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Die rechtsgeschichtlichen Forschungen von Gaupp gehören so sehr zu den tüchtigsten Arbeiten in diesem Fache, dass jedes neue Erzeugniss seiner Feder nur mit Begierde und Freude aufgenommen werden kann. Auch in der kleinen aber sehr interessanten Schrift, welche den Titel führt: „Francorum Chamuvorum", oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, hat sich der gründliche Kenner der Quellen auf das Trefflichste bewährt, und Niemand wird diese Blätter aus der Hand legen, ohne dem Scharfsinne des Verfassers die vollkommenste Anerkennung zu zollen, und sich an seinen Ausführungen wahrhaft erquickt zu haben. Das was uns Gaupp hier unter dem Titel einer L. Francorum Chamavorum vorführt, ist ein an sich zwar schon längst bekannter Text, der seit Baluze unter der Bezeichnung als Capitulare III. a. 813 in allen Ausgaben der Capitularien der fränkischen Könige, zuletzt noch von Canciani, Georgisch und Walter, aufgeführt wurde. Pertz hat das Verdienst, zuerst erkannt zu haben, dass dieser Text unmöglich ein Capitulare sein kann, und hat daher denselben bei seiner Ausgabe der Capitularien (in dem Monument. Germaniae Tom. Legg. I. u. II.) mit Recht hinweggelassen. Pertz glaubte jedoch in diesem Texte ein altes Xantener Gaurecht erkannt zu haben, und so wurde auch dieser Text seitdem (1835) gewöhnlich bezeichnet. Hiergegen ist nun Gaupp aufgetreten, und führt in der vorliegenden Schrift mit ganz entscheidenden Gründen aus, dass an eine Beziehung dieses Textes auf Xanten und dessen Umgegend gar nicht zu denken ist, sondern derselbe dem alten Hamalande (Amorland, Terra Chamavorum) angehört, d. h. einem Gaue auf dem rechten Rheinufer, zwischen dem Rheine, der neuen und der eigentlichen Yssel, östlich gegen Westphalen grenzend, oder die Gegend um Deventer, Zütphen, Doesburg, Elten und etwa auch Emmerich. Gaupp S. 5. 6. er

kennet rühmend an, dass die von ihm zur Gewissheit erhobene Vermuthung des Ursprunges der vorliegenden Rechtsaufzeichnung im Hamalande zuerst in zwei, unter dem Einflusse von Birnbaum entstandenen holländischen Dissertationen von Snouck Hurgronje, Utrecht 1837 und von Beucker Andreae, Utrecht 1840 ausgesprochen worden ist. Die Bezeichnung unseres Textes aber, als Lex Francorum Chamavorum, welche nunmehr Gaupp demselben beigelegt hat, erklärt sich wohl als Uebersetzung von Euua in der Rubrik der metzer Handschrift; jedoch ist offenbar dieser kleine Text mit seinen 48 Sätzen kein selbstständiges Volksrecht, sondern er ist nicht mehr und nicht weniger, als eine jener lokalen, kleinen Rechtsweisungen, welche als Zusätze zu anderen, bereits vorhandenen Volksrechten bei besonderen Veranlassungen gemacht wurden, wie z. B. die sog. Additio Sapientum in der L. Frisionum, und die Judicia des Wlemarus in der Lex Angliorum et Werinorum. Der fragliche Text steht, wie Gaupp selbst treffend nachgewiesen hat, in einem ganz gleichen Verhältnisse zur Lex Saliga und besonders zur L. Ripuariorum: er ist ein Judicium, in der Bedeutung eines Schöffenweisthumes aus dem Hamalande (wie es auch Ga upp selbst S. 8 ganz richtig bezeichnet hat), welches sich zunächst an die Lex Ripuariorum anschliesst, und die Abweichungen des lokalen Rechtes von derselben darzustellen bestimmt ist. Die geeignete Bezeichnung unseres Textes würde daher wohl sein: „Additio Sapientum Chamavorum ad Legem Ripuariorum" oder vielleicht noch richtiger, da in dem Texte auch Beziehungen auf die Lex Saliga vorkommen, wie nachher ausführlich gezeigt werden wird: „Additio Sapientum ad Leges Francorum Saligam et Ripuariam." Est ist hier nicht der Ort, alle die einzelnen, mit erschöpfender Genauigkeit von Gaupp gegebenen Nachweisungen vorzuführen, wodurch sich dieses Weisthum als der alten Terra Chamavorum angehörig darstellt; es mag hier an der Bemerkung genügen, dass die in dem Weisthum selbst enthaltenen lokalen Beziehungen Amor, Maasgau, Friesland und Sachsen von Gaupp vollkommen richtig erklärt sind und somit die Heimath dieses Rechtsdenkmales mit Evidenz festgestellt ist. Nur zu Gaupp's Erklärung einer der Stellen in diesem Weisthume, aus welchen Pertz auf dessen Eigenschaft als ein Xantener

