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Drei Briefe

Schopenhauers an Karl Rosenkranz betreffend die Gesammtausgabe von

Kants Werken.

Mitgetheilt von

Rudolf Reick e.

Im Jahre 1837, als Rosenkranz und Schubert ihre Gesammtausgabe von Kants Werken ankündigten die erste Nachricht davon gab Rosenkranz selbst im 2ten Bande der Dioskuren (Berlin 1837) S. 18-35, die von beiden verfaßte und von Leop. Voß als Verleger unterzeichnete Subscriptions-Anzeige ist datirt am 9. Juli 1837 wandte sich sofort Arthur Schopenhauer brieflich an jene mit dem bekannten Vorschlage, die Kritik der reinen Vernunft rein und unverfälscht, in ihrer ächten Gestalt" d. h. in der ersten Ausgabe von 1781 abdrucken zu lassen. Die hierauf bezügliche wichtigste Stelle dieses merkwürdigen Sendschreibens vom 24. August 1837 theilte Rosenkranz mit Schopenhauers ausdrücklicher Erlaubniß in seiner Vorrede zum 2ten Bande der sämmtlichen Werke Kants S. XI-XIV mit, indem er noch an zwei Stellen ein paar ihm zur Verfügung gestellte Zusätze aus einem zweiten Briefe Schopenhauers hinzufügte. Nur dieser Auszug ist bisher bekannt gewesen und wiederholt abgedruckt, zuletzt in Ed. Grisebach's Edita und Inedita Schopenhaueriana" (Leipzig 1888) S. 15—17. Schopenhauer unterließ nicht auf dieses sein Sendschreiben an Rosenkranz in der 2ten Ausgabe seines Werkes: ,,Die Welt als Wille und Vorstellung" Bd. I. (Leipzig 1844) S. 489 hinzuweisen.

Zum erstenmal erscheint nun in der Altpr. Monatsschrift der vollständige Abdruck dieses sowie noch zweier anderen nicht minder wichtigen Briefe Schopenhauers aus dem Nachlasse Rosenkranz', dessen Tochter und Enkel ich für die freundliche Gewährung meiner Bitte um Mittheilung und Veröffentlichung der Originale an dieser Stelle meinen pflichtschuldigsten Dank ausspreche.

I.

An die Herren Professoren Rosenkranz und Schubert, der
Universität Königsberg.

Geehrteste Herren!

In Ihrer Eigenschaft als Herausgeber der sämmtl. Werke Kants ist es allein, dass ich mir die Freiheit nehme, Ihnen eine Mittheilung zu machen, welche ich, in Folge eines viele Jahre gehegten Vorsatzes, eben so Jedem machen würde, der dem besagten Unternehmen vorstünde. Wenn nun dieses zwar, wie ich nicht verhehle, so wenig Ihrethalben als meinethalben, sondern ganz allein im rein objektiven Interesse der Kantischen Philosophie geschieht, so wird nichtsdestoweniger diese Mittheilung, wenn Sie solche benutzen wollen, zu Ihrem Vortheil gereichen, indem Sie alsdann die von Ihnen übernommene Obliegenheit mit Ehre erfüllen u. das Lob verdienen werden, wirklich etwas geleistet zu haben, wofür Sie als Herausgeber Ihre Namen der Ausgabe vorsetzen. Denn, mit Ausnahme des einzigen Punktes, von welchem ich zu reden habe, sehe ich dazu bei K's Werken wenig Gelegenheit. Vollständigkeit u. korrekter Abdruck sind hier nicht schwer zu leisten, u. die Ordnung der Bücher am Ende gleichgültig.

Was mich betrifft; so glaube ich voraussetzen zu dürfen, dass mein Verhältniss zur Kantischen Philosophie u. meine Kritik derselben Ihnen bekannt ist. Seit 27 Jahren hat Kants Lehre nie aufgehört ein Hauptgegenstand meines Studiums u.

Nachdenkens zu seyn. Ich möchte wissen, wer unter den Mitlebenden kompetenter in Kantischer Philosophie wäre als ich. — Zur Sache!

1) Bekanntlich hat K. an der Krit: d. rein: V. bei der 2ten Ausgabe eine bedeutende Veränderung vorgenommen: u. nach dieser 2ten sind alle folgenden abgedruckt worden. Nun ist es meine feste, aus wiederholtem Studio des Werkes erwachsene u. auf sichere Gründe gestützte Ueberzeugung, dass K, durch jene Aenderung, sein Werk verstümmelt, verunstaltet, verdorben hat. Was ihn dazu bewog, war Menschenfurcht, entstanden durch Altersschwäche, welche nicht nur den Kopf angreift, sondern bisweilen auch dem Herzen jene Festigkeit nimmt, die nöthig ist, um die Zeitgenossen, mit ihren Meinungen u. Absichten, nach Verdienst zu verachten; ohne welches nie ein grosser Mann wird. Man hatte ihm vorgeworfen, seine Lehre wäre nur aufgefrischter Berkleyanischer Idealismus: sodann hatte sein Umstossen geheiligter Lehren des alten Dogmatismus, namentl. der rationalen Psychologie, Aergerniss gegeben. Dazu kam von Aussen, dass der grosse König, der Freund des Lichts u. Beschützer der Wahrheit, eben gestorben war, u. jener Nachfolger, dem K bald versprechen musste, nicht mehr zu schreiben, ihm succedirt hatte. Durch dieses Alles liess Kant sich intimidiren u. hatte die Schwäche, zu thun, was seiner nicht würdig Dieses besteht darin, dass er das Erste Hauptstück des 2ten Buchs der transs: Dialektik (der ersten Ausg: p. 341; der 5ten p. 399) gänzlich verändert u. daraus 32 Seiten rein weggestrichen hat, welche gerade das enthielten, was zum deutlichen Verständniss des ganzen Werks unumgängl. nöthig ist, u. durch dessen Weglassung, wie auch durch das an die Stelle gesetzte Neue, seine ganze Lehre in Widersprüche mit sich selbst geräth, Widersprüche, die ich in meiner Kritik (p. 612-618)

war.

