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denken lasse, warum nicht für die Gerade auch „materna hereditas“ hätte gesagt werden können. Dieser gewiss scharfsinnigen Erklärung Gaupps würde ich nicht das mindeste Bedenken tragen, beizutreten, wenn sich nur irgend ein quellenmässiger Beweis dafür aufbringen liesse, dass materna hereditas" jemals für „Gerade" gebraucht worden wäre. Gaupp selbst hat hierfür kein direktes Zeugniss beizubringen vermocht. Der Ausdruck:,,muliebres reliquiae“, welchen er aus einer Urkunde von 1206 aus Grimm R. A. S. 596 als Synonim mit Gerade anführt, kann aber unmöglich als das Wort hereditas ersetzend angesehen werden; denn gerade dies, dass die Gerade mit,,Reliquiae muliebres" bezeichnet wird, möchte selbst als Beweis angeführt werden dürfen, dass man dafür den Ausdruck materna oder muliebris hereditas zu gebrauchen für unpassend hielt. Ganz richtig hat Gaupp bemerkt, dass nach dem Sachsenspiegel I. 27. §. 1 und I. 31. §. 1 die Frau auch ihre Gerade „erft", d. h. vererbt, und zwar an ihre nächste Nichtel (Niftel). Allein gerade die beiden angeführten Stellen des Sachsenspiegels erwähnen in demselben Satze, und unterscheiden zugleich sehr scharf von der auf die Niftel vererbenden Gerade, das Erbe oder Eigen, welches eine Frau etwa hinterlassen kann, und hieraus ergibt sich allein schon genügend, dass das Wort hereditas, welches ein technischer Ausdruck für die Hinterlassenschaft an Erbe und Eigen ist, nicht wohl jemals auch als Uebersetzung von Gerade gebraucht worden sein kann. Ueberdiess sagt der Sachsenspiegel I. 27. ausdrücklich, dass die Frau ihr Erbe (hereditas) auf ihren nächsten Verwandten ohne Unterschied des Geschlechtes vererbe („it si wif oder man"), und diese Art der Erbfolge (successio promiscua) in die hereditas muliebris s. materna würde also diejenige sein, welche Eichhorn in dem Cap. 42 des chamavischeu Weisthumes dargestellt finden wollte. Sicher verdient auch die Auffassung Eichhorn's vor der von Pertz den Vorzug, indem nach Eichhorn im Cap. 42 ein Erbsystem zu erkennen wäre, welches überhaupt dem germanischen Rechtskreise angehören könnte und sich namentlich dem sächsischen Rechtskreise anschliessen würde, dessen Berührung mit dem chamavischen Rechte wenigstens als möglich gedacht werden könnte. Nach der Ansicht von Pertz, welcher

die mütterliche hereditas mit Ausschluss der Söhne allein an die Töchter fallen lassen will, wäre aber in Cap. 42 des chamavischen Weisthumes wirklich ein Erbsystem von solcher singulärer Natur aufgestellt, dass weder in irgend einem anderen germanischen Volksrechte noch in irgend einem europäischen Rechte, weder in älterer noch in neuerer Zeit, irgend etwas auch nur entfernt Aehnliches anzutreffen wäre; ja ein Rechtssystem, welches geradezu gegen den weltgeschichtlichen Gang der Rechtsbildung im Erbrechte verstösst und vom juristischen Standpunkte aus, trotz aller Handschriften, in einem noch viel höheren Grade als eine Unmöglichkeit erklärt werden müsste, als die Beerbung des homo Francus in seinem Wehrgelde durch den Fiskus

