Imágenes de páginas
PDF
EPUB

II.

Die

österreichischen Freiheitsbriefe.

Prüfung ihrer Echtheit

und

Forschungen über ihre Entstehung

von

W. Wattenbach.

Vorwort.

Ueberall hat es zur Erkenntniss der wirklichen Geschichte vergangener Zeiten einer neuen Entdeckung bedurft. Fabeln und Erdichtungen hatten den Boden überwuchert, die Wahrheit lag tief verborgen, ungekannt, und in ihrer schlichten Gestalt war sie nichts weniger als willkommen, wenn sie zuerst den Blicken sich zeigte, eingeführt durch unerschrockene Forscher wie Mabillon, Muratori, Terraneo, Dobner, Dobrowsky und Andere, welche rücksichtslos die lieb gewordenen Truggestalten verscheuchten.

Die österreichische Geschichte hätte eines solchen Werkes nicht weniger wie andere Landesgeschichten bedurft, doch ist es ihr nicht zu Theil geworden. Viel Falsches ist beseitigt und weggeräumt, ja es ist kaum ein Irrthum, der nicht angegriffen und bekämpft wäre, allein die Untersuchung kam selten zum Abschluss, noch jetzt sind die wichtigsten Momente streitig und unentschieden.

Dahin gehört vor allen Dingen die Untersuchung über die Echtheit der Hausprivilegien, ein Gegenstand, der, weit hinausgreifend über die specielle Landesgeschichte, für die deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte von der äussersten Wichtigkeit ist. Denn es handelt sich darum, ob die Beschränkung des Wahlrechts auf sieben Kurfürsten um hundert Jahre jünger oder älter ist, ob Anschauungen und Begriffe, die nach den Resultaten anderer Forschungen erst dem vierzehnten Jahrhundert angehören, schon für das zwölfte, ja das eilfte Jahrhundert als zuverlässig documentirt zu betrachten sind.

In Oesterreich galt früher jeder Zweifel an der Echtheit der Privilegien für unpatriotisch und gefährlich. Die Entscheidung der wissenschaftlichen Frage konnte praktische Consequenzen nach sich ziehen, und wenn auch das nicht mehr zu befürchten war wer möchte sich denn wohl so leicht entschliessen, auf einen vermeintlichen Schatz zu verzichten, den man Jahrhunderte lang als ein Kleinod des Landes zu betrachten gewohnt Auch waren die Angriffe von wenig Bedeutung, die Behauptungen der Gegner leicht zurückzuweisen.

war.

Gegenwärtig steht die Sache anders; die Resultate der Rechtsgeschichte, und zuletzt der gewichtige Ausspruch J. F. Böhmer's, des

ersten Kenners unserer Zeit, haben die Frage in den Augen fast aller derjenigen, welchen ein Urtheil darüber zusteht, bereits entschieden 1). Sie wird endgiltig entschieden werden auf dem Gebiete der Wissenschaft, ohne dass Oesterreich die Macht hätte, es zu verhindern 2), und das starre Festhalten eines Kleinods, welches die ganze deutsche Wissenschaft für unechtes Glas erklärte, könnte weder Ehre noch Vortheil bringen.

Unter diesen Umständen hat der k. k. Regierungsrath und Archivsdirector Joseph Chmel mit klarem Blick das Richtige erkannt; er hat „um in dieser literarischen Angelegenheit nicht passiv zu bleiben" sich öffentlich in einem Vortrag vor der k. Akademie der Wissenschaften darüber ausgesprochen, und auch seinerseits das Privilegium majus für unecht erklärt 3).

Dass die Frage längst ihre praktische Bedeutung verloren habe, dass sie eine rein geschichtliche sei, ist schon von Hormayr hervorgehoben worden; aber mit vollem Rechte bleibt Chmel nicht bei dieser negativen Seite der Sache stehen: er bemerkt, dass die Wahrheit keinen Schaden bringe, ja dass vielmehr die wahre und ungefärbte Erkenntniss der älteren Geschichte, welche ohne die Erledigung jener Frage nicht möglich wäre, ein dringendes Bedürfniss und von hohem Werthe für Oesterreich ist.

Meiner Untersuchungen über diesen Gegenstand ist bereits in dem erwähnten Vortrage von Chmel gedacht worden. Von der Direction der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde mit der Bearbeitung der österreichischen Annalen für die Sammlung der Monumenta Germaniae beauftragt, wurde ich natürlicher Weise auch auf die vorliegende Frage geführt, die ich mit vollständiger Unbefangenheit behandelt zu haben glaube. In Oesterreich wurde ich mit der grössten Güte und Zuvorkommenheit aufgenommen, und fühle mich dafür zu lebhafter Dankbarkeit verpflichtet; wie könnte ich diese besser an den Tag legen als dadurch, dass ich, Chmel's Aufforderung folgend, zu der Aufhellung der älteren österreichischen Geschichte mein Scherflein beisteuere.

