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Erscheinung, daß ein hochbegabter Italiener mitten im Reiche der halb barbarischen Merowinger als Hofdichter glänzte, wurde wenigstens in der Zeit des Fortunat selbst empfunden. Fortunat selbst hat kurz nach dem Antritt seines Amtes bei Radegunde der gebildeten Welt Galliens sich mit den Worten vorgestellt (VIII, 1, 11):

Fortunatus ego hinc humili prece voce saluto:

Italiae genitum Gallica terra tenet (so die Handschrift Σ).

Wer auch den Titel am Anfang und Ende der Gedichte gemacht hat 'Venanti Honori Clementiani Fortunati Presbyteri Italici liber', auch er hat auf die fremdländische Abkunft des Fortunat hingewiesen. Eine solche Hervorhebung der fremden Abkunft wäre seltsam in späterer Zeit, z. B. in der Zeil Karl d. Gr., der seine Leute überallher holte: für unsern Rythmus, welcher auf die Hervorhebung der fremdländischen Abkunft des Fortunat aufgebaut ist, mag eben dies ein Zeichen sein, daß er nicht lange nach dem Tode des Fortunat in Poitiers entstanden ist.

Die Hervorkehrung dieses ungewöhnlichen Gedankens zeigt, daß der Verfasser der Verse selbständig dachte, und dieser Geist schimmert auch durch die gespreizten Merowinger Ausdrücke. In diesen Zeiten galt hochtrabende, ungewöhnliche Ausdrucksweise als die schönste Zier eines Schriftstückes, wofür ja die Schriften des Fortunat selbst ein Beweis sind, insbesondere seine kaum zu verstehenden künstlich stilisirten prosaischen Briefe. Das ist wichtig nicht nur für die damalige lateinische Literatur, sondern auch für die alten Denkmäler der angelsächsischen und der deutschen, aber auch der spanischen Literatur.

Die Form des Rythmus ist ebenso interessant als der Inhalt. Zunächst ist sehr auffällig die Reimfülle. Bis gegen das 12. Jahrhundert sind lateinische Gedichte sehr selten, in welchen jede Zeile mit dem Reim belegt ist, vielmehr sind fast überall reimlose Zeilen dazwischen gemischt; zum Zweiten ist der Reim bis zum 12. Jahrhundert fast überall nur einsilbig: in diesem alten Gedichte aber hat jede Zeile den Reim, und zwar den zweisilbigen auf itas; geringe Ausnahmen finden sich in V. 11 dilicias, 18 epulas, 19 plateas. Dasselbe Reimwort (civitas) findet sich nur in V. 3 und 20. Solche Reimfülle findet sich in den alten Zeiten höchstens bei den Iren und ihren Schülern.

(Zeilenbau und Zeilengruppen) Die durch die Reime geschiedenen Langzeilen zerfallen offenbar in 2 Kurzzeilen, welche ich im Druck durch kleine Zwischenräume getrennt habe. Die 2. Kurzzeile schließt stets mit Proparoxytonon, also steigend: und

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es ergeben sich 10 Kurzzeilen zu 8, 8 zu 7 und 2 Kurzzeilen (V. 8 und 16?) zu 9. Die erste Halbzeile schließt 16 Mal mit Paroxytonon, also sinkend, und nur 5 Mal steigend, also ergeben sich 9 Kurzzeilen zu 8, 7 Kurzzeilen zu 9; 2 (V. 5 und 14) zu 8, 2 (V. 3 und 19) zu 7 und 1 (V. 1) zu 6. Wir haben es also mit der alten rythmischen Umformung des trochaeischen Septenars zu thun 8 - +7, doch mit einer besondern Art, welche ich nachher behandeln will.

