Imágenes de páginas
PDF
EPUB

Beschränkung des Materials mit dem ich operiert habe. Im Gegensatz zu jenen an Gesetzmäßigkeit streifenden lautlichen Processen, die wir gewohnt sind als 'Lautgesetze' zu bezeichnen, sind die Vorgänge der Assimilation und Dissimilation zeitlich und örtlich nicht begrenzt. Daß sie zumeist erst in relativ jungen Sprachschichten auftreten (wie Grammont scharf hervorhob), läßt sich leicht erklären: die frühe litterarische (und epigraphische) Überlieferung gilt zumeist einer Umgangs- und Litteratursprache, aus welcher die physiologisch unbequemen (und demnächst akustisch unschönen) Wortgebilde massenhaft ausgeschieden sind, wie das in unserer Sprache noch täglich geschieht; oder aber einer Kunstsprache, die die Feuerprobe im Volksmunde noch nicht bestanden hat. Die Ortsnamen hingegen, und in gewissem Grade auch die Pflanzennamen, mit denen mußte sich ein zumeist beschränkter Kreis von Menschen abfinden, wie sie einmal geprägt waren. Ich habe bereits Zs. f. d. Alt. 43, 361 ff. angedeutet, daß speciell allitterierende Komposita in altgerm. Zeit selten sind, daß sie unter den Personennamen und im Wortschatz der Dichter geradezu gemieden werden. Zu den Gebieten, auf denen wir sie häufiger antreffen, gehört die alte Rechtssprache. Sehen wir uns nun aber um, was aus jenem Teil ihres Wortbestandes am Ausgang des Mittelalters geworden ist, so machen wir eine eigentümliche Beobachtung. Das als westgermanisch gesicherte dômdag ist gleichmäßig auf englischem wie auf deutschem Boden aufgelöst worden: dômes dæg, dooms-day; túmes tac, dômes dach. Das wgerm. Rechtswort ahd. nôtnumft ist bei uns durch Notzucht, bei den Engländern (ags. nŷd-nêma u. ä.) durch Fremdwörter ('violence', 'rapture') ersetzt worden; und ganz ähnlich ist für ahd. lipleita eingetreten Leibzucht, während neben dem ags. liflôd(e) seit dem 13. Jh. das nordische Lehnwort lifnop, livenad (aisl. lifnaðr) auftaucht, das auf den ersten Blick wie eine Dissimilation erscheinen könnte. Man sieht, eine Volksgemeinschaft hat mancherlei Mittel und Wege, um unbequeme Sprachgebilde zu beseitigen oder umzuwandeln: die Dissimilation ist nur eines von vielen, aber man wird mit ihr unbedingt schon für die ältesten Zeiten der Sprachgeschichte rechnen dürfen.

Ein Merowinger Rythmus über Fortunat

und

Altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen.

Von

Wilhelm Meyer aus Speyer,

Professor in Göttingen.

Vorgelegt in der Sitzung vom 8. Februar 1908.

Als ich 1906 vor einer Reise nach London die Kataloge der Handschriften durchlas, notirte ich mir aus der Beschreibung von Additional 24193, einer Handschrift der Gedichte des Fortunat, den Zusatz: At the end (fol. 158°) is an additional poem, entitled Prologus', beginning 'Felicis patriae praeconanda fertilitas'. In London schrieb ich das Gedicht ab. In Göttigen später erkannte ich wohl, daß es ein interessantes Produkt der Merowinger Zeit sei, aber es entstanden mir dabei mancherlei Schwierigkeiten. Darüber verhandelte ich mit Bruno Krusch, dem besten Kenner dieser Literatur. Ich verdanke ihm für diese Arbeit manchen guten Rath; er wies mich auch darauf hin, daß Leo in seiner Ausgabe des Fortunat (Monumenta Hist. Germ., Auctores ant. IV, I, 1881) genau zu derselben Stelle (zum Schlusse des 11. Baches) notirt, daß in der von ihm mit A bezeichneten Pariser Handschrift 14144 'sequitur prologus de privilegio'. Durch Omont's stets hilfreiche Güte erhielt ich eine Abschrift, welche zeigte, daß wirklich beide Handschriften an derselben Stelle denselben Text enthalten. Ich frug noch wegen etlicher andern Handschriften an, allein vergeblich. Bis jetzt ist dies Gedicht nur in jenen 2 Handschriften gefunden, deren Photographie mir vorliegt. Beide sind mit Karolinger Minuskel im 9. Jahrhundert geschrieben.

In Ad

=

London Additional 24193 f. 158b sind die vorangehenden Verse des Fortunat abgesetzt geschrieben. Der letzte Vers des Fortunat (XI 26, 12) lautet:

cui dabit illa uiam quae sibi pugnat aqua. EXPLIT INQUANTŨ AUCTOR HABUIT SCRIPTU; INCIP PROLOGUS.

