ängstlichen Geheimhaltung der unterirdischen Gänge selbst vor den Augen der weitaus meisten Mitglieder des kleineren Rats sich die Volksphantasie ihrer bemächtigte. Wie man sich hier in den sonderbarsten Vorstellungen und Erdichtungen erging, zeigt eine Schilderung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die sich zwar selbst als eine »wahrhaftige« ankündigt, in der That aber mehr romantisch als wahr erscheint. 79) Sie bemerkt zunächst, dass die Lochgefängnisse zugleich mit dem Rathaus erbaut worden seien und obschon es schon vordem solche Gefängnisse gegeben, so seien sie doch nicht von einer solchen Weitläufigkeit und mit verborgenen Gängen verbunden gewesen. Beim Eingang des Lochgefängnisses unten zur rechten Hand im neuen Gang, so fährt dann die Beschreibung fort, befindet sich ein mannshohes eisernes Thürlein, bei dessen Eingang eine starke Mauer, worin ein Stein, mit einem Kreuz bezeichnet, sich befindet. Mit geringer Mühe kann derselbe aus der Mauer gehoben werden, und es kann jetzt ein starker Mann durch das Loch ohne Anstofs gebückt durchgehen. Dann tritt in diesem Loch noch eine eiserne Thür mit vier grossen Schlössern zu Tage, deren Schlüssel in der Losungsstube in einer mit einem doppelten Q bezeichneten Truhe verwahrt liegen. Öffnet man aber diese Thüre, so kommt man zu einer Stiege mit 17 Staffeln, an deren Ende eine finstere, mit viel Eisenwerk versehene Kammer sich befindet, die den geheimen grofsen Schatz der Stadt verbirgt. Von hier geht man geraden Weges durch eine weitere und dann noch durch 16 eiserne, mit grofsen Schlössern allenthalben scharf vermachte Thüren, bis man ein Licht erblickt, das zwischen dem Tiergärtnerund Lauferthor durch ein eisernes Gitter bei einer Bastei vom Graben herunterscheint. Das Gitter aber gehört zum Lochgefängnis. Wenn man zu Eingang des Lochgefängnisses zur linken Hand weitergeht, so kommt man durch 72 Thüren, bis man Licht erblickt. Bei der vierzigsten Thür, unweit des Zeughauses, wurde Seifried Koler, ein alter Herr des Rats, weil er die Stadt dem König von Frankreich hatte zuspielen wollen und schon einige französische Soldaten in Weiberkleidern hatte einschleichen lassen, wegen seines hohen Alters eingemauert. Zu Ende der 72 Thüren findet sich noch eine weitere. Wird sie geöffnet und das Steinwerk, das davor liegt, weggeräumt, so kommt man in ein dichtes Gebüsch im Dutzendteicher Wald. Dieser Ausgang ist vom Dutzendteich auf der linken Seite 2117 Schritte entfernt, zum Kennzeichen stehen an der Stelle 3 im Dreieck gestellte Tannenbäume, und gleich daran ein Gebüsch von Kreuzbeeren, worin einstmals » etliche Schwarzbeermenscher << den Ausweg gefunden und dem damaligen Bürgermeister Georg Koler Mitteilung gemacht, dafs sie einen Schatz gefunden, worüber eine eiserne Thür angebracht wäre. Nachdem dann Georg Koler dies bei Rat berichtet hatte, wurde jener Ausgang besser verwahrt, den Weibern aber bei Leib- und Lebensstrafe ewiges Stillschweigen auferlegt. Durch alle diese Gänge nun gehen alle Jahre die zwei ältesten Herren des Rats mit einem Kanzlisten und dem Stadtschlosser, dem während des Gehens die Augen verbunden sind, die erst wieder geöffnet werden, wenn man zu einer Thür kommt. Bei dieser Gelegenheit werden die Schlösser visitiert und, soweit in der Eile geschehen kann, repariert. So der Bericht, der