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(Die Zeilengruppen) Ich habe schon öfter hervorgehoben, welch auffallende Erscheinung in der Entwicklung der lateinischen Dichtungsform es ist, daß die Sinnespausen immer mehr die Dichtungsform berücksichtigen. Horaz läßt noch mitten im Satz eine neue Strophe beginnen. Doch bald wird nach einem Distichon gern eine starke Interpunktion gesetzt. Commodian setzt in dem Apologeticum nach jedem 2. Hexameter eine stärkere Sinnespause; die griechischen Uebersetzer des Ephrem stellen die Viersilber in Langzeilen oder Strophen zusammen; Ambrosius läßt nach jeder 2. Strophe kräftige Pause eintreten. Ja, bald dringt die Herrschaft der Sinnespausen in das Innere der Stophen: die ambrosianischen Strophen haben gern in der Mitte eine Sinnespause (s. Ges. Abhandlungen II 119 und diese Nachrichten 1906 S. 198 über Auspicius); die Strophen der byzantinischen Hymnendichter haben wie unsere Kirchenlieder für Melodie und Sinn ganz feste Pausen, und nicht anders steht es mit der mittelalterlichen Gesangslyrik. Bei jedem Gedichte z. B. der Carmina Burana kann und soll der Forscher fragen, an welchen Stellen der Strophe regelmäßig Sinnespausen stehen. Ich glaube, diese auffallende Entwicklung hängt damit zusammen, daß bei den alten Griechen die Worte die Hauptsache waren und der Vortrag der Melodie nur ein so dünner Schleier, daß der Sinn der Worte verständlich blieb, auch wenn die Pausen der Melodie nicht mit den Pausen der Worte zusammen fielen. Bei den frühsten Christen war der musikalische Vortrag intensiver; er zwang so zu sagen die Worte, dem Steigen und Fallen der Melodie sich anzuschließen, wenn sie verstanden werden wollten. Das ist vielleicht ein semitisches Erbstück gewesen. Denn wie in den Hymnenstrophen der Byzantiner und des Ephrem die Sinnespausen die Strophe in ganz feste Absätze gliedern, so soll es schon in den Psalmen sein (s. Ges. Abhandl. II 111).

Auch die aus gleichen Zeilen bestehenden frühen Rythmen werden meistens durch Sinnespausen in gleiche Gruppen von Langzeilen zerlegt, welche dann oft noch durch Akrostichon gekenn

zeichnet werden (s. Ges. Abh. I 240). Unser Rythmus ist so geschrieben, daß man Gruppen von je 2 Langzeilen erwarten sollte; doch diese Gliederung ist nicht durchzuführen. Dagegen habe ich schon oben bei der Inhaltsübersicht (S. 34) angezeigt, daß mit éiner Ausnahme vierzeilige Gruppen sich ergeben: Z. 1-4, 5-8, 9-12. Weiterhin ergeben sich die unregelmäßigen Gruppen Z. 13-15 und Z. 16-20; da aber Martin von Tours und Fortunat von Poitiers (V. 17-20) doch eng zusammen gehören und mit Hieronymus (V. 16) nicht viel zu thun haben, so ist diese Verletzung der Gruppentheilung nicht sehr schwer.

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So können wir eher die verzweifelte 10. Zeile beurtheilen: hier steht eine Kurzzeile 8 zu viel: populo praecepit deus: Cum terrae vobis repromissae venerit hereditas. Zunächst denkt man daran, daß nach 'praecepit deus' eine Kurzzeile mit dem Reim auf 'itas' ausgefallen sei: allein dann würde die Gruppierung der Zeilen zerstört. Auch wenn die beiden Zeilen lauteten: Populo praecepit deus (sic refert antiquitas):

cum terrae vobis repromissae

venerit hereditas

wäre alles gut: aber wer sollte die Worte 'Per Moysen latorem legis' interpolirt haben? So weiß ich keinen andern Weg als bei der Ueberlieferung zu bleiben und anzunehmen, daß der Verfasser gewagt hat, eine Kurzzeile mehr zu setzen, also 8-+9+7u_ statt 8-7. Ich gestehe, daß ich keinen andern Fall solcher Kühnheit und Unregelmäßigkeit kenne, auch nicht in diesen ältesten Zeiten der Rythmik.

