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Der geographische und politische Begriff und Complex der fürstlichen Grafschaft Tirol hat sich erst in einem durch Jahrhunderte sich hinziehenden und fortspinnenden Entwicklungsprocess gebildet. Es lässt sich dabei ein Spiel zusammenwirkender Kräfte beobachten, welches man vielleicht nicht ganz unpassend mit dem Namen territoriale Attraction bezeichnen könnte. Denn mögen auch die einzelnen Stadien des Gesammtvorganges noch so verschieden unter sich sein: schliesslich haben wir es doch immer nur mit der Gravitation eines schwächeren Theiles zum stärkeren Mittelpunkt oder mit der Anziehungskraft dieses letzteren auf jenen zu thun.

Es ist sehr begreiflich, dass jene Theile, welche dem Centrum näher lagen oder theilweise in dasselbe sich hinein erstreckten, der vollständigen Vereinigung nur einen geringen Widerstand entgegensetzten, während jene an der Peripherie um so länger sich wehrten, je weiter sie abstanden und je mehr sich auf sie in Folge dessen andere, fremde Einflüsse geltend machen konnten.

Diesen vereinigenden centralen Grundstock bildete jener territoriale und lehenschaftliche Besitz, wie er sich um die Mitte des 13. Jahrhunderts in den Händen des letzten Grafen aus dem Hause Tirol angesammelt hatte. Seine Erben und Nachfolger, die Görzer, haben in der emsigsten Weise am Baue fortgearbeitet und friedliche und gewaltsame Mittel versucht, sei es nun das Ganze zu vergrössern und zu arrondiren, sei es um die Theile enger mit einander zu verkitten.

Soweit es nun Gebiete betraf, welche von vornherein schon vom tirolischen Grafenbesitze umschlossen waren, so hat sich, wie schon bemerkt, bei ihnen nur ganz ausnahmsweise ein ernstlicher Widerstand gegen die Vereinigung gezeigt; aber viel wechselvoller gestaltet sich das Bild der Beziehungen der tirolischen Grafschaft zu jenen Theilen, welche einen meist nur einseitigen Zusammenhang mit ihr hatten, und der einer engeren Verbindung entgegengebrachte Widerstand war ein um so grösserer, je mehr andere Factoren sich noch dazu gesellten, theils nationale, theils persönliche.

Und das tritt bei keinem Theile mehr hervor als bei Trient in seinem Verhältniss zu Tirol. Für die Bischöfe und die Grafen ergab sich häufig das lebhafteste Interesse, mit einander in engere Beziehung zu treten, daher die zahlreichen

Lehensverträge der Grafen mit Trient, daher auch das allmälig sich entwickelnde Vogteiverhältniss. Denn namentlich das Stift sah sich wegen seiner eigenen unruhigen Vasallen und wegen der Nachbarschaft Italiens oft auf die Hilfe der tirolischen Grafen angewiesen, und diese wieder waren dann bestrebt, den einmal gebildeten Connex mehr und mehr zu befestigen.

Für den weiteren Entwicklungsgang dieser Beziehungen. war es nun häufig von grosser Bedeutung, welche Persönlichkeiten das Stift und die Grafschaft inne hatten. Kräftige und hochstrebende Kirchenfürsten von Trient gewahrten mit Missbehagen, dass sich die Verbindung ihres Stiftes mit der Grafschaft so verengert habe, dass sie mit ihrer noch immer reichsfürstlichen Stellung nicht mehr vereinbar schien, in Folge dessen sie nach einer Lockerung des fester gewordenen Bandes strebten. Ein mächtiger Landesfürst hingegen, der den Verband seiner Grafschaft mit dem Stifte in seiner politischen und defensionalen Wichtigkeit wohl zu würdigen verstand, der war natürlich darauf bedacht, die geglückte Verbindung zu festigen und wo möglich noch enger zu gestalten.