Wenn nun aber auch die Ansicht Eichhorn's diejenige sein möchte, gegen welche, vom Gesichtspunkte der juristischen Mö glichkeit aus, am wenigsten Einwand zu machen wäre, so halte ich sie nichts destoweniger doch auch nicht für die richtige, d. h. nicht dem Texte des Cap. 42 des chamavischen Weisthumes entsprechend. Um hier zu einem Resultate zu gelangen, ist es aber vor Allem nothwendig, eine strenge Kritik dieses Textes selbst vorzunehmen. Ich halte diesen Text für durchaus corrumpirt, ja für stärker corrumpirt, als irgend einen der anderen Sätze unseres Weisthumes. Dass wir es hier überhaupt mit einem verdorbenen Texte zu thun haben, hat schon Gaupp S. 81 ausdrücklich anerkannt. Es ist wohl unverkennbar, dass im Vordersatze des Cap. 42 nicht ursprünglich „filios duos" gestanden haben kann. Das Cap. 42 will und soll einen Rechtgrundsatz aussprechen, und nicht einen concreten Fall entscheiden oder erörtern. Ein Rechtssatz über die Art und Weise, wie ein Mann beerbt wird, der zwei Söhne hat, wo weder vorher noch nachher darüber eine Bestimmung folgt oder folgen sollte, was Rechtens ist, wenn ein Mann nur etwa einen oder mehr als zwei Söhne hat, wäre geradezu abgeschmackt. Dies hat auch Gaupp S. 81 wohl erkannt, und bemerkt daher ausdrücklich: „Es versteht sich von selbst, dass auf die Zahl zwei bei den Söhnen gar nichts ankommt." Dies ist aber nicht ganz richtig; denn allerdings kommt für die Kritik sehr viel darauf an, wenn unzweifelhafte Spuren dafür vorhanden sind,

dass man es mit einem corrumpirten Texte zu thun hat, und dies gehet unleugbar daraus hervor, dass hier ein Wort im Texte steht, welches in dieser Verbindung sinnlos ist und wohl durch ein anderes ersetzt werden muss, und dass man somit auch zur besonderen Vorsicht aufgefordert ist, ob nicht auch noch an einer anderen Stelle dieses Satzes eine Corruption stattgefunden habe.

Bei der hiernach nöthigen genauen kritischen Prüfung des Textes bin ich von folgenden Betrachtungen ausgegangen.

Offenbar wird in dem chamavischen Weisthume Cap. 42 von einem Erbrechte gehandelt, welches nach seinen Grundlagen dem fränkischen Rechtskreise angehören muss, wenn es auch innerhalb desselben einige Eigenthümlichkeiten zeigen oder in einen anderen Rechtskreis hinüber neigen sollte. Ist es ja doch bestimmt benannt das Erbrecht in die hereditas eines homo Francus, und seiner Ehefrau, um welches es sich handelt. Vom Erbrechte der übrigen chamavischen Ingenui, die doch auch der überwiegenden Mehrzahl nach, zum fränkischen Stamm gehörten, d. h. Franci im allgemeinen Sinne, aber nicht homines Franci in dem bereits erörterten Sinne des Cap. 3 unseres Weisthumes waren, ist also hier entschieden nicht die Rede. Da diese übrigen chamavischen Ingenui aber doch auch für sie gültige Erbrechtsgrundsätze gehabt haben müssen, und man nicht nothwendig fand, diese hier besonders auzuzeichnen, so kann nicht wohl etwas anderes angenommen werden, als dass das Erbrecht derselben genau dasselbe war, wie das der übrigen Franken. Dies würde in der Sprache des chamavischen Weisthumes nach Analogie des Cap. 1 und 2 so ausgedrückt werden müssen: „De hereditate sive de allode sic habent sicut ceteri Franci." Das zur Zeit der Abfassung des chamavischen Weisthumes praktisch gültige Erbrecht der übrigen Franken ist aber in den im Wesentlichen gleich lautenden Titeln der Lex Saliga emendata (Tit. 62) und der Lex Ripuaria (Tit. 56 al. 58) de alode enthalten, und dieselben müssen wir also auch als für die chamavischen Ingenui gültig betrachten. Wenn nun unser chamavisches Weisthum, welches unbestreitbar zu dem Zwecke aufgezeichnet ist, die einzelnen Eigenthümlichkeiten des chamavischen Rechtes darzulegen, eine besondere Notiz über das Erbrecht

