Imágenes de páginas
PDF
EPUB

Rechte des ganzen Landes. Häufiger als in der nur zu oft divergirenden Politik der Herren hat die Einheit des Landes in jenem Zueinanderstehen der Vasallen ihren Ausdruck gefunden. Die livländische Geschichte ist nicht arm an Beweisen dafür, dass die Zwietracht der Regenten dem vereinten Drucke der Lehnsverbände zum Heile des Landes gewichen ist. Regelmässig ist dabei die leitende Rolle den Edeln von Harrien und Wirland zugefallen. Während diese aber ihren Einfluss stets zu Gunsten ihres Lehnsherrn, des Ordens, geltend gemacht haben, ist die Mannschaft der Stifter zu einer die landesherrliche Autorität fast erdrückenden, sich ihr häufig feindlich gegenüberstellenden Macht emporgewachsen. Die factische Solidarität ihrer Interessen suchen die Mannschaften durch eine freilich auf sehr mythischer Grundlage sich aufbauende Rechtstheorie zu stützen. Sie behaupten, dass einst ein König von Dänemark Livland mit Heeresmacht bezwungen, Ritter, Knechte und Mannschaften eingesetzt und sie mit gleichem Rechte begnadet habe. Auf Grund dieses allen Lehnsleuten gemeinsamen Rechtes stellen die Edlen von Harrien und Wirland an Bischof Caspar das Ansinnen, den Streit zwischen ihm und seinem Vasallen schlichten zu dürfen. Der Bischof, welchem die Gefahren, die jene Anschauungen für alle Landesherrn in sich bargen, nicht entgingen, lehnte die Forderung mit aller Entschiedenheit ab. „Wer hat bisher", so ruft er aus, „in aller Christenheit je gehört, dass Ritter und Knechte sich unterwinden dürfen Sachen zu entscheiden, welche Bischöfe und ihrer Kirchen Güter angehen! Wahrlich das geistliche Recht hat noch nicht die letzte heilige Oelung empfangen, dass die ehrbaren Leute um Herrn Wilhelms willen ihm ein Grab graben dürfen, wozu sie auch wahrlich zu schwach sind" (5 n. 2709).

Caspars Nachfolger, der Anhang im Stifte zu gewinnen suchen musste, zeigte sich weit mehr entgegenkommend. Als Farensbach sofort nach der Ernennung Bischof Christians mit ihm Verhandlungen in Rom anknüpfte, hat der Hochmeister die ernste Befürchtung gehegt, dieselben könnten zu einem Bunde des Gegners mit dem mächtigen Vasallen führen (47). Doch alle Versuche einer Einigung scheiterten an den übertriebenen Forderungen Farensbachs, der auf vollständiger Wiedergabe aller ihm aberkannten Güter bestand (528). Als im Jahre 1426 neue Vermittelungsversuche im Lande selbst begannen, da erscheint Farensbach nicht nur als Verfechter eigener Ansprüche, weit mehr als Waffe in der Hand des Ordens gegen den Bischof. Wenn gegenüber der Langmuth seines Lehnsherrn, der unerschöpflichen Geduld, mit der die Prälaten einen Vergleich herbeizuführen sich abmühen, er mit stets wachsender Kühnheit seine Forderungen zu steigern, von ihm eingegangene Verträge immer wieder zu brechen wagt, hat er sicherlich nicht allein die Mannschaft des Landes, sondern auch den Orden hinter sich gewusst. Das ganze Spiel entspricht so vollständig den vom Procurator vorher ertheilten Rathschlägen, dazu ist die von einzelnen Gebietigern dem rebellischen Vasallen gegen seinen Herrn heimlich gewährte Unterstützung wenig später so offenkundig geworden, dass über ein seit der Ankunft Bischof Christians im Lande zwischen dem Orden und Farensbach bestehendes Einverständniss ein Zweifel nicht gestattet scheint. Nachdem auf dem Landtage zu Walk im Januar 1426 eins der aberkannten Güter ihm durch den Bischof wiederum zugesagt war und er den Vergleich angenommen, hat Farensbach unmittelbar danach Ansprüche auf zwei erhoben. Die Mahnung, seinem Worte treu zu bleiben, die der Ordensmeister in Folge einer Beschwerde des Bischofs an ihn richtete (453), scheint mehr auf eine Täuschung seines Gegners, dem die Abschrift des Schreibens zugefertigt wurde, berechnet zu sein. Als der Bischof trotz der gemachten Erfahrungen zu neuen Verhandlungen die Hand bot, sind auf dem beiderseits aufgenommenen Tage weder Farensbach noch seine Bevollmächtigten erschienen. Dagegen beriefen sich Abgesandte von Harrien und Wirland wiederum auf die der Mannschaft des ganzen Landes verliehenen königlich-dänischen Privilegien und forderten auf Grund derselben vollständige Erstattung des ihm im geistlichen Rechte Abgewonnenen für Farensbach. Das weitere Erbieten des