Noch in der vorhabsburgischen Periode hatten die Bischöfe von Seite der Görzer und der Brandenburger das Uebergewicht ihrer mächtigen Vögte oft genug und mitunter auf längere Zeit verspüren müssen. Nicht günstiger für den Bischof gestaltete sich seine Lage zur Zeit des Dynastenwechsels im Jahre 1363, als der mit hohen Plänen sich tragende Rudolf, der Habsburger, der Nachfolger Margarethens wurde. Albert, der damalige Bischof, erhielt zwar von ihm die von den Brandenburgern besetzten Stiftslande zurück, aber unter solchen Vertragsbestimmungen, welche das Stift auf das Engste mit Tirol verbanden. Zeigte nun schon dieser Herzog, dessen Hausbesitz doch viel mehr als Tirol umfasste, das lebhafteste Interesse, Trient mit Tirol so fest als möglich zu vereinigen, so wird man es bei seinen Nachfolgern in Tirol, welche nicht viel mehr als eben dieses besassen, um so erklärlicher finden, wenn sie diesen Verband mit dem Stifte aufrecht zu halten suchten. Und so zeigen denn auch alle Verträge, welche von Rudolf an bis auf Max I. zwischen den Trientiner Kirchenfürsten und den Grafen von Tirol geschlossen wurden, eine in

1 Vgl. Huber, Gesch. d. Herz. Rudolf IV. p. 98.

die Augen springende Einstimmigkeit, indem sie alle oft mit denselben Worten die Abhängigkeit betonen, in der sich bezüglich der weltlichen Herrschaft, Temporalität, der Bischof gegenüber dem Grafen befindet. Allerdings zählt keiner der späteren Verträge mit so detaillirter Breite alle jene einzelnen Punkte auf, welche der Vertrag von 1363 nennt und die mit der prägnantesten Deutlichkeit die Unterordnung des Bischofs unter die Grafschaft ausdrücken; aber entweder ist in den späteren Urkunden jene des Jahres 1363 namentlich bestätigt, oder es ist ihnen wenigstens eine Reservatklausel angehängt, welche den rechtlichen Fortbestand jenes entscheidenden Vertrages des Herzogs Rudolf in sich enthält.

In dem Vertragsacte von 1363 tritt das einseitige Abhängigkeitsverhältniss Trients besonders stark hervor in der Bedingung, dass die stiftischen Unterthanen, Hauptleute und Vasallen allemal dem Grafen von Tirol Beistand leisten sollen, wenn der Bischof etwas gegen ihn unternähme. Die späteren Acten begnügen sich mit der Hervorhebung der allgemeineren oder für den Bischof weniger demütigenden Bestimmungen. So wird in den Verträgen von 1365, 1399, 1410, 1435, 1454 und 1468 festgesetzt, dass die Hauptleute des Stiftes nur mit Wissen des Grafen von Tirol eingesetzt werden und auch diesem neben dem Bischofe Treue schwören müssen, die Verträge von 1365 und 1468 verpflichten den Bischof zur Bestellung eines Hauptmanns in Trient selbst, der, von ihm unterhalten, im Interesse des Grafen von Tirol den Bischof und seine Regierung beaufsichtigt. Die Bischöfe wie die Domherren müssen laut der Urkunden von 1365, 1399 und 1460 bei ihrem Amtsantritte die bestehenden Verträge beschwören. ⚫ 1365, 1399, 1454 und 1468 verpflichtet sich der Bischof, dem Grafen beizustehen gegen innere und äussere Feinde, ihm die Schlösser offen zu halten und (1454) ohne Wissen des Grafen keinen Krieg anzufangen. Alle Verträge aber, sie mögen nun alle oder nur einzelne der genannten Bedingungen aufzählen, haben die stets sich wiederholende Bestimmung, dass es Pflicht des Bischofs sei, dem Grafen von Tirol als Herrn und Vogt dienstbar zu sein. Diese Consequenz in der Betonung der

1 Man hat dieses Verhältniss Trients zu Tirol mit dem Carthagos zu Rom verglichen (Barbacovi, Mem. stor. 133). Wollte man sich an ähnliche

Präponderanz des Grafen von Tirol als Herrn über die Temporalität des Stiftes findet im ganzen 15. Jahrhundert eine einzige Unterbrechung und momentane Abschwächung, in dem Vertrage nämlich, den Bischof Georg und sein Capitel am 6. Mai 1460 mit Herzog Sigmund einging, wobei nur von der Vogtei und nicht auch von der Herrschaft des Herzogs Erwähnung geschieht und die Bestimmung aufgenommen erscheint, dass der Vertrag aufgehoben sei, wenn des Herzogs Stamm erlösche. Diese augenblicklich schwächere Haltung des Herzogs gegenüber dem Trientiner Bischof erklärt sich aber zur Genüge aus seiner gerade in dieser Zeit besonders gespannten Beziehung zu Nicolaus Cusanus und Rom. War auch diese Nachgiebigkeit nur eine augenblickliche denn es folgte ja bald der Vertrag von 1468 so war sie doch hinreichend, um später, in dem zu schildernden Temporalienstreite, dem Bischofe einen Hebel für seine Sache zu bieten, denn unter den für die bischöfliche Partei beweisenden Actenstücken ward im Processe ausdrücklich auf die Urkunde Sigmunds vom Jahre 1460 hingewiesen.

