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Nun zeigt sich aber sehr bald, dass dieses als Codex traditionum bezeichnete Werk eigentlich einen falschen Namen trägt. Die Hauptmasse der in diesem Buche verzeichneten Urkunden sind eigentlich förmliche Abschriften, wobei man sich gelegentlich mit Regesten auch begnügte, somit haben wir es der Anlage nach mit einem Copialbuche zu thun, in das aber nicht die bunte Menge der Urkunden eingetragen wird, sondern nur eine bestimmte Art. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, betreffen sie nämlich Vergabungen von Klostergut gegen jährliche Zinsleistung an verschiedene Personen, und somit würde nach unserer Terminologie die Bezeichnung eines liber censualis für diese Sammlung eher passen 1). Der Aussteller dieser Urkunden ist der jeweilige Abt des Klosters, so dass wir hier die Copien der im Kloster ausgestellten und ausgegebenen Urkunden vor uns haben, also ein Copialbuch des Auslaufs.

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Die Benennung Codex traditionum, die sich auf dem Umschlag selber vorfindet, ist aber trotzdem nicht ganz willkürlich; im ersten Quaternio finden sich in der That noch mehrere Stücke, die reine Traditionen sind, so Nr. 1 eine donatio, Nr. 2 eine traditio von Censualenfamilien. Die ganze grosse Veränderung in den Rechtsanschauungen und Rechtsformen, die im Verlaufe der letzten zwei Jahrhunderte eingetreten, lässt sich darin erkennen, wenn man beobachtet, dass im 11. und 12. Jahrhundert für die Uebergabe von Personen zur Zinsleistung kurze Notizen im Traditionsbuch als das einzige Zeugnis genügten, während im 13. über dieselbe Handlung förmliche Urkunden mit Siegel und Zeugen ausgefertigt werden.

Neben den Traditionen treten aber sehr bald Aufzeichnungen anderer Art hervor; so treffen wir ein Verzeichnis von Lehen und Einkünften des Klosters, bei einer Urkunde haben wir den Fall, dass die Tradition eines Gutes an das Kloster und die Vergabung desselben von Seiten des Klosters vereinigt sind; hierin eben liegt die Verwandtschaft des Traditionsbuches mit dieser Sammlung; ohne dass es ausdrücklich gesagt wird, mag es sich oft so verhalten, dass die Güter, die den Personen als Zinsgut überlassen werden, zugleich von ihnen an das Kloster tradirter Besitz sind. Je weiter wir im Codex aber vorrücken, desto ausschliesslicher erscheinen diese reinen Vergabungsurkunden. So bildet zeitlich und inhaltlich dieser Codex die Fortsetzung und den

1) Daher dürfte auch dieser Codex in dem Katalog des Fürstabtes Kraus, der als, Bibliotheca principalis et mon. ord. s. Bened. ad s. Emmer. 1748 zusammengestellt ist, gemeint sein, wenn daselbst II. pag. 2 Nr. 534 citirt wird: Liber censualis mon. s. Emmer. Ratisb. continens redditus et proventus ac jura omnium ac singulorum praediorum et possessionum monasterii antea dicti."

Abschluss der Traditionsbücher von S. Emmeram. Es ist, als sollte der Anfang dieses Codex uns noch den Kampf, der zwischen Traditionsbuch und Copialbuch entstand und zum Nachtheil des ersteren ausging, vorführen.

II. Ueber doppelte Fassungen und Ausfertigungen aus dem S. Emmeramer Traditionscodex.

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In diesen Büchern ist nun ein massenhaftes Material an urkundlichen Aufzeichnungen überliefert; es dürfte in einer Gesammtedition die Zahl von 1400 Nummern fast erreicht werden. Allerdings ist dasselbe sehr ungleich vertheilt, und auf die älteste Zeit ungefähr von der Mitte des achten bis zur Mitte des neunten Jahrhunderts entfällt nur ein kleiner Bruchtheil. Im wesentlichen ist es jenes Dutzend Urkunden aus dem ältesten Traditionsbuch darunter zwei Drittheile noch dem 8. Jahrhundert angehörig wozu dann noch Stücke aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts kommen, die sich theils im Regensburger Copialbuch 1) oder als von uns schon hervorgehobene Nachträge im Codex des Anamot vorfinden. Bietet sodann der Codex des Anamot für drei Jahrzehnte der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts eine Urkundenmasse von fast ein und einem halben hundert Stück, so haben wir im 10. Jahrhundert mit Ausnahme der wenigen Urkunden aus der ersten Regierungszeit Bischof Tutos nichts. Erst mit dem letzten Viertel desselben erhalten wir im S. Emmeramer Traditionsbuch eine durch lange Zeit gleichmässig reichlich fliessende Quelle.