1) Die Stimmen dagegen mehren sich fortwährend; seitdem ich zuerst dieses niederschrieb, stellte Dr. Ficker in Bonn die Unechtheit der Privilegien als Thesis auf; Waitz, der sich schon 1838 in diesem Sinne ausgesprochen hatte, kommt bei der Anzeige von Meiller's Babenbergischen Regesten darauf zurück, in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1852, p. 279 ff.

2) Diese etwas überschwängliche Phrase stellt der Verfasser selbst in die Luft, wenn er wenige Zeilen später anführt, dass schon zwei Jahre vor ihm von Oesterreich aus das Majus für unecht erklärt wurde. Es scheint ihm ferner entgangen zu sein, dass schon vor dreizehn Jahren der Geschichtschreiber des Hauses Habsburg ohne Scheu die Echtheit dieser Urkunde öffentlich bezweifelte. Lichnovsky, 4, 15 u. 16. Anmerkung der Redaction.

3) "Eine Hypothese." Aus dem Decemberhefte des Jahrganges 1850 der Sitzungsberichte der philos. bist. Classe der k. Ak. d. Wissensch. besonders abgedruckt.

Den früheren Untersuchungen über diesen Gegenstand fehlte die sichere handschriftliche Grundlage, und die Fülle des Materials, welche mir durch die Liberalität der historischen Commission der k. Akademie der Wissenschaften zugänglich geworden ist. Bei weitem die gründlichste Arbeit ist von Moritz 1), allein er setzt die Entstehung der Privilegien zu spät an, im 15. und 16. Jahrhundert, und konnte hierin um so leichter von Hormayr widerlegt werden, weil er den Pernold für eine echte Quelle hielt. Ein Aufsatz in den Neuen Beiträgen von Buchner und Zierl 2) referirt nur über die Beweisführung Moritzens, und gibt Aufschlüsse über das wenig ehrenhafte Benehmen Hormayr's in dieser Angelegenheit. Hüllmann's spätere Untersuchung 3) ist ganz oberflächlich; er richtet seine Angriffe zum Theil gegen solche Umstände, die dem Maius und Minus gemeinschaftlich sind, und findet dadurch von selbst seine Widerlegung.

Den richtigen Gesichtspunkt hat erst J. F. Böhmer aufgestellt und ich habe mich bemüht, im Folgenden die von ihm mit seiner gewohnten Schärfe und Präcision ausgesprochenen Andeutungen weiter auszuführen, und fester zu begründen.

Den Gegenstand nach allen Seiten erschöpfend zu behandeln, war nicht meine Absicht, sondern nur einige Umstände hervorzuheben, welche nach meiner Ansicht hinreichen, die Frage zu entscheiden. Namentlich habe ich mich darauf nicht einlassen wollen, aus den Rechtsbegriffen und Anschauungen, welche den Urkunden zu Grunde liegen, und ihrer Ausdrucksweise die Gründe zu entwickeln, wesshalb sie der Zeit ihres angeblichen Ursprungs nicht angehören können. Gelingt es auf anderem Wege, den Glauben an die Authentie der scheinbaren Originale zu erschüttern, so ist ein solcher Nachweis überflüssig; wer aber durch die übrigen Gründe sich nicht überzeugen lässt, der wird auch, wie es bisher geschehen, einer solchen Deduction stets die Autorität der Originalurkunden entgegenhalten, welchen allerdings, wenn sie sonst unverdächtig sind, die grösste Beweiskraft einzuräumen ist.

Desshalb habe ich die äusseren Gründe gegen die Echtheit derselben vorangestellt, sodann untersucht, ob sich ihre Existenz mit den geschichtlichen Vorgängen der Jahre 1058 bis 1359 vereinigen lasse, und endlich Böhmer's Annahme über ihre Entstehung genauer zu begründen versucht.

1) Commentarius diplomatico-criticus super duplex Privilegium Austriacum Friderici I et II imperatorum, utrumque brevius et longius; occasione notae, numero CVII Codicis Pataviensis Vol. XXVIII Mon. Boic. Sect. II additae conscriptus; consentiente Academia Scientiarum Boica vulgatus. Monachii Sumptibus Academicis 1831. 4.

2) Band I, S. 257 ff. Ueber den 28. Band der Monumenta Boica und den zwischen den Herausgebern desselben über das österreichische Haus privilegium von 1156 entstandenen Streit. München 1832. 8.

3) Geschichte des Ursprungs der deutschen Fürstenwürde. Bonn 1842. 8. p. 95 ff.

Archiv. VIII.

6

« AnteriorContinuar »