Bischofs, sich dem Spruche der Landesherrn zu unterwerfen, hat sein Lehnsmann ganz unbeantwortet gelassen (528). Ein am 5. Mai 1427 endlich zu Stande gekommener vorläufiger Vergleich (613) ist sofort wieder gebrochen worden. Um die Mitte August fielen Freibeuter, unter denen sich auch zwei Söhne Farensbachs befunden haben sollen, sengend und brennend und Kirchenraub treibend in das Stift ein. Während der Ordensmeister die Kirche zu beschützen versprach, hat der Bischof Beweise dafür erlangt, dass mehrere der vornehmsten Gebietiger seinen Gegner mit Volk unterstützt und ihm auf ein öselsches Lehngut eine bedeutende Summe vorgestreckt haben (663). Der Hochmeister zeigte sich über die unvorsichtige Weise, in welcher der Orden sich aus seinem Hinterhalt hervorgewagt, aufs Höchste bestürzt und verlangte, dass Alles aufgeboten würde, damit der Bischof gesenftiket und gestillet und sulcher unwillen hingelegt werde. Andernfalls sei zu erwarten, dass derselbe seine Drohung ausführen und auswärtige Hilfe anrufen oder sich nach Rom aufmachen werde, do her von unsirm heilgen vater vaste gelibet ist und wol gehort, um nicht allein seine, sondern die Beschwerden aller Prälaten gegen den Orden vorzubringen. Vor Allem sei zu bedenken, dass der Beistand, den man dem Empörer gegen seinen Herrn geleistet, auch Manchen der Ordensmannschaft ermuthigen werde, sich frevelhaft gegen seine Obrigkeit aufzulehnen (668). Jene Einsicht, dass man zum eigenen Schaden zu weit gegangen sei, scheint endlich auch dem livländischen Orden gekommen zu sein: kurz vor dem Eintreffen jener Ermahnungen des Hochmeisters ist unter Vermittlung des Bischofs und Comturs von Reval der Hof Heimar Farensbach erblich eingewiesen worden, wogegen er sich wiederum verpflichtete seine Streitigkeiten mit dem Bischof dem Schiedsspruch der Landesherrn zu unterwerfen und inzwischen weder selbst noch durch sein zusammengebrachtes Kriegsvolk dus Stift zu schädigen (664, 665). Bischof Christian aber hat dem so oft gebrochenen Frieden nicht mehr getraut: im Frühjahr 1429 ist er, der pynliche mensche, heimlich nach Rom geeilt, um ein übervolles Mass von Anklagen über den Orden auszuschütten.