Für die diplomatische Forschung ist dieses Material noch wenig benützt worden. Redlich hat ihm selbstverständlich die Berücksichtigung angedeihen lassen, die in seiner das ganze bairische Urkundengebiet umfassenden Arbeit einem Theile gewährt werden konnte und hat dadurch zu Specialuntersuchungen angeregt. Eine eingehende Untersuchung des Urkundenmaterials des Klosters S. Emmeram müsste nun freilich am geeignetsten im Anschluss an eine Gesammtedition geschehen; da könnten denn auch bekannte Grundsätze an neuem Materiale geprüft werden, da könnte man in Folge der Aehnlichkeit und Verwandtschaft des Stoffes zu schon bekannten Folgerungen und Schlüssen gelangen und diese hiemit bekräftigen. In diesen kurzen Beiträgen aber wollen wir nur einige Beobachtungen wiedergeben, die, wie uns scheint, allgemein interessant und verwerthbar sind. Ich gehe von jenem Theile des Codex traditionum saec. X-XIV aus, dem wir wegen seiner mehrfachen Eigenthümlichkeiten schon früher besondere Aufmerksamkeit schenken mussten, also von der Gruppe der Ramwold

1) Cod. S. Emmer. 5, im Münchner R. Arch. fol. 1-70.

urkunden. Es fiel uns in den drei Heftchen einmal die prächtige im ganzen Codex nie mehr wiederkehrende Ausstattung auf, sodann im ersten noch, um es hier kurz zu sagen, die alphabetisch geordneten Anfänge. Daraus muss man aber nothwendig schliessen, dass diese Abschriften unmöglich genau mit den Originalaufzeichnungen übereingestimmt haben; mindestens diese Eingänge müssen Zuthaten des Codexschreibers sein. Die Frage nach der Grenze dieser Verschiedenheit zwischen Vorlage und Abschrift, nach dem Verhältnis zwischen beiden liegt somit nahe genug. Es ist ganz zufällig, dass wir hier den Nachweis führen können, dass vollkommene Umarbeitung stattgefunden hat. Bei Vergleichung der Urkunden der Ramwoldhefte unter einander zeigt sich nämlich, dass fünf Stücke des ersten Heftes im zweiten wieder vorkommen, sie decken sich inhaltlich, aber sind im Wortlaut verschieden, es sind dies:

Cod. Nr. 40 und 65 Traditio Gozperti

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(Beil. I)
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Es sind bis zu gewissem Grade Duplicate, aber vergebens würde man versuchen, die verschiedenen Erklärungen, die für mehrfache Ausfertigungen oder Doppelurkunden bis nun gegeben wurden, auf diese Fälle anzuwenden. Ficker hat uns an einer Reihe von Beispielen die verschiedenartigen Veranlassungen für Ausstellung neuer Urkunden vorgeführt 1); später hat noch v. Buchwald ausgeführt 2) dass gelegentlich zu unlauteren Zwecken ungleiche Doppelurkunden denn von den mehrfachen gleichlautenden Verbriefungen können wir hier ganz absehen ausgefertigt wurden. Aber wir bemerken, dass in

allen diesen Fällen die Verschiedenheit der beiden Fassungen auf ein Plus oder Minus in dem neuen Stücke beschränkt ist; von dieser bestimmten Zuthat oder Auslassung abgesehen, bleibt der Haupttheil des Stückes im übrigen identisch. Dagegen zeigen die fünf Urkundenpaare aus S. Emmeram durchaus abweichenden Text bei gleichem Inhalt: es sind im wesentlichen die nämlichen Gedanken in verschiedene Worte und Sätze gekleidet. Dies liesse etwa noch die Vermuthung aufkommen, dass eben in der formellen Gestaltung der beiden Fassungen der Grund der doppelten Ausfertigung liege; Brunner 3) hat ja

1) Zusammenfassend Urkundenlehre I. 157-159. 2) Bischofs- und Fürstenurkunden 430. 9) Zur Rechtsgeschichte der romanischen und germanischen

Urkunde 213.

aus dem fränkischen Urkundengebiet Beispiele gebracht, dass über ein und dasselbe Rechtsgeschäft Charta und Notitia ausgestellt wurden. Da wir aber nur Notitiae in dieser Zeit haben, so könnten die beiden Fassungen etwa zwei verschiedenen Stadien der Handlung entsprechen. Abgesehen davon, dass Fertigung von Doppelakten von diesem Gesichtspunkt aus im Stadium der Notitia fast widersinnig wäre, lässt sich auch bei noch so genauer Prüfung aus dem Wortlaut keinerlei Beziehung auf eine bestimmte Phase des Geschäftsverlaufes erkennen, auch nicht bei Nr. 41 und 54, wo allerdings Janner zwischen Delegationsbrief und Uebergabsbrief geschieden hat1).

Schon das muss bei den Doppelurkunden des Emmeramer Codex auffallen, dass sie nicht zerstreut vorkommen, dass nicht zufällig hier der eine, dort ein anderer Fall sich findet, sondern dass wir gleich einer geschlossenen Gruppe begegnen.