an der Hinterlassenschaft eines homo Francus und seiner Gemahlin zu geben sich veranlasst findet, so muss diese Eigenthümlichkeit gerade in einer Abweichung von den Bestimmungen der L. Saliga emendata tit. 62 und der L. Ripuaria tit. 56 (58) begründet sein. Ja es darf wohl mit Sicherheit behauptet werden, dass die Verfasser des chamavischen Weisthumes bei Abfassung des Cap. 42 die correspondirenden Titel Lex Saliga emendata und der Lex Ripuaria im Auge hatten. Eben so wie in der L. Sal. steht der Text, welcher von der Hereditas handelt, auch in dem chamavischen Weisthume fast ganz am Ende der Rechtsaufzeichnung: eben so wie in der Lex Saliga und in der Lex Ripuaria wird die wichtige Materie vom Erbrechte auch im chamavischen Weisthume in grösster Kürze (hier in einem Caput, wie dort in einem kleinen Titel) erledigt. Hierauf folgen sodann im chamavischen Weisthume, wie im ripuarischen Volksrechte, Rechtssätze, welche sich auf die Lidi beziehen. Da der homo Francus, dessen besonderes Erbrechtsystem nun das chamavische Weisthum Cap. 42 beschreiben will, seiner Antrustionen - oder Adelseigenschaft ungeachtet, doch immerhin ein Franke ist, so dürfen wir erwarten, dass in seinem besonderen Erbrechtssysteme das fränkische, hier das übereinstimmende salische und ripuarische Recht, immerhin durchblickt, ja die Basis bilde, und dass die Eigenthümlichkeiten, welche uns das chamavische Weisthum Cap. 42 aufweisen soll, den Charakter einer Fortbildung der gemeinen fränkischen Erbrechtsgrundideen, und zwar eine solch e Fortbildung zeigen werden, welche dem höheren, an sich neueren, auf der Ausbildung des fränkisch-königlichen Antrustionenwesens beruhenden Standesverhältnisse der homines Franci, beziehungsweise der nunmehrigen Stellung der zu dieser Klasse gehörigen Familien als eine Art von Dienst- oder Feudaladel entspricht. Und so ist es auch wirklich, wie eine genaue Prüfung des chamavischen Weisthumes Cap. 42 ergeben wird. Wenn ich bei der nun folgenden Untersuchung für das salische Recht die Lex Saliga emendata zu Grunde lege, so hat dies seinen besonderen Grund darin, dass dieser Text der Lex Saliga zur Zeit der Aufzeichnung des chamavischen Weisthumes wenigstens in einem gewissen Sinne als der offizielle betrachtet wurde; dass er da

mals, so wie überhaupt, unzweifelhaft der am meisten verbreitete Text war, und daher gerade von ihm zunächst erwartet werden konnte, dass er den Verfassern des chamavischen Rechtsbuches zur Hand war; dass sich ferner aus der nachfolgend dargestellten Vergleichung auf das Bestimmteste ergibt, wie gerade der Text der Lex Saliga emendata den Verfassern des chamavischen Rechtsbuches vorlag und von diesen wirklich zu Grunde gelegt wurde, und dass es daher auf die abweichenden Formen der älteren sog. merovingischen Recensionen der Lex Saliga in vorliegendem Falle nicht ankommen kann.

Die Grundidee des gemeinen fränkischen Erbrechtes, wie dies in der L. Sal. emend. tit. 62 und in der L. Ripuar. tit. 56. (58) gefunden wird, ist die, dass Jedermann zuerst von seinen Kindern beerbt wird. Dies wird sowohl in der L. Sal. emend. als in der L. Ripuaria, als selbstverständlich, mehr nur angedeutet als ausdrücklich vorgeschrieben. Beide Leges beginnen mit den Worten: (L. Sal.) „Si quis mortuus fuerit, et filios non dimiserit" (L. Rip.). „Si quis absque liberis defunctus fuerit." Dass unter den fili" der L. Sal. auch die Töchter inbegriffen sind, würde nicht nur schon aus dem allgemeinen rechtlichen Sprachgebrauche folgen, wonach das männliche Geschlecht das weibliche stets in soweit mitbegreift, als letzteres nicht besonders ausgenommen ist; sondern es gehet dies noch insbesondere aus dem offenbar als Synonim gebrauchten Worte,liberi" im correspondirenden Texte der L. Ripuaria, so wie auch daraus hervor, dass in Ermangelung von Kindern in beiden Volksrechten sofort Verwandte männlichen und weiblichen Geschlechtes in gleicher Gradesnähe, wie Vater und Mutter, Bruder und Schwester u. s. w. des Verstorbenen, zusammen zur Erbschaft gerufen werden. Nur eine Ausnahme findet in beiden Volksrechten in Bezug auf einen gewissen Gegenstand statt, soferne sich dieser in der Hinterlassenschaft befindet, so dass dieser Gegenstand auf den Mannsstamm mit Vorzug vor dem Weibsstamme oder, wie Manche glauben, was aber für unsere dermalige Untersuchung von keinem Belang ist, mit Ausschluss des Weibsstammes vererbt. Dieser Gegenstand ist nach der L. Saliga emend. tit. 62. §. 6. die Terra Saliga. (,,De terra vero saliga

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