Felicis patrię etc. Am Schlusse des Rythmus steht halb weggewischt: EXPLICIT PROLOGUS.

=

In A Paris latin. 14144 fol. 60 sind die vorangehenden Verse nicht abgesetzt. Der Schluß derselben lautet hier:

nat aqua. EXPLIC LIB. INQUANTO AUCTOR HABUIT

Ueber das gewöhnliche Zeilenende hinaus steht nach HABUIT noch ein abwärts gekrümmter Strich (wie ein schliesendes s des 14. Jahrhunderts), durch dessen Obertheil ein Querstrich gezogen ist, also ziemlich sicher die aus der Cursivschrift genommene Abkürzung für das in Ad stehende 'scriptum'. Dann folgt in großer Kapitalschrift, die ganze Breite der Seite füllend:

INCPT PROLOG DEPRIVILEGIO.

Felicis patriae usw.

Die letzte Zeile des Rythmus füllt den Schluß der Seite vollständig. Deshalb ist die eigentliche Schlußschrift in großer Kapitalschrift in 5 Stücken neben dem Rythmus am Rand übereinander geschrieben:

EXPE LIB | FORTV | NATI | DỖ GRATI|AS AM

Der Rythmus ist in beiden Handschriften so geschrieben, wie ich ihn habe drucken lassen, so daß die Zeilen mit ungeraden Zahlen mit vorspringenden Initialen beginnen, die andern mit eingerückten kleinen Buchstaben. Die 10. Zeile ist in beiden Handschriften ungebührlich lang.

1 Felicis patriae (nostrae)
in qua Christi mandatorum

3 Quae nec poterit absque

in qua sensum sapientum 5 Per quos praesentis temporis et peritura huius vitae 7 Ac in tabulis scriptitatur

atque valde stabilitur 9 Per Moysen latorem legis populo praecepit deus:

praeconanda fertilitas,

declaratur profunditas. gloria esse civitas, veneratur sublimitas, calcatur cupiditas evitatur vanitas. cordis vera caritas futurae vitae aeternitas. -sic refert antiquitas cum terrae vobis repromissae venerit hereditas,

11 Mensae vestrae peregrini
ut vobis semper ministretur

comedant dilicias,

datae terrae bonitas.

13 Per Iesum Christum confirmatur,

peregrinorum quanta sit 15 Et metendi huius fructus

Hyronimo Bethlem recepto

17 Et Martino Armorigo

qui est vita et veritas, susceptionis qualitas caelestis summa dignitas.

ecclesiae crevit sanctitas.

refulsit magna claritas,

cuius vita et virtute Toronus multas epulas

19 Mendici ac flebiles dirimunt per plateas.

et Fortunato ab Ravenna Pictonum floret civitas.

3 Quae A, Quẹ Ad: A Ad

4 sensum Ad:

1 nostrae oder huius ergänze ich: fehlt in Ad A Quia oder Quare? 3 pot. ab. Meyer: absq: poterit senum A 5 temporis praesentis? 8 adque Ad 9 latorem A: lator est Ad 10 populo Meyer: populum A Ad; praecepit A: praecipit Ad 10 heriditas Ad 12 date Ad 13 1hm xpm A Ad 16 bethleem Ad 17 Ex Martino Armoricae ? Meyer: thronus A Ad 18 aepulas Ad 19 über ein gekrümmter Oxytonon; atque? 19 flebilis Ad

14 quanta sit peregrinorum? 18 uitae uirtute A; Toronus ac steht in Ad ein Strich, wie 20 pictonum Ad: pictanum A

V. 8 vgl. Marcus

V. 10-12 berufen

Bibelstellen V. 4 sublimitas = sublimes viri (laici): vgl. I. Tim. 2, 2 pro regibus et omnibus, qui in sublimitate sunt V. 7 verbinde in tabulis cordis : Proverb. 3, 3 und 7, 3 scribe (describe) in tabulis cordis tui. X 30 qui non accipiet in seculo futuro vitam aeternam. sich auf das alte, V. 13-15 auf das neue Testament. Aber dort gibt es keine peregrini in dem hier angenommenen Sinne; deshalb sind genau entsprechende Stellen der Vulgata kaum zu finden. Oft werden in der Vulgata advenae und peregrini zusammen genannt. Dann passen am ehesten folgende Stellen: Deuteron. 26, 1 Cum intraveris terram, quam dominus deus tuus tibi daturus est possidendam; 11 epulaberis in omnibus bonis. . et advena, qui tecum est; 12 veniet. . et peregrinus. . et comedent. Levit. 25, 2 loquere filiis Israel. . Quando ingressi fueritis terram, quam ego dabo vobis. . . Sed erunt vobis in cibo et.. advenae, qui peregrinaverit apud te. V. 13 Joh. 14, 6 ego sum via et veritas et vita. V. 14 Gedacht ist wohl an Stellen wie: Matth. X 40 Qui recipit vos, me recipit et, qui me recipit, recipit eum qui me misit; vgl. Matth. 25, 35 und 40; Joh. 13, 20 V. 15 vgl. Joh. 4, 36 qui metit, mercedem accipit et congregat fructum in vitam

aeternam.