Der Procurator Tiergart und sein Nachfolger Wandofen sind nicht müde geworden die dem Orden abgeneigte Stimmung der Curie und ihre eigenen Misserfolge der nicht befriedigten Hubsucht des Papstes und seiner Höflinge zur Last zu legen. Ihrer Ansicht nach wurde die Entscheidung der rigischen Sache nur deshalb verzögert, um dem Orden gros gelt abeczudringen und dovon czu haben (799). Dass mit Geschenken in Rom viel auszurichten war, dass in jenen jamergen czeiten frundschaft, forderunge und gunst sunder geld nichts helffen wollten (187), wird uns allerdings von den verschiedensten Seiten bestätigt; trotzdem wäre es irrig, die Entschliessungen Martin V in ihrem letzten Grunde auf die von den Procuratoren angegebenen Motive zurückzuführen. Waren es Geld und Gaben, die die Massnahmen des Papstes beeinflussten, so hätte es dem Orden, der verhältnissmässig sehr viel, wenn auch nach Ansicht Tiergarts noch immer nicht genug darauf verwandte sich in Rom „Gunst zu erwerben", ein Leichtes sein müssen seine Gegner aus dem Felde zu schlagen und seinen Wünschen Erfüllung zu sichern. Gegenüber den seinen erscheinen die Mittel des Capitels jedenfalls geringfügig. Ueber den Vertreter des letzteren, den Propst Patkul, erfahren wir, dass er in groszen schulden, in groszer dorfftikeit, jamer und armut in Rom gestorben ist (799); sein Nachfolger, der Domherr Nagel, hat uns von seinen Geldnöthen selbst das allerkläglichste Bild entworfen. Ganz abweichend von dem cynischen Wankelmuth eines Bonifaz IX, dessen käufliche Gunst das einer Partei gewährte Privileg in Folge eines reicheren Geschenks des Gegners aufhob, um es, nachdem letzteres abermals überboten worden, wiederum zu erneuern, sehen wir Martin V in jenem Conflict ein festes Ziel, die Wiederherstellung der kirchlichen Freiheit, unbeirrt verfolgen. Nicht Habsucht, sondern die Bedrängniss der Kirche hat ihn veranlasst ihre Bestrebungen fortdauernd zu unterstützen. Und dass die unkluge Härte, welche die obersten Gebietiger zeigten, die Stimmung in Rom zu ihren Ungunsten beeinflusste,

hat Tiergart selbst gelegentlich eingestehen müssen. Es ward in ihrem Verfahren eine Tyrannei gemerkt, welche Alle verdross, die davon hörten, und dadurch gewannen die Kirchen so viel mehr Gunst (711).

Eigenes Verschulden hat den Orden der innerhalb des Erzstifts gewonnenen Machtstellung wieder verlustig gehen lassen, ihm die Gemüther dauernd entfremdet. Die Mässigung eines Monheim, die den besiegten Feind in einen ergebenen Genossen umzuwandeln wusste, war seinen Häuptern fremd geworden, nie hat seine traditionelle, die Einigung des Landes anstrebende Politik unheilvollere Vertreter gefunden als damals. Im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung der livländischen Geschicke ist es daher kaum zu beklagen, dass die bereits erreichte Verbindung mit der rigischen Kirche wieder gelöst wurde. Länger in jener gewaltthätigen Weise aufrecht erhalten, hätte dieselbe zu ähnlichen Katastrophen führen müssen, wie sie um die Mitte des 15. Jahrhunderts den Ordensstaat in Preussen bis in seine Grundfesten erschütterten.

Das gespannte Verhältniss der Landesherrn zu einander hat, wie auf alle übrigen Gebiete des staatlichen Lebens, auch auf die Gesetzgebung, in der gerade in der unmittelbar vorhergehenden Periode eine ungewöhnliche Regsamkeit sich entwickelt hatte, einen nachtheiligen Rückschlag ausgeübt. Gleich der bedeutsame Beschluss vom 28. Januar 1422, dass die Landtage in Zukunft regelmässig ein mal jährlich durch den Erzbischof von Riga zusammenberufen werden sollten, um hervortretende Missstände zu berathen und abzustellen, hat sich bei der jetzigen Lage nicht durchführen lassen. In den Jahren 1423–1429 sind nur zwei Versammlungen zu Stande gekommen, eine im October 1424 (206), die andere im Januar 1426 (409), und auch von diesen sind keine neuen Impulse ausgegangen, sie haben sich im Wesentlichen darauf beschränken müssen bereits früher eingeleitete Reformen durch Specialbestimmungen weiter auszuführen.