den Stempel des Unwahrscheinlichen und Erdichteten an der Stirn trägt. Diese ausgedehnten Gänge mit ihren Heimlichkeiten, märchenhaften Verschlüssen und Ausgängen, haben wohl kaum jemals bestanden, wie sie hier geschildert werden. Dabei muss es als höchst verdächtig auffallen, dass dieser angebliche Bericht den Verhältnissen, soweit sie heute noch erkennbar hervortreten, in keiner Weise Rechnung trägt. Je mehr man ihn betrachtet, um so mehr erscheint er in seiner romantischen Ausstattung als eine wilde Ausgeburt einer müfsigen Einbildungskraft, worin nur ein winziger geschichtlicher Kern zu entdecken ist. Es wird übrigens heutzutage kaum noch möglich sein, das allem Anscheine nach weitverzweigte Netz der unterirdischen Gänge zu rekonstruieren. Die Eingänge sind jetzt verbaut, und die Gänge zum Teil wohl verfallen und verschüttet. In hohem Grade aber ist es zu bedauern, dafs ein Plan über ihre Ausdehnung und Verzweigung sich nicht erhalten hat. Und es hat in der That solche Pläne gegeben. Am 10. September 1762 89) berichtet der damalige Baumeister Christoph Andreas Imhof, der vom Rat zur Ausbesserung des Risses vom Lochgefängniss beauftragt worden war, er sei wegen empfindlichen Abganges seines Augenlichtes nicht im Stande gewesen, diese Arbeit selbst vorzunehmen, doch sei durch die geschickte Hand des Anschickers Johann Leonhard Maximilian Keil dem Schaden in doppelter Weise abgeholfen worden, indem derselbe »nicht nur den alten Kartenrifs gehöriger Orten wieder zusammengefüget, sondern auch anderweit decopiret und das Lochgefangnus etwas gröfser hergestellet; über dieses aber annoch die unterirdischen Gänge in und aufserhalb der Stadt in der beigelegten Grundrifskarte zu mehrerer Beleuchtung dieser Geheimnisse mit einer rothfarbigen Linie vorstellig gemacht.« Der Stadtbaumeister, der die drei Risse dem Rat in Vorlage bringt, empfiehlt den Verfertiger oberherrlicher Gnade und Protektion. Für seine Sorge und Mühe spricht ihm der Rat den gebührenden Dank aus und beauftragt ihn zugleich, dem Anschicker »zu fernerweiten Aufmunterung seines Fleifses ein beliebiges Douceur aus der Amtskasse zuzustellen«. Wenn es einmal gelänge, diesen Rifs aus der Verborgenheit, in der er vielleicht noch ruht, an das Tageslicht zu ziehen mit einem Schlage würde er über Umfang und Richtung der unterirdischen Gänge die längst erwünschte Klarheit verbreiten! Durch die mehrfachen Restaurationen, die das alte Rathaus im Laufe von beinahe sechs Jahrhunderten erfahren, hat sich dessen ursprüngliche Physiognomie mehr oder weniger verändert. Am entschiedensten hat sie sich ohne Zweifel auf der Ostseite erhalten. Aeufserlich tritt hier der durch ein mächtiges Rundbogenfenster mit gotischem Mafswerk durchbrochene Giebel hervor, dessen Fläche durch vom Gesimse aufsteigende starke Lisenen abgeteilt wird. Diese gehen fialenartig über die zwischenliegenden, durchgekuppelte Bögen belebten Füllungen hinaus und sind oben durch Kupferdächlein mit Kugeln abgeschlossen. Ein einfaches gotisches Chörlein inmitten zweier Fenster gleichen Stils ziert das darunter liegende Stockwerk. Bis auf einzelne Zuthaten späterer Zeit, wie z. B. die aufgesetzten Kugeln, darf diese Architektur als die ursprüngliche angesehen werden.*) Das den Giebel bekrönende Türmlein, in dem das Rats *) Abbildung der Ostseite s. Kapitel VI. |