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der Marktverkauf beherrschte sie nicht; neben der eigenen Ernährung war ihre andere Aufgabe die wirtschaftliche Versorgung der Personen und Familien, die dem Staate, der Kirche und der Heeresverfassung dienten. Diese hatten teilweise auch eine agrarische Eigenwirtschaft; aber das reichte nicht; sie mußten noch Abgaben und Dienste von den Bauern haben. Aus diesen Zwecken entstand in der Hauptsache die Feudalverfassung, die bäuerliche Unfreiheit, die agrarischen Rechte der höheren Klassen. Auf diesem Boden erwuchs aber allerdings auch die mittelalterliche Klassenbildung.

Vom späteren Mittelalter an begann sich diese ältere Agrarverfassung aufzulösen. Die Marktproduktion wuchs an Umfang, zuerst bei den Aristokraten, dann bei den Bauern; die alte Gebundenheit des Bauern durch seine Dorfverfassung und durch die grund- und gutsherrlichen Rechte war dabei hinderlich. Beide soziale Klassen bekamen ein Interesse an freien Bodenverhältnissen. Staat, Kirche, Kriegsverfassung, Beamtentum erhielten mehr und mehr in der neuen Geldsteuerverfassung eine andere Grundlage. Das Anwachsen der Städte forderte eine wachsende Marktproduktion; an den Meeren und Küsten entstand ein einträglicher, den Bodenwert steigernder Ge= treidehandel. Damit wurden die agrarischen Verhältnisse verschoben; Bachtverhältnisse entstanden. Gutsherren und Bauern kamen in allerlei Reibungen und Interessenkämpfe. Das Grundeigentum wurde eine steigende Rentenquelle; der steigende Grundwert zog spekulative Käufer an. Der alte Adel verwandelte sich da und dort in einen lapitalistischen, nach hoher Rente verlangenden. Freies Grundeigen= tum wurde in den reicher werdenden Ländern die Losung.

Vor allem in den beiden letzten Jahrhunderten war die Agrarpolitik von der Frage beherrscht, ob das große Grundeigentum zu sehr sich ausdehne, der Eigentum besißende Bauer sich in einen Geldpächter verwandele, welche Änderungen in der Verteilung des Grundeigentums und in seiner Rechtsverfassung nötig seien, um die inten= sive Landwirtschaft durchzuführen. Daran knüpften sich teilweise schon im 16., besonders aber im 18. und 19. Jahrhunderte große agrarischsoziale Kämpfe. Wir werden sie im letzten Buche zu schildern haben. Hier haben wir nur noch kurz das neuere Grundeigentumsrecht und die neuen Hauptrichtungen der modernen Landpolitik zu schildern und ein zusammenfassendes Wort an den Zusammenhang von Grundeigentumsverteilung und sozialer Klassenbildung zu sagen.

5. Das heutige Grundeigentumsrecht und die Richtungen der heutigen Landpolitik.

Die altere Unfreiheit des bäuerlichen Grundeigentums bestand darin, daß der einzelne Bauer nicht wirtschaften durfte und konnte, wie er es für richtig hielt. Er mußte Getreide da und dann bauen, wie seine Nachbarn, er mußte säen, pflügen, ernten, wie es der Schulze gebot. Er mußte die Heerde des Gutsherrn, wie die der Bauern zu bestimmter Zeit über seine Stoppeln und seine Brache gehen lassen. Er durfte nicht frei verkaufen und teilen, wie er wollte. Er mußte seine ganze Wirtschaft so einrichten, daß er dem Gebieter Spann- und Handfronen zu bestimmter Zeit leisten konnte. Er durfte nicht frei abziehen. Ebenso war aber auch der Gutsherr gebunden: das Lehnsrecht griff überall ein; später taten es Familienstatute und Fideikommissse. Adelige Güter durften nur Adelige, bäuerliche nur Bauern kaufen. Allerlei beschränkende Kreditgeseze banden den Edelmann wie den Bauern.

Seit Jahrhunderten war wohl einzelnes aus diesen Schranken, meist durch Nichtgebrauch und Übertretung, außer Übung gekommen. Underes war durch Vereinbarung und Verträge, durch Abkauf der Lasten verschwunden. Aber der Gesamtzustand war fast allerwärts bis ans 18. Jahrhundert so geblieben. Erst von da an, hauptsächlich erst im 19. Jahrhundert griffen große gesetzgeberische Werke ein, bei denen teils wirtschaftliche, teils rechtspolitische Ursachen das treibende Motiv waren. Die großen Bauernbefreiungs- und Ablösungsgesetze, die Geseze über Güterzusammenlegung und Gemeinheitsteilung, die Aufhebung des Lehnsverbandes, die privatrechtlichen Geseße über Grundeigentum, seine Übertragung, seine hypothekarische Belastung gehören hierher. Sie alle zielen dahin, dem individuellen Eigentümer eine möglichst weitgehende und unbeschränkte Veräußerungs-, Verschuldungs-, Teilungs- und Zusammenlegungsfreiheit zu geben. Jedes gemeinschaftliche Eigentum, jede Beschränkung desselben im Familien- oder dorfgenossenschaftlichen, ja auch im staatlichen Interesse erschien als schädlich. Die neue Gesetzgebung knüpfte, und zwar zu einem erheblichen Teile mit Recht, die Hoffnung großer landwirtschaftlicher Fortschritte und steigernder Verwendung von Arbeit und Kapital auf den Grundbesitz in erster Linie an ein rechtlich gesichertes, unbeschränktes Grundeigentum. Durch gute Vermessung, Kartierung, Eintragung aller Parzellen in die Grundbücher, durch Neuordnung des Hypothekenwesens im Sinne der Eintragung aller