In erster Linie galten letztere dem Münzgesetz vom August 1422, durch welches der weit vorgeschrittenen Verschlechterung des Geldes hatte gesteuert werden sollen. Während aber früher nur die Ausprägung der groben Münze, der Artige, ins Auge gefasst, ihr Werth auf das Dreifache des bisherigen festgesetzt war, ist durch den Recess von 1426 dieselbe Massregel auf die kleine Münze, die Libischen und Scherfe, ausgedehnt worden. Indem ihr Feingehalt auf den der neuen Artige gebracht ward, ist ihr Werth um das Vierfache gegenüber dem der alten Stücke gesteigert worden. Für den Handelsverkehr blieben die neuen Bestimmungen freilich ohne Bedeutung, da in ihm für den Werth einer Münze nicht, wie man im Mittelalter annahm, ihr Name, sondern nur der Feingehalt massgebend ist, die Preise also zu jeder Veränderung des letzteren sich wieder ins Gleichgewicht zu setzen das Bestreben haben. Von hoher Wichtigkeit waren jene Gesetze dagegen in fiscalischer Beziehung. Die in Folge der lange fortgesetzten Verminderung des Münzgehalts erheblich gesunkenen landesherrlichen Einkünfte wurden mit einem mal wieder auf ihre alte Höhe gebracht, indem nach den genaueren Ausführungen des Recesses von 1424 alle althergebrachte Zinse und Abgaben der Landleute, ebenso wie die Gerichtsgefälle, von nun an in neuem Gelde entrichtet werden sollten. Gleichzeitig ward für die Regelung privater Verbindlichkeiten das Jahr 1400 als Normaljahr festgesetzt: nach diesem Termin gemachte Schulden und fundirte Renten konnten noch in der alten geringhaltigen Münze, aus früherer Zeit stammende mussten dagegen in der neuen ausgezahlt werden. Dies aber war eine Bestimmung, welche die Interessen der Städte auf das Empfindlichste verletzte. Mit Vorliebe wurden gerade bei ihnen in Folge der Sicherheit, die fast ausschliesslich sie gewähren konnten Capitalien nutzbar angelegt, ihnen regelmässig die Summen anvertraut, deren Renten allerlei geistlichen Stiftungen zum Unterhalt dienten. Nun ward ihnen zugemuthet, einen grossen Theil der jährlich von ihnen entrichteten Zinsen in dreifachem oder gar vierfachem Betrage auszukehren. Durch ihren

[ocr errors]

fortgesetzten Widerstand ist zunächst ein Aufschub erreicht worden; aber auch nachdem durch den Recess von 1426 die Einführung der neuen Münze definitiv auf den 10. März d. J. festgesetzt war, haben sie sich nicht gefügt. Der Bischof von Dorpat hat in der Folgezeit wiederholt beim Meister Klage darüber führen müssen, dass in Reval und Umgegend das alte Geld noch in Gang erhalten werde, und die Drohung daran geknüpft, keine Landtage mehr zu besuchen, falls deren Beschlüsse also spotliken und jamerliken missachtet würden (450, 595). Die Ermahnungen an die Städte, das Münzgesetz streng durchzuführen, sind aber erfolglos geblieben und schliesslich hat ihre zähe Opposition den Sieg davongetragen.

Wie der Recess vom Januar 1422 sich eingehend mit den Verhältnissen der Landbevölkerung beschäftigt hatte, so sind durch den von 1424 nähere Bestimmungen in Betreff der Hörigkeit, der sog. Drellenschaft, getroffen worden. Regelmässig kommt dieselbe nur bei „Ungläubigen" vor und wird durch Kauf oder Kriegsgefangenschaft begründet. Dagegen können Christen nur für Verbrechen, für welche sie an Hals oder Hand gerichtet worden, derselben verfallen und zwar nie auf eine längere Dauer als zehn Jahre und auch dann ist das Verhältniss mit Geld ablösbar.

