Untersuchungen über Friesische Rechtsgeschichte von Dr. Karl Freiherr von Richthofen, Professor. BERLIN. Verlag von Wilhelm Hertz. (Bessersche Buchhandlung.) 1880. Vorwort. Das as ältere deutsche Recht lebte in den Rechten der einzelnen deutschen Volksstämme, wie die ältere deutsche Sprache in den deutschen Dialekten. In jedem einzelnen Stammrecht war das deutsche Recht eigenthümlich gestaltet, so sehr auch die Grundgedanken und Grundanschauungen der einzelnen Stammrechte mit einander übereinstimmten. Ein deutsches Recht frei von der Gestalt eines einzelnen deutschen Stammrechtes war nicht vorhanden und konnte wissenschaftlich auch nicht aufgestellt werden, so wenig wie eine deutsche Sprache ohne die Worte, Wortformen und Eigenheiten eines einzelnen deutschen Dialekts. Vor und seit Karl dem Grofsen waren manche tief eingreifende Einrichtungen in gleicher Weise für die einzelnen Volksstämme des deutschen Reiches angeordnet, nicht wenige Rechtssatzungen übereinstimmend in den einzelnen Volksrechten eingeführt worden, immer aber bestanden die einzelnen Stammrechte als solche für die Angehörigen der einzelnen Volksstämme in Deutschland neben einander fort. Eine Darstellung des älteren deutschen Rechts kann nur auf den einzelnen deutschen Stammrechten aufgebaut werden, mufs bei Aufstellung der verschiedenen Lehren und Institute stets auf die Gestaltungen Rücksicht nehmen, die sie in den einzelnen deutschen Stammrechten besitzen. Nur so sind die Grundanschauungen der einzelnen Rechtslehren oder Institute zu gewinnen und darzulegen. Die Ueberzeugung, dafs es zu unrichtigen E gebnissen führt, wenn dies bei der Darstellung des älteren deu' hen Rechts unterbleibt, und das einzelne Rechtsinstitut meistens nach einem deutschen Stammrecht, etwa unter Berücksichtigung einiger Abweichungen aus einem andern, gegeben wird, veranlafste mich zu dem Versuch, das ältere friesische Stammrecht als solches zu bearbeiten. Das friesische Recht steht dem sächsischen und fränkischen |