Ich sehe nun dieselben an als gleichwerthige doppelte Akte, die durch zweimalige selbständige Bearbeitung einer und derselben Vorlage von zwei verschiedenen Schreibern entstanden sind. Es sind eigentlich nicht Doppelurkunden, sondern doppelte Ueberarbeitungen. Versuchen wir daher durch Vergleichung der einander entsprechenden Stücke uns die gemeinsame Vorlage in ihrer ursprünglichen Form zu reconstruiren, so nehmen wir bald wahr, dass diese von den uns überkommenen Fassungen wesentlich verschieden gewesen sein muss. Denu die Texte zeigen keinen gemeinsamen Kern an Worten, keinen gleichen Bau und entsprechende Disposition und diese Ungleichheit erstreckt sich auf die ganze Urkunde ausgenommen die Zeugenreihe; in dieser, und auch dies ist ein Beweis, dass die Fassungen sich auf ein und dasselbe Stadium beziehen, sind aber nicht allein die Namen vollkommen gleich, sondern sie folgen auch in der nämlichen Ordnung auf einander; bezeichnenderweise ist aber nur in einem Falle die Formel für die Zeugeneinführung in den parallelen Stücken identisch. Nicht so klar und einfach steht es mit den in einigen dieser Traditionen vorkommenden Mancipiennamen; eigentlich hätte man auch hierin vollkommene Ueber

1) I, 343. Man braucht aber blos den Hauptsatz aller formelhaften Wendungen entkleidet aus jedem der beiden Stücke herauszuziehen, um die Gleichwerthigkeit beider Fassungen klar zu sehen:

Nr. 41. ... Perahtolt . . . tradidit in | Nr. 54. Perehtold . . . tradidit ad s.. E. manum Arponis . . . proprietatis . . . ut in manum Ariponis predium . . . ut idem Arpo... in ius et vestituram s. E. idem Aripo traderet et vestiret ad aram presentare non differret. Tunc ... s. patronis, quod ita factum est cum Arpo cum manu prenotate domne manu predicte matrone et filii eius Heinet filii illius Heinrici tradidit. rici.

...

...

einstimmung erwarten dürfen; diese constatiren wir aber nur in einem Falle, bei Nr. 40 und 65. In Nr. 41 und 54 werden beiderseits die vier, servi cum uxoribus ac liberis" nicht namentlich angeführt. Bei dem vierten Paar Nr. 43 und 50 sind die zehn Mancipien zwar in der ersten, nicht aber in der zweiten Fassung genannt, wo es nur allgemein heisst: mancipia decem probabilia. Das scheint mir nun im Zusammenhang zu stehen mit dem eigenthümlichen Verhältnis, das in den correspondirenden Stücken Nr. 44 und 51 bei den Mancipiennamen obwaltet. Sowohl 43/50 als 44/51 betreffen Schenkungen desselben Adalhard. Die gleiche Zeugenreihe in Nr. 44 und 51 macht uns zunächst sicher, dass auch diesmal nur eine und dieselbe Handlung gemeint sein kann. Die Texte selber zeigen zwar keinerlei Wider. spruch, aber sie sind doch in ihrer Ausführlichkeit mehr als sonst von einander verschieden; das ist unwesentlich, wie sich noch zeigen wird; auffallend und einer Erklärung bedürftig ist hingegen, dass die Namen der Mancipien sich nicht decken. Diese Namen in Nr. 51 sind überdies in den leergebliebenen Raum von anderer Hand oder in anderem Ductus erst später nachgetragen. Eben weil dieselben nicht gleichzeitig mit dem Text geschrieben sind, kann man in der Veränderung der Mancipien auch nicht den etwaigen Grund der Neuausfertigung sehen; aber folgender Vorgang dürfte das Verhältnis erklären 1). Wir haben für die beiden Traditionen zwei Vorlagen anzunehmen, in denen ganz entsprechend der erstmaligen Verfügung des Traditors auch jene Mancipiennamen enthalten waren, die uns in Nr. 43 und 44 überliefert sind; auf Grund dieser Vorlagen wurden die beiden Akte Nr. 43 und 44 im ersten Heft vom Schreiber A ausgearbeitet. Nachher erfolgte durch Adalhard eine Veränderung in den zugehörigen Unfreien und zwar derart, dass acht der zu Reginpoldinchova (Nr. 43) gehörenden Mancipien dem Gute Skiri (Nr. 44) zugewiesen wurden. In den Vorlagen selbst war es keineswegs corrigirt, als ein zweiter Schreiber

1) Der leichteren Uebersicht halber stelle ich die Namen der Mancipien Nr. 51 Adalpreht

zusammen:

Nr. 43: Adalpreht
Alpiz

Nr. 50:

Nr. 44 Uuillipato
Alpheri

Liupili

Engilfrit

Ospirn

Cuanpure
Perahtolt
Tiorpreht

Liutker

Pernhart

Trutmuot

mancipia x probabilia

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