Eine umfassende Thätigkeit hat sich daneben auf dem Gebiet der kirchlichen Gesetzgebung gezeigt. Das Resultat derselben sind die von Erzbischof Henning dem Provincialconcil von 1428 vorgelegten, von diesem durchberathenen und gebilligten Kirchenstatuten der rigischen Provinz (690). Wenn, wie die einleitenden Worte zu denselben hervorheben, das umfangreiche Gesetz grossen Theils die Normen des gemeinen canonischen Rechts wiedergiebt, so enthält es doch auch eine Reihe ihm eigenthümlicher Bestimmungen, welche durch die locale Lage hervorgerufen sind. Vor Allem zeigt sich rege Fürsorge für die sittliche Hebung der niedern Geistlichkeit; zu gewissenhafter Pflichterfüllung, zu Ehrbarkeit im äussern Wandel wird dieselbe angehalten. Zahlreiche Artikel, die sich den Festsetzungen des Landtagsrecesses vom 28. Januar 1422 eng anschliessen, behandeln sodann die Verhältnisse des Bauernstandes. Sie erstreben Stärkung des christlichen Bewusstseins und der Sittlichkeit (§ 32) sowie Beseitigung abergläubischer Gebräuche (27), gewähren dem Landvolke Schutz vor Beeinträchtigungen im Handel (17) und verbieten die Heranziehung desselben zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen (9) sowie die Anwendung der Feuer- und Wasserprobe im gerichtlichen Beweisverfahren (44). Vor Allem bemerkenswerth ist die Bestimmung, dass zu Pfarrämtern nur Personen befördert werden sollen, welche der Sprache ihrer Eingepfarrten vollkommen mächtig sind. Bereits im Amte befindliche Seelsorger, welchen jene Fähigkeit abgeht, werden verpflichtet sich innerhalb Jahresfrist Capläne zuzugesellen, welche die Landessprache beherrschen (3).

In andern Bahnen als die der Landesherrn bewegt sich die Politik der livländischen Städte. Selbständig verfolgen diese ihre besonderen Ziele und die Impulse dazu empfangen sie von auswärts. Die ihnen in den Territorien, denen sie corporativ eingefügt waren, zugefallene Rolle trat vor den Aufgaben zurück, welche sie als Glieder des Hanselundes zu lösen hatten. Schon äusserlich zeigt es sich, auf wie verschiedenen Gebieten sich die staatliche Thätigkeit der Herren und die ihre entwickelt: die Acten des königsberger Archivs führen uns zwar die Pläne, denen Orden und Prälaten nachstreben, aufs Anschaulichste vor Augen, von der Wirksamkeit der Communen aber geben sie kaum eine annähernde Vorstellung; der Reichthum der revaler Schriftdenkmäler verbreitet umgekehrt helles Licht über Stellung und Bedeutung der letzteren, während gleichzeitig die von den obersten Gewalten befolgte Politik, ihr Verhältniss zu einander, in beinahe völliges Dunkel gehüllt bleiben.

Fasst man die Beziehungen der grösseren livländischen Städte zu ihren Landesherrn ins Auge, so begegnen da die auffälligsten Verschiedenheiten. Am Frühesten und Vollständigsten hat sich die landständische Verfassung im Stifte Dorpat ausgebildet. Zu den Berathungen über öffentliche Ange

legenheiten wird regelmässig neben Capitel und Ritterschaft auch die Stadt Dorpat zugezogen; bei den Friedensverhandlungen mit Pskow spricht sie ein entscheidendes Wort mit; an der ständischen Gesandtschaft, welche Namens des Bischofs Genugthuung von Reval fordern sollte, haben auch Mitglieder des Raths theilgenommen. Dem Einfluss, dessen sich die Stadt hier erfreute, ist es zuzuschreiben, dass Bischof Dietrich sich den Wünschen der Hanse gegenüber wiederholt entgegenkommend zeigte. Während der Orden sich dessen weigerte, war jener beispielsweise bereit die zur Befreiung des deutschen Kaufmanns zu Nowgorod im J. 1425 gegen Russland verhängte Handelssperre mitdurchzuführen.