Hypotheken und sonstigen dinglichen Rechte ins Grundbuch hat alles Grundeigentum in der Tat sehr an rechtlicher Sicherheit ge= wonnen. Die Übertragung von Grundeigentum und die Eintragung von Hypotheken ist durch die neueren Grundbuchordnungen außerordentlich erleichtert; man hat das eine Mobilisierung des Grundbesißes genannt. Das frühere Gemeindeeigentum ist vielfach an die privaten Grundeigentümer der Gemeinde aufgeteilt; von dem Staatsbesitz ist ein großer Teil an Private verkauft.

Diese große Veränderung in der rechtlichen Verfassung des Grundeigentums hat sich freilich nicht überall gleichmäßig durchgeseßt; 3. B. nicht in England, wo die alte aristokratisch gebundene Verfassung sich ziemlich unverändert erhielt. Wo sie aber zur Durchführung kam, wie in Deutschland, Frankreich, Österreich usw., und wo sie zeitlich zusammentraf mit den großen Fortschritten der Geldwirtschaft und des kapitalistischen Reichtums, da hat sie teilweise erhebliche Ver= ånderungen in der Verteilung des Grundeigentums, in dem Verhältnis der Eigentums- zur Pächterwirtschaft und sonst herbeigeführt. Freilich immer nicht so große, wie man oft erwartet hatte. Und nicht überall so heilvolle, wie es der manchesterliche optimistische Liberalismus erwartete; er rechnete sicher darauf, daß die unbeschränkte Bodenfreiheit die beste Verteilung schaffe, den intensivsten Betrieb erzeuge. Gewiß ist dies teilweise geschehen; die neue freie Boden= verfassung schuf da, wo das entsprechende tüchtige Menschenmaterial war, allerlei Fortschritt, sie erzeugte aber anderwärts auch da und dort ungesunde Latifundienbildung, steigerte wucherische Pachtverhältnisse, gab Anstoß zu proletarischen Zwergwirtschaften, zu ungesunder Verschuldung. Und so sehen wir seit den leßten 30–40 Jahren an Stelle des älteren Optimismus heftige Kämpfe über die günstigen und ungünstigen Folgen der neuen Bodenverfassung, über die unbeschränkte Grundstücksfreiheit, über den Segen des freien privaten Grundeigentums.

Und doch hatte das private Grundeigentum so wenig in Westeuropa ganz gesiegt wie die unbeschränkte Freiheit desselben. Die meisten deutschen Staaten wenigstens besitzen noch große Forsten und Domänen, die süddeutschen, schweizerischen, französischen Gemeinden haben noch erhebliche Allmenden. Freilich nußen Staat und Gemeinden ihre Forsten und ihr Grundeigentum nicht mehr wie früher, sondern überwiegend als privatwirtschaftliche Rentenquelle, um ein fiskalisches Einkommen zu erzielen. Eine Reihe von Schranken des privaten Grundeigentums sind in verschiedenen Formen stehen ge=

blieben. Es ist für kein Land der Welt ganz wahr, was man oft behauptet hat, daß die heutige Zeit das römische Mobilieneigentumsrecht ganz und ohne Rückhalt auf das Grundeigentum angewendet habe. Aber im ganzen freilich hat eine solche Tendenz in der Geseßgebung der meisten Staaten 1815-80 geherrscht, und die Folge ist, daß wir heute mitten in einer großen theoretischen und praktischen entgegengesetzten Bewegung stehen, welche in ihrem Extrem die ganze jetzige Grundeigentumsverfassung und ihre Folgen für schädlich hält, allen privaten ländlichen Grundbesitz in Frage stellt, ihn in Staatsund Gemeindeeigentum überführen will, in ihren energischen Reformern ihm die Verschuldbarkeit ganz oder teilweise nehmen, die Teilbarkeit und die Anhäufung des Grundbesizes an gewisse Bedin= gungen knüpfen möchte, in ihren gemäßigten Vertretern jedenfalls durch eine Bevorzugung eines Erben im Erbrecht eine gesunde bestehende Verteilung erhalten, den Grundbesitz vor Zersplitterung und Überschuldung bewahren will.