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(Zeilenbau) Nachdem die Umrahmung der Zeilen klarer geworden ist, werden die Kurzzeilen selbst leichter sich besprechen lassen. Neben den 9 regelmäßigen Kurzzeilen zu 8 stehen 7 zu 9, neben den 8 regelmäßigen zu 7 stehen sogar 10 Kurzzeilen zu 8; s. oben S. 36. Als ich 1882 die ältesten lateinischen Rythmen untersuchte und zu den gedruckten Texten auch die Lesarten der Handschriften prüfte, fand ich Aehnliches. Die Herausgeber hatten die überschüssige Silbenzahl vielfach auf die des Schema's herabcorrigirt: ich erkannte, daß in der Gesetzlosigkeit Methode sei, d. h. daß in der Merowinger und in der frühen Karolinger Zeit viele Dichter sich erlaubt haben, in den wenigen damals gebräuchlichen einfachen rythmischen Zeilen die Silbenzahl des Schema's zu überschreiten; vgl. meine Ges. Abhandlungen I 187. Diese Freiheit war vielleicht deshalb aufgekommen, weil man auch in den entsprechenden quantitirten Zeilen so oft überschüssige Silben sah, freilich solche, welche durch Elision außer Rechnung standen. Von Gedichten, in denen diese

Freiheit angewendet ist, habe ich zusammengestellt: einige in Trimetern und einige in Achtsilbern mit sinkendem Schlusse (Ges. Abh. I 213 und 214) und ziemlich viele Fünfzehnsilber (I 208). Zu diesen letzten ist unser Rythmus über Fortunat zu fügen und ein Hymnus sancti Medardi, welcher in der Zürcher Handschrift auf den vom König Chilperich verfaßten Hymnus Sancti Medardi (bei mir S. 208 no 37 B) folgt und im Anschluß daran von P. v. Winterfeld in der Zeitschrift f. deutsches Alt. (Bd. 47, S. 80) veröffentlicht worden ist 1).

Diese Rythmen sind meistens nur in einer einzigen Handschrift erhalten, und oft ist diese Handschrift eine sehr alte und noch beherrscht von der Merowingischen Sprachbarbarei. Oft auch hat wie in Andachtsstücken so hier die Verschönerungssucht gehaust, wie z. B. in Chilperich's Hymnus auf Medard, so daß vielleicht mancher Rythmus hierher gehört, den ich unter den ganz verwilderten aufgezählt habe. Jedenfalls, so lange nicht alle hierher gehörigen Rythmen veröffentlicht sind, läßt sich über die Form dieser freien Rythmen nichts Abschließendes sagen.

Die Untersuchung der erträglich überlieferten Rythmen scheint schon jetzt zu lehren, 1) daß die gesetzmäßige Silbenzahl nur sehr selten um 2 Silben überschritten worden ist, daß aber gemieden wurde, weniger Silben zu setzen als das Schema verlangt, 2) daß der gesetzmäßige Tonfall im Schlusse der Kurzzeilen nur in den verwilderten Rythmen verlassen ist.

Wie gezeigt, war schon die Mutter der beiden Handschriften des Fortunatrythmus an einigen Stellen gefälscht; wir sind also

1) Winterfeld druckt meistens die Handschrift ab, dann wieder gibt er corrigirten Text (z. B. 16, 2). Der Hymnus ist ja in Orthographie und in Text verderbt aber er kann und soll doch dem Verständnis mehr erschlossen werden, als es von Winterfeld geschehen ist. In den Text zu setzen sind manche Vorschläge v. Winterfeld's; 3, 1 commissi; 3, 2 pigre; 4, 1 'utique könnte auch fehlen' (brieflich). 4, 2 doctrinae divinae; 5, 2 sancte; 6, 2 debiles manus (brieflich); 14, 1 angelicos choros; 14, 2 sedule; 16, 2 dominum qui sanctos; 17, 1 filioque; 17, 2 sanctos coronat in perpetuo (brieflich). Dann ist wohl 2, 1 'nanctus' passivisch = 'befunden'. 3, 1 Norma? 5, 1 vielleicht: Magna parvae pectore gestans fide grana sinapis; vgl. Matth. 17, 19 si habueritis fidem sicut granum sinapis. 7, 2 invocato numine? 8, 2 reddens ? His et aliis insignis virtutibus es habitus.

pete?