Dieser Rythmus ist in 2 Handschriften des 9. Jahrhunderts von der ersten Hand geschrieben. Die Handschrift Ad ist verderbt in V. 9 lator est und in V. 10 praecipit; A ist verderbt in V. 4 senum, V. 18 uitae uirtute und V. 20 pictanum. Diese Stellen waren wohl richtig geschrieben in der Mutterhandschrift. Allein auch diese ist nicht die erste Niederschrift dieses Rythmus gewesen. Das beweist das fehlerhafte thronus statt Toronus in V. 18; da dies in A wie in Ad steht, so muß es schon in der Mutterhandschrift gestanden sein. Also schon die handschriftlichen Verhältnisse zeigen, daß dies Gedicht in der frühen Karolinger oder schon in der Merowinger Zeit entstanden und in ein Exemplar der Gedichte des Fortunat eingeschrieben worden ist.

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1.

3

So läßt sich vielleicht auch die Ueberschrift begreifen. Ad bietet nur 'Prologus'; A bietet 'Prologus de privilegio'. Die Worte 'de privilegio' mögen des Inhaltes wegen zugesetzt sein: 'über die besondere Stellung, welche die Stadt Poitiers einnimmt'.

Dagegen für die Bezeichnung 'prologus' finde ich nur éine Erklärung. Auf den Schluß des 11. Buches der Gedichte folgen in vielen Handschriften die 4 Bücher über den h. Martin; aber diesen geht voran eine an Agnes und Radegunde gerichtete Vorrede. Diese wird in den Handschriften Praefatio, Prooemium oder Prologus betitelt. Da wo in A und Ad unser Rythmus steht, steht in der Handschrift B die Unterschrift: EXPLICIT LIBER XI. PROLOGUS AD AGNEN ET RADEGVNDEM DE VITA SANCTI MARTINI. Der Rest einer solchen Unter- und Ueberschrift kann das Wort 'Prologus' in A und Ad sein, welcher Rest stehen geblieben war, als die Vita Martini nicht mehr beigeschrieben wurde.

(Inhalt) Zuerst meinte ich, der Inhalt dieses Rythmus sei einfach das häufige Lob der Mildtätigkeit gegen peregrini, gegen mendici et debiles; das sei eines der praecepta dei, welche die sapientes, die Gottesgelehrten, predigen. Allmählig erkannte ich, daß der Inhalt ein anderer sei, ein ziemlich seltsamer. Besprochen wird, quanta sit peregrinorum susceptionis qualitas (V. 14), d. h. welchen Segen es einer Stadt bringe, wenn sie Fremdlinge freundlich beherberge: aber Fremdlinge, welche sapientes sind und das lehren, was V. 5-8 angeben, also Fremdlinge, wie der Illyrier Hieronymus in Bethleem, der Pannonier Martin in Tours und der Italiener Fortunat in Poitiers gewesen sind. Einleitung (V. 1-4) preist die Stadt (Poitiers) glücklich, in welcher die weltlichen Würdenträger die geistige Thätigkeit von weisen Männern ehren, deren Wirksamkeit dann (in V. 5-8) geschildert wird. Das alte (V. 9-12), wie das neue (V. 13-15) Testament habe die freundliche Beherbergung von Fremdlingen anbefohlen. So habe Hieronymus in der Stadt Bethleem Segen gebracht, Martin in Tours, der Ravennate Fortunat in Poitiers.

Die

Gegenüber dem Hieronymus und dem Martin ist Fortunat ein unbedeutender Mann: allein der Rythmus ist in eine Handschrift der Gedichte des Fortunat eingeschrieben: schon daraus ist sicher, daß dieser Rythmus zum Lobe nicht des Hieronymus oder des Martin, sondern des Fortunat gedichtet ist, und ebenso, daß er in Poitiers entstanden und ebendort in ein Exemplar der Gedichte des Fortunat eingeschrieben ist.

Es könnte auffallend erscheinen, daß diese Eigenschaft des Fortunat als Fremdling hervorgehoben wird. Allein die seltsame

« AnteriorContinuar »