Den stärksten Anstoß zu Erörterungen und Fragen dieser Art gab die Verfassung des Grundeigentums da, wo der wirtschaftende Eigentümer in wachsende Abhängigkeit von Hypothekengläubigern kam, oder wo mehr und mehr der Grundeigentümer aufhörte Landwirtschaft zu treiben, ein bloßer, oft ferne von seinem Grundbesih, häufig sogar im Auslande lebender Rentner wurde. Bei starker Überschuldung, wie sie ein Teil der kleinsten mitteleuropäischen Grundeigentümer und ein Teil der osteuropäischen Gutsbesizer zeigt, werden materiell die Gläubiger Eigentümer; der juristische Eigentümer ist ihr Verwalter, oft ein ausgebeuteter, schwer bedrängter Verwalter. Der englische Großgrundbesitz freilich zeigt fast gar keine Verschuldung, er ist die Grundlage einer immer noch großen und gesunden Aristokratie; ob die so vom großen Besitz bezogene Rente dem Staate und der Gesellschaft durch die Leistungen der Aristokratie zugute kommt, da= von hängt hauptsächlich die innere Berechtigung solch weitgehender Ungleichheit der Verteilung ab. Außerdem ist da, wo die Pacht sich ausdehnt, wichtig, welche Stellung die Pächter haben; die englischen, meist aus den ehemaligen kräftigen Bauern hervorgegangenen Zeitpächter stellen einen besißenden Mittelstand dar, der freilich sukzessiv in etwas ungünstigere Lage gekommen ist; der irische keine Pächterstand, von Mittelspersonen und jährlichem Kontrakt abhängig, ohne jeden moralischen und politischen Zusammenhang mit den englischen, fast stets außerhalb Landes residierenden Großgrundbesißern, zeigt uns ein Bild ungesundester Agrarverfassung. In den südeuro

päischen und romanischen Ländern bildet ein großer Teil des Grundeigentums nur einen Rententitel für städtische Kapitalbesizer, Honoratioren, Advokaten, Notare, Kaufleute. Die in Zeit- und Halbpacht sizenden Bauern sind in leidlicher Lage da, wo noch patriarchalische Beziehungen herrschen. Wo diese fehlen, ist eine ungesunde Ausbeutung der Pächter, proletarisches Elend unter ihnen da und dort nicht zu leugnen. Die ernstliche, zumal für Irland, für Sizilien, aber auch sonst aufgeworfene Frage, inwieweit Staat und Gefeßgebung die kleinen Pächter vor dem Druck und der Ausbeutung der Grundbesizer schüßen solle, zeigt ebenfalls, wie wenig das Prinzip des unbedingt freien Grundeigentums heute ausreicht.

In Deutschland haben wir, von den größeren, vorhin erwähnten Domänenpächtern abgesehen, noch wenig Pacht; der Rittergutsbesizer wirtschaftet meist noch selbst, wohnt auf dem Lande, hat be= gonnen, ein intelligenter Unternehmer zu werden. Auch im Mittelund Bauernbesitz überwiegt der wirtschaftende Eigentümer noch vollständig; nur in der Nähe der Städte, in Fabrikgegenden, in dem Gebiete der dichtesten Bevölkerung fängt die Klein- und Parzellen= pacht an, etwas häufiger zu werden; aber sie hat noch nichts Bedenkliches. Und auch das Maß der Verschuldung des Grundbesizes ist für die meisten deutschen Gegenden und für den erheblicheren Teil des Groß- und Mittelbesizes, sowie für die eigentlichen Bauerngüter erst in neuester Zeit durch die lange landwirtschaftliche Krisis, infolge der überseeischen Konkurrenz, bedenklich geworden. Es kommt darauf an, dem Bauernstand durch eine große Agrarpolitik über dieselbe weg zu helfen, einen Teil des unhaltbar gewordenen ritterschaftlichen, überschuldeten Besizes in Bauerngüter unter günstigen Bedingungen überzuführen, der Neuverschuldung bestimmte Grenzen zu sehen, die Bewucherung durch eine gute genossenschaftliche oder sonstige Kreditorganisation zu bekämpfen. Die frühere technische Überlegenheit der großen über die kleinen Betriebe beginnt in Deutschland mehr und mehr zu verschwinden, weil die Bildung und Technik des Bauernstandes sich sehr gehoben hat. Damit hat auch der Aufkauf von Bauerngütern durch die Rittergüter mehr oder weniger aufgehört. Wird man so für große Länder, weite Gebiete und Teile des agrarischen Grundeigentums auch heute noch sagen dürfen, das möglichst freie Grundeigentum habe mehr genußt als geschadet, so ist andererseits nicht zu verkennen, daß das hauptsächlich da zutrifft, wo es gelungen ist, die betreffenden Personenkreise, Groß-, Mittel-, Klein= eigentümer und Pachter wirtschaftlich, technisch und kulturell sehr zu

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