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Gaurecht schliessen zu können geglaubt hat, scheint noch Einiges berichtigend bemerkt werden zu dürfen. Pertz hat nämlich gestützt darauf, dass der Name Sancti auch für Xanten gefunden wird, in zwei Stellen unseres Weisthumes eine direkte Beziehung auf Xanten zu erkennen geglaubt; nämlich in Cap. 10, wo es heisst in sanctis juret" und in Cap. 11, wo gesagt wird, dass die Freilassung per hantradam oder handradum in loco qui dicitur sanctum" stattfinden solle. Es hat nun Gaupp S. 5 ff. vortrefflich nachgewiesen, dass unmöglich hier unter Sancti oder Sanctum die Stadt Xanten, die nachgewiesener Massen gar nicht zur Terra Chamavorum gehört, verstanden werden kann. Vollkommen richtig hat Gaupp die erstere dieser beiden Stellen (Cap. 10) dahin erklärt (S. 13), dass in Sanctis juret" nichts anderes bezeichnet, als was in Cap. 32 dieses Weisthums auch so ausgedrückt wird: „in sanctis reliquiis juret“, d. h. „er soll auf die Heiligen schwören." Mit Recht verweisst hier Gaupp auf Cap. 61 des ersten Buches der Capitulariensammlung des Anse gisus. Es ist dies ein feststehender fränkischer Sprachgebrauch, der namentlich in den Capitularien mehrfach hervortritt (vergl. z. B. auch noch Cap. I anni incerti, c. 39 bei Georgisch S. 388). Weniger glücklich ist aber wohl Gaupp bei der Erklärung der zweiten Stelle des Weisthumes (Cap. 11) gewesen. Richtig hat er auch hier erkannt, dass „in loco qui dicitur Sanctum". nicht die Stadt Xanten gemeint sein kann. Dafür spricht auch, was bei Gaupp nicht hervorgehoben ist, schon das beigefügte „,qui dicitur": denn mit einem solchen Beisatze, der auf einen Sprachgebrauch zur Bezeichnung eines Gegenstandes hinweist, welcher auch anders heissen könnte und wohl auch anderswo mit einem anderen Namen bezeichnet wird, findet sich meines Wissens nirgends eine Stadt oder andere Ortschaft bezeichnet, sondern, wenn von einer solchen die Rede ist, heisst es durchaus immer ganz bestimmt: „in urbe, villa, loco" N. N. u. s. w. Wenn aber Gaupp sodann Seite 9 den „,locus qui dicitur Sanctum", so erklärt: „Er schwört auf die Stelle, welche das Heilthum genannt wird", und dabei an das Reliquienkästchen denkt, welches allerdings (oder in dessen Ermangelung die Evangelien) der Schwörende bei