1) Die ganze Stelle von hier ab bis zur Wiederkehr von 1) ist abgedruckt in Rosenkranz' Vorrede zum II. Bde. von Kants sämmtl. Werken S. XI-XIV.

gerügt u. hervorgehoben habe, eben nur weil ich damals, 1818, die erste Ausgabe nie gesehn hatte, in welcher sie keine Widersprüche sind, sondern zum Ganzen stimmen. In Wahrheit, die 2te Ausg: gleicht einem Menschen, dem man ein. Bein amputirt u. es durch ein hölzernes ersetzt hat. In der Vorrede zur 2ten Ausg: p. XLII giebt er für die Ausmerzung jenes wichtigen u. überaus schönen Theils seines Buchs kahle, ja unwahre Entschuldigungen, weil er nicht eingeständl. das Weggelassene als zurückgenommen angesehn haben will: man könne es, sagt er, in der 1sten Ausg: nachlesen, er habe Raum nöthig gehabt für das neu Eingeschaltete, Alles sei bloss verbesserte Darstellung. Aber das Unredliche dieses Vorgebens wird klar, wenn man die 2te Ausg: mit der 1sten vergleicht. Da hat er in der 2ten Ausg: nicht bloss das erwähnte wichtige u. schöne Hauptstück weggelassen u. dafür unter dem selben Titel ein halb so langes, viel unbedeutenderes eingeschoben; sondern er hat auch der 2ten Ausgabe (p. 274-279 der 5ten Ausg: ich besitze, neben der ersten Ausg:, nur diese u. weiss nicht ob ihre Seitenzahl exakt dieselbe wie in der 2ten ist) eine ausdrückliche Widerlegung des Idealismus einverleibt, die das gerade Gegentheil der weggelassenen Stelle besagt u. alle die Irrthümer, welche diese auf das gründlichste widerlegt hatte, selbst verficht, folgl. mit seiner ganzen Lehre in Widerspruch steht. Die neue hier nun gegebene angebliche Widerlegung des Idealismus ist so grundschlecht, so offenbare Sophisterei, zum Theil sogar so konfuser Gallimathias, dass sie ihrer Stelle in seinem unsterblichen Werke ganz unwürdig ist. Im Bewusstseyn dieser Unzulänglichkeit hat er sie noch p. XXXIX der Vorrede, durch Aenderung einer Stelle verbessern u. durch eine lange konfuse Anmerk verfechten wollen. Aber der alte Mann hat vergessen, nun auch durchgängig aus der 2ten Aufl. alle die vielen Stellen zu streichen, welche mit dem neu Hinzugekommenen in Widerspruch stehn, aber mit dem Weggelassenen vollkommen harmoniren. Dergleichen sind besonders der ganze 6te Abschnitt der Antinomie der reinen Vernunft, wie auch alle die Stellen, welche

ich in meiner Kritik (p. 615) gleichsam verwundert angeführt habe, weil er dadurch sich selbst widerspricht u. mir (1818) die erste Ausg: u. folgl. der Unterschleif noch unbekannt war. (Beiläufig können Sie hieraus abnehmen, dass ich nicht für, sondern gegen mein persönliches Interesse Ihnen rathe.) Dass Menschenfurcht es war, die den schwachen Greis zu dieser Verunstaltung der Kritik der rationalen Psychologie bewog, ist auch daraus ersichtl., dass seine Angriffe auf diese geheiligte Lehre des alten Dogmatismus, in der neuen Darstellung viel schwächer, schüchterner u. ungründlicher sind, als in der ersten, u. dass er sie, um zu besänftigen, sogleich versetzt hat mit vorläufigen, aber hier noch gar nicht hergehörenden u., dem Zusammenhang nach, noch gar nicht verständlichen Erörterungen der Seelenunsterblichkeit aus Gründen der praktischen Vernunft u. als Postulat derselben. Dies furchtsame Zurückweichen also hat ihn dahin gebracht, dass er über den Hauptpunkt aller Philosophie, näml. das Verhältniss des Idealen zum Realen, die Gedanken, welche er in den kräftigsten Jahren gefasst u. sein ganzes Leben hindurch gehegt hatte, nun im 64sten Jahr, mit dem Leichtsinn, der dem spätern Alter, so gut als die Furchtsamkeit, eigen ist, eigentl. zurücknahm, jedoch, aus Schaam, nicht eingeständlich, sondern, durch die Hinterthüre entschlüpfend, sein System im Stich liess. Dadurch also ist die Krit: d. rein: Vern: in der 2ten Ausgabe ein sich selber widersprechendes, verstümmeltes, verdorbnes Buch geworden: sie ist gewissermaassen unächt.1) Mit dem hier Gesagten stimmt auch überein F. H. Jacobi im 2ten Theil seiner sämmtl. Schriften, (od: Hume, über den Glauben) wo er einen Theil des von Kant Supprimirten u. Sekretirten hat abdrucken lassen.2)

Meine Herren, das Schicksal hat es in Ihre Hand gelegt, die Kritik d. rein: Vern:, das wichtigste Buch, das jemals in Europa geschrieben worden, rein u. unverfälscht, in ihrer ächten Gestalt, der Welt zurückzugeben u. durch eine solche gerechte Restitutio in integrum sich den Beifall aller Einsichtigen, ja

2) In der Beilage, die,,über den transscendentalen Idealismus“ handelt.

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