11, 1 germine?

9, 2 stelle um: 11, 2 tene oder

12, 2 perenniter negotia? vgl. Matth. 25, 21; dann Macc. I 10, 35 (II 10, 11): constituentur super negotia regni. 13, 2 Viventum terra celsum posthac regnum promereberis? 15 Nec a mente tua, pie, oder

Nec amenae tuae, pie, paradisi epulae

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berechtigt, auch der Rythmik halber zu ändern. Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß die 1. Kurzzeile statt 8 Silben mit sinkendem Schlusse nur 6 oder 7 Silben mit steigendem Schlusse gezählt habe, wie die Handschriften in V. 1, 3 und 19 überliefert haben. Die Silbenzahl ist richtig, aber die Schlußcadenz falsch in V. 5 und 14: hier ist durch leichte Wortumstellung zu helfen. Die 2. Kurzzeile ist nur bedenklich in V. 8 futurae vitae aeternitas und 16 ecclesiae crevit sanctitas, wo 9 statt 7 Silben zu stehen scheinen. Da Synizese in den alten Rythmen häufig ist, so ist vielleicht in V. 16 ecclesiae dreisilbig. Aber V. 8 wäre nur dann regelmäßig, wenn Elision angenommen werden dürfte. Allein Hiat ist in unserm Rythmus gestattet, aber Elision und Hiatus nebeneinander kommen wohl in quantitirenden Hymnen der Westgothen vor (Ges. Abh. I 204 210 217 227), sind aber in rythmischen Zeilen, abgesehen vom Psalm des Augustin, äußerst selten (s. Ges. Abh. I 210).

Die alten lateinischen Rythmen und die älteste
einheimische Zeile.

Die mittellateinischen Philologen haben schon nachgewiesen, daß in der Blüthezeit des Mittelalters die Formen der französischen, englischen und deutschen Dichtung durch die großen Neuschöpfungen der mittellateinischen Dichtung, besonders der Gesangslyrik, theils hervorgerufen, theils sehr stark beeinflußt worden sind. Motett ist nicht eine Erfindung der französischen Volksdichter, sondern stammt aus dem lateinischen Kirchengesang.

Das

Ueber die Form der ältesten germanischen und romanischen Dichtungen und über ihren Ursprung ist viel verhandelt worden und die Ansichten gehen noch jetzt weit auseinander. Mit prinzipiellen Behauptungen, wie z. B. die Alliteration sei so innerlich mit dem Wesen der germanischen Sprachen verwachsen, daß das Urgesetz der germanischen Dichtung alliterirend sein und gewesen sein müsse, oder mit Rückschlüssen, wie z. B. da im 11. Jahrhundert dieses oder jenes Gesetz herrschte, so habe es schon vom Anfang an oder schon im 9. Jahrhundert geherrscht, kann ich wenigstens nichts anfangen. Wie haben dann die Deutschen im 9. Jahrhundert aus der lateinischen Dichtung den Reim annehmen und die Alliteration für alle Zeiten so gründlich aufgeben können, daß unsern Kindern, wenn sie die ersten Versuche im Dichten machen, nur Reime in den Mund kommen? Und wer den wunderbaren Reichthum der Dichtungsformen des 12. Jahrhunderts kennen lernt, wie möchte der die Dürre der poetischen Formen der Karolinger Zeit für möglich halten?

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