Leistung des Schwures zu berühren hatte, so kann ich dies nicht für richtig halten. Locus heisst niemals ein beweglicher Gegenstand, wie ein Reliquienkästchen ist: es bezeichnet dieses Wort stets eine Oertlichkeit, wenn auch der verschiedensten Art. Betrachtet man nun die Stelle in Cap. 11 in ihrem Zusammenhange, so ist daselbst von einem Eide die Rede, welchen der Herr bei Freilassung seines Sklaven durch Hantrada selbzwölfte schwören muss. Es ist nicht zu verkennen, dass hier der Ort bezeichnet werden will, wo der von dem Manumissor und seinen Sacramentalen zu leistende Eid zu schwören ist; ein Ort, in welchen er mit seinen Sacramentalen einzutreten hat, und dies kann nimmermehr das Reliquienkästchen sein, dessen eigentliche Bezeichnung capsa ist. (L. Alam. tit. VI. §. 7.) Dass aber hier von einem solchen Orte die Rede ist, ja dass es durchaus nothwendig war, den Ort, wo die Eide bei dieser Art von Rechtsgeschäften zu leisten sind, zu bezeichnen, lässt sich auf das Bestimmteste nachweisen. In den Quellen des fränkischen Rechtes, zu welchen ich die L. Saliga, L. Ripuaria, die Capitularien, die der L. Saliga so vielfach (wie Herm. Müller unwiderleglich nachgewiesen hat) nachgebildete L. Angliorum et Werinorum und unser chamavisches Weisthum rechne, werden nämlich dreierlei Orte unterschieden, wo je nach der Art der Rechtsgeschäfte, die betreffenden Eide zu leisten sind. Das chamavische Weisthum selbst erwähnt zwei solcher Orte: in Cap. 11, den „locus qui dicitur Sanctum" und in Cap. 15 das placitum, d. b. die Gerichtsstätte (,,qui ad placitum non juraverit"). In den Capitularien ist aber auch noch weiter die Rede von Eiden, welche in Folge einer besonderen richterlichen Verfügung oder eines besonderen vorgängigen Gelöbnisses des Schwörenden in einer königlichen Pfalz zu schwören sind. (Vergl. Cap. I. a. 809. c. 29. Georgisch p. 741. 742. „Sacramenta vero, quae ad palatium fuerint judicata, ibidem finiantur": Cap. II. a. 809. c. 14. Georgisch p. 747. Ut sacramenta, quae in palatio fuerint adhramita, in palatio perficiantur.") Was nun der locus ist, „qui dicitur sanctum", das kann demjenigen, der mit der Einrichtung der katholischen Kirchengebäude bekannt ist, nicht zweifelhaft sein. Es ist durch Quellenzeugnisse festgestellt, dass die Franken in der me

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rovingischen Zeit (Mitte des VI. Jahrhunderts) alle Eidesleistungen als eine rein christliche, dem früheren Heidenthume fremde Einrichtung betrachteten. Ausdrücklich sagen diess die Capitula Childeberti, Lege Saliga addenda c. 4, Codex Vossianus, bei Pertz, Legg. II. p. 6; und daher liegt schon nahe, dass die Eidesleistung ursprünglich als eine kirchliche Handlung in der Kirche vorgenommen wurde, wo man auch die Reliquienkästchen und die Evangelienbücher stets zur Hand hatte. Ausdrücklich sagt daher das Cap. incerti anni temporibus Bonifacii c. 14 bei Georgisch p. 496. „Omne Sacramentum in ecclesia et super reliquias a Laicis juretur." Vergl. Leg. Langob. Carol. M. c. 38 Georgisch p. 1144; Cap. de Partibus Saxoniae a. 785 c. 32 Georgisch p. 584. Si cuilibet homini sacramentum debet, adframeat (adhrameat) eum ad ecclesiam sacramento die statuto." Das Sanctum ist aber in den katholischen Kirchen der Platz zunächst um die Stufen des Haupt- oder sogenannten Hochaltares, welcher regelmässig durch Schranken von dem übrigen Theile der Kirche (dem Schiffe) abgegränzt und einige Stufen über demselben erhöht ist, um den fungirenden Geistlichen den nöthigen freien Raum zur feierlichen Vollführung des kirchlichen Ritus zu gewähren, und zugleich dem im Schiffe versammelten Volke den Anblick der auf dem erhöhten Orte vorzunehmenden heiligen Handlungen zu erleichtern. Wo Chorherren sind, wie an den Stifts- und Domkirchen, stehen auch innerhalb dieses Sanctum, oder wie es gemeinhin genannt wird,,Sanctuarium altaris" (s. Du Cange s. v. sanctuarium) die Chorstühle der Chorherren, und daher pflegt man diesen Theil der Kirche meistens len Chor" zu nennen. In diesem Sanctum haben jetzt noch die Layen ordnungsmässig kein Recht, während des Gottesdienstes sich aufzuhalten; nur ausnahmsweise haben sie dort Zutritt, z. B. wenn Einer in einem besonderen Anliegen daselbst (an den Stufen des Altars) ausserhalb der Zeit des öffentlichen Gottesdienstes still zu beten wünscht, oder wenn das Abendmahl ausgetheilt wird, welches letztere jedoch heut zu Tage in den meisten Kirchen über die Schranken des Chores hienüber, welche dann als Abendmahlstisch dienen, verabreicht wird. Ganz in diesem Sinne ist das Wort Sanctum gerade den

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