Aber abgesehen von diesem Ausnahmsfalle befestigte sich auch unter Sigmund die politische Verbindung der Stiftslande mit der Grafschaft, in den Jahren 1478, 1487 und 1489 geschah die Erneuerung der Verträge von 1454 und 1468 und diesen diplomatischen Versicherungen entsprach auch die praktische Uebung, indem die regelmässige Berufung der Bischöfe zu den ständischen Versammlungen erfolgte, denen auch meist Folge geleistet ward. Sigmund fürchtete keinen Widerspruch, als er vom Bischof verlangte, dass in Berg

Verhältnisse erinnern, so könnte man etwa denken an die Stellung der Kirchen in den brandenburgischen Marken zu den dortigen Landesherren im 16. Jahrhundert (vgl. Droysen, Gesch. der preuss. Pol. II, 51), oder an die Beziehungen des Klosters Zwifalten zu Würtemberg (vgl. Stälin, Wirt. Gesch. IV, 838). Zur Zeit des Erzh. Ferdinand fand man eine Analogie zu den geistlichen, speciell bambergischen Enclaven in Steiermark, resp. deren bischöflichen Eigenthümern heraus. Graf Thurn schreibt nämlich am 11. Dec. 1565: Des Erherzogs Carl Handlung mit den Bambergischen wird vielleicht etwas mit den ,Trientischen' zu vergleichen sein. St.-A. Abth. Schlögl. Miss. d. Erzh. Nr. 65.

1 So kennen wir z. B. von den Jahren 1478-1486 nicht weniger als fünf Geleitbriefe für die Bischöfe zu den tirolischen Landtagen.

werkssachen die landesfürstliche und nicht die bischöfliche Gerichtsbarkeit anerkannt werde.

Dasselbe Verhältniss lässt sich noch zum Theil erkennen unter der landesfürstlichen Regierung Maximilians I. Auch unter ihm erfolgt die Bestätigung der Verträge von 1454 und 1468, der Befehl an den Bischof, die bewilligten Landessteuern zu zahlen, die Berufung desselben auf die Landtage, das Verbot, den Kaufleuten Geleitsbriefe auszustellen und dergleichen mehr. Nicht unerwähnt darf auch bleiben das Landlibell von 1511, welches nicht allein für die landesfürstlichen Unterthanen, sondern ebenso auch für die beiden Landesbisthümer Trient und Brixen Geltung hatte, aber gegenüber den ältesten Verträgen eher eine Erleichterung für sie involvirte. Allein von nun an tritt eine Schwenkung ein. Das grosse Erbe Maximilians fiel an seinen Enkel Carl und was Tirol betrifft bald darauf von diesem an dessen Bruder Ferdinand. Der Gesichtskreis dieser Fürsten war entsprechend ihrer Stellung und ihrem Länderbesitz nothwendig ein viel weiterer als jener der bisherigen Grafen von Tirol. Das Haupt Beider schmückte ausser verschiedenen Königskronen auch das kaiserliche Diadem. Für Carl war zunächst das grosse, seiner Weltmacht entsprechende universelle, für Ferdinand das Interesse für seine deutsch- böhmisch-ungarische Ländergruppe massgebend. Als Kaiser suchten sie in erster Linie die Fürsten des Reiches an ihre Person und Politik zu ketten, zur Lösung jener grossen Fragen, welche sie beschäftigten. Fürsten des Reiches waren aber auch noch immer die Bischöfe von Trient, und so musste ihnen gegenüber die Betonung des tirolisch landesfürstlichen Standpunktes unter diesem habsburgischen Brüderpaar mehr in den Hintergrund treten. Der Gefahr der Entfremdung eines bedeutenden Reichsfürsten brachten sie gern die strengeren Ansprüche des tirolischen Landesfürsten zum Opfer. Dazu kommt noch der weitere Umstand, dass gerade damals auf dem bischöflichen Stuhle Trients Männer sassen, welche vermöge ihrer hohen Gaben und politischen Fähigkeiten die vertrautesten Berather der beiden Kaiser wurden und die zugleich, von Ehrgeiz und fürstlichem Selbstbewusstsein erfüllt, die engeren Schranken der bisherigen Stellung Trients zur Grafschaft zu erweitern bemüht waren.

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