Riga, dem Rechte nach eine erzbischöfliche Stadt, ward vom Orden zur Anerkennung seiner Oberhoheit gezwungen. Das fortdauernd gespannte Verhältniss zwischen beiden, welches sich hieraus ergab, ist auch in diesen Jahren bei verschiedenen Anlässen zum Ausdruck gekommen. Als der Ordensmeister Siegfrid gegen den am 14. November 1423 in den Dom beschiedenen Rath und namentlich gegen Hartwich Segefrid den Vorwurf erhob, dass sie in der Angelegenheit des durch ihn gerichtlich belangten Hermann Klempow ihm entgegengewirkt hätten, und dem von ihrer Seite widersprochen wurde, ereignete sich die bekannte dramatische Scene. Der Meister zückte gegen Hartwich das Schwert, die Sturmglocke ward geläutet, es entstand ein Auflauf und der Meister musste auf das Schloss entweichen (53 Anm. 3). Die Stadt hatte sich in Erwartung einer Belagerung bereits vollkommen in Vertheidigungszustand gesetzt, als es den von allen Seiten eintreffenden Vermittlern gelang, die Entscheidung des Zwists dem anstehenden Landtage zu überweisen. Riga ward schuldig gesprochen, zur Sühne der dem Meister widerfahrenen Unbill eine ewige Vicarie in der Domkirche zu stiften (69). Als die Stadt in Folge eines Beschlusses des Hansetages einen Pfundzoll in ihrem Hafen ansetzte, ward dies vom Orden als Eingriff in seine Hoheitsrechte betrachtet (129) und nur den gütlichen Ermahnungen des Hochmeisters gelang es weiterem Hader vorzubeugen (182). Mit dem Regierungsantritt Cisse von Rutenbergs schien dann eine gewisse Besserung des Verhältnisses eingetreten zu sein: auf Bitten der beiden Gilden erliess er der Stadt die halbe Rente der Vicarie, zu deren Stiftung sie sich hatte verpflichten müssen (550). Doch bald ward die alte Principienfrage, mit welchem Recht der Orden die Oberhoheit über Riga behaupte, wiederum hervorgezogen; den Plänen des Erzbischofs, die Stadt der Herrschaft des Meisters ganz zu entziehen, soll jene nicht fern gestanden haben (763). Eines günstigen Anlasses, den die nächsten Jahre in der That brachten, bedurfte es nur, um den Streit zum offenen Ausbruch zu bringen.

[ocr errors]

Dieser abwehrenden Haltung Rigas ganz entgegengesetzt, hat Reval stets in engstem Anschluss an den Orden sein Heil gesucht, stets als dessen getreue Unterthanin gegolten. Schon die Adresse mehrerer vom Meister an Reval gerichteten Briefe legt Zeugniss ab von den innigen Beziehungen, welche zwischen ihnen bestanden. Dem regelmässigen Unsern lieben Getreuen" ist öfters ein und guten Freunden" hinzugefügt. Diese im Verkehr zwischen Landesherrn und Untergebenen ungewöhnlich vertrauliche Anrede kann in einer Zeit, welche die äussern Formen mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit abwog, nicht ohne Bedeutung sein. Hat doch der Hochmeister es für nothwendig gehalten, dem Gebietiger von Livland zu empfehlen, sich in seinen Correspondenzen mit den Prälaten verbindlicherer Eingangsformeln zu bedienen, nicht Unsern freundlichen Gruss zuvor“, sondern Unsers Vermögens willige Erbietung“ oder „Schuldige Erbietung unserer Demuth“ zu setzen (668). Die warme Fürsprache und der landesherrliche Schutz, welche der Stadt von Seiten des Meisters stets gewährt sind, treten namentlich bei Gelegenheit der zahlreichen Streitigkeiten hervor, in welche Reval in dieser Zeit verwickelt ward.

[ocr errors]

Schon seit mehreren Jahren hatte ärgerlicher Hader zwischen der Weltgeistlichkeit und den Predigerbrüdern der Stadt bestanden. Die ursprüngliche Veranlassung zu demselben wird in der

